Buch, Deutsch, 220 Seiten, GEH, Format (B × H): 125 mm x 190 mm, Gewicht: 360 g
ISBN: 978-3-9812589-2-9
Verlag: Bill, Stefan
Die Literatur über Japanische Kampfkünste in Deutscher Sprache ist nicht sehr reichhaltig. Die Kampfkunst Aikido wurde bei uns ja erst in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt. Hinzu kommt, dass man Kampfkunst erfahren muss. Sie lässt sich nicht erlesen. Viele, die inzwischen diese „Erfahrung“ wagen und Kampfkunst praktizieren, merken bald, dass über die sportliche Betätigung hinaus der Einfluss auf Geist und Verhalten spürbar wird. Der Bill-Verlag kommt dieser Erfahrung nach und präsentiert nun ein Büchlein von Gozo Shioda in deutscher Übersetzung von Stephan Otto. Gozo Shioda (1915 – 1994) gehörte zu den besten Schülern von Morihei Ueshiba. Er gründete 1955 die Stilrichtung Yoshinkan und ist der hervorragendste Repräsentant dieser härteren Stilrichtung. So, wie Morihei Ueshiba vor dem Zweiten Weltkrieg gelehrt hat. Das Buch „Aikido Shugyo“ wurde 1991 in Japan veröffentlicht. 2002 erschien eine Englische Übersetzung. Die japanische Ausgabe diente der deutschen Übersetzung als Vorlage. Gozo Shioda analysiert mit der ihm eigenen Akribie und scharfen Beobachtungsgabe überraschende Situationen der Strasse und im Dojo. Daraus leitet er die für ihn wichtigen Prinzipien des Aikido ab. So kommt es bei einem Abwehrschlag nicht so sehr auf die Kraft an, mit der der Schlag ausgeführt wird, sondern in hohem Maße auf den richtigen Zeitpunkt der Reaktion auf diesen Angriff. Besonders spannend sind die Situationen, wo er gezwungen oder willentlich gegen Experten anderer Kampfkünste oder Sportarten antreten muss. Hierbei wird deutlich, dass vorgefertigte, das heißt erlernte Konzepte, nicht erfolgreich sein können.
Vielmehr geht es darum, die Absicht des Gegners zu erahnen, zu spüren, und augenblicklich eine geeignete Strategie umzusetzen. Dem Instinkt folgend, würde man einem Messerangriff versuchen, durch Rückzug zu entgehen. Richtig ist, in den Angriff hinein zu gehen, um den Schwung des Angreifers im richtigen Zeitpunkt gegen ihn nutzen zu können. Der Kraft aus der Mitte und der Konzentration der Kraft widmet er mehrere Kapitel. Dieses Prinzip ist von weitreichender Bedeutung für alle Aikido Techniken. Die Auseinandersetzung mit Morihei Ueshibas didaktischen Methoden („Lerne es und vergiss es“) führte ganz offensichtlich zu der Überzeugung, den Aufbau des Lehrsystem zu systematisieren, damit Anfänger und Schüler besser an die Grundprinzipien herangeführt werden. Die Begegnungen mit weiteren Kampfkünsten wie Judo, Karate und Kendo zeigen immer wieder die Universalität von Aikido. In den letzten Kapiteln nähert er sich philosophischen Themen aus der Sicht seines Budo-Verständnisses und dem Spannungsfeld seiner Beobachtungen und Erfahrungen, die Morihei Ueshiba ihm mitgegeben hat. Das landläufige Missverständnis des Harmoniebegriffs wird geklärt und die Integration ins tägliche Leben erläutert. Die Übersetzung ist hervorragend gelungen. Sie liest sich flüssig und vermeidet schwierige japanische Satzkonstruktionen. Die unvermeidlichen japanischen Begriffe sind im Glossar zusammengefasst und sinnfällig erklärt. Das Buch ist sehr gut ausgestattet, das Format passt in jede Jackentasche. Der rote Einmerkfaden lädt ein, inne zu halten, um über das gerade Gelesene erst einmal nach zu denken.
Zielgruppe
Für alle, die sich für Aikido oder andere Kampfkünste interessieren. Für alle, die gegenwärtig Aikido oder eine andere Kampfkunst praktizieren (Anfänger und Fortgeschrittene) oder neugierig sind.
Weitere Infos & Material
Inhalt
Vorwort des Übersetzers
Grundprinzipien
Typische Missverständnisse über Aikido
Sensei, dürfte ich nur einmal Ihr Handgelenk fassen?
