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E-Book

E-Book, Deutsch, 442 Seiten

Singer Wer?


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-99131-824-8
Verlag: novum pro Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 442 Seiten

ISBN: 978-3-99131-824-8
Verlag: novum pro Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als Tamara auf Harald trifft, spürt sie instinktiv, dass sie auf ihrer lebenslangen Suche einen entscheidenden Schritt weitergekommen ist. Er ist wie sie - und doch anders. Albträume, Verzweiflung, Einsamkeit. Sie lernen andere kennen, andere wie sie. Lebensmüde und gefüllt mit Angst und Schreckensvisionen. Unfähig, Beziehungen einzugehen. Ohne Vertrauen in ein Gegenüber, das es gut meint. Was verbindet sie? Das Grauen? Das Dunkle? Das Aufkommen von Erinnerungen? Fetzen aus der Vergangenheit? Fragmente, die zusammenzusetzen sie nur gemeinsam schaffen. Die Frage stellt sich ihnen: Wer steht hinter dem Grauen? Dem Dunklen? Wer verhindert, dass sich die Teile zu einem Bild fügen, das ihnen Gewissheit gibt und Vertrauen in eine nie gekannte Zukunft schenkt? Gemeinsam beginnen sie die Suche.

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November 55
Harald Meyer Harry konnte Tamara zuerst gar nicht richtig erkennen; der Nebel hatte sich über die Stadt gelegt und alles in einen grauweißen, beinahe schmutzigen Brei getaucht. Alles. Er hatte gut geschlafen. Gut geschlafen, auch wenn er träumte. Kaum war er aufgewacht, dachte er an das bevorstehende Treffen mit Tamara und die Qual der nächtlichen Traumstunden rückten sogleich in den Hintergrund. Er stand am Rand des Restaurants vor dem Supermarkt, in welchem sie sich schon oft getroffen hatten. Allerdings war es jetzt zu kalt, um draußen zu sitzen. Zudem waren Tische und Stühle zusammengestellt und an den Rand des Platzes geschoben worden. Auch sie im Nebel kaum zu erkennen. Menschen sah er keine. Alles war ruhig. Wie wenn der Nebel nicht nur das Licht und die Farben verschwimmen ließ, sondern auch die Geräusche schluckte, die zweifellos existierten. Dann sah er sie kommen. Das Einzige, das sich bewegte, war das einzige menschliche Wesen, das in ihm ein Gefühl auslöste, das zu fühlen er nicht mehr für möglich gehalten hätte. Tamara hatte ihre Haare wie üblich zu einem Rossschwanz zusammengebunden und kam mit zügigen Schritten auf ihn zu. Sobald sie ihm gegenüberstand, sah er, dass sie lächelte. Oder besser gesagt: Dass sie übers Gesicht strahlte wie ein Kind, das in der Mitte des Jahres eben erfahren hat, dass Weihnachten vorgezogen wird und die Bescherung unmittelbar bevorsteht. Sie umarmten sich umständlich, was zweifellos an Harry lag. „Gehen wir?“ Sie hängte sich bei ihm ein und gemeinsam gingen sie die Straße entlang. Er musste nicht fragen, wohin sie gingen. Es war zum jetzigen Zeitpunkt unwichtig. Sie wussten, wohin sie zu gehen hatten, sobald der Zeitpunkt reif dafür war. Die letzten Male trugen ihre Spaziergänge keine Früchte und beantworteten keine der vielen Fragen. Trotzdem machten sie sich immer wieder daran, diesen Ort zu finden, den Harry auf der Baustelle gesehen hatte. Er war Tamara dankbar für ihre Geduld. Einmal hatte sie ihm gesagt: „Ich habe schon so lange gewartet, dass einige Wochen mehr oder weniger überhaupt kein Problem sind.“ Harry bezweifelte, dass es nur Wochen dauern sollte, bis sich etwas ergab. Er bezweifelte, ob sich überhaupt jemals etwas ergeben würde. Und doch war da diese Sicherheit, die Tamara ausstrahlte und auf ihn überging. Sie hatten damals nicht geplant, auf eine Baustelle zu gehen und waren doch auf einer gelandet, was zu vielen Antworten geführt und in Harry das Vertrauen in zielloses Spazieren gestärkt hatte. Die Erkenntnis, die Harald Meyer auf jener Baustelle erhielt, war ihm mehr wert als alles, was er bis dahin erkannt hatte. Er hatte gesagt, dass er wisse, wo sich der Raum befinde. Tamara fragte ihn nicht, wo. Sie fragte überhaupt nichts. Auch jetzt fragte sie nicht und Harry wusste, dass sie nicht fragte, weil sie wusste, dass er ihr keine Adresse geben konnte. Noch nicht. Seine Gewissheit entsprang viel mehr dem Gefühl der Sicherheit, dass es diesen Raum gab. Oder zumindest gegeben hatte. Er war nicht, wie er war, weil er Harald Meyer hieß. Er war, wie er war, weil es da einen Raum gab, der ihn erst zu diesem unsicheren Bündel Mensch machte, das er heute war. Und dieser Raum war immer wieder von jemandem betreten worden, mit warmer Milch und komisch schmeckendem Essen. Tamara brauchte keine Fragen zu stellen. Das tat er selbst. Die Frage stellte sich einerseits, wo sich dieser Raum befand. Andrerseits, und das interessierte ihn viel mehr, war da die Frage, wer ihm die Milch gebracht hatte. Wer es gewesen war, der ihm damals das Ding vom Mund genommen hatte, damit er trinken konnte. Und er fragte sich auch, wer die anderen waren, die mit ihm in diesem Raum gesessen hatten. Denn er war nicht allein da drin gewesen. Er hatte sich nur allein gefühlt. Unglaublich allein und schutzlos. Wo waren die anderen heute? Wer waren sie? Wie lebten sie? Hatten sie ebenfalls Träume, von denen sie nachts heimgesucht wurden? Was war mit ihnen geschehen? Was war mit ihm geschehen. Mit dem kleinen Harry. Wer? Nicht wo. Wer? Wohl doch die Frage, die über allen stand. Wer war das Ungeheuer? „Worüber denkst du nach? Fragen, stimmt’s?