E-Book, Deutsch, 409 Seiten
Sillanpää Jung entschlafen
Erste Auflage
ISBN: 978-3-945370-97-1
Verlag: Guggolz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 409 Seiten
ISBN: 978-3-945370-97-1
Verlag: Guggolz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frans Eemil Sillanpää (1888-1964) hat mit 'Jung entschlafen' seiner großen finnischen Erzählung einen weiteren Baustein zugefügt. Der Schwindsuchttod des 22-jährigen schönen Landmädchens Silja steht am Anfang des Romans und auch am Ende. Sein Untertitel lautete 'Eines Stammbaums letzter Trieb', und der Roman beginnt mit dem Unglück der Eltern, einfacher Bauern, die ihren Hof verlieren und nacheinander sterben. Silja, die einzige Tochter, muss sich nun als Dienstmädchen auf fremden Höfen durchschlagen, bis sie in den Haushalt eines freundlichen alleinstehenden Professors kommt. Dort erlebt sie zu Mittsommer ihre erste Liebe mit dem Studenten Armas, der zur Sommerfrische aufs Land gekommen ist. Armas zieht aber am Ende des Sommers in den Krieg und wird verwundet. Auch an Silja geht das Kriegsjahr 1917 nicht spurlos vorüber, sie gerät zwischen die Fronten, weil sie ihrer inneren Stimme der Menschlichkeit folgt und sich von keiner Partei vereinnahmen lässt.
Auch Sillanpää schlägt sich auf keine Seite, sondern bleibt ganz nah bei seiner Protagonistin Silja, deren Schicksal wir Leser dadurch hautnah miterleben. Er lässt mit seiner unnachahmlichen Sensibilität für die Figuren aber auch für die Beschreibungen der Emotionen die Aufregung der ersten Liebe, die widersprüchlichen Gefühle in der Mittsommernacht und die Traurigkeit über das Scheitern so greifbar vor uns Lesern entstehen, dass wir uns mitten hineinversetzt sehen. Reetta Karjalainen hat erstmals die vollständige Fassung ins Deutsche gebracht, die uns Sillanpääs ganze Kunst der Einfühlung und der Zuneigung den Menschen gegenüber vor Augen führt.
Fran Eemil Sillanpää (1888-1964) ist der bisher einzige finnische Literaturnobelpreisträger. Als Sohn einfacher Hofbesitzer wurde er zur Schulbildung ans Gymnasium nach Tampere und anschließend für ein Studium der Medizin an die kaiserliche Alexander-Universität nach Helsinki geschickt. Er brach das Studium ab, kehrte zurück aufs Land, gründet dort eine Familie und begann literarisch zu arbeiten. 1919 entstand der Roman 'Frommes Elend'. 1923 'Hiltu und Ragnar' ein kurzer Spin-Off-Roman, in dem Sillanpää das Schicksal von Hiltu, einer Nebenfigur aus 'Frommes Elend', weiterverfolgte. 1931 nahm er den Faden wieder auf und schrieb mit 'Jung entschlafen' das Gegenstück zu 'Frommes Elend', das in der gleichen Zeit spielt und das junge Hausmädchen Silja als Protagonistin hat. 1939 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zugesprochen, für den er seit 1930 wiederholt vorgeschlagen worden war. Er verfiel dem Alkohol, verbrachte die Jahre 1940 bis 1943 in der Psychiatrie und schrieb danach so gut wie gar nicht mehr. Dennoch blieb er in Finnland bis zu seinem Tod 1964 populär, weil er als 'Taata Sillanpää' (Opa Sillanpää) immer zu Weihnachten im nationalen Radio sprach.
