Sherman | Stoische Weisheit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Sherman Stoische Weisheit

Alte Lektionen für moderne Resilienz
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98609-086-9
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Alte Lektionen für moderne Resilienz

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-98609-086-9
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie finden wir Ruhe in Zeiten von Stress und Unsicherheit? Wie kommen wir mit plötzlichen Verlusten zurecht oder finden einen Sinn in einer Welt, die uns leicht dessen berauben kann, was wir am meisten schätzen? Auf der Grundlage der Weisheiten von Epiktet, Mark Aurel, Seneca und anderen stellt Nancy Sherman einen überzeugenden, modernen Stoizismus vor, der Mut, Widerstandsfähigkeit und die Bedeutung von Beziehungen bei der Bewältigung der großen und kleinen Herausforderungen des Lebens lehrt. Als renommierte Expertin für antike und moderne Ethik zeigt Sherman, wie die stoischen Methoden zur Untersuchung von Überzeugungen und Wahrnehmungen uns helfen können, Verzerrungen in dem, was wir glauben, sehen und fühlen, zu korrigieren. Sie verbindet die Ideen der Antike mit den Problemen des 21. Jahrhunderts - von Stress und Burn-out in der Arbeitswelt, Soldaten im Einsatz, Bürgern, die für Rassengerechtigkeit kämpfen, bis hin zu Ersthelfern bei der Covid-19-Pandemie - und zeigt, wie der Stoizismus uns helfen kann, unsere Widerstandsfähigkeit und echte Beziehungen aufzubauen.

Nancy Sherman, Universitätsprofessorin an der Georgetown University und Guggenheim-Stipendiatin, hat in Harvard in antiker Philosophie promoviert. Die Ethikerin mit Ausbildung in Psychoanalyse hält weltweit Vorträge über Ethik, Emotionen, psychische Verletzungen und Resilienz. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher über antike und moderne Ethik. Sie hat für die New York Times geschrieben und schreibt regelmäßig für viele andere Medien. N/A
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Lektion 1


Wer waren die Stoiker?


Abb. 2: Obere Reihe, von links nach rechts: Zenon von Kition, Kleanthes, Chrysipp. Mittlere Reihe, von links nach rechts: Cicero, Philon von Alexandria, Seneca. Untere Reihe, von links nach rechts: Musonius Rufus, Epiktet, Mark Aurel

Die Geschichte der Stoiker beginnt mit Sokrates (470–399 v. Chr.). Sein einfacher Lebensstil, die Versammlungen seiner Anhänger auf dem Marktplatz und sein sagenhafter Tod machen ihn zum Urvater der Stoiker. Sein Image und sein Einfluss sind für das stoische Denken von großer Bedeutung.

Der Sokrates, wie ihn die meisten von uns kennen, ist das Werk seines Schülers Platon. Sokrates gab seine Philosophie rein mündlich weiter – er hinterließ keine schriftlichen Texte. In seinen frühen Dialogen zeichnet Platon ein lebendiges Porträt seines Lehrers als das eines philosophischen Erneuerers, der sich für die Gesundheit der Seele (der Psyche) und für Praktiken, die diese fördern, einsetzt. Sokrates’ berühmte Methode besteht darin, die Menschen, die er auf dem Marktplatz trifft, ins Kreuzverhör zu nehmen, um herauszufinden, ob ihre als aufrichtig vorgebrachten Überzeugungen in Bezug auf Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung, Frömmigkeit und dergleichen einer Überprüfung standhalten. Konventionelle Ansichten greifen unweigerlich zu kurz, und die sokratische Untersuchung endet in einer Sackgasse. Aber dieses Vorgehen, ein tatsächliches Leben mit den bissigen Methoden des sokratischen Kreuzverhörs (elenchus) unter die Lupe zu nehmen, schuf ein überzeugendes Modell für eine ehrliche Untersuchung darüber, wie man ein gutes Leben führt. Die Stoiker führen dieses Modell fort.