Aikido bedeutet das Studium von Grundprinzipien
Der Zwischenfall in den Straßen von Shinjuku
Atemi machen 70 Prozent aus
Das Geheimnis liegt im vorderen Knie
Eine Lehre aus dem Krieg über die
Widerstandskraft des Körpers
Atemi ist nur Timing
Das Timing eines tödlichen Schlages
Das richtige Timing bei der Abwehr von yokomen uchi
Greife an, kurz bevor die Kraft ihren Höhepunkt erreicht
Bei einem Faustangriff den voll ausgestreckten Arm zurückstoßen
Irimi nage gegen einen Betrunkenen
Dem Angriff nach vorne ausweichen
Dem Messer ausweichen und mit uraken schlagen
Den Eifer des Gegners nutzen
Ein Besuch von Mike Tyson im Dojo
Shihonage an einem amerikanischen Soldaten
Würfe, die Judokas bezwingen
Werfen in vier Richtungen ist die Grundlage
Den Gegner überstrecken
Dem Gegner ohne Schmerz das Gleichgewicht brechen
Atemkraft – kokyu ryoku
Kokyu-Kraft nimmt nicht ab
Kraft der Mittellinie: Die Körperachse aufrechterhalten
Ergreife den Boden mit deinen Füßen
Analyse der Bewegung des Körperschwerpunkts bei O-Sensei
Die konzentrierte Kraft des Körpers
Selbstverteidigung durch fokussierte Kraft
Anwendung von shuchu ryoku im
Umgang mit Waffen
Prinzipien von kokyu ryoku
Kokyu ryoku entspringt der Leere
Wer ist schneller?
Ki – die Konzentration des Gleichgewichts
Unsere Kraft in die Schwachstelle des Gegners lenken
Das Geheimnis, die Kraft loszulassen
Training gemäß den Grundprinzipien
Meine Judo-Tage
Meine erste Begegnung mit Ueshiba Sensei
Der Unterschied zwischen Judo und Aikido
Shugyo
Mein Unterricht an der Shotokan-Karateschule
Wie Kendo von Aikido profitieren kann
Lerne es, und vergiss es!
Veränderungen in jeder Situation wahrnehmen
Das harte körperliche Training in meiner Jugend
Nach einer Phase intensiven Trainings hast du keine Kraft mehr
Die Entwicklung des natürlichen Körpergefühls
Erspüre die Gefühle deines Lehrers
Die geheimnisvollen Kräfte von Ueshiba Sensei
Einer Gewehrsalve ausweichen
Goldene Lichtstrahlen
Duell gegen den Meisterschützen
Eines Tages wird es mir gelingen, Ueshiba Sensei zu werfen
Trainiere ernsthaft genug, um deinen Lehrer herauszufordern
Aikido-Erleuchtung in Shanghai
Der 9. dan
Studium der Grundprinzipien durch festgelegte Formen
Aikido braucht keine Wettkämpfe
Eine erste Auseinandersetzung ist die Vollendung des intensiven Trainings
Aikido und das Leben sind Eins
Die Grundprinzipien sind Ausdruck von Harmonie
Wir sollten alle Kinder werden
Dein Körper ist ein Tempel der Götter
Im Yoshinkan gibt es keine Vorschriften
Die Entdeckung der versteckten Mängel
Gehen ist Budo
Gib dein Ego auf und du wirst deinen Gegner verstehen
Werde Eins mit Himmel und Erde
Aikido ist die Anwendung von Harmonie
Glossar
Vorwort des Übersetzers
Ich schätze mich glücklich, Shioda Sensei, den wir immer
nur Kancho Sensei nannten, noch auf der Matte erlebt zu
haben, einmal war es mir sogar vergönnt, seine Technik zu
spüren. Der internationale Trainerlehrgang, bekannt als
Senshusei-Kurs, an dem ich teilnahm, war der letzte Lehrgang,
bei dessen Abschlussprüfung Shioda am Mattenrand
saß und die Bewertungen mitnotierte. Auch wenn er es seinen
shihan überließ, die tatsächliche Prüfung abzuhalten,
empfinde ich es als große Ehre, den Kurs noch unter seiner
Ägide vollendet zu haben. Die im Buch beschriebenen
Prinzipien zeigten sich deutlich bei Kancho Senseis letzter
Vorführung. Er war schon schwer vom Krebs gezeichnet, als
er zum letzten Mal ans Mikrofon trat und sich kaum ohne
Hilfe auf den Beinen halten oder länger als fünf Minuten
sprechen konnte. Trotzdem führte er einige Techniken vor,
und die ukes flogen wie gewohnt durch die Luft oder brachen
wie unter einer tonnenschweren Last zusammen. Er
beherrschte sie immer noch, trotz seines Zustandes. Das
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war für mich der Beweis, dass es beim Aikido wirklich nicht
auf die Körperkraft ankommt, wenn man die Prinzipien gemeistert
und verinnerlicht hat.
Bei der Übersetzung war es nicht immer einfach, die
richtigen Worte zu finden. Als Erstes stellte sich die Frage,
wie ich den Leser ansprechen sollte. Das Japanische kennt
zwar mit den Wörtern anata und kimi durchaus eine Anrede,
die in der Bedeutung dem deutschen 'Du' sehr nahekommt,
allerdings werden diese Wörter nur sehr eingeschränkt verwendet
und sind fast ausschließlich der Familie oder sehr
guten Freunden vorbehalten. Shioda verwendet eine neutrale
Anrede, bei der kein Personalpronomen im Satz vorkommt.