“ Harry nickte. „Stelle sie. Ich versuche sie zu beantworten.“ Tamara lächelte ihn herausfordernd an. „Mit welcher soll ich beginnen?“ „Mit der einfachsten.“ „Keine meiner Fragen ist einfach.“ Tamara legte ihren Kopf an seine Schulter. „Ich weiß. Sind sie nie. Die wirklich guten Fragen sind immer die, die am schwersten oder gar nicht zu beantworten sind.“ Sie gingen weiter, ohne weiterzusprechen. Harry war froh, dass sie ihn nicht drängte. Überhaupt schien es ihm, als ob sie ganz genau spürte, was angemessen war und was störend. Er genoss die Stille. Das sagte er ihr und sie drückte sich fest an ihn. Er nahm den zarten Duft eines Parfums wahr, der ihn an einen Rosengarten erinnerte. Er hatte sich zwar noch nie in einem befunden, aber doch eine klare Vorstellung davon, wie es sein würde, in einem solchen zu stehen. „Du riechst gut.“ Sie blieb stehen und blickte zu ihm hoch. Sie streckte sich leicht und Harry wusste, dass es in Ordnung wäre, sie jetzt zu küssen. Er beugte sich zu ihr nach unten und näherte sich ihren leicht geöffneten Lippen. Der Duft von Rosen ließ ihn vergessen, dass sie inmitten von Straßen und Stadthäusern standen. Er schloss die Augen und hoffte, dass Tamara die ihren ebenfalls schloss. Rosen hatten Dornen. Spitze, scharfe Dornen. Kurz bevor sich ihre Lippen berührten, zog sich Harry zurück und blickte zum Himmel. „Was?“ Tamara blickte zu ihm hoch, ohne auch nur die geringste Spur von Vorwurf. „Tut mir leid. Ich meine, ich glaube … Ich weiß nicht …“ „Harry, wann hast du zum letzten Mal eine Frau geküsst? So richtig?“ Harald Meyer zuckte die Schultern. „Du warst es. Ich meine, mit dir war es. Bei der Baustelle. Aber zuvor? Ich weiß nicht. Das liegt schon recht lange zurück. Ich glaube nicht, dass ich es kann. Ich weiß gar nicht, ob ich es jemals richtig konnte.“ „Du Dummer.“ „Was?“ Harry schaute sie irritiert an. „Ja genau. Das bist du. Ein richtig dummer Junge.“ Tamara lachte und zusammen gingen sie weiter. Einmal mehr war er ihr dankbar, ihn nicht weiter zu bedrängen. Es war für sie einfach in Ordnung, so wie er war. War das nicht ein unbeschreibliches Glück? Nach wenigen Minuten unterbrach er das Schweigen. „Rosen haben Dornen.“ Tamara blickte nach vorne ans Ende der Straße und sagte nichts. Sie wusste, dass Harry Zeit brauchte, und die hatte sie. Schon lange. „Rosen haben spitze, scharfe Dornen.“ Tamara nickte und unterbrach nun doch. „Ja, das sagtest du.“ „Aber nicht nur Rosen.“ „Wie kommst du auf Rosen? Es hat hier weit und breit keine und wenn, würden sie wohl nicht mehr blühen.“ „Es ist wegen …Egal. Spielt jetzt keine Rolle. Auf jeden Fall sind Rosen nicht die einzigen Pflanzen, die Dornen haben. Verstehst du?“ Tamara schüttelte entschuldigend den Kopf. „Da waren Dornen. Also draußen. Als ich aus dem Raum kam, waren da Dornen. Ich habe mich dort versteckt und mir weh getan. Ich habe sicher überall geblutet. Aber er hätte mich gefunden, wenn ich mich nicht mitten in die Dornen gedrückt hätte. Aber es waren keine Rosen. Es war etwas anderes. Etwas, das ich nicht kenne. Ich erinnere mich aber an die Dornen. Sie haben mich überall zerkratzt. Ich erinnere mich. Jetzt gerade habe ich mich erinnert. Es gab diesen Raum und es gab diese Dornenpflanzen. Die waren überall.“ Sie gingen schweigend weiter. „Waren die Dornen in einer Stadt? In einem Garten? In einem Wald?“ „Ich habe keine Ahnung. Ich denke eher, dass es in einem Wald war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man uns alle nicht hätte finden können, wenn uns zum Verstecken nur ein Garten oder Bänke auf einem Gehsteig zur Verfügung gestanden hätten.“ Tamara hielt abrupt an und drehte sich um. „Komm, ich weiß, wohin wir gehen.“ „Wohin?“ „In den Wald, der unserer Stadt am nächsten liegt.“ „Aber du fährst doch nicht Auto.“ „Wir fahren mit dem Bus. Nun komm, da vorne ist die Haltestelle. Wir werden in den Wald gehen und darauf hoffen, irgendwo eine Stelle zu finden, die in dir etwas ähnliches auslöst wie auf der Baustelle.“ „Du willst, dass ich wieder kotze?“ „Du Dummer. Sicher nicht. Und wenn, dann ist es das allemal wert.“ 56
Luki ...



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