E-Book, Deutsch, Band 115, 64 Seiten
Reihe: Das Haus Zamis
Silber Das Haus Zamis 115
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7517-7856-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lady Mamba
E-Book, Deutsch, Band 115, 64 Seiten
Reihe: Das Haus Zamis
ISBN: 978-3-7517-7856-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Erstmals im Leben beschlich mich eine Ahnung davon, wie kranken Sterblichen im Patientenwartesaal zumute ist. Meine Freundin Rebecca und ich saßen schon eine gefühlte Ewigkeit in einer Wartezone der Klinik. Rebecca war die einzige Patientin, ich stand ihr zur Seite. Leichenblass, mit hohlen Wangen und entzündeten Augen, wirkte sie wie ein Karnevals-Vampir. Ihr war sterbenselend, und sie hatte Angst. Das Krankenhaus war eine Privatklinik für menschliche Patienten in der New Yorker Park Avenue und spezialisiert auf Neurochirurgie. Der Leiter, Professor Cathán Connor, war jedoch ein Dämon. Wie viele Arztpraxen oder Anwalts- und Wirtschaftskanzleien in Dämonenhand verfolgte die Klinik nicht nur finanzielle Interessen, sondern sie diente auch dazu, Kontrolle über einflussreiche Menschen zu erlangen. Alle Versuche, Rebecca mithilfe meiner Hexen-Heilkunst zu helfen, waren fehlgeschlagen. Daher hatte Darragh, unser zeitweiliger Verbündeter, der nach dem Tod des Grauen Mannes zum Oberhaupt des Morrigan-Clans aufgestiegen war, uns an den Professor verwiesen.
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2. Kapitel
Rebecca legte sich zu Bett und bat mich, wieder nach unten zu gehen. Sie kannte mich und wusste, dass ich neugierig war und mich gerne amüsierte. Das Vampir-Gelage war etwas Neues für mich, und es gab einige Vampire, die mein Interesse weckten. Besonders ein weiblicher. Ich blieb aber noch bei Rebecca, bis sie eingeschlafen war. Als ich zu den anderen zurückkehrte, war das Mahl beendet. Mother Euphrasine hob die Tafel auf. »Celimène und Marcus sollen nun zum Tanz aufspielen!« Das kam gut an. Bald kamen die Musikanten mit ihren Instrumenten zurück. Marcus hatte eine Mundharmonika bei sich, Celimène eine Violine. Mother Euphrasine und Vince eröffneten den Tanz. Sie mit ihrer karminroten Robe und dem Turban, er mit dem Aufdruck-T-Shirt und der zu kurzen Hose. Sie die makellose ebenholzschwarze Afrikanerin, er der gepiercte, ganzkörpertätowierte Albino. Sie klein und graziös, er hoch aufgeschossen und knochig. Selbst mit Kopfbedeckung reichte sie ihm nur bis zur Brust. Sie nahmen keine Tanzhaltung ein. Sie fassten einander nur bei den Händen. Dazu musste Euphrasine ihre fast bis zum Kinn heben. Sie übernahm die Führung. Und schon glitten sie in schwerelosen Zirkeln über das Parkett, ohne akrobatische Kunststücke, aber in vollendeter Anmut, verschmolzen in der Bewegung. Die vereinigte Energie des Tanzpaars füllte den Saal aus, nicht die Musik. Die Musik war nur der seufzende Wind, der die beiden trug. Ich nahm es kaum wahr, das Weinen der Violine, den Blues der Mundharmonika, ihr langsames, melancholisches Spiel. Nun fanden auch die übrigen Vampire sich zu Paaren zusammen. Einen Moment lang glaubte ich, Dave werde mich auffordern. Aber Angèle schnappte ihn mir weg. Zu meiner Verwunderung war auch Classinia sitzen geblieben. Ihr helles Kleid stach aus dem Dunkel hervor. Ihr Gesicht, das Weiße ihrer Augen war auf mich gerichtet. Ihr Blick schien mich bannen zu wollen. Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. Ruckartig wandte ich den Kopf ab und starrte auf die Tanzfläche. Der Vampirtanz folgte keinen Regeln. Einige Paare hielten sich locker bei den Händen wie Euphrasine und Vince. Andere vollführten Tanzschritte und akrobatische Drehungen, die an die Figuren des trägen Boston Waltz gemahnten. Viele tanzten eng umschlungen. Die Bewegungen waren so mühelos, dass die Tänzer fast unstofflich wirkten. Drehten sie sich vor den Fenstern, glänzte das Blut auf, das ihre Gesichter bedeckte. Sie glichen Phantomen, die im Ballsaal von Moon Mood durch Mondstrahlen schwebten. Plötzlich spürte ich eine kühle Berührung im Nacken. Ich blickte auf. Classinia war so lautlos zu mir getreten, dass ich ihre Annäherung nicht bemerkt hatte. Ihre Fingernägel fuhren über meinen Hals. »Tanz mit mir!« Mein Herz begann wild zu klopfen. Ich erhob mich. Sie zog mich an sich. Ich spürte ihren Atem und roch ihr Haar und das Blut auf ihrem Gesicht. Wie beiläufig ließ sie die Hände von meinen Schultern über meine Taille zu den Hüften gleiten. Gleich darauf spürte ich, wie ihre Finger meine Pobacken umspannten und mein Becken gegen ihren Schoß pressten. Ein Schauder durchfuhr mich. Ich klammerte mich an ihren Schultern fest, und sie zog mich fort unter die Tanzenden. Unsere Körper klebten aneinander. Classinia hatte nur das Kleid an, darunter bedeckte sie nichts als warme Haut. Mein Herz schlug gegen ihres. Sie führte mich in langsamen Drehungen, aber mir schwindelte vom Drängen ihres Leibes. Ich schlang ihr einen Arm um den Nacken. Meine freie Hand ging auf Erkundungsreise. Mal schien Classinias Gesicht im Mondlicht auf. Mal lag es im Schatten, und hinter ihr glühte der Vollmond am Nachthimmel. Ihre rauchgrauen Augen erschienen jetzt ganz schwarz, zwei finstere Strudel, die mich tief in sich einsogen. Mit der Zungenspitze zog sie die Linien meiner Lippen nach. Sie öffneten sich ihr von allein. Ihre Zunge war unfassbar lang. Sie stieß bis tief in den Schlund in mich vor. Classinia zog sich ein wenig zurück, und ich leckte ihre Zunge, saugte an ihr, presste meine Lippen gegen die ihren und drang dann meinerseits in sie ein. Ihr Mund war nass und heiß. Meine Zunge betastete die Spitzen der tödlichen Zähne. Ein stechender Schmerz ließ mich aufkeuchen. Blut füllte Classinias Mund. Mein Blut. Wir tranken gemeinsam. Als ich mich aus ihr zurückzog, quoll nur noch ein einziger dünner Blutfaden zwischen ihren Lippen hervor und sammelte sich am Kinn als rubinroter Tropfen. Im selben Moment sah ich Classinias Zunge zwischen den Lippen hervorschlüpfen. Unsere Zungen trafen sich, ihre nasse, heiße, und meine mit dem kupfrigen Geschmack des Blutes, das weiterhin aus der Bisswunde austrat. Dann begann Classinia mir das Gesicht zu lecken. Sie leckte über Kinn, Lippen und Wangen, leckte mir eine Maske aus Blut auf. Mein Innerstes zerschmolz zu Lava. Meine Knie gaben nach, und hätte Classinia mich nicht aufgefangen, wäre ich zu Boden gesunken. Ich hielt mich an ihr fest, schwer atmend und am ganzen Körper bebend. Allmählich kam ich wieder zu mir. Die Musik war schon seit Langem verstummt. Classinia und ich waren allein auf der Tanzfläche geblieben. Die übrigen Paare standen entlang der Wände und starrten uns an. Niemand sagte einen Ton. Mitten in das Schweigen brach ein Geräusch, welches das Blut gefrieren machte. Einer der Bluthunde, die den Park durchstreiften, schlug an. Das mordgierige Belfern und Knurren und Grollen riss die Nacht in Fetzen, als bestünde sie aus schwarzer Menschenhaut. Auf dem Höhepunkt kippte es um in ein erbärmliches Jaulen, wurde zum erstickten Winseln ... und riss abrupt ab. Wieder herrschte Totenstille. »Verteilt die Waffen!