Die sokratische Praxis wird durch eine Persona verkörpert. Diese Persona ist zentral für die Verbreitung des Einflusses von Sokrates. Sokrates ist der Inbegriff der Selbstbeherrschung. Von Platon erfahren wir, dass er lange Zeit ohne Essen und Schlaf auskommen konnte, dass er Kälte ertrug und sowohl im Sommer als auch im Winter nur ein einziges Gewand trug. Er konnte bei Trinkgelagen gutes Essen und guten Wein zu sich nehmen, ohne sich zu sättigen oder zu betrinken1. Durch diese Erzählungen über Sokrates wird das Ideal der Selbstbeherrschung zu einem wesentlichen Bestandteil der stoischen Geschichte über die Erlangung innerer Freiheit. Die Hinwendung nach innen wird auch durch die Tatsache begünstigt, dass Sokrates den meisten Berichten zufolge nicht gerade attraktiv war. Er hatte ein merkwürdiges Aussehen und Auftreten. Für die Stupsnase mit ihren ausgeprägten Nasenlöchern konnte er nichts. Aber er nutzte das, was die Natur ihm gab, um ein Bild der Fremdartigkeit zu kultivieren. Aristophanes persifliert ihn in seiner Komödie Die Wolken2:

»Du stolzierst durch die Straßen und wirfst deine Blicke zur Seite,

gehst barfuß und erträgst eine Menge Leid,

aber setzt einen hochnäsigen Gesichtsausdruck auf …«

Auch wenn Sokrates’ seltsame Erscheinung für viele zeitgenössische Athener schwer zu ertragen war und eine schmerzhafte Kritik an ihren eigenen gewöhnlichen Konventionen darstellte, inspirierte sie die nachfolgenden Generationen zu einem Bild von wahrer Schönheit, die auf dem Inneren und nicht auf dem Äußeren beruht. Konventionelle Güter und Vererbungen, mit denen glückliche Umstände und gutes Aussehen einhergehen, als gut anzusehen, wurde durch die Person des Sokrates infrage gestellt.

Diese Infragestellung wird zum zentralen Thema der sokratischen Ironie. Sie wird erneut parodiert, diesmal von Xenophon in seinem komischen Porträt. Sokrates’ eingedrückte Nase und seine auffallenden Nasenlöcher seien das wirklich Schöne – nicht im Sinne einer Model-Nase, sondern als Prototyp eines »effizienteren Luftlochs«. Da seine Nasenlöcher weit geöffnet seien und nicht auf den Boden zeigten, könnten sie besser Düfte von überall her aufnehmen. Hinzu komme, wenn Schönheit nicht nur eine Frage der Form, sondern auch der Funktion sei, dann seien seine hervorstehenden Augen wahrlich schöner als die meisten anderen, denn Sokrates könne auch peripher und nicht nur geradeaus sehen. Die sokratische Nasen-Augen-Kombination sei einfach unschlagbar: Eine Stupsnase »stellt keine Barrikade zwischen die Augen«, sondern ermögliche eine »ungehinderte Sicht« um volle 180 Grad.3

Die sokratische Ironie4 ist bei Platon eine subtilere und ernstere Angelegenheit. Sokrates gibt in der Apologie des Sokrates bekanntlich zu, dass er zwar weise, sein Wissen aber in Wirklichkeit recht begrenzt sei. Oder wie Platon ihn mit einer ironischen Wendung sagen lässt: »Ich glaube nicht zu wissen, was ich nicht weiß.«5 Diese berühmte Enträtselung des Orakels des delphischen Gottes – dass niemand weiser sei als Sokrates – ist es, was Sokrates dazu veranlasst, die Behauptungen über das Wissen – sein eigenes und das der anderen – zu überprüfen. Die Ironie liegt nicht in der geheuchelten Unwissenheit, sondern in der aufrichtigen Überzeugung, dass er keine wirkliche Weisheit besitze.6 Dies ist genau die Art von Gold, die der junge Alkibiades und andere Anhänger so eifrig bei ihm suchen.

