Shepherd | Berstendes Kupfer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 3, 346 Seiten

Reihe: Die Erben des Winters

Shepherd Berstendes Kupfer


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7579-6225-8
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, Band 3, 346 Seiten

Reihe: Die Erben des Winters

ISBN: 978-3-7579-6225-8
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Mariya kehrt als zukünftige Winterkönigin in ihre Heimat zurück. Zusammen mit der Weißen Armee will sie das Reich des Winters aus der Herrschaft der Nihilisten befreien. Ein langer Weg liegt vor ihr, den sie mit neuen Verbündeten und alten Bekannten bestreitet. Sie handelt nicht nur zum Wohl des Volkes, auch ihr eigener Wunsch nach Rache treibt sie an. Die Geister ihrer Vorfahren unterstützen sie bei ihrem Vorhaben und verleihen ihr die Kraft, sich gegen ihre Feinde zu behaupten. Magie verlangt jedoch immer einen Preis - ist Mariya bereit, ihn zu zahlen?

Maya Shepherd ist mit ihrer Familie im Rheinland zuhause und träumt von einem eigenen Schreibzimmer mit Wänden voller Bücher. Seit 2014 widmet sie sich hauptberuflich dem Erfinden von fremden Welten und Charakteren. 2015 gewann Maya Shepherd mit ihrem Roman "Märchenhaft erwählt" den Lovely Selfie Award von Blogg dein Buch. 2019 gewann Maya Shepherd mit den Grimm-Chroniken den Skoutz-Award in der Kategorie "Fantasy".