« Mother Euphrasines Befehl brachte augenblicklich Leben in die Versammlung. In fliegender Hast wurden die Bügelschlösser aufgesperrt und die Ketten gelöst, mit denen die Revolver und Gewehre in den Waffenhalterungen gesichert waren. Augenblicke später hatte jeder Vampir einen Schießprügel in der Hand. Vince hielt mir einen Revolver hin. »Kannst du schießen?« »Ich kann hexen.« Er selbst hatte eine Pumpgun in der Faust. Er nickte nur und schob sich den Revolver in den Hosenbund. Die Vampire starrten durch die Fenster hinaus. Wolken hatten sich vor den Mond geschoben und den Park verfinstert. Mit ihren Nachtaugen sahen die Vampire lange vor mir, was auf uns zukam. Ich selbst nahm die Schatten erst im letzten Moment wahr, ehe die Hölle über uns hereinbrach. Mit einem Knall explodierten die Scheiben. Ein Schauer aus Glassplittern stob in den Ballsaal. Einer schlitzte mir das Ohr auf. Blut rann mir über den Hals. Mündungsblitze erleuchteten den Saal. Das Krachen der Pumpguns erschütterte die Luft wie ein kurzer Gewitterausbruch. Sie verspritzen ihr Silberschrot, und mehrere Schatten fielen. Aber die Verteidiger kamen nicht mehr zum Nachladen. Die Schatten waren zu schnell. Der Mond schwamm hinter den Wolken hervor. Ich sah, wie Vince die Pumpgun fortwarf und den Revolver zog. Ehe er eine Kugel abfeuern konnte, löste sich seine Schusshand vom Arm und flog in einem Regen aus Blut durch die Luft. Hand und Revolver schlitterten übers Parkett. Angèle schoss. Ich sah nicht, ob sie traf. Ich sah nur, wie ihr Kopf, von dunklen Haaren umflattert, einen Bogen durch den Saal beschrieb und mit einem matschigen Geräusch und blutspritzend in einer Schüssel landete, die einen Rest Egel enthielt. Ich wechselte sofort in den schnelleren Zeitablauf. Das Geschehen ringsumher erstarrte zum dreidimensionalen Standbild. Im Schein der Mondstrahlen, die plötzlich wie gesponnen aussahen, und der eingefrorenen Explosionsblitze der Revolver blickte ich in die Runde. Es war, als würde sich der Tanzboden wieder um mich drehen, doch diesmal als ein Karussell des Grauens. Überall lagen Schusswaffen und Leichen. Dave war in Stücke gehackt. Celimène und Marcus und Jurgen und Marie und andere lagen geköpft in ihrem Blut. Die Angreifer, obwohl an Zahl nicht stärker als ihre Gegner, hatten nur wenige Verluste. Nun begriff ich auch, warum sie mir wie Schatten vorgekommen waren. Sie steckten, Männer wie Frauen, in einheitlicher schwarzer Tarnkleidung aus Kampfstiefeln, Hosen und Tank Tops. Die Haut war schwarz angemalt. Sie hatten langes Haar, das zu kurzen Pferdeschwänzen aufgeknotet war. Sie wirkten sehnig und athletisch, aber das erklärte nicht ihre übermenschliche Schnelligkeit. Sie töteten mit gekrümmten Klingen, die ähnlich geführt wurden wie Ninja-Schwerter und aussahen wie Sichelblätter. Sie waren so wenig menschlich wie ich selbst. Ich machte den Anführer aus. Er war gekleidet wie die anderen, aber größer, die Schultern breiter, und er hatte keine schwarze Körperbemalung. Seine Haut war weiß wie Gebein. Das schwarze Haar war an den Schädelseiten rasiert und fiel ihm hinten lang über den Rücken. Er hatte Castigo den Brustkorb aufgebrochen und hielt sein Herz in der Hand. Ihn musste ich töten! Solange ich im rascheren Zeitablauf blieb, war die Kreatur wehrlos gegen mich. Aber die Ekstase auf dem Tanzparkett hatte mich erschöpft, und noch mehr band der Zeitzauber meine Kräfte. An eine...