Buch, Deutsch, 94 Seiten, KART, Format (B × H): 145 mm x 200 mm
Reihe: Fragmentarium
Mit Bemerkungen von Herbert Heckmann und anderen Autoren
Buch, Deutsch, 94 Seiten, KART, Format (B × H): 145 mm x 200 mm
Reihe: Fragmentarium
ISBN: 978-3-86356-037-9
Verlag: Pop, Traian
Sigels satirisches „Gebabbel“ erweist sich wieder einmal als mundartliche Meisterleistung. Es ist ein Buch, das die Volksnähe des Autors deutlich macht und zugleich durch seine Virtuosität den Leser mitreißt. Zudem: Wort und Bild sind hier zu einer überzeugenden Einheit verschmolzen. Unseres Erachtens gehört Sigels neue Publikation in jede Buchhandlung.
Der trotz seiner etwas fortgeschritteneren Jahre jung gebliebene Autor wäre gerne bereit, dieses Buch auch bei einer Lesung vorzustellen. Falls Sie möchten, schicken wir Ihnen gerne seine Kontaktdaten.
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En Hiesicher iwwer des Hiesiche
Älter werde, ist streng genomme, weiter kei eiche Leistung. Des mecht die Zeit schon mit einem, ob mer will odder net. Awwer mit Verstand und Witz älter werde, des is was anneres. Da ragt de „Sischel“ direkt aus der Masse der Vergänglichkeitsabsolvente eraus. Des solle sich die Frankforter hinner ihr Ohr schreiwe – denn Kurt Sigel is nemlich net nur en Hiesicher, sondern aach en Hiesicher, der iwwer das Hiesiche sich in der hiesichen Sprach sei Gedanke gemacht hat. Des solls gebbe – und Sigel is e rihmlich Beispiel defor, wenn aach sonst des Frankfurter Gebabbel dazu neicht, den Sinn zu vermeide, dann wirkt es eher wie e zischend Kommunikationsgeräusch – des iwwer de Frankforter Wolke klingt, als wollt mer en Batze Butter in e groß Pfann auslasse.
Die Ehr, lieber Sigel, Sie als Lokalpoet herauszuputze, will ich Ihne freilich net antue, Sie treiwe kei Nestidolatrie und reime net Ebbelwoi uff Frankfurt am Moi. Sie sin kaan gefühls-dusselige Berichterstatter der ausufernden Behaglichkeit und schlage sich net vor nestwarmen Humor uff die Schenkel, daß es sich wie die Hinrichtung des ghuden Geschmacks anhört. Sie wisse nur zu ghud, daß ein Lokalpoet schnell zum Hampelmann der Frankfurter Nabelbeschauer erunnerkimmt. Naa, Kurt Sigel, des is beileiwe net Ihr Konfession, um den Darmstädter Niebergall zu bemühe, dem Sie ähnlicher sind als dene armem Dichter und Reimfüßler, die hier uff Sockel erumstehe und aach noch de Mantel falsch erum gekneppt hawwe. Die Banke sin in die Höhe geschosse, denn in Frankfurt sieht mer sei Geld architektonisch angelecht, und mer fracht sich, warum der Goethe an der Dresdner Bank vorbeiguckt.
Sie, Kurt Sigel, sin en tapfere Bewohner und Meister der Froschperspektive. Was das heißt? Sie gucke von unne, daß es sich so ausnimmt, als würde Sie von owwe erunnergucke. Mach des einmal einer nach. Dabei is schon so mancher ins Schiele komme – Frösch hawwe es so an sich, daß se entweder in de Brüh oder uff’ n Erdbodde hocke und ihr Stimm nach owwe lenke. Owwe werde se net gern gehört. Ihr Stimm wirkt ruhestörend und antimorpheisch, weswege Sie bei Selbstgefälligkeitszippelmützeträger net geschätzt wird. Die reagiere direkt allergisch und krische en rote Kopp. Dabei habbe die Fresch wetterprophetische Talente; sie steiche, wenn die Sonne scheint, und suche die bauchkitzelnde Erdnähe, wenn’s runnermacht und rechnet. Ihr Spring, die sie zur Fortbewegung und zur Progression benötiche, sind sehr possierlich und ende oft mit einem verwirrenden Klatscher. Batsch!