Es lässt sich am ehesten mit dem deutschen 'man' vergleichen,
dessen durchgehende Verwendung dem vermittelten
Gefühl aber nicht entsprechen würde. Ich habe mich entschieden
den Leser mit 'Sie' anzusprechen, da dies dem japanischen
Höflichkeitsempfinden am nächsten kommt und
ich bin mir sicher, dass das die Form ist, die Shioda gewählt
hätte, wenn er auf Deutsch geschrieben hätte.
Einige Leser mit Aikidohintergrund werden sich über
den Ausdruck 'Gegner' wundern, da es heutzutage im Aikido
usus ist, den Gegenüber immer als 'Partner' zu bezeichnen.
Auch in Japan und auch im Yoshinkan Aikido verwenden
die Lehrer in der Regel den Ausdruck aite, den man je nach
Konnotation als Partner, Gegner oder Gegenüber übersetzen
kann, Shioda benutzt in seinem Buch jedoch die Bezeichnung
teki, die eindeutig die Übersetzung 'Gegner' hat.
In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass Shioda
anscheinend immer wieder an Schlägereien beteiligt war und
es manchmal so scheint, als ob er die Gewalt verherrlichen
würde. Dies ist jedoch vor dem zeitlichen Hintergrund zu
sehen, in dem er seine Jugend verbrachte. Er wuchs als Mann
im Japan des frühen zwanzigsten Jahrhunderts auf. In einer
Generation, deren Eltern oder Großeltern noch vom Feudalsystem
geprägt waren, das erst durch die Meji-Restauration
(ab 1868) beendet wurde. In diese Zeit fallen ein Bürgerkrieg
(Satsuma Aufstand), zwei Chinesisch-Japanische Kriege,
der Russisch-Japanische Krieg, die beiden Weltkriege und
aggressive kolonialistische und imperialistische
Bestrebungen
Japans. Japan besetzte Teile von Russland, ganze Inselgruppen
in Südostasien, Korea und große Gebiete Chinas,
wo Shioda auch seine militärische Dienstzeit während des
Zweiten Weltkrieges verbrachte. In Shiodas Jugend war Gewalt
auch auf den Straßen Tokyos häufiger als heute, und er
erlebte, wie sich die Stadt zur sichersten Großstadt der Welt
entwickelte, Japan zur führenden Industrienation wurde
und ganz Asien allmählich zum Frieden fand. Diese Entwicklung
erweckte in ihm den Eindruck, dass die Welt ein
viel sicherer Ort, mit abnehmender Gewalt geworden ist,
was in diesem Kontext durchaus zutrifft.
In der japanischen Gesellschaft gibt es die Ausdrücke
kohai und sempai, die nur mit 'Rangniedriger' und 'Ranghöherer
' zu übersetzen sind. Das trifft die Bedeutung aber
nicht ganz. In jeder Institution in Japan, ob Schule, Firma
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oder Dojo, ist jeder, der nach mir kommt, mein kohai und
jeder, der vor mir da war, mein sempai. Selbst Leute, die man
aus der Schulzeit kennt, die in der Schule eine Klasse höher
waren, werden für den Rest des Lebens mit sempai angesprochen,
auch dann, wenn man eine enge Freundschaft
pflegt, das Wort tomodachi – Freund, wird ausschließlich
für Freunde aus der gleichen Jahrgangsstufe verwendet.
Einige wichtige Konzepte habe ich mit 'Grundprinzipien
' übersetzt, im Orginal steht hier regelmaßig kihon.
Das ist nicht zu verwechseln mit kihon dosa (Grundbewegung
/-übung) oder kihon waza (Grundtechnik). Kihon
oder Grundprinzipien kommen noch davor. Es sind die der
Grundbewegung innewohnenden oder zugrundeliegenden
Prinzipien, die der Aikidoschüler mit Hilfe der kihon dosa
und kihon waza entdecken und sich erarbeiten soll. Ohne
die Grundprinzipien bleiben die Aikidotechniken leere
Bewegungen ohne Bedeutung. Wenn man sich nicht ständig
ersthaft bemüht, diese Prinzipien zu entdecken und in
den Techniken anzuwenden, führt auch eine jahrzehnte
lange, tausendfache Wiederholung nicht zum Erfolg. Es
gilt das Prinzip 'durch viel Üben wird man nicht besser,
durch viel richtiges Üben wird man besser!' Man kann die
Grundprinzipien
auch nur sehr bedingt intellektuell erfassen.
Während sich der fortgeschrittene Aikidoka noch über
die Vielzahl der unterschiedlichen Grundtechniken wundert,
kommt, sobald man die Grundprinzipien verinnerlicht
hat, unweigerlich die Frage auf: 'Warum gibt es eigentlich
so viele verschiedene Techniken? Es ist doch sowieso alles
das Gleiche!'
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der
Lektüre und viel Fleiß beim Aikidotraining.
Stephan Otto




