Shanahan | Die technologische Singularität | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 253 Seiten

Shanahan Die technologische Singularität


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-95757-440-4
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 253 Seiten

ISBN: 978-3-95757-440-4
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



?Technologische Singularität? bezeichnet den Zeitpunkt, an dem von künstlicher Intelligenz gesteuerte Maschinen sich fortlaufend selbst so zu verbessern imstande sind, dass sie sich der Beherrschung durch Menschenhand entziehen. Der Robotikspezialist Murray Shanahan beschreibt die unterschiedlichen derzeit weltweit vorangetriebenen technologischen Entwicklungen, die zu einem solchen Ereignis führen können. Er führt auf verständliche Weise in die komplexen Forschungen ein, die unsere nächste Zukunft verändern werden. Aus der Perspektive eines Praktikers beschäftigt er sich mit der Frage, ob künstliche Intelligenz über Bewusstsein verfügen kann, und entwickelt moralische Ansätze zu einem verantwortlichen Umgang mit dieser zumeist als Katastrophenszenario gezeichneten Zukunftsfantasie.

Murray Shanahan ist Professor für Kognitive Robotik am Imperial College London. Sein Forschungsgebiete sind Gehirnverbindungen, vergleichende Wahrnehmung und die Beziehung zwischen Erkenntnis und Bewusstsein. Er veröffentlicht seit 1994 regelmäßig zum Thema Künstliche Intelligenz, u.a. das Standardwerk Embodiment and the Inner Life: Cognition and Consciousness in the Space of Posible Minds. Nadine Miller, in New York geboren, aufgewachsen in Deutschland, lebt seit 1977 im Nahen Osten. Seit 1980 übersetzt sie zahlreiche Werke aus dem Französischen und Englischen.

