E-Book, Deutsch, Band 2, 261 Seiten
Reihe: Radioactive
Shepherd Die Vergessenen
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7393-9161-8
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, Band 2, 261 Seiten
Reihe: Radioactive
ISBN: 978-3-7393-9161-8
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Cleo ist nicht mehr dieselbe, als sie auf der Krankenstation der Legion erwacht. Sie ist entschlossen den Rebellen im Kampf um ihre Freiheit zu helfen. Doch erneut muss sie erfahren, dass nichts so ist wie es scheint und man sie belogen hat... Zerrissen zwischen ihrer Herkunft und ihrem Versprechen, trifft sie eine Entscheidung, die alles verändern könnte. Auf sich allein gestellt, schafft es Cleo nicht länger sich in der Legion zurechtzufinden. Nur die Legionsführerin A350 scheint Interesse an ihr gefunden zu haben und verschafft ihr Gehör. Doch als Finn plötzlich als Gefangener in der Legion auftaucht, scheinen alle Pläne hinfällig zu sein. Cleo wird gezwungen, über Finns Schicksal zu entscheiden: Lässt sie sein Gedächtnis löschen oder verurteilt sie ihn zum Tode...
Maya Shepherd wurde 1988 in Stuttgart geboren. Zusammen mit Mann, zwei Kindern und Hund lebt sie mittlerweile im Rheinland und träumt von einem eigenen Schreibzimmer mit Wänden voller Bücher. Seit 2014 lebt sie ihren ganz persönlichen Traum und widmet sich hauptberuflich dem Erfinden von fremden Welten und Charakteren.
Autoren/Hrsg.
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01. ZURÜCK ZUR NORMALITÄT
Das Licht ist so grell, dass es in meinen Augen brennt. Ich kann nichts erkennen und kneife sie zusammen. Am liebsten würde ich mit der Hand die Augen vor dem Licht abschirmen, doch ich kann meine Arme nicht bewegen. Genauso wenig wie den Rest von meinem Körper. Alles fühlt sich taub und leblos an. Ich habe das Gefühl, in mir selbst gefangen zu sein. Obwohl ich mich nicht rühren kann, spüre ich, dass ich nackt bin. Es ist kalt. Ein Kopf erscheint in meinem Gesichtsfeld. Er durchbricht das grelle Leuchten. Es ist eine Frau. Ihre Augen erstrahlen in dem Farbton RAL 5012 – Lichtblau. Ihr Kopf ist kahl, während ihr weißer Anzug das brennende Licht der Lampen reflektiert. Ich bin zurück in der Legion. Bevor ich in irgendeiner Weise reagieren kann, stülpt sie mir eine Art schwarzen Trichter aus Gummi über Mund und Nase. Ich will mich wehren. Ich will schreien. Ich will nicht vergessen. Obwohl ich weiß, dass Finn und die Rebellen das Letzte sein sollten, woran ich in diesem Moment denke, bin ich machtlos dagegen. Der Glaube daran, Finn irgendwann wiederzusehen, ist das Einzige, was mir Hoffnung gibt, während ich zurück in das bodenlose Nichts gleite, aus dem ich gerade erst erwacht bin. Es ist still. Keine Stimmen. Kein Vogelgezwitscher. Kein Wind, der durch die Blätter der Bäume weht. Nichts. Ich öffne meine Augen und starre an die weiße Decke. Es wäre tröstlich gewesen, den unebenen roten Sandstein der Höhlen zu sehen, in denen ich mit den Rebellen gelebt habe. Aber auch ohne meine Augen zu öffnen, hätte ich gewusst, dass ich zurück in der Sicherheitszone der Legion bin. Ich kann es riechen. Die Höhlen duften nach Erde, Tannennadeln, Moos, Sand und oft auch nach Maries frisch gebackenem Brot. Sie verströmen das Aroma von Leben und Freiheit. Die Sicherheitszone hingegen riecht einfach nur steril. Ständig liegt der scharfe Geruch von Reinigungsmitteln in der Luft. Früher ist es mir nie aufgefallen, doch jetzt ist er so stark, dass ich das Gefühl habe, kaum atmen zu können. Ich richte mich auf und lasse meinen Blick durch die Zelle gleiten. Es gibt weder Tisch und Stuhl noch eine Dampfdusche oder den kleinen Kasten für die Essensausgabe, wie ich es von meinem ehemaligen Zimmer