E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Sepulveda Drei Freundinnen fürs Glück
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-26641-7
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-641-26641-7
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die 92-jährige Marie öffnet jeden Morgen ihr Café und versorgt ihre Gäste mit heißen Getränken, köstlichen Leckereien und warmen Worten. Eines Tages lernt sie Isla und Dee kennen - zwei Frauen, die auf ganz unterschiedliche Lebenswege zurückblicken. Schnell entwickelt sich eine Freundschaft, denn die Frauen treffen sich genau im richtigen Moment. Isla, die von Trauer zerfressen wird, bekommt von ihrem Therapeuten die Aufgabe, Briefe an ihre Vergangenheit zu schreiben. Sie erzählt Marie und Dee davon, die sich dem Projekt anschließen. So stellen sie sich mutig dem, was war, und spüren plötzlich diese ganz besondere Kraft, die tief in uns allen schlummert ...
Die australische Autorin Karyn Sepulveda studierte Creative Writing an der Macquarie University. Die Liebe zum Schreiben fand sie, während sie fürs Theater arbeitete. In ihrem Podcast Letters To Our Yesterday interviewt sie außergewöhnliche Frauen über ihre Lebensgeschichte. Sie wohnt mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und ihrem Hund in Sydney.
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Rose 1928 Wenn diese Wände sprechen könnten, dachte Rose, als sie die Treppenstufen vor der Eingangstür ihres Wohnhauses, die gleichzeitig zu ihrem Gemischtwarenladen hinaufführten, mit reichlich Wasser abspülte. Sobald sie die Kleinen ins Bett gebracht hatte, begann ihr abendliches Ritual: Sie füllte zwei große Eimer an der Seite des Hauses und goss diese über den Stufen aus. Es gab einfach zu viele Landstreicher auf der Suche nach einem Schlafplatz, und so traurig das auch war, sie duldete es nicht, wenn jemand vor dem Laden herumlungerte, mit dem sie ihren Lebensunterhalt für ihre Familie bestritt. Als sie die leeren Eimer aufnahm, bemerkte sie ein Automobil, das ein Stück die Straße hinunter geparkt war. Wie merkwürdig – ein Automobil in ihrer Straße, so weit von der Innenstadt entfernt! Wer in aller Welt kam auf die Idee, bis hier herauszufahren?, fragte sie sich. Rose hätte sich den Wagen gern näher angeschaut, traute sich aber nicht, die Kleinen allein im Haus zurückzulassen. Stattdessen verrenkte sie sich den Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen, um einen besseren Blick zu erhaschen. Es war fast schon eine Nobelkarosse, so breit und robust wie der Wagen war. Sie entdeckte eine schemenhafte Gestalt, die auf dem Vordersitz lag. Augenscheinlich schlief dort jemand. Was noch merkwürdiger war. Wenn sich jemand einen Wagen leisten konnte, wieso bestand dann die Notwendigkeit, darin zu schlafen? Rose zuckte mit den Schultern. Sie hatte gelernt, keine Zeit mehr mit dem Versuch zu verschwenden, die Absonderlichkeiten des Lebens zu verstehen. Sie schritt langsam an ihrer Hausseite entlang, genoss das Gefühl des weichen Grases und der Erde unter ihren nackten Fußsohlen. Dann stellte sie die Eimer für den nächsten Abend an die gewohnte Stelle neben dem Zapfhahn ab. Bevor sie ins Haus zurückging, legte sie ihre Handfläche auf die kühle Backsteinwand des Hauses und dankte Gott für den Tag. Sie dankte ihm für das Geld, das sie mit ihrem Laden verdient hatte und für das Essen, das sie und ihre Kinder zu sich genommen hatten, während so viele andere ohne etwas zu beißen auskommen mussten. Und dann dankte sie ihm wie jeden Abend für das Haus, ihren eigenen Platz in dieser Welt: Maher Street Nummer 33. »Wenn diese Wände sprechen könnten«, flüsterte Rose, als sie das Haus betrat und die chaotische Welt dort draußen für die Nacht aussperrte. »So ist es gut, Marie, noch ein Löffel. Braves Mädchen, alles aufgegessen!