E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Simon Der Papst, die Prophezeiung und das Nest der Waschbären
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8412-1655-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-8412-1655-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
An einem heiteren Augustmorgen findet man Papst Petrus II. erschossen in den Vatikangärten. Man will nicht, dass sich fremde Schnüffler in die Angelegenheiten des Kirchenstaates einmischen und lehnt italienische Ermittler ab. Aber ohnehin interessieren sich außer Testa, Sekretär des Papstes, nur wenige für den Täter. Die Kardinäle sind vollauf damit beschäftigt, Aufbahrung und Totenmesse pompös auszurichten und sich vor allem im Machtkampf um die Nachfolge zu behaupten. Könnte sich der Mörder unter ihnen befinden? Monsignore Testa kommt nicht weiter, was auch daran liegt, dass er zum ersten Mal verliebt ist. Da beginnt Schwester Assunta, Haushälterin des Papstes, ein wenig Miss Marple zu spielen ...
Peter Simon (Pseudonym) studierte an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Er ist promovierter Theologe, ehemaliger Priester und schaut auf eine langjährige Tätigkeit im Vatikan zurück.
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1
Er lag einfach da.
In den Gärten des Palastes, auf einem frisch geharkten Weg.
Nicoletti ruhte zwischen Rosenbeeten, im vierten Jahr nun gelb statt rot, unter einem von Klematis überwachsenen Bogen im älteren Teil des Parks, drei Steinwürfe vom Dom.
Auf dem Weg war kein bisschen Unkraut zu sehen, da nichts Unordentliches den Heiligen Vater bei seinen Spaziergängen ablenken sollte. Nur der Körper beeinträchtigte das Bild.
Noch störender wirkte, dass es der Papst war, der da lag.
Allerdings sah Petrus II. so gut aus wie immer. Nicoletti machte tatsächlich nicht nur auf Nonnen Eindruck, wie Kardinal de Valmy, Dekan des Kollegiums, jedem anvertraute, der es nicht hören wollte.
Der Papst schien friedlich eingeschlafen.
Der Privatsekretär war kurze Zeit im Zweifel gewesen, ob der Heilige Vater nicht nur aus Erschöpfung niedergesunken war.
Monsignore Testa, Prälat Seiner Heiligkeit, war gegen acht Uhr losgegangen, um den Papst zu suchen. Dieser hatte sich auf dem Spaziergang verspätet, den er jeden Morgen nach der Heiligen Messe und dem Frühstück machte. Da der erste Termin des Samstags, eine Audienz für Kardinal O’Duffy, den eben ernannten Chef der Finanzen, verstrichen war, eine für diesen Papst ungewöhnliche Unhöflichkeit, war Testa die Wege abgeschritten, von denen er wusste, dass Petrus II. sie liebte.
In Höhe des Gouverneurspalastes war ihm Volterra begegnet.
»Morgen, Monsignore, Morgen«, hatte der Gendarm gerufen. Er kam sich wichtig vor, weil er Mitglied des vatikanischen Corpo di Vigilanza war und ab und zu die Aufsicht in einem Abschnitt der Neuen Gärten hatte.
»Wie geht es denn? Haben Sie gesehen, Herr Prälat?«
»Gut, immer besser!«
Testa hatte keine Lust, von dem Mann ins Gespräch gezogen zu werden. Volterra war ihm ein Stück nachgelaufen. Es schien ihm ernst gewesen zu sein.
Als Testa den Schritt beschleunigt hatte, um dem fetten Gendarmen zu entkommen, hatte er beiläufig das Papstwappen wahrgenommen, das vor dem Gouverneurspalast prangte.
Das Gebilde war kaum zu übersehen gewesen, ein Gemisch aus weißgelben Blumen. Unästhetisch das Ganze, nicht im Sinn des Gartenliebhabers Petrus II., doch die Frucht vieler Überstunden.
