E-Book, Deutsch, 232 Seiten
Simon Im Vatikan ist die Hölle los
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8412-1656-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 232 Seiten
ISBN: 978-3-8412-1656-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Papst ist tot, es lebe der Papst.
Nachdem Papst Petrus II. ermordet worden ist, wird das Konklave einberufen. Schon als sich die 127 Kardinäle versammeln, geschehen merkwürdige Dinge. Einer der würdigen Herren wird tot aufgefunden, ein anderer vergiftet, ein dritter beginnt, als wäre er stigmatisiert, an Händen und Füßen zu bluten. Während die Gläubigen vor dem Petersdom auf das Rauchwölkchen warten, beginnen die Kardinäle trotz allem mit dem ersten Wahlgang. Doch einer der abgegebenen Stimmzettel ist ungültig; statt eines Namens stehen darauf zwei Worte: 'ER KOMMT'. Der Wahlleiter lässt den Zettel verschwinden, doch da taucht ein Fremder auf, der geheimnisvolle Reden hält. Als dieser dann auch noch behauptet, der wahrhaftige Heiland zu sein, greift der Glaubensminister des Vatikans zu einem ungewöhnlichen Mittel, um den Störenfried loszuwerden ...
Peter Simon (Pseudonym) studierte an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Er ist promovierter Theologe, ehemaliger Priester und schaut auf eine langjährige Tätigkeit im Vatikan zurück.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2
Annibale Duca, Kardinalkämmerer der Heiligen Römischen Kirche, fühlte sich miserabel. Seine Misslaune war diesmal nicht auf die Erfahrung zurückzuführen, die er machte, sooft die tägliche Spritze statt der Fettschicht seines Bauches einen Nerv oder gar ein Gefäß getroffen hatte, das den fehlerhaften Einstich sofort mit einem dicklich herausquellenden Blutstropfen beantwortete.
Erst recht nicht war der Kardinal schlecht gelaunt, weil die Waage erneut ein Übergewicht angezeigt hatte, das sich nicht mehr beheben lassen würde. Er stieg zwar noch immer nicht freudig auf die Waage, doch pfiff er zunehmend auf seine Figur.
Für wen oder für was ist es überhaupt von Bedeutung, ob ich fett oder mager bin? fragte er sich. Einige verzehren sich für das Reich Gottes, und andere gehen darin auf.
Manchmal redete Duca sich auch ein, er habe seine Fülle förmlich zu pflegen, damit das Schlimme, das er Tag für Tag hinter den Kulissen seines Amtes sah, nicht allzu nah an ihn herankomme. Und kroch Verzweiflung auf ihn zu, erklärte er sich sogar die Vorliebe für eine Zigarre mit dem Zwang, seinen Mund, durch den das Ungeheuerliche hereinbrechen könnte, wenigstens für eine Stunde verstopfen zu müssen.
Von Diäten hielt er nicht viel, und Sport war seine Sache nicht. Ein Fahrrad zu besteigen, schickte sich allenfalls für einen Dorfpfarrer wie Don Camillo, jedoch nicht für eine Hochwürdigste Eminenz. Kurienkardinäle, die wie er nicht ohne Grund zu den nächsten Mitarbeitern Seiner Heiligkeit zählten, hatten ihren Dienst am päpstlichen Hof zu tun, aber nicht auf einem Drahtesel durch die Gassen der Ewigen Stadt zu hetzen.
Churchill auf dem Fahrrad? Und Duca?
Auch hatte niemand den Kardinalkämmerer je schwimmen sehen, seit Duca sich, es mochte vierzig Jahre her sein, total erschöpft, aber hochbefriedigt, nicht ertrunken zu sein, an den Strand geschleppt hatte.
Der Kardinal liebte andere Dinge. Die Kleinigkeiten zum Beispiel, die gerade als modische Herrenaccessoires galten und seinem persönlichen Mythos Festigkeit zu verleihen schienen. Duca kleidete sich mit einer Sorgfalt, die den Rang unterstrich, den er durch Gottes und des Papstes Gnade einnahm. Doch der Besuch bei Maßschneidern half wenig gegen die füllige Gedrungenheit, die seine Herkunft verriet. Er kam aus einem Bauerngeschlecht, und wenn er sich mit seiner umständlichen Kardinalsgarderobe abmühte oder wie heute morgen einen seiner wappengeschmückten Manschettenknöpfe nicht finden konnte, musste er daran denken, dass er besser den Hof übernommen hätte. Dann wäre er sich nicht wie ein Junge vorgekommen, der den großen Mann spielen muss.
