E-Book, Deutsch, 179 Seiten
Skowronnek Schweigen im Walde
1. Auflage 2017
ISBN: 978-80-7583-521-5
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 179 Seiten
ISBN: 978-80-7583-521-5
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In Richard Skowronneks Buch 'Schweigen im Walde' wird die Geschichte von zwei Geschwistern erzählt, die in einem abgelegenen Wald leben und mit einem lang gehüteten Familiengeheimnis konfrontiert werden. Skowronnek verwendet eine detaillierte und poetische Sprache, um die Atmosphäre des geheimnisvollen Waldes einzufangen und die emotionalen Konflikte der Protagonisten darzustellen. Das Buch lässt sich in die Tradition der deutschen Romantik einordnen, da es die Natur als wichtigen Schauplatz und metaphorischen Raum für die menschliche Erfahrung nutzt. Skowronneks fesselnder Roman wird Leser*innen in eine Welt der Geheimnisse und inneren Konflikte entführen.
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Zweites Kapitel
Im Groß-Lipinsker Schlosse gärte es wie in einem Bienenschwarm, in den sich eine Hornisse verflogen hatte. Die Stubenmädchen flogen treppauf und treppab, um in aller Hast das im ersten Stock gelegene »Königszimmer« in Stand zu setzen, das sonst alle Jahre nur wenige Tage benutzt wurde, wenn nämlich zur Manöverzeit der kommandierende General darin wohnte, und das seinen Namen daher trug, weil es einmal, vor jenen fünfzig oder sechzig Jahren, den König Friedrich Wilhelm IV. für eine Nacht beherbergen sollte. Dazu aber war es nicht gekommen, denn der hohe Herr hatte die für seine Rundreise durch die Provinz getroffenen Dispositionen leider in letzter Stunde geändert. Trotzdem es also damals seinen eigentlichen Zweck gewissermaßen verfehlt hatte, war ihm der ehrende und es vor den andern Fremdenzimmern im Schlosse auszeichnende Name in der Tradition erhalten geblieben, vornehmlich wohl wegen der prunkvollen Ausstattung, die ihm Elsbeths Großvater, der damalige Herr von Lipinsken, gegeben hatte. Ein wahrhaft königliches Bett mit vergoldeten Pfosten und einem seidenen Himmel darüber, reichgeschnitzte Eichenstühle, an der Längswand einen Gobelin, vor allem aber eine Waschtoilette, die damals eine Kostbarkeit und ein wahres Prunkstück darstellte, denn sie trug eine echte weiße Marmorplatte und darauf eine Waschschüssel aus Meißner Porzellan von zu jener Zeit ganz ungewöhnlich großen Dimensionen. Dazu natürlich ein reichliches Zubehör von Näpfen und Schalen, und über dem Ganzen, den Raum zwischen den beiden Fenstern fast vollständig ausfüllend, ein geschliffener Kristallspiegel mit zwei schwervergoldeten Armleuchtern.
Bei der im ganzen Schlosse herrschenden peinlichen Ordnung und Sauberkeit war nun das Instandsetzen eine verhältnismäßig geringfügige Arbeit. Das Bett frisch überziehen, im Ofen ein ordentliches Feuer anmachen, Kanne und Schüssel des Waschtisches mit Wasser füllen, und das Königszimmer wäre zur Aufnahme seines Gastes genau so bereit gewesen, wie vor jenen fünfzig oder mehr Jahren. Daß für diese Vorrichtungen ein Dutzend Hände in Bewegung gesetzt wurde, lag nur an Tante Lieschen.
Der Förster Ahrens, der mit seinem Bericht über das seltsame Zusammentreffen auf dem Wiesenweg und Elsbeths Heldentat wie eine Bombe in die friedliche Tafelrunde am abendlichen Teetische hineingeplatzt war, hatte noch nicht recht ausgesprochen, noch saß alles wie in einer Erstarrung, da hatte die rundliche alte Dame auch schon das Kommando übernommen.