« Rose lächelte, während sie ihrer dreijährigen Tochter den Mund abwischte. Sie blickte zu ihrem Älteren, Lucas, hinüber und nickte zufrieden, als auch er den letzten Löffel seines Haferbreis im Mund verschwinden ließ. Ihre Kinder hatten ihr Essen immer schon zu schätzen gewusst, ganz so, als hätten sie bereits sehr früh begriffen, welch ein Glück sie hatten, drei Mahlzeiten am Tag zu bekommen. Es war sieben Uhr in der Fru¨h, und Rose hatte bereits die Milchlieferung für den Laden angenommen. Jetzt, da die Kinder angezogen und satt waren, führte sie sie zu der Tür, die den Laden mit ihrem Haus verband. »Benehmt euch«, mahnte sie, als die beiden hindurchrannten. Es war jeden Morgen das Gleiche – die Kinder stürmten zur Ladentheke, um die Kundinnen zu begrüßen, die früh dran waren. Meistens waren die beiden aber brav, daher konnte sich Rose nicht beschweren. Lucas half ihr, wo er nur konnte – obwohl er erst fünf war, versuchte er bereits, die Regale aufzuräumen und den Holzboden zu fegen. Und da Marie ihrem Bruder alles nachmachte, tapste sie ihm den ganzen Tag hinterher. Rose öffnete die verschlossene gläserne Eingangstür, schwang sie nach außen auf und klemmte einen glatten Kieselstein darunter, der als Türstopper fungierte. Ein paar ihrer Stammkundinnen, Mrs. Leon und Mrs. Knightly, warteten bereits vorn am Zaun und tuschelten vermutlich wieder einmal über irgendwelche Gerüchte. Rose winkte ihnen zu und bemühte sich, nicht die Augen zu verdrehen, als beide schuldbewusst zurückwinkten und auf sie zugeschlendert kamen. Als ob Rose nicht wüsste, dass sie über sie redeten. Sie redeten schließlich über jeden. Wenn da eine alleinerziehende Mutter, die ein neues Haus gebaut und einen eigenen Laden eröffnet hatte, keinen Gesprächsstoff für sie bot, wären sie wohl zu Unrecht als neugierige Tratschtanten bekannt. »Guten Morgen, Mrs. Leon, Mrs. Knightly«, begrüßte sie sie und nickte ihnen zu, als sie an ihr vorbei in den Laden gingen. »Rose, Sie sehen heute Morgen aber gut aus«, verkündete Mrs. Leon. Mrs. Knightly lächelte zustimmend. Rose strich über die Vorderseite ihres hellgrünen Kleides, das sie selbst genäht hatte. Es hatte ein Muster aus zartweißen Blümchen und war ihr Lieblingskleid. »Sehr freundlich von Ihnen.« Die Damen warteten an der Ecke des großen Holztresens, der im vorderen Bereich des Ladens stand. Rose trug die üblichen Waren zusammen: frisch gebackenes Brot, Milch und jeweils ein Viertelpfund Pfeilwurz-Kekse. »Und ein Glas Marmelade, wenn Sie welche dahaben, Rose. Mir ist jede Geschmacksrichtung recht.« Mrs. Knightly behauptete immer, dass ihr alles recht sei, dabei war ihr in Wahrheit eigentlich nie etwas recht. Rose griff nach einem Glas Pflaumenmarmelade, die sie erst vor wenigen Tagen eingekocht hatte, und stellte es auf den Tresen. »Keine Erdbeere, Rose?«, erkundigte sich Mrs. Knightly. »Leider nein.« Rose notierte die Artikel in einer dicken Kladde. »Hallo«, rief Lucas vom anderen Ende der Theke, wo er hinaufgeklettert war und Anstalten machte, Marie hinaufzuhelfen, damit sie ihm Gesellschaft leistete. Rose warf ihm einen strafenden Blick zu, und er sprang sogleich wieder hinunter, wobei er seine Schwester mitzerrte. »Du meine Güte, du bist aber heute Morgen ein kleiner Wildfang, Lucas«, sagte Mrs. Leon und tauschte einen wissenden Blick mit Mrs. Knightly. Weil er keinen Vater hat. Rose konnte ihre Gedanken förmlich hören. »Das macht einmal drei und einmal sechs. Vielen Dank auch, meine Damen.