E-Book, Deutsch, Band 2, 297 Seiten
Reihe: Die Erben des Winters
Shepherd Loderndes Silber
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7579-6224-1
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, Band 2, 297 Seiten
Reihe: Die Erben des Winters
ISBN: 978-3-7579-6224-1
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Die Lage im Reich des Winters spitzt sich weiter zu: Je mehr das Volk hungert und friert, desto größer wird der Einfluss der rebellischen Nihilisten. Der Winterkönig und seine Familie geraten in Bedrängnis und stehen vor der Wahl zu bleiben oder zu fliehen. In den eisigen Weiten Winters sind sie der Willkür ihrer Feinde ausgeliefert und kämpfen darum, die Kontrolle über ihr Leben zurückzuerlangen. Dabei hofft die einstige Eisprinzessin Mariya auf Unterstützung von ihrem Freund Koray, der sich den Nihilisten angeschlossen hat. Wem gilt seine Loyalität? Wird er der Königsfamilie treu zur Seite stehen? Schon bald muss sich Mariya eingestehen, dass sie in ihrem größten Alptraum gefangen ist und sich das Schicksal ihrer Vorfahren zu wiederholen droht.
Maya Shepherd ist mit ihrer Familie im Rheinland zuhause und träumt von einem eigenen Schreibzimmer mit Wänden voller Bücher. Seit 2014 widmet sie sich hauptberuflich dem Erfinden von fremden Welten und Charakteren. 2015 gewann Maya Shepherd mit ihrem Roman "Märchenhaft erwählt" den Lovely Selfie Award von Blogg dein Buch. 2019 gewann Maya Shepherd mit den Grimm-Chroniken den Skoutz-Award in der Kategorie "Fantasy".
Autoren/Hrsg.
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Eine Ära geht vorbei E in Schrei riss mich aus meinem unruhigen Schlaf. Aufrecht saß ich in dem Bett, das vor einer Woche noch meinem Vater gehört hatte, und lauschte in die Dunkelheit. Mein eigener Herzschlag war lauter als alles andere. Wer hatte geschrien? Oder war es am Ende nur meine Angst, die mir einen Streich gespielt hatte? Seit meiner Krönung am vergangenen Sonntag fand ich keine Ruhe mehr. Mein Körper stand wie unter Strom. So viele Menschen wollten plötzlich etwas von mir und ganz gleich, welche Entscheidungen ich auch fällte, es waren immer die Falschen. Ich konnte es nicht allen recht machen, obwohl ich mir große Mühe gab, meinen Freunden mit Wertschätzung und meinen Feinden mit Milde zu begegnen – anders als mein Vater es mich gelehrt hatte. Eduard, der Mörder, wie er von vielen genannt wurde, begegnete allen gleichermaßen mit Misstrauen. Zeit seines Lebens rechnete er mit Verrat und versuchte, irgendwelche Komplotte gegen sich aufzudecken, von denen es ungewiss war, ob sie überhaupt bestanden. Er ließ Menschen nur wegen eines Verdachts oder der Anschuldigung eines anderen hinrichten. So hatte ich nie werden wollen. Aber seitdem ich auf seinem Thron saß, verstand ich ihn besser. Es hieß, dass der Winterkönig von allen geliebt würde, aber mir schlug nur Missgunst entgegen, getarnt hinter Lügen. Vielleicht lag es daran, dass ich eine Frau war – die erste Herrscherin. Vielleicht erging es allen am Anfang so und ich musste mich erst beweisen. Vielleicht konnten sie mich nicht akzeptieren, weil mir, ihrer Ansicht nach, die Gene zum Regieren fehlten. Aber ich war nun einmal die Tochter Eduards – sein einziges lebendes Kind. Die Krone stand mir dem Gesetz nach zu, auch wenn ich sie nie gewollt hatte. Trotzdem wies ich meine Pflicht nicht von mir, denn ich hatte nun die Verantwortung für ein gewaltiges Reich. Das Volk brauchte eine Winterkönigin, auf die es sich verlassen konnte. Da waren Schritte auf dem Korridor und die Geräusche eines Handgemenges. Ich hatte mich nicht geirrt! Eilig stieg ich aus meinem Bett und rannte zum Schreibtisch. Unter dem Teppich befand sich eine Falltür, die zu einem Tunnel unter dem Palast hindurch ins Freie führte. Mein Vater hatte ihn nach dem Anschlag bauen lassen, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte und zu dem Verhängnis meines Bruders geworden war. Mit ganzer Kraft zog ich an dem Ring, der die Luke verschloss, aber konnte sie nicht öffnen. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass es eines Schlüssels bedurfte, den ich nicht besaß. Mein Vater hätte ihn mir, im Angesicht seines Todes, überreichen sollen, aber bis zum Schluss hatte er sich an sein Leben geklammert und dessen Ende nicht einsehen wollen. Er hatte sich stur der Tatsache verweigert, dass ich seinen Platz einnehmen würde. Der Tumult vor meiner Tür wurde lauter und in meiner Verzweiflung floh ich in das nächstbeste Versteck – hinter den Vorhang. Keine Sekunde später stürmten Männer mit Säbeln und Kerzen in den Händen ins Zimmer. Sie stürzten zu dem leeren Bett. »Sie ist fort«, rief einer von ihnen. Andere durchwühlten die Laken und schlitzten mit ihren Klingen die Kissen auf, in denen ich kurz zuvor noch geruht hatte. »Die Matratze ist noch warm!« Nun wussten sie, dass ich noch nicht lange weg sein konnte. Es gab nur einen Ausgang. Ich hätte ihnen in die Arme laufen müssen, bei dem Versuch zu entkommen. Mit hocherhobenen Kerzen spähten sie durch den Raum. Es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Für einen Wimpernschlag lang schöpfte ich Hoffnung, doch dann brach der Mond wie ein Verräter hinter den Wolken hervor und warf seinen silbernen Schein in das Zimmer. Meine nackten Füße schauten unter dem Vorhang hervor. »Dort!«, hörte ich jemanden rufen und ehe ich mich versah, rissen sie den Stoff zurück und zerrten mich hervor. Das einfallende Mondlicht musste meine Silhouette hinter dem Vorhang sichtbar gemacht haben. »Sofia Wintera, Eure Herrschaft ist zu Ende«, verkündete mir einer meiner Berater. »Ihr müsst zugunsten von Arthur abdanken. Euer Leben ist nicht in Gefahr, solange Ihr Euch nicht widersetzt!« Arthur war der Sohn meines Bruders Jakow. Als seine Witwe Helene ins Exil verbannt wurde, war er noch nicht einmal geboren. Unser Vater hatte seit jeher seine Abstammung angezweifelt und ihn nie als Enkel anerkannt. Trotzdem hatten die Adligen ihn in den Weiten Januars aufgetrieben und beabsichtigten, ihm die Krone aufzusetzen. Sie zogen einen Fremden mir vor, nur wegen seines Geschlechts. Sogar der Sohn eines verurteilten Verräters war ihnen lieber als eine Frau auf dem Thron. Keine Woche hatte meine Herrschaft überdauert. Zutiefst gedemütigt senkte ich den Kopf und ergab mich meinem Schicksal. Mein Vater hätte sich meiner geschämt, aber ich war nicht wie er. Wenn mir ein Kampf aussichtslos erschien, gab ich ihn auf. Die Enttäuschung lastete schwer auf meiner Brust, als ich erwachte. Ein Teil von mir rebellierte gegen diese Ungerechtigkeit und verlangte von mir, zum Gegenschlag auszuholen. Aber mein Verstand sagte mir, dass es so besser war – sicherer. Mit der Morgendämmerung kam die Erkenntnis und der Traum verblasste langsam. Ich war nicht Sofia. Dies war nicht meine Erinnerung und trotzdem konnte ich ihre Verzweiflung gut nachempfinden. Nicht jeder wurde mit so einem unbeugsamen Willen wie Eduard geboren, dem Starrsinn näherkam als Mut. Gewiss wäre Sofias sanftes Gemüt dem Reich zugutegekommen, aber sie hatte nie die Chance erhalten, dies unter Beweis zu stellen. Winter war hart und brauchte einen starken König, der jedem Sturm trotzte. Wenn selbst ein Windstoß reichte, um ihn hinweg zu pusten, gebührte ihm kein Platz auf dem Eisigen Thron. Es war keine Frage des Geschlechts, das hatte zwei Generationen