Die Gärtnerei legte sich ins Zeug. Das Wappen machte Arbeit. Das Kreuz und der simple Buchstabe M, mit dem Johannes Paul II. sein Wappen hatte gestalten lassen, waren ein Kinderspiel gewesen im Vergleich mit den Ansprüchen des regierenden Papstes: Krone, Zacken, Raute, Schild, ein Tier in Gold, das einem Einhorn auf drei Beinen ähnlich sah. Man hätte meinen können, die Nicoletti seien keine Tischler, sondern von Wappenadel gewesen.
»Mein Gott!«
Fast wäre Testa über den Papst gestolpert.
»Heiligkeit! Was ist?«
Da Petrus II. stumm blieb, versuchte der Sekretär, voller Ehrfurcht, den Oberkörper des Liegenden anzuheben. Wie sich herausstellte, war der Heilige Vater nicht ohnmächtig. Blut fand sich zwar wenig, doch oberhalb der rechten Schläfe ein Loch.
Testas Arme gaben nach, der Kopf des Papstes kippte nach hinten, ein Auge öffnete sich, und der Erschossene schaute dem Sekretär von unten ins Gesicht.
Testa ließ den Toten fallen. Die Leiche hatte sich, durch das leichte Tuch des Talars hindurch, unerwartet lebendig angefühlt, lauwarm, beweglich, beseelt, für Sekunden eine verwirrende Empfindung, die der Prälat nicht vergessen würde.
Er legte seine Hände ineinander. Es war ihm, als flösse aus der Verbindung der Finger Stärke. Er würde sie brauchen können. Gern hätte er gebetet.
Nun war es doch geschehen.
»Eigentlich«, hatte der Papst vor Monaten gemeint, als sie unter den Platanen spazierengegangen waren, »eigentlich sind die Gärten unsicher.«
»Aber, Heiligkeit, ich weiß nicht …«
»Falls ein Attentat geplant ist, dann nicht wie bei Karol Wojtyla auf dem Petersplatz«, hatte Petrus II. hinzugefügt.
»Schrecklich, was soll ich …?«
»Sondern in diesem Park. Hier gibt es keinen Schutz. Bei uns steht nicht hinter jedem Baum ein Mann vom Wachdienst wie im Weißen Haus. Der Garten ist vor allem weiter oben unübersichtlich, in der Nähe der Lourdesgrotte, an der Mauer Leos IV.«
»Meinen Sie? Leo IV.?«
»Der fürchtete die Sarazenen.«
»Vor tausend Jahren.«
»Oder im Nordteil«, hatte der Papst gesagt, »hinter der Akademie, beim Casino Pius’ IV., beim Turm Johannes’ XXIII. Und so fort.«
Testa hatte sich umgeschaut. Die Päpste hatten häufig auf- und umgebaut, ohne sich um die Sicherheit zu kümmern.
»Die Mauern und Türme waren brauchbar«, Petrus II. hatte gelächelt, »als wilde Reiter den Palast einnehmen wollten.«
Die Worte des Papstes hatten wie ein Zitat geklungen.
»Gegen die Waffen von heute bieten sie keinen Schutz.«
»Gibt es einen besseren Platz? Mehr Sicherheit als im Garten?« Testa hatte verlegen an seinem Talar gezupft.
»Unwahrscheinlich, dass wir von Hubschraubern angegriffen werden«, hatte ihn der Heilige Vater getröstet. »Daher käme nur das Dach in Frage. Das finde ich unpassend.«
Mehr hatte Petrus II. nicht gesagt. Vielleicht wollte er keinen Vorgänger kritisieren.
Den Dachgarten hatte Paul VI. vor Jahrzehnten anlegen und mit Steineichen bepflanzen lassen. Wozu aber brauchte einer, der über die grandiosen Vatikanischen Gärten verfügen konnte, noch einen gesonderten Park? Auf dem Dach des Palastes?
Auch der Swimmingpool, den polnische Katholiken aus den USA seinem Vorgänger geschenkt hatten, war Petrus II. ein Ärgernis. Nicoletti hatte den Kopf geschüttelt, als er in der Sommerresidenz Castelgandolfo den marmorgesäumten und mit handgeformten olivgrünen Kacheln ausgestatteten Pool sah.
»Zwölf mal fünfundzwanzig Meter! Für einen einzigen Menschen!«
Es wäre ihm nicht eingefallen, ein solches Privatbad zu nutzen.