Wenn man das alles mit dem Kurt Sigel seim Werk, ob Lyrik oder Prosa, in Beziehung setzt, wird jeder Lidderadurfreund und jeder, der Deutsch in de hiesiche Fassung beherrscht, merke, daß es da Iwwereinkünft gibt.
Aagefange hat de Sigel mit em Errtum. Erst als er das Frankfurterische benutzte, nach dem ihm de Schnawwel gewachse is, hat er erausgekriegt, daß er uff die Weis dene Dinge viel besser den Name gebe konnt, der ihnen natürlicher – und nicht geschwätzigerweise zukommt. Des Frank-forterische is kaan Jargon der Eigentlichkeit, derlei Grundsätzlichkeitsgebabbel geht ihm geche de Strich. Es verfault dem Frankforter gleichsam uff de Zung. Des is Schmuus, secht er. Was ist denn das? Passe Se uff! Wenn mer die Mundstellung nach denen Gedanke richtet, die mer net hat.
Aber zurück zum Sigel. So hat er denn uff Frankforterisch losgelecht, wie es ihm uff die Zung gesprunge is – und genau das war fer ihn e kopernikanische poetische Wende. „Zieh Puddel, de Man brennt“ war seine Losung, und Frankfurt hatte einen Dichter, der aus seinem Herzen keine hochdeutsche Mördergrube mehr machte. Die Frankfurter jedoch, die immer gern das ignorieren, was ihnen an de Wickel will, hawwe dem Sigel bis jetzt noch net den Platz eigeräumt, der em zusteht, aber der Kurt Sigel gibt so leicht net uff, weiß er doch, was er will, und secht de Frankforter, was se noch net wisse. Er zählt ebe zu dene Dichter, die zur Public Relation e nadürlich Beziehung pfleche.
Er is also e ideal Personalunion mit dem Frankforterische eigegange, so daß mer meine möcht, er werd von ihm beflüchelt. Um des zu verstehe, muß mer wisse, was des Frankforterische so darstellt. Zunächst einmal hat es, wie schon bemerkt, einen zischenden, auszischenden Charakter, so daß ein paar Frankfurter uff em Haufe beim Gespräch sich anhöre wie e uffgerecht Schlangegrub. In dieser S und S-C-H-Lautwollust, die selbst das Spucken mit einbeschließt, lieche die satirischen Voraussetzunge des Frankforterischen, derer sich de Sigel sehr ausgiebich und sicher bedient. Er hat awwer aach selbst en satirische Charakter. Der kommt also noch dazu. Wenn• mer ihn frecht, wies em geht, secht er mit dem Uffwand seiner ganzen Trauer: Schlecht! Und.eben weil es em immer schlechter geht, is er gezwunge, de Ursache seines Mißbehagens nachzugehe. Aus diesem Holz sind die beste Satiriker geschnitzt. Awwer um diese Ursache dingfest zu mache, muß mer schimpfe könne. Mit ziselierter Verbalhöflichkeit kimmt mer net eran. Des gefällt net jedem. Ein Sprachkundler, der die Frankfurter net rieche konnt, hat eimal gesacht: „Was wollen Sie denn! Das Frankfurterische ist eine schlechterdings abschätzige Sprache: Im Grund besteht sie nur aus Schimpfwörtern.“ Wie die Wisseschaftler irre könne! Es Schimpfwort, um es ei für allemal festzuhalte, is e reinigende Verbalinjurie. Es secht, wie’s nun emal de Fall is, schmuddelt nix drum erum, sonder geht zur Sache, selbst uff die Gefahr hin, daß es net sehr gern gehört werd. Werds aach net, daruff könne Sie sich verlasse. Awwer mer weiß dann, woran mer is und des ist bei dem heutiche geschmeidiche Mediengebabbel schon ebbes. En Schwammbuckel isn Schwammbuckel und kein stattlicher Herr. Gell!