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Im Sinne der Erzählung könnte man die darauffolgenden Jahre eigentlich gleich überspringen und direkt zu Silja, dem jüngsten und einzigen länger am Leben gebliebenen Kind dieses Ehepaares, übergehen. Obwohl Kustaas und Hilmas Eheleben seine endgültige Sicherheit erlangt hatte, verhalf es ihnen dennoch nicht mehr zu jener freudigen Kraft, die für den Erhalt des Hofes nötig gewesen wäre. Hilma hatte diese Kraft von Anfang an in keinem besonderen Maß besessen, sie war das Kind einer lotterhaften Kate und hatte nichts dergleichen in ihrem Blut vererbt bekommen. Der Salmelushof war aufgrund der anfänglichen Schicksalsschläge gewissermaßen eine Stufe nach unten abgesackt, er begann im Laufe der Jahre, einem mittelgroßen, kinderreichen Hof zu gleichen, dessen Besitzer mehr schlecht als recht gerade noch so seine Kinder ernähren und seine Steuern aufbringen kann. Doch auch von dieser Stufe schaffte es dieses Paar, auf die nächsttiefere zu sinken, nämlich von außen betrachtet ungefähr jene, von der Hilma stammte. Irgendetwas war an jenem unglückseligen Wochenbett wiederhergestellt worden, aber – vieles war auch für immer verloren. Und wenn alles noch so gut gegangen wäre und selbst wenn man diesen unglückseligen Besuch bei den Plihtaris gar nicht unternommen hätte, so wäre dennoch etwas anders gewesen. Hilma war nicht mehr das junge und blühende Mädchen, die Salmelus-Kustaas Gemüt zum Lodern gebracht und ihm die feierlichsten blühenden Festwochen seiner Jugend beschert hatte. Was also nun, nach diesen ganzen schweren Schäden? Es gab allerlei Wege und Erledigungen, die einen solchen Eindruck hinterlassen hatten, dass diese unbedeutende Ehefrau ihn mit ihrem Einfluss nicht so schnell aus dem Bewusstsein ihres Mannes vertreiben konnte. Kustaa ging herum, wunderte sich über die Ereignisse, die ihm auf seinem Lebensweg begegneten, und kämpfte … kämpfte, ohne auch nur daran zu denken, Hilfe von seiner Frau bei seinem Kampf zu erhalten. Nachdem ungefähr zwei Jahre vergangen waren, wurde ihnen dann ohne besondere Vorkommnisse ein Junge geboren, der bei der Taufe den Namen Taavetti erhielt, wie auch der erste Vorname des alten Hofherrn gelautet hatte. Und wieder ein paar Jahre später wurde ein Mädchen geboren, das den Namen Laura bekam, auch das war ein alter Erbname der Familie Salmelus. Mit zwei Sätzen ist das alles gesagt, aber diese Jahre enthielten doch noch vieles mehr. In Wirklichkeit war der Salmelus-Kustaa in seinem Lebenskampf nie so tief unten gewesen wie zwischen den Geburten dieser beiden Kinder und im Anschluss daran. Sein ihm eigenes Lächeln verschwand in diesen Jahren oft ganz, und doch trat an dessen Stelle kein Funken von männlichem Zorn, wie er noch in Kustaas jüngeren Jahren immer wieder aufgewallt war, in jenen gleichmäßigen Jahren der Kraft, als Resignation noch überhaupt nicht infrage kam. Jetzt gab es alles Mögliche, über das zu ärgern sich nicht lohnte, das ihn langsam abstumpfen ließ, ohne dass er sich mit aller Kraft dagegen gewehrt hätte. Bei der Hofführung wurde alles auf merkwürdige Weise gleichgültiger und substanzloser, und eines Tages war es dann so weit, dass der Salmelus-Hausherr einen Schuldschein in der Kammer des Roimala-Hausherrn unterschrieb – genau so, wie es viele in Schwierigkeiten geratene Männer in groben Wollfilzmänteln und mit Filzstiefeln an den Füßen während seiner Kindheit und Jugend in der Kammer des Salmelus-Hofherrn getan hatten. Er konnte sich gut an jene aus Verlegenheit rot angelaufenen und nervösen Kätner und Bauern aus abgelegenen Gegenden erinnern, denen sein Vater die Wichtigkeit der pünktlichen Zinszahlungen eingeschärft hatte. Die Zeiten, in denen er, Kustaa, dann nach und nach diese Schulden eingetrieben hatte, waren voller Erinnerungen an den verstorbenen Vater und an die eigenen Jugendjahre gewesen. Jetzt strich der Roimala-Kerl, ein über hundert Kilo schwerer und im Dorf sehr wichtiger Mann, über seinen Backenbart und betonte nun ebenfalls nachdrücklich, dass er unbedingt zum Stichtag seine Zinsen bekommen müsse. Dann räusperte er sich, zog die Nase lautstark hoch, begann, von den bevorstehenden Wahlen der Wahlmänner des Bauernstandes zu sprechen, und empfahl dabei ganz besonders einen bestimmten Kandidaten – der dann später auch, ebenso wie der Roimala-Hausherr selbst, in den Reichstag gewählt wurde. Auf dem Salmelushof nahm man allerdings an der Wahl der Wahlmänner nicht teil. Der Roimala-Hofbesitzer kam in den Reichstag, und er brachte dort auch einen Initiativantrag über die