in dem Trakt der Heranwachsenden gewohnt war Es gibt keine Fenster, aber das habe ich auch nicht erwartet. Die Sicherheitszone liegt tief unter der Erde, dort, wo nie ein Licht hinfällt, weshalb die Menschen niemals wissen, ob es Tag oder Nacht ist. Nicht die Sonne und der Mond entscheiden darüber, sondern die Legionsführer. Das Bett, auf dem ich liege, ist neben der Toilette der einzige Einrichtungsgegenstand in dem kleinen Raum. Es ist anders als die Betten, die ich von früher gewohnt war. In Höhe von Händen und Füßen sind Schnappverschlüsse angebracht, die jedoch nicht verschlossen sind. Vielleicht sollte ich dankbar dafür sein, dass sie mich nicht gefesselt haben, doch ich fühle mich innerlich leer. Unfähig, irgendetwas zu fühlen. Es fällt mir schwer, nachzudenken und einen klaren Gedanken zu fassen. Die Wände sind aus kaltem Stahl, dessen Oberfläche matt ist, sodass ich mich lediglich als kleinen rosa Fleck darin erkennen kann. Ich streiche mit meinen Händen vorsichtig über den rauen Stoff des braunen Nachthemds. Langsam lasse ich meine Finger höher wandern und berühre meinen Kopf. Er ist so kahl und kalt wie die Decke und die Wände der Zelle. Sie haben mir das kurze braune Haar, das mir bei den Rebellen gewachsen ist, abrasiert. Ich bin jetzt wieder eine von ihnen. Ein Mensch ohne eigene Meinung, Träume oder Gefühle. Mehr ein Roboter als ein Lebewesen. Ich sehe, dass mein Körper zittert, bevor ich es spüre. Meine Hände beben und ich presse meine Lippen so fest aufeinander, dass sie reißen und ich den metallischen Geschmack des Blutes auf meiner Zunge schmecken kann. Ich spüre einen feuchten Tropfen auf meiner kalten Haut und fahre ungläubig mit der Hand über meine Wange – es ist eine Träne. Ungläubig betrachte ich ihre glänzende Nässe auf meiner Fingerspitze und entdecke dabei etwas ganz anderes. In meiner Handfläche ist die schmale weiße Linie einer Narbe zu erkennen. Ich erinnere mich genau an den Moment, in dem es passiert ist. Es war einer meiner ersten Tage bei den Rebellen, nachdem sie mich aus der Gefangenschaft entlassen hatten. Ich sollte zum ersten Mal bei der Arbeit auf dem Feld helfen. Dabei habe ich mich so dumm und ungeschickt angestellt, dass ich mich mit dem Messer in die Hand geschnitten habe. Finn hat wie üblich keine Gelegenheit ausgelassen, um mich wissen zu lassen, dass ich in seinen Augen unnütz und wertlos war. Ich wurde in der Hitze ohnmächtig und habe erst von den Zwillingen erfahren, dass Finn mich in die Höhlen getragen hat. Die Zwillinge! Eigentlich gibt es sie so nicht einmal mehr, denn Jep ist tot. Nur Pep ist noch übrig. Eigentlich zählt die Erinnerung an den Schnitt nicht zu den schönsten aus meiner Zeit bei den Rebellen, trotzdem drücke ich meine Hand wie einen Schatz an meine Brust. Die Legion konnte mir weder meine Narben noch meine Erinnerungen nehmen. Sie sind ein Teil von mir. Auch wenn ich in den Augen der Legion wieder D518 bin, werde ich Cleo in meinem Herzen bewahren, bis zu dem Tag, an dem ich sie freilassen kann. Dem Tag, an dem ich wieder mit Finn vereint sein werde. Ich lasse mich zurück auf das Kissen gleiten und schließe meine Augen. Bereits jetzt fällt es mir schwer, mich daran zu erinnern, wie mein Gesicht an dem letzten Abend bei den Rebellen aussah. Doch umso leichter fällt es mir, mich an Finn zu erinnern. Sein Gesicht ist wie in meine Netzhaut gebrannt. Ich kann die Grübchen in seinen Wangen sehen, wenn ich mir sein sparsam benutztes Lächeln vorstelle, und das spitzbübische Leuchten in seinen Augen, die so blau sind wie der Himmel an einem sonnigen Tag. Die Wellen seiner blonden Haare erscheinen mir so nah, als müsste ich nur meine Finger ausstrecken, um sie berühren zu können. Ich weiß noch ganz genau, wie sie sich anfühlen. Ich denke an unseren letzten gemeinsamen Moment. Es war unser Abschied für eine ungewisse Zeit. Vielleicht für immer. Aber es war der Moment, der mein Leben für immer verändert hat. Denn es war der, in dem ich liebte. Ich fahre mir mit den Fingerspitzen über meine brüchigen Lippen und fühle Finns Mund hart auf meinem. Unser Kuss war voller Verzweiflung und Angst, aber da war auch so viel mehr. Es war ein unausgesprochenes Versprechen. Wir werden uns wiedersehen. Irgendwann. Es ist schwer zu sagen, wie viel Zeit vergeht, wenn es keine Sonne gibt, an der man sich orientieren kann. Früher hatte ich in der Sicherheitszone einen durchgeplanten Tagesablauf. Ich stand auf, wenn die Legion mich weckte, arbeitete und ging zu Bett, wenn die Legion mir sagte, dass es nun Zeit dafür sei. Ich war in der Lage, Minuten und Sekunden in meinem Kopf zu zählen. All das habe ich bei den Rebellen verlernt. Dort stand ich auf, wenn die Sonne mich durch das kleine Fenster in dem Zimmer von Iris und mir weckte. Kein Tag war wie der andere. Jeder war neu und schön zugleich. Am schlimmsten ist jedoch die Ungewissheit. Ich weiß nicht, was die Legionsführer mit mir vorhaben. Sehen sie mich als Feind? Oder erwarten sie meine Mithilfe bei der Vernichtung der Verstoßenen? Ich gehe davon aus, dass ich mich zurzeit auf der Krankenstation befinde, aber wie wird es weitergehen? Oder geht es vielleicht gar nicht weiter? Werden sie mich jetzt hier für den Rest meines Lebens festhalten? In einer leeren Zelle, gefangen in meinen eigenen Gefühlen und Erinnerungen? Ich halte inne und lausche. Ein leises Klappern ist zu hören, dann ertönt ein mechanisches Summen und die Stahltür der Zelle gleitet auf. In ihrer Öffnung steht eine Legionsführerin. Sie trägt ein schmales Tablett in den Händen. Hinter ihr kann ich den sterilen Gang des Krankenflügels erkennen, versehen mit grünen Streifen, passend zu den grünen Anzügen der Ärzte und Labormitarbeiter. Als ich noch den Bildungsunterricht besuchte, habe ich selbst gehofft, einmal zu ihnen zu gehören. Ich wollte etwas in der Sicherheitszone erreichen. Etwas Besonderes sein. Doch es kam ganz anders. Anstatt zu B518 wurde ich zu D518, einer Angestellten der Nahrungszuteilung. Die Tür schließt sich hinter der Legionsführerin und sie tritt mit ruhigem Schritt auf mich zu. Dadurch erweckt sie sofort mein Misstrauen. Niemand in der Legion geht ruhig. Jeder hat Aufgaben, die in vorgegebener Zeit erledigt werden müssen. Es gibt keinen Grund, Zeit zu vergeuden. Doch die fremde Frau tut noch etwas Eigenartiges, indem sie sich neben mich auf das Bett setzt. Ihre Haltung drückt so etwas wie Mitgefühl aus. Sicher interpretiere ich mehr in ihre Bewegungen, als dort ist. In der Sicherheitszone gibt es keine Gefühle. Sie sind zwar nicht verboten, aber das liegt daran, dass sie einfach nicht existieren. Sie sind genauso wenig Bestandteil des Lebens wie die Sonne. Neugierig mustere ich die Augen der Frau und erstarre. Ich kenne sie. Zwar sind sie genauso lichtblau wie alle anderen, aber es ist der Funke von Gefühl, den ich in ihnen wiedererkenne. Sie ist die Legionsführerin, die ich bereits getroffen habe, als ich noch ein Kleinkind war. Damals hatte ich mein Nachthemd zerstört, doch anstatt mich zu bestrafen, sagte sie mir eine große Zukunft voraus. Sie lächelte mich an und dabei bildeten sich Grübchen in ihren Wangen. Sie behauptete, ich müsse sehr intelligent sein. Offensichtlich hat sie sich getäuscht, doch wahrscheinlich erinnert sie sich nicht einmal an mich. Für sie bin ich nur eine von vielen. Nun lächelt sie auch nicht – da sind keine Grübchen in ihren Wangen. »Meine Bezeichnung lautet A350. Ich bringe dir deine...