Kurt Sigel is, wie sein Vorgänger Friedrich Stoltze, der sich ach die Schnüss an em garstiche Wort verbrannt hat, ein wortschöpferisches Schimpfwortgenie. Un Sie misse ihn dabei beobachte, wie er die Aache rollt, die Backe strafft, die Lippe uffwirft und de Adamsapfel kreiseln läßt. Des reinste mimische Schimpftheater, Bühne und Hauptdarsteller zugleich. Kurt Sigel verkääft sich ghud, wie es in der Theaterbranche heißt. Des is e Lob! Er läßt sei Texte ufflebe, er massakriert sie net. Sei Stimm, frankforterisch nasal, deutet tiefinnerlich Verschnupptheit an. So – ja nur so spürt man den Ernst seiner Befindlichkeit, sei melancholisch Aura. Man muß en höre. So wird mer noch am beste in sei Werk eigeführt. Mundart ist Hörart. Geschriwwe is se nur Partitur, die en ghude Dirigent braucht. Die Schimpfwortlust erweist sich jedoch keineswegs als die einzige satirische Ader von Kurt Sigel, so sehr se aach die Ohrn reinicht. Auch sei Aache sin satirisch engagiert. De Sigel sieht, was die annern gar net gern gesehe hawwe wolle. Sie müsse ihn nur mal beim Gucke ins Auge fasse. Die Italiener spreche da vom mal’occhio, vom böse Aach. Halb zugepetzt isses beim Sigel, wenn er schöpferisch bees guckt: flammenden Blicks, wie es en annere Frankforter einmal gesacht hat, als er Sturm- und dränglerisch zwische Frankfort und Darmstadt hin und her lief. Kurt Sigel sieht die Fehler, bevor die annern merke, daß sie se iwwerhaupt hawwe, Unwiderruflich. Druffgeguckt, und scho glänzt e Warz wie e satirisch Signatur. Mer lewe net in de beste aller Welte, wie es die Pangloss noch glaubte. De Sigel weiß das, was sage ich, der Sigel erlebt des am eichene Leib. Er macht es sich net leicht. Er findet jeden Stei, über den er stolpern kann. Midde im Sommer krieht er de Schnuppe und unterm Christbaum en Sonnenbrand. Er leecht sich quer. Er is en satirischer Turner, der sich so lang streckt und reckt, bis er das Unpassende entdeckt. Jetzt reimt sich das noch. Ich bitte um Nachsicht. Der Sigel dreht sei Frankforterisch durch de satirische Wolf, bis die Wahrheit sich rausquetscht. Er liebt sei Muttersprach und benutzt sie gleichsam als Scheidewasser, das das Dummgebabbel vom triftiche Wort trennt. Wörter bestimme die Sache und umgekehrt. Da passt de Sigel uff wie ein Schießhund. Er kritisiert net aus Spaß am böse Maul. Er lecht sei Worte uff die Waach – und damit aach die Sache, die sie bezeichnet.
Nadhürlich hat er aach sei lyrische Anwandlunge, wobei er jedoch die sinnliche Konsequenze net aus de Auche und aus de Finger verliert. Kurt Sigel is en eigefleischte Realist und kein wolkensegelnder Romantiker, sondern en Frankfurter Liliencron. Fürs Schwärme hat er zu schwere Fieß.
Wer in Frankfurt lebt, hat was zu schreiwe. Des hat uns de Kurt Sigel vorgemacht. Er is aus de satirische Uffrechnung net eraus gekomme. Wünsche mer ihm (und wenns Hochdeutsch rauskommt) noch viel Zorn, denn des is noch die beste Muse fer ihn. Sie hält ihn jung und druffgängerisch. Die Frankfurter werde schon rauskrieche, was se annem hawwe.
Herbert Heckmann