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Einleitung
In den letzten Jahren ist die Vorstellung, dass sich die Menschheitsgeschichte aufgrund des immer schnelleren technologischen Fortschritts einer »Singularität« nähere, aus dem Reich der Science-Fiction in das der ernsthaften Diskussion gerückt. In der Physik bezeichnet »Singularität« einen bestimmten Punkt in Raum oder Zeit, etwa das Zentrum eines Schwarzen Lochs oder den Augenblick des Urknalls, an dem die Mathematik – und mit ihr unsere Fähigkeit zu begreifen – kollabiert. Analog dazu käme es in der menschlichen Geschichte zu einer Singularität, wenn ein exponentieller Fortschritt in der Technologie derart dramatische Veränderungen herbeiführen würde, dass die menschliche Existenz, wie wir sie heute verstehen, an ein Ende käme.1 Die Institutionen, die wir für selbstverständlich halten – die Wirtschaft, die Regierung, das Rechtssystem und der Staat –, würden in ihrer jetzigen Form nicht überleben, die fundamentalsten menschlichen Werte – die Unantastbarkeit des Lebens, das Streben nach Glück, die Entscheidungsfreiheit – würden verdrängt werden, ja unsere ganze Auffassung davon, was es heißt, ein Mensch zu sein – nämlich ein Individuum zu sein, das lebendig, mit Bewusstsein ausgestattet und Teil einer sozialen Ordnung ist –, wäre radikal infrage gestellt, und das nicht etwa im Modus einer distanzierten philosophischen Betrachtung, sondern durch die Wucht der Umstände, ganz unmittelbar und real. Welcher technologische Fortschritt könnte nun eine solche Umwälzung auslösen? In diesem Buch werden wir die Hypothese untersuchen, dass eine technologische Singularität dieser Art durch signifikante Fortschritte auf einem von zwei miteinander zusammenhängenden Gebieten (oder auf beiden) herbeigeführt werden könnte, nämlich dem der KI-Forschung und dem der Neurotechnologie. Wir wissen bereits, wie wir am Stoff des Lebens, den Genen und der DNA, herumbasteln können, und die Auswirkungen der Biotechnologie sind für sich genommen schon gewaltig; wenn wir aber erst einmal gelernt haben, den »Stoff des Geistes« zu manipulieren, werden die möglichen Konsequenzen alles Vorangegangene in den Schatten stellen. Der Intellekt ist heute in einem wichtigen Sinne erstarrt, was sowohl den Umfang als auch das Tempo des technologischen Fortschritts begrenzt. Natürlich wächst der menschliche Wissensschatz seit Jahrtausenden stetig an, und parallel dazu wächst dank der Erfindung der Schrift, des Buchdrucks und des Internets auch unsere Fähigkeit, dieses Wissen zu verbreiten. Dennoch ist das Organ, das Wissen produziert, nämlich das Gehirn des Homo sapiens, während dieser ganzen Zeit im Wesentlichen unverändert geblieben, und seine kognitiven Fähigkeiten sind nach wie vor unübertroffen. Das wird sich allerdings ändern, wenn die Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und der Neurotechnologie hält, was sie verspricht. Wenn der Intellekt nämlich nicht mehr nur Produzent der Technologie ist, sondern auch selbst zu ihrem Produkt wird, kann dies eine Feedbackschleife mit unabsehbaren und potenziell explosiven Konsequenzen zur Folge haben. Denn wenn das hergestellte Ding die Intelligenz selbst ist, also genau jene Entität, die diese Herstellung durchführt, dann kann sie sich anschicken, Verbesserungen an sich selbst vorzunehmen. Und der Singularitätshypothese zufolge ist der gewöhnliche Mensch denn auch bald aus dem Spiel, indem er entweder von KI-Maschinen oder von einer kognitiv verbesserten biologischen Intelligenz überholt wird und nicht mehr mithalten kann. Verdient es die Singularitätshypothese, dass wir sie ernst nehmen, oder ist sie nur eine mit viel Fantasie ersonnene Fiktion? Ein Argument dafür, sie ernst zu nehmen, gründet auf dem von Ray Kurzweil sogenannten Gesetz vom steigenden Ertragszuwachs [law of accelerating returns]: Ein technologischer Bereich untersteht diesem Gesetz, wenn das Tempo, mit dem die Technologie sich verbessert, sich proportional zu ihrer Qualität verhält. Mit anderen Worten, je besser die Technologie ist, umso schneller wird sie noch besser, was im Laufe der Zeit zu einer exponentiellen Verbesserung führt. Ein prominentes Beispiel für dieses Phänomen ist das Moore’sche Gesetz, wonach sich die Anzahl der Transistoren, die auf einem einzigen Chip verfertigt werden können, etwa alle 18 Monate verdoppelt.2 Es ist bemerkenswert, dass es der Halbleiterindustrie tatsächlich gelungen ist, dem Moore’schen Gesetz mehrere Jahrzehnte lang zu entsprechen. Andere Kennzahlen zur Bestimmung des Fortschritts in der Informationstechnologie, etwa die CPU-Taktfrequenz oder die Netzwerkbandbreite, haben sich ähnlich exponentiell entwickelt. Die IT ist jedoch nicht das einzige Gebiet, auf dem wir einen sich beschleunigenden Fortschritt beobachten können. In