»Sie, Ahrens, lassen sofort einen Schlitten anspannen und schicken einen reitenden Boten mit 'nem Handpferd zum Doktor nach Ostrokollen ...«
»Ist beides schon besorgt, gnädiges Fräulein.«
»Na schön, um so besser! Du, Fränzchen« – sie wandte sich zu der jüngeren Schwester der Haus« Herrin – »sorgst für reichlich warm' Wasser, denn das wird in solchen Fällen immer gebraucht, ihr beiden, Lisette und Dorette, macht euch über das Königszimmer her, lüften, Staub wischen, Ofen heizen, aber das muß alles wie der Blitz gehen; Sie, Friedrich, springen zum Verwalter hinüber, holen Verbandzeug und Karbolsäure aus der Gutsapotheke, ich aber werde für warmes Bettzeug sorgen, damit der arme Mensch nicht friert, wenn er verbunden ist!«
»Na, und was bleibt für mich übrig?« fragte das Freifräulein Amalie von Linde, Tante Lieschens jüngere Schwester.
»Die Kritik, wie üblich, meine Teuerste,« war die schlagfertige Antwort.
Tante Amalie rückte die Haubenbänder zurecht.
»Also gut! Weißt du denn überhaupt, ob Elsbeth ihn hierher transportieren lassen wird?«
»Das ist doch ganz selbstverständlich!«
»Na schön, aber dann das ›Königszimmer‹! Ganz, als wüßten wir uns vor Freude über die uns widerfahrene Gnade nicht zu lassen!«
Tante Lieschen machte eine energische Handbewegung, denn in ihre Rechte als oberste Leiterin des gesamten inneren Haushaltes ließ sie sich nicht dreinreden.
»Also es bleibt dabei! Und ›Gnade‹? Das natürlich nicht, aber vielleicht eine Fügung. Wenn je der liebe Gott seine Hand aufgehoben hat, ei nadiehrlich, und lach nich so höhnisch, Amalie« – jedesmal nämlich, sobald sie ein wenig in Erregung geriet, verfiel sie in einen leicht sächselnden Dialekt, den sie in ihrer Jugend während der Dresdner Pensionszeit erlernt hatte – »ja also, die Hand aufgehoben, um uns armsäl'gen Erdenwürmern einen Fingerzeig zu geben, so is es diesmal geschehen. Aber darüber können wir uns ja später am Abend noch in aller Gemütlichkeit aussprechen, nich wahr?« Und draußen war sie, tummelte sich wie ein Brummkreisel mit ihrer kurzen und rundlichen Figur über Korridore und Stiegen und vergaß ganz an ihr Asthma zu denken, das ihr sonst das Treppensteigen zu einer beschwerlichen Arbeit machte.
Tante Amalie, die im Gegensatz zu ihrer freundlichen und allzeit zu einem muntern Scherzworte aufgelegten Schwester niemals mit dem Verkleinerungswort angeredet wurde, wohl, weil ihre hagere und steife Würde von vornherein jede Vertraulichkeit ausschloß, war mit dem Königsberger Malprofessor allein im Zimmer zurückgeblieben. Sie hob die spitzen Schultern und ordnete die braunen Löckchen, die zu beiden Seiten der sorgfältig gekrausten Spitzenhaube herunterhingen, zu braun, um echt zu sein ...
»Ja also, Herr Professor, was sagen Sie nun bloß dazu? Sie sind doch jetzt lange genug im Haus, um über die ganzen Verhältnisse auch ein Urteil zu haben, also ›Königszimmer‹? Muß da der Klein-Lipinsker, wenn er hereingebracht wird, nicht gleich denken, wir warteten bloß auf ihn? Und sich umgucken, ob nicht auch womöglich schon der Pastor da ist, um die Nottrauung zu vollziehen?«
Der Angeredete, ein blonder Hüne mit langwallenden Künstlerlocken, die auf ein verschlissenes Samtjakett fielen, hatte sich nach der unwillkommenen Unterbrechung schon längst wieder über die rosige Gänsebrust hergemacht, von der er sich beim Eintritt des Försters Ahrens einen wohl zwei Finger breiten Kampen heruntergeschnitten hatte. Er ließ die Gabel sinken und antwortete diplomatisch: »Na, vielleicht ist er immer noch bewußtlos und merkt das nicht so?«
In seiner etwas eigentümlichen Stellung im Schlosse lag es, mit jedermann gut Freund zu sein, es mit keinem zu verderben. Im vorigen Frühjahr nämlich, kurz nach ihrem Regierungsantritte, hatte ihn