Dennoch – und das ist wichtig für das stoische Vermächtnis – geht die sokratische Ironie mit einer stillschweigenden Befürwortung einer philosophischen Methode einher, die Bedeutungen umkehrt: Unwissenheit wird zu einer Form des Wissens. Hässlichkeit wird zu einer höheren Form der Schönheit. Die Worte behalten ihren vertrauten Sinn, aber sie stehen nun für etwas anderes. Dieser Tausch wird Teil der philosophischen Methode der Stoiker, die damit unsere Erfahrungen und unsere Bewertung dieser Erfahrungen mit neuen Etiketten versehen. Was wir für gut hielten, kann ein falsches Gut sein (oder zumindest ein minderwertiges), und ein anderes Gut kann diese Bezeichnung eher verdienen. Sich im Stoizismus zu üben, ist zu einem nicht geringen Teil eine Umerziehung von Einstellungen und Gefühlen, damit die Erfahrung mit diesen neuen Bewertungen und Zuordnungen übereinstimmt. Sokrates räumte zwar ein, nicht in völliger Unwissenheit zu leben, aber er glaubte nicht, dass die Art von Wissen, die er oder andere besaßen, die Gewähr dafür biete, ein sinnvolles und glückliches Leben zu führen.

Die Stoiker nehmen diese resignierte Sichtweise des Sokrates nicht für bare Münze. Ihrer Ansicht nach muss die Natur uns so erschaffen haben, dass wir in der Lage sind, das für das Glück notwendige Wissen zu erlangen7, auch wenn nur ein höchst selten vorkommender Weiser, der nur so oft wie der Phönix aufersteht, diese Art von unfehlbarem Wissen erreichen kann. Auch wenn Sokrates für viele Stoiker das Vorbild eines stoischen Weisen ist, so liegt das nicht daran, dass er die Unwissenheit als Weisheit ansieht.

Diogenes der Kyniker (um 413–323 v. Chr.) ist eine Schlüsselfigur in der Entwicklung des Stoizismus von Sokrates hin zu den ersten Stoikern. Die Stoiker verkündeten gern eine Abfolge, die ihren Ursprung bei Sokrates hat: Sokrates lehrte Antisthenes. Antisthenes lehrte Diogenes. Diogenes lehrte Krates. Krates lehrte Zenon. Und Zenon war das erste Oberhaupt der Stoa8. Aber von all diesen Menschen besaß Diogenes nach Sokrates den größten und vielfältigsten Einfluss. In der stoischen Hagiographie ist er oft Teil eines Duos mit Sokrates als Quasi-Weise9. Diogenes lebte wie Sokrates ein einfaches Leben mit minimalen Bedürfnissen. Aber er war ein Exzentriker und Exhibitionist. Und sein ehrfurchtsloser, aber strenger Asketismus sorgte für politisches Straßentheater. Als er keine Hütte finden konnte, erkor er sich einen großen Tonkübel als Obdachlosenheim aus und stellte ihn mitten auf der Athener Agora ab. Im Sommer rollte er das Fass über den heißen Sand10, und im Winter umarmte er kalte Statuen, um sich an Entbehrungen zu gewöhnen. Gemäß der kynischen Kleiderregel11 faltete er sein Gewand, sein einziges Kleidungsstück, so zusammen, dass es als Bettzeug dienen konnte, und er trug nur einen Stab und eine Brieftasche bei sich, in der er seine gesamten Habseligkeiten mit sich trug. Er wanderte durch die Straßen und zündete bekanntermaßen bei Tageslicht seine Lampe an, um nach einem ehrlichen Mann zu suchen. »Verunstalte die Münzen« wurde sein typischer Slogan, was so viel hieß wie »Missachte die politischen Konventionen«. Er gehörte einer Gegenkultur an, er war ein Hippie seiner Zeit. Seine Anti-Geld-Parolen erinnern an Abbie Hoffmans berühmte Attacke auf die Wall Street im Jahr 196712, als sie Hunderte von Dollarnoten von den Galerien der New Yorker Börse fallen ließ und damit de facto das Handelsparkett schloss, da die Börsenmakler um die Scheine kämpften.

Auf die Frage, wo er herkomme, antwortete Diogenes, er sei ein »Bürger der Welt«, und...


Nancy Sherman, Universitätsprofessorin an der Georgetown University und Guggenheim-Stipendiatin, hat in Harvard in antiker Philosophie promoviert. Die Ethikerin mit Ausbildung in Psychoanalyse hält weltweit Vorträge über Ethik, Emotionen, psychische Verletzungen und Resilienz. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher über antike und moderne Ethik. Sie hat für die New York Times geschrieben und schreibt regelmäßig für viele andere Medien.

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