der Medizin etwa sind die Kosten für die DNA-Sequenzierung exponentiell gesunken, während ihre Geschwindigkeit exponentiell zunimmt, und die Hirnscantechnologie hat eine exponentielle Erhöhung der Bildauflösung zu verzeichnen.3 Auf einer historischen Zeitachse betrachtet präsentieren sich diese Trends zur Beschleunigung im Zusammenhang mit einer Reihe von technologischen Meilensteinen, die in immer kürzeren Abständen erreicht werden: Ackerbau, Buchdruck, elektrische Energie, der Computer. Vor einem noch längeren, evolutionären Zeithorizont gesehen ging dieser Abfolge von technologischen Entwicklungen jedoch selbst schon eine Reihe evolutionärer Meilensteine voraus, die ebenfalls in immer kürzeren Abständen entstanden waren: Eukaryoten, Wirbeltiere, Primaten, der Homo sapiens. Angesichts dieser Tatsachen sind manche Experten der Meinung, dass die Entwicklung der menschlichen Gattung auf einer drastisch ansteigenden Komplexitätskurve voranschreitet, die bis in die fernste Vergangenheit zurückreicht. Doch wie dem auch sei, wir müssen nur denjenigen Abschnitt der Kurve ein wenig in die Zukunft weiterdenken, auf dem die Technologie angesiedelt ist, um an einen entscheidenden Kipppunkt zu gelangen, den Punkt nämlich, an dem menschliche Technologie den normalen Menschen in technologischer Hinsicht obsolet werden lässt.4 Natürlich erreicht jeder exponentielle technologische Trend irgendwann ein Plateau, einfach aufgrund der Gesetze der Physik, und es gibt zahllose ökonomische, politische oder wissenschaftliche Gründe, weshalb ein exponentiell verlaufender Trend ins Stocken geraten könnte, bevor er an sein theoretisches Limit gestoßen ist. Aber nehmen wir einmal an, dass die für die KI-Forschung und die Neurotechnologie relevantesten technologischen Trends ihre beschleunigte Dynamik beibehalten und uns die Fähigkeit verleihen, den »Stoff des Geistes« technisch zu erschaffen und die eigentliche Maschinerie der Intelligenz damit zu synthetisieren und zu manipulieren. An diesem Punkt unterläge die Intelligenz selbst, ob künstlich oder menschlich, dem Gesetz vom steigenden Ertragszuwachs, und um von dort aus zur technologischen Singularität zu gelangen, braucht es dann nur noch ein wenig Vertrauen in den Prozess. Einige Autoren prophezeien voller Zuversicht, dass sich diese Zäsur Mitte des 21. Jahrhunderts ereignen wird. Doch auch abgesehen von der ohnehin unzuverlässigen Wahrsagerei gibt es gute Gründe, die Idee der Singularität ernsthaft zu durchdenken. Erstens ist von einem intellektuellen Standpunkt her betrachtet das Konzept als solches bereits hochinteressant, ganz unabhängig davon, ob oder wann sie jemals eintreten wird. Zweitens verlangt ihre bloße Möglichkeit – wie entfernt sie auch zu sein scheint – schon aus rein pragmatischen und gänzlich rationalen Gründen bereits heute nach einer Untersuchung. Auch wenn die Argumente der Futuristen nämlich nicht schlüssig sein sollten, es genügt schon, wenn wir dem vorhergesagten Ereignis auch nur die geringste Eintrittswahrscheinlichkeit zusprechen, damit es unsere gesamte, ungeteilte Aufmerksamkeit beanspruchen darf. Denn würde eine technologische Singularität tatsächlich eintreten, dann hätte dies für die Menschheit erdrutschartige Folgen. Welches sind diese potenziell erdrutschartigen Folgen? Was für eine Welt, was für ein Universum entstünde, wenn sich eine technologische Singularität tatsächlich einstellte? Sollten wir ihr Eintreten fürchten oder es begrüßen? Was, wenn überhaupt, können wir heute oder in naher Zukunft tun, um den bestmöglichen Ausgang der ganzen Sache zu gewährleisten? Dies sind die wichtigsten der Fragen, die auf den folgenden Seiten behandelt werden. Diese Fragen sind zwar groß, doch die Aussicht auf die Singularität, ja sogar ihr bloßer Gedanke verspricht, uralte und vielleicht sogar noch größere philosophische Fragen in ein neues Licht zu rücken: Was ist der Kern unseres Menschseins? Welches sind unsere grundlegendsten Werte? Wie sollten wir leben, und worauf sind wir dabei bereit zu verzichten? Denn die Möglichkeit einer technologischen Singularität stellt sowohl ein existenzielles Risiko als auch eine existenzielle Chance...


Murray Shanahan ist Professor für Kognitive Robotik am Imperial College London. Sein Forschungsgebiete sind Gehirnverbindungen, vergleichende Wahrnehmung und die Beziehung zwischen Erkenntnis und Bewusstsein. Er veröffentlicht seit 1994 regelmäßig zum Thema Künstliche Intelligenz, u.a. das Standardwerk Embodiment and the Inner Life: Cognition and Consciousness in the Space of Posible Minds.

Nadine Miller, in New York geboren, aufgewachsen in Deutschland, lebt seit 1977 im Nahen Osten. Seit 1980 übersetzt sie zahlreiche Werke aus dem Französischen und Englischen.



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