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 Lang lebe die Winterkönigin   E s brauchte nur eine Nacht, um die Juli-Inseln zurückzulassen. Schon am nächsten Morgen war von der Wärme des Sommers nichts mehr zu spüren. Graue Wolken überzogen den Himmel und ein rauer Wind schlug mir entgegen. Das Schiff schaukelte so wild über die Wellen, dass ich es nur mit Mühe schaffte, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Als ich Winter verlassen hatte, hatte die Kälte im ehemaligen Oktober noch keinen Einzug gehalten. Durch das milde Klima des Schwarzmeeres blieb es dort warm, wenn der Rest des Reiches unter einer dicken Schneedecke verschwand. Seitdem waren Monate verstrichen und der Frost hatte auch diesen Teil erobert – zusammen mit den Nihilisten. Die Hafenstadt Livia, wo Lexi und ich die Amelia bestiegen hatten, stand nun unter der roten Flagge. Kapitän Yuri lehnte es deshalb ab, mich dort an Land gehen zu lassen. Stattdessen steuerte er weiter die Küste entlang, bis zur Grenze von September. Erst dort warf er, vor einer einsamen Bucht, Anker. In einem Beiboot würde er mich mit einigen wenigen Mitgliedern seiner Mannschaft ans Ufer bringen. Danach musste ich mich allein ins Landesinnere vorkämpfen. Zum ersten Mal wäre ich wirklich auf mich gestellt. Nicht nur mir bereitete der Gedanke Unbehagen, sondern auch dem alten Kapitän. Er bedauerte, dass er mich nicht begleiten konnte, und bot mir sogar einige Männer zur Unterstützung an, aber ich wusste, dass ihr Platz nicht an Land, sondern auf dem Meer war. Wenn die Amelia nicht gerade eine Eisprinzessin und den Thronfolger transportierte, verhalf sie anderen Menschen aus Winter zur Flucht. Jeder hatte seine Aufgabe zu erfüllen – Yuri und seine Männer ebenso wie ich. Bevor ich das Schiff verließ, stand mir die gesamte Mannschaft Spalier. Mit geradem Rücken, erhobenem Kopf und der Faust über dem Herzen zollten sie mir ihren Respekt, wie es früher die Menschen bei meinem Vater getan hatten. Die Situation war für mich so ungewohnt, dass es mir leichtfiel, mir vorzustellen, er wäre bei mir. Wenn ich mich umdrehte, wäre er da. Er würde die Entscheidungen fällen, nicht ich. Er würde die Verantwortung tragen, nicht ich. Er würde scheitern, nicht ich. Ich hätte eine bewegende Rede halten sollen, um den Seeleuten meine Anerkennung auszudrücken, aber ich brachte nicht mehr als ein »Danke« und eine Verneigung zustande. Beides kam von tiefstem Herzen. Sie hatten meinem Bruder und mir das Leben gerettet, als sie uns an Bord nahmen. Nun brachten sie mich in unsere Heimat zurück und überließen mich vielleicht dem Tod. Die Schuld lag nicht bei ihnen. Sie folgten nur meinem Befehl, dem Befehl ihrer Winterkönigin. Sobald ich in dem kleinen Boot Platz genommen hatte, ruderten die Männer gegen die stürmischen Wellen an. Die übrige Mannschaft versammelte sich an der Reling und schaute mir nach. Würde ich sie je wiedersehen? Das Wasser schlug so hoch, dass es meinen Umhang tränkte und mir ins Gesicht spritzte. Obwohl es nur eine kurze Strecke bis zum Strand war, kam es mir wie eine Ewigkeit vor und zugleich nicht lang genug. Auf Julles hatte ich mich nach meiner Heimat gesehnt. Nun war sie in Sichtweite und mir fremd. Ich kannte Oktober nur von Urlauben in den warmen Monaten des Jahres. Die hellen Steilklippen, die in meiner Erinnerung wie Edelsteine in der Sonne glitzerten, ragten nun wie Messerspitzen empor. Der Himmel hätte blau und wolkenlos sein sollen, war aber so grau und schwer, dass es jeden Augenblick zu regnen beginnen würde. Hatte ich mir zu viel zugemutet? Wie sollte es mir gelingen, die Weiße Armee zu finden? Wie sollte ich es schaffen, auch nur die nächsten Tage zu überleben? Kapitän Yuri las mir meine Sorgen vom Gesicht ab, als er mir seine Hand reichte, um mir aus dem Boot zu helfen. Meine Finger zitterten zwischen seinen vor Kälte. »Geht ins Landesinnere und haltet nach Schienen Ausschau«, schärfte er mir zum wiederholten Mal ein. »Die Weiße Armee besetzt ehemalige Güterzüge, mit denen sie sich durch das Reich bewegt.« Sicher auf der Amelia war mir mein Vorhaben möglich erschienen. Nun kam ich mir wie eine Närrin vor. Ein Teil von mir wollte zurück in das Boot klettern und der Mannschaft befehlen, mich wieder mit auf das Schiff zu nehmen. Ich könnte bei ihnen bleiben und anderen zur Flucht verhelfen, so wie sie mir geholfen hatten. Mein Blick war starr vor Angst und meine Lippen wie zugeschnürt. Ich presste mir den Beutel mit Proviant und der Urne meines Bruders an die Brust, um meinen pochenden Herzschlag zu bändigen. Der Kapitän und seine Männer bemerkten meine Furcht. Ich war nicht diejenige, auf die sie gehofft hatten. Wie groß musste ihre Enttäuschung sein? »Lang lebe die Winterkönigin«, verkündete Yuri inbrünstig, all meiner Zweifel zum Trotz. Und genauso ehrerbietig wiederholten die Männer seinen Ausruf. »Lang lebe die Winterkönigin! Lang lebe die Winterkönigin! Lang lebe die Winterkönigin!