»Wünschen Heiligkeit auch beim Spaziergang einen Bodyguard? Den Arzt? Den Notkoffer?« hatte Testa gefragt.
»Statt der Schweizer die Argyll and Sutherland Highlanders? Oder ein paar schlagkräftige Marines? Die GSG 9 der Deutschen?«
Der Privatsekretär hatte gefühlt, dass er eine Lektion bekam.
»Ich brauche keine Wache. Und erst recht keinen Geheimdienst. Ich möchte nicht dauernd kontrolliert werden. Ein Papst will auch mal allein sein. Im übrigen, Monsignore, ist mein Leben in Gottes Hand. Er allein bestimmt, wann es zu Ende ist.«
Testa hatte diesen Sätzen damals wenig Bedeutung zugemessen. Jetzt fühlte er sich überfordert. Er hatte Finsternis, Blitz und Donner mit seinen Vorstellungen von einem Mord verbunden, eine gespenstische Stimmung, eine Inszenierung wie bei Lady Macbeth persönlich, bluttriefende Hände, Dolche, Schreie.
Und nun, im Angesicht eines der großen Verbrechen der Kirchengeschichte, Ruhe, himmlisch heiteres Wetter, ein Garten, der still in der Morgensonne blühte. Offenbar wollte Gott den gewaltsamen Tod des Stellvertreters Christi auf Erden nicht noch mit düsteren Wolken begleiten.
Der Himmel blieb blank.
Testa hatte sich das Ende eines Lebens, wenn überhaupt, geruhsam gedacht. Aus der Distanz des jungen Klerikers, die seiner Predigt Gemütsruhe garantierte, hatte er den Tod, wie Theologen anrieten, mit dem Erlöschen einer herabgebrannten Kerze verglichen. Oder, eine weitere Lesefrucht, mit dem Stich einer Mücke, die lange auf dich gelauert hat und startet, kaum hast du das Licht am Bett gelöscht.
Nun aber hatte der Tod ohne Vorwarnung sein Gesicht gezeigt. Jetzt war nicht nur eine entsetzlich endgültige Entscheidung getroffen, auch alle Vorstellungen waren schlagartig abgelöst worden. Kein heransurrendes Insekt mehr, kein still sterbendes Licht, nein, das Auto, das von einer Sekunde zur anderen auf dich zurast und dich lehrt, dass es Dinge gibt, denen du nicht entkommen wirst, der erste falsch eingeschätzte Wagen, der das Vertrauen auf den Fußgängerüberweg jäh zerstört.
Unpassend, so ein Tod, dachte der Prälat, und unfair.
Er rannte in Richtung Palast, vom Fundort weg, immer bergab, die Reihen korrekt geschnittener Buchsbäume entlang, an dem Stück Berliner Mauer vorbei, das Johannes Paul II. vermacht worden war, zwischen Hecken wie in einem Labyrinth auf und ab, hin und her, bis zu den gepflasterten Gassen, die den Petersdom umgeben.
Ohne es richtig wahrzunehmen, hatte er in diesen Minuten mit dem Rosenkranz in der Tasche gespielt, den starren Leib des Gekreuzigten zwischen den Fingern gespürt, sich schließlich an dessen Todesqual erinnert.
Unterwegs hatte Testa einem Gärtner und dann Volterra zugerufen, der Heilige Vater dürfe heute unter keinen Umständen gestört werden, er wolle ganz allein sein.
Der Gendarm hatte die Hand an die Mütze gelegt.
»Geht in Ordnung, Monsignore«, hatte er gesagt und ihm nachgerufen: »Fallen Sie nicht!« Und, als er weiter weg war: »Haben Sie es jetzt gesehen?«
Was mochte der aufgeblasene Kerl gemeint haben? Den Toten nicht. Sonst hätte Volterra bereits den Palast alarmiert, Notärzte und Feuerwehr mobilisiert.
Der Prälat hastete weiter, schloss mit zitternden Fingern eine Geheimtür auf, blieb mit Seitenstechen auf einem der unteren Flure stehen.
Diesmal nur nicht zu bemänteln suchen wie die...