Duca stand sonst gern zeitig auf. Er war der Ansicht, früh auf den Beinen zu sein, verleihe dem Vorgesetzten einen moralischen Vorsprung. Während die anderen noch schliefen, konnte er einen gut Teil seines Tagwerkes erledigen und die Spätaufsteher unter den Prälaten damit überraschen, dass der Chef bereits im Amt gesessen war, als sie sich nochmals umdrehten und mit sich rangen, ob sie nicht von einem tückischen Virus befallen sein sollten.
Heute aber war alles anders. Heute wäre auch Duca lieber im Bett geblieben.
Es gibt leichteres, überlegte er, als eine Kirche wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Nachdem ihr Papst so unvermutet gestorben ist.
Der Kardinal hatte seltsam sehnsüchtig geträumt, bevor er mit Erschrecken aus dem Schlaf gefahren war. Und noch immer verspürte er Angst vor dem, was die nächsten Tage bringen würden. Dieses Gefühl kannte er; es näherte sich mehr und mehr der Verzweiflung. Sooft er einer solchen Trostlosigkeit verfiel und ängstlich auf das Pochen seines Herzens hörte, war es ihm, als schlage ein Vogel in ihm, als stoße dieser ständig gegen eine Wand, als flattere er mit seinen Flügeln, um endlich den Ausweg zu finden, seine Sehnsucht zu befreien und hinaus in eine unendliche Freiheit zu fliegen.
»Der Vogel hat gewiss purpurne Flügel. Dann passt er zu dir«, war Vittorias Kommentar, als der Kardinal seiner Geliebten von dieser Erfahrung erzählt hatte.
Nicht dass Duca ein Hasenfuß gewesen wäre: Schon die stattliche Erscheinung und der schwere Gang wiesen darauf hin, dass dieser Mann über Autorität verfügte und sie auch ausspielen konnte, falls er wollte. Er gehörte zu den Menschen, die einen Raum nur zu betreten brauchen, um allgemein die Empfindung auszulösen, nun sei die Hauptperson, der Signore, eingetroffen und alle, die gewartet hatten, könnten sicher sein, dass niemand von Rang mehr komme.
Duca hatte erfahren, wie signoril – so nannten es die Landsleute – er wirkte. Selbst der Papst hatte es schwer gehabt, sein eigenes, ungleich höheres Amt zur Geltung zu bringen.
Wer ihn kannte, hieß Duca einen Herrn. Um seiner Würde gerecht zu werden, hätte man gut und gern ein halbes Dutzend weiterer Titel aufwenden können.
Die Bäume des Kardinals wären gewiss in den Himmel gewachsen, wäre er nicht sich selbst im Weg gestanden. Die Wirkung der zum Zupacken neigenden Persönlichkeit des Annibale Duca wurde stark gemindert durch die eigene Bequemlichkeit, die er freilich zunehmend als Tugend der Geduld auszugeben pflegte. Duca hatte immerhin selbst seinen Jähzorn mit einer Aura von Altersmilde zu umgeben verstanden, und die Zündschnur seiner Geduld brannte langsamer herab als früher.
Immer häufiger sprach der Kardinalkämmerer davon, dass im Reich Gottes auch die Gemütlichkeit ein Plätzchen zu beanspruchen habe. Ähnliches gelte für die heitere Gleichgültigkeit, die er an den Tag lege, selbst wenn sie manchen liederlich erscheine. Im übrigen sei er nicht zum Gipfelstürmer geboren. Seine Gedrungenheit – er sähe ja aus wie ein Korken, fügte er hinzu, wenn er besonders gut gelaunt war – bringe es nun einmal mit sich, dass er sich mit einer Höhe zu begnügen habe, von der er einen nur mittelmäßigen Rundblick habe.