« Ihre Stimmen verschmolzen zu einem Chor, der sich über das Rauschen des Meeres und das Heulen des Windes hinwegsetzte. Winterkönigin. Ich war nicht hier, weil ich mir dieses Schicksal selbst ausgesucht hatte, sondern weil ich die Einzige war, die Winter Frieden bringen konnte. Meine Angst mochte gerechtfertigt sein, aber ich würde mich von ihr nicht lähmen lassen – das schuldete ich dem Volk. Ich hatte Großmutter Theodora ein Versprechen gegeben, ebenso Lexi und nicht zuletzt mir selbst: Lieber würde ich bei dem Versuch, die Nihilisten zu besiegen, sterben, als aufzugeben.     Kahle Äste warfen bizarre Schatten auf den Boden, die an Monster erinnerten, welche ihre Arme nach mir ausstreckten, während ich über Felsen kletterte und mich zwischen Bäumen durchwand. Meine Stiefel quietschten so laut in dem klebrigen Matsch, dass ich das Gefühl hatte, nichts anderes hören zu können. Immer wieder blieb ich stehen und lauschte auf näher kommende Stimmen. Ich wusste nicht einmal, ob ich mich davor fürchtete, welche zu hören, oder mich insgeheim sogar danach sehnte, um der Einsamkeit entfliehen zu können. Jedes Mal blieb es still und ich sah mich gezwungen, meinen Weg fortzusetzen. Als es mir gelang, die Eisenbahnschienen zu finden, euphorisierte mich das derart, dass ich die ganze Nacht in Richtung Nordosten lief, ohne eine Pause einzulegen. Ich war mir sicher, dass es nur Stunden dauern konnte, bis ich auf die Weiße Armee stoßen würde. Diese Zuversicht flachte am nächsten Tag ab, genau wie meine Energie, als mich die Schienen aus den Wäldern auf eine Ebene führten, deren Eintönigkeit nur von vereinzelten Bäumen unterbrochen wurde. Dort blies mir der eisige Wind ungehindert ins Gesicht und ich musste meinen ganzen Willen aufbringen, um mich gegen die Böen zu stemmen. Meine Beine schmerzten vor Anstrengung. Bei der nächsten blattlosen Birke machte ich Halt und ließ mich an dem rauen Stamm zu Boden sinken. Trotz der Lederhandschuhe fühlten sich meine Finger beinahe taub an, als ich in meinem Beutel nach einem Kanten Brot und etwas Speck tastete. Beides war so hart, dass ich nur daran knabbern konnte, anstatt mir einen großen Bissen zu genehmigen. Für eine warme Suppe hätte ich fast alles getan. Meine letzte richtige Mahlzeit lag nur etwas mehr als einen Tag zurück und trotzdem empfand ich meinen Hunger als gewaltig. Wie musste es erst den armen Menschen ergehen, die seit Monaten nichts Nahrhaftes zu essen bekamen? Mein Blick schweifte zu den reifüberzogenen Ästen, in denen funkelnde Eiszapfen hingen. Das trübe Licht erzeugte funkelnde Prismen, deren leuchtende Farben seltsam deplatziert in dieser eisigen Weite wirkten. Meine Müdigkeit und Erschöpfung machten es mir schwer, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Aber hier konnte ich auch nicht bleiben, wenn ich nicht erfrieren wollte. Ich dachte an meine Mutter, die immer, wenn sie nicht weiterwusste, zu den Heiligen betete. Meine Verzweiflung war groß genug, um ihrem Beispiel zu folgen. Ächzend zwang ich mich auf die Knie und legte meine Hände aneinander. In meiner Kindheit waren die täglichen Gebete fester Bestandteil eines jeden Tagesablaufs gewesen. Ich hatte mir die Heiligen als gütige Geschöpfe vorgestellt, die über alle guten Menschen wachten. Später wurde daraus nur noch eine lästige Routine, die ich vernachlässigte, wann immer sich mir die Gelegenheit bot. Die Ermordung meiner Familie nahm mir jeden Glauben. Ich brauchte keine Heiligen, die so eine Gräueltat zuließen. Trotzdem kniete ich nun auf der feuchten Erde und hoffte auf ein Wunder, weil ich aus eigener Kraft nicht weitergehen konnte. »Ihr Heiligen«, wisperte ich mit spröden Lippen in die Kälte. »Ihr stellt mich auf eine harte Probe. Erbarmt euch meiner und helft mir einen Weg aus dieser Einöde zu finden.« Ich harrte aus und wartete auf ein Zeichen, dass mein Gebet erhört wurde. Mehrere Sekunden lang bewahrte ich Geduld, ehe ich verächtlich den Kopf schüttelte. Wie dumm von mir zu hoffen, dass mir eine göttliche Macht zur Seite stehen würde, nachdem sie mich zuvor wiederholt im Stich gelassen hatte. Mit steifen Beinen kämpfte ich mich vom Boden hoch, als die ersten Flocken herabrieselten. Erstaunt hielt ich inne, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte in den weißen Himmel. Weich wie Puderzucker bestäubte der Schnee mein Gesicht. Ich schloss die Augen und nahm die allumfassende Stille in mir auf. Es war diese Ruhe, die ich auf den Juli-Inseln am meisten vermisst hatte. Die Kälte ließ mich nicht länger frösteln und der Sturm fühlte sich nicht mehr erbarmungslos, sondern leidenschaftlich...



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