Trockenlegung des Hanhijärvi-Sees ein – oder vielmehr: einen Antrag, um die staatliche Förderung für den besagten Zweck zu erhalten. Sein Antrag ging durch. Die Ländereien des Roimala-Stammhauses und eines von ihm früher dazugekauften Hofes grenzten zufällig größtenteils an diesen See an, also war es ganz natürlich, dass der Roimala-Alte sich bei den Herren dort im Reichstag besonders dafür einsetzte. Aber die Sache betraf auch die Interessen einiger anderer Höfe, unter anderem grenzte an einer Stelle das Land von Salmelus an diesen See. Jeder dieser angrenzenden Höfe musste nun seinem Anteil gemäß einen bestimmten Betrag zu der Summe beitragen, die zusätzlich zu der staatlichen Unterstützung noch benötigt wurde. Roimala war der Anführer dieser Unternehmung, und jeder sah ein, dass die Sache so lief, wie er das wollte, und auch, dass jemand davon profitieren würde – zumindest Roimala selbst. Das innerhäusliche Leben des Salmelus-Kustaa war damals gerade an seinem Tiefpunkt angelangt. Die Kinder waren etwas schwer zu erheitern, oft waren sie krank, man musste sie nächtelang in der Wippe wiegen. Die alte Salmelus-Gästekammer, aus der dem Besucher in längst vergangenen Tagen frische, unverbrauchte Luft entgegengeweht war und die dann mehr oder minder zufällig das Schlafzimmer dieses Paares geworden war, obwohl daneben ein profaneres Zimmer lag, die ehemalige Kammer von Kustaas Vater – diese alte Gästekammer jedenfalls war nun Tag und Nacht von dem Mief erfüllt, den die Kinder und die trocknenden Windeln verursachten. Es war kein Vergnügen für den Mann, dort abends hineinzugehen, weil die Frau zudem andauernd klagte, mal über ihre Schmerzen, mal über ihren Husten. Kustaa besorgte für sein Zuhause keinen Alkohol, außer für Feste, und die wurden in Salmelus äußerst selten gefeiert. Aber in diesen Jahren kam es dennoch ziemlich oft vor, dass Kustaa sich bis zum Rausch betrank, wenn er im Dorf unterwegs war; irgendwie war er zufällig immer zur Stelle, wenn irgendwo etwas angeboten wurde, umso häufiger, je schlimmer es zu Hause war. Einmal geriet er beinahe schon in einen erbärmlichen Zustand. Das geschah im Anschluss an jene Versammlung, bei der die Teilhaber sich über die Kosten der Trockenlegung des Hanhijärvi-Sees einigten und auch schon ihren Teil entrichteten. Die Versammlung wurde in Roimala abgehalten. Weil Salmelus und der Besitzer eines kleineren Hofes kein Bargeld bei sich hatten und sie sich darüber beklagten, willigte der Roimala-Hofbesitzer ein, ihnen die benötigte Summe zu leihen. Ein Schuldschein wurde aufgesetzt, und Roimala stellte ihnen eine Quittung darüber aus, dass er die Trockenlegungsgelder entgegengenommen hatte, Geldscheine wurde somit gar nicht benötigt. Während das begossen wurde, nahm ein alter Hofbesitzer, der gut mit Kustaas Vater befreundet gewesen war, Kustaa beiseite und sprach ein paar warnende Worte hinsichtlich Roimala zu ihm. »Du hättest besser ein bisschen von deinem Wald verkaufen sollen«, sagte der alte Hofbesitzer. »Ich werde doch auf keinen Fall Wald verkaufen, Vater war auch immer dagegen«, entgegnete Kustaa. »Dein Vater konnte es sich auch leisten, dagegen zu sein, denn bei ihm waren die Schuldscheinbeziehungen genau andersherum als die, in die du gerade hineingeraten bist.« Als er am Morgen erwachte, wusste Kustaa nicht so recht, wie er nach Hause gekommen war. Aber an eines erinnerte er sich sehr wohl: dass in der Kommodenschublade des Roimala-Hausherrn jetzt zwei von ihm, Kustaa, unterschriebene Schuldscheine lagen … Hilma lag ebenfalls noch im Bett, sie schlief nicht, rührte sich aber auch nicht ein bisschen, obwohl sie sah, dass Kustaa aufstand, sie erweckte bloß den Eindruck, dass sie über etwas Schmerzliches nachdachte. Das eine Kind lag da neben ihr, das andere weinte lautstark in der Küche. Die Magd versuchte, es dort zu beruhigen, es war also schon so spät, dass das Gesinde auf war, obwohl sowohl der Hofbesitzer als auch seine Frau noch im Bett lagen. Kustaa schämte sich so sehr, dass er sich kaum zu einer Arbeit aufraffen konnte. Beinahe hätte er eine sachliche Frage vom alten Vuorenmaa unbeantwortet gelassen. So war das in den meisten Jahren des Zusammenlebens des Ehepaares. Es sah schon beinahe danach aus, dass am Salmelushof nach diesen beiden Kindern kein drittes mehr geboren werden würde. Aber auch dessen Zeit kam – und das war eben dann Silja, die Einzige, deren Leben bis zum Erwachsenenalter andauern sollte. Der Lebensbeginn dieses Mädchens hing mit einem Ereignis zusammen, das zu den entzückendsten in Hilmas und Kustaas...