« Die Frauen schnalzten mit den Zungen und durchstöberten ihre Portemonnaies, als wäre der Preis nicht jeden Morgen der gleiche. Rose lächelte nur und wartete. Nach zweieinhalb Jahren, die sie nun schon allein war, scherte sie sich nicht mehr länger darum, was die Leute über sie dachten, solange sie ihre Rechnungen zahlten. Am späten Vormittag wurde es ruhig im Laden. Rose drapierte gerade für die Auslage eine frische Ladung Kekse auf einem Tablett, als sie eine vertraute Stimme vernahm. »Hallo, Mrs. Rose«, rief Apanie, und Rose winkte ihr vom Schaufenster aus zu. Sie beobachtete, wie Apanie und ihr kleiner Sohn, Konol, vorn um den Zaun herumgingen. Sie schaute gern zu, wie sie sich bewegten, so sachte, mühelos, fast als würden sie schweben. Sie war sich sicher, dass sie, wenn sie nachschaute, keine Fußspuren von ihnen finden würde. Rose trat nach draußen, um ihnen entgegenzugehen. Konol beteiligte sich bereits an Lucas’ und Maries Spiel, die im Vorgarten Kiesel schnippten. »Guten Morgen, Apanie«, sagte Rose. »Geht es gut, Mrs. Rose?« »Ja, danke. Und wie geht es dir?« »Gut, gut. Ich habe Zweige.« Apanie reichte Rose drei perfekt geformte Eukalyptuszweige. Sie hatten wie immer genau die richtige Länge und Breite, um die kleine Kiste mit Früchten und Gemüse im Laden zu bedecken. Apanie hatte Rose nach der Eröffnung ihres Ladens mit den Zweigen bekannt gemacht. Rose war ihr eines Tages begegnet, als sie die Straße vor ihrem Haus hinunterschritt und Apanie mit ihren Stammesleuten, den Bidjigal, auf der Suche nach Käufern für die Zweige am George River entlangging. Apanie hatte ihr erklärt, dass die Zweige den frischen Waren Schatten spendeten und der Duft des Eukalyptus das Gemüse länger frisch hielt. Seitdem brachte sie Rose alle zwei Wochen neue Zweige vorbei. »Vielen Dank.« Rose reichte der jungen Frau drei Schillinge. Apanie schenkte ihr ein herzliches Lächeln und wünschte ihr für die kommenden Wochen alles Gute. Dann holte sie ihren Sohn, rief allen einen Abschiedsgruß zu und machte sich wieder auf den Weg, um in aller Ruhe die Straße hinunterzugehen. Rose verbrachte nie viel Zeit mit Apanie, aber inzwischen freute sie sich auf ihr kleines geschäftliches Zusammentreffen und genoss die Ruhe, die die junge Frau ausstrahlte. Rose hockte sich zu ihren Kindern auf die Erde. »Da habt ihr ja einen ganz anständigen Steinhaufen gesammelt.« »Guck dir mal den hier an, Mummy.« Marie hielt einen glatten grauen Stein in die Höhe, der sich wenig von all den anderen unterschied, aber Rose betrachtete ihn dennoch für einen Moment voller Bewunderung. »Können eure Steine wohl für eine Weile ohne euch zurechtkommen?«, erkundigte sie sich. Lucas schüttelte den Kopf. »Steine liegen doch nur rum, Mum. Auf die muss man nicht aufpassen!« Wenn er einmal nicht lächelte, was selten der Fall war, wirkte Lucas ernst und besorgt. Darin ähnelte er seinem Vater. Marie dagegen kicherte nur bei der Vorstellung, dass man sich um Steine kümmern müsste. »Da hast du natürlich recht.« Rose richtete sich auf und wischte sich die Hände ab. »Wer hat Lust, mir jetzt mit den Eisgläsern zu helfen?« Lucas sprang sofort auf, gefolgt von Marie, und beide schrien begeistert, als sie in den Laden vorausliefen. Rose tadelte sie ein wenig, weil sie sich in so kurzer Zeit so dreckig gemacht hatten und wischte ihnen Hände und Gesichter mit einem feuchten Waschlappen ab. Dabei war sie in Wahrheit froh darüber, wenn sie sich...