Im Vatikan wussten viele, dass dieser Kardinal Größeres hätte leisten können. Zwar hatte er, wie er selbst am besten wusste, nicht das Zeug zum Organisator. Doch ging er ohnehin davon aus, dass auf Erden nichts Bestand haben konnte, niemand von Bedeutung war und nur wenig sich wirklich planen ließ.
Duca hatte mit dem verstorbenen Papst die Liebe zu Gärten geteilt. Und so wusste er, wie schnell die Ordnung in ein Chaos umkippen kann. Häufig verfiel er in die Sorge, ob alles anwachsen, Wurzeln schlagen und Frucht tragen würde, bevor ein einziger Hagelschauer es zunichte machte. Das Gleichnis diente ihm dazu, Welt und Kirche wie ein Gärtner zu betrachten, der aus bitterer Erfahrung weiß, dass nichts auf Dauer organisiert und erhalten werden kann.
Man brauchte sich nur in der Ewigen Stadt umzusehen, um zu erkennen, dass Rom ebenso viele Weltuntergänge wie Neugeburten erlebt hatte. Die überall herumliegenden Reste boten einen Anschauungsunterricht wie nirgends sonst: Gerade weil die Überbleibsel inzwischen sorgsam freigelegt und die klotzigen Brocken mit Seltenheitswert für die immer neuen Ströme staunender Touristen beschriftet worden waren, bewiesen sie nichts als die Tatsache, dass Macht und Glanz auch der gewaltigsten Imperien von Kaisern und Päpsten sich gegen die Katastrophen des Menschseins nicht hatten behaupten können.
Dagegen half auch das geweihte Öl nicht, das unter hundert Marienbildern in der Stadt brannte. Selbst der Glaube an das Blut der abertausend Märtyrer, die sich die längst unfromm gewordene Stadt des Papstes hielt, kam nicht gegen den Zerfall an. Alles wirkte nur noch wie eine surrealistische Selbstinszenierung.
Wo auch der Glaube zu herrschen schien, sah es nicht anders aus. Duca hatte sich einmal mit dem Kollegen unterhalten, der sich zum Hirten der Seelen Neapels bestellt sah. Der Neapolitaner hatte voll Besitzerstolz erklärt, dass die Kirche San Gennaro sieben Hauptpatrone zähle. Doch das sei beileibe nicht alles, denn diesen Heiligen müssten noch jene zweiter Ordnung hinzugefügt werden.
Duca hatte sich gerade von seinem Schrecken erholt, als der Kollege fortfuhr. Hinzu kämen noch die sechs heiligen Fränze: Francesco di Paola, Franz von Assisi …
Duca hatte ihn unterbrochen und gemeint, wenn eine Stadt unter soviel Schutz stehe, könne der Vesuv eigentlich nichts mehr ausrichten. Der Neapolitaner hatte sich brüsk abgewandt und seither kein Wort mehr mit ihm gewechselt.
Gut, dass Vittoria aus anderem Holz war. Sie hatten oft miteinander diskutiert. Alles, was die Kirche lehrte oder wirkte, erschien ihr zu glatt. Und in den oberen Etagen der Firma sei alles eine Spur zu erstklassig, hatte sie gesagt, zu markenartikelhaft.
»Eure vaticani sind geleckt, gefällig, geschniegelt.«
Duca hatte den Satz nicht vergessen.
Er zählte zwar zur elitären Klasse der palatinischen Kardinäle, weil er nicht nur seinen Dienstsitz im Apostolischen Palast hatte, sondern auch im Vatikan wohnte. Doch manchmal verspürte er große Lust, das Pflaster vor dem Petersdom aufzureißen und mit dem Stein eine Scheibe im Palast einzuschmeißen.
»Protzt die Kirche nicht seit eh und je?«
Vittoria hatte nicht studiert, doch sie verstand es, ein Problem, das er selbst lange durchdenken musste, mit wenigen Worten auf den Punkt zu bringen.
»Mit dem, was ausnahmslos von den Gläubigen erbracht worden ist. Und nicht vom Klerus.«
Sie hatte recht.
Duca, Mitglied der Vatikanischen Baukommission, hatte sich an einen Bericht erinnert. Innerhalb dreier Jahrhunderte hatte allein Frankreich, älteste Tochter...