später Winterkönigin Marika, die Kriegerin, eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Auch wenn Frauen sich vermutlich noch mehr profilieren mussten, um die Zweifler zum Schweigen zu bringen. Die Zimmertür öffnete sich und Anastasia kam mit blassem Gesicht herein. Ich konnte ihr ansehen, dass irgendetwas nicht stimmte. Während mich die Vergangenheit beschäftigte, gab es in der Gegenwart genug Grund zur Sorge. Mein Traum hatte mich zu sehr in Beschlag genommen, um zu bemerken, dass ihr Bett leer war. Sie trug noch ihren Morgenrock und das Haar stand ihr zerzaust vom Kopf ab. »Sie belagern wieder den Palast«, teilte sie mir leise mit. Sie. Die Nihilisten. Wobei das längst nicht mehr stimmte. Das Volk war so verzweifelt, dass es sich nicht erst einer Gruppe anschließen musste, um zu demonstrieren. »Wird Papa sie dieses Mal empfangen?« Furchtsam dachte ich an den Blutsonntag: die vielen Toten, all das Blut. Ich erwartete nicht von meiner Schwester, dass sie darauf eine Antwort wusste. Aber zu meinem Erstaunen reagierte sie trotzdem. »Dafür ist es zu spät. Sie wollen nicht mehr reden, sondern seine Abdankung.« Etwas Endgültiges lag in ihrer Stimme, als gäbe es keinen anderen Ausweg mehr. »Vielleicht kann er sie besänftigen, wenn er ihnen entgegenkommt«, versuchte ich, ihr etwas Hoffnung zu schenken. »Er könnte Notunterkünfte beheizen lassen und jeden Tag eine warme Mahlzeit…« Noch ehe ich zu Ende gesprochen hatte, schüttelte sie den Kopf. »Du hast die Menschen nicht gesehen. Sie sind wütend und bewaffnet, anders als letztes Mal. Sie werden sich nicht noch einmal von der Armee niederschießen lassen. Dieses Mal eröffnen sie das Feuer.« Ihre Stimme brach und ihre Unterlippe begann zu zittern. »Ich habe Angst, Mariya.« Ich schlüpfte aus meinem Bett, eilte an ihre Seite und schloss sie in meine Arme. »Dazu wird es nicht kommen«, behauptete ich. »Die Goldene Armee ist hier, um uns zu beschützen.« »Aber das sind nur ein paar Hunderte. Da draußen sammeln sich Tausende und es werden immer mehr«, widersprach Anastasia mir. Die Situation war heikel und meine Schwester zu klug, um sich von mir beruhigen zu lassen. Sie war mit ihren fünfzehn Jahren alt genug, um den Tatsachen ins Auge zu blicken. Wenn ich versuchte, ihr etwas einzureden, so wie es unsere Eltern immer taten, würde sie sich von mir nicht ernst genommen fühlen. Ich drückte ihre Hand. »Wir sollten uns ankleiden oder willst du den Nihilisten in deinem Nachtgewand entgegentreten?« Es war sicher nicht die richtige Zeit für Späße, aber Anastasias Mundwinkel hoben sich dennoch. Sonst war sie diejenige, die für Witze in den unpassendsten Gelegenheiten zuständig war. Nach dem Blutsonntag hatte ich geglaubt, auf den Anblick, der mich vor den Palasttoren erwartete, vorbereitet zu sein. Aber die Ansammlung von Menschen übertraf meine schlimmste Vorstellung. Es war weniger die Menge, die mir Sorgen machte, als ihre Gewaltbereitschaft. Gewiss hatte ihre Verzweiflung sie hierhergetrieben, aber das vorherrschende Gefühl war Zorn. Das Volk verachtete jeden, der sich hinter den Mauern des Winterpalastes verbarg. Dort gab es Nahrung. Dort war es warm. Dort gab es alles, worauf sie seit Wochen, teils sogar Monaten, verzichten mussten. Die Lage war besorgniserregend. Das sah ich auch meinen Schwestern, Lexi und Mama an. Zusammen mit Doktor Botkin und Ella hatten wir uns in das Gemeinschaftszimmer zurückgezogen. Die Fenster gingen zur Flussseite hinaus, sodass wir auf den Korridor treten mussten, um das Geschehen im Palasthof beobachten zu können. Der Krawall war jedoch so laut, dass wir ihn nicht ausblenden konnten. Immer wieder fielen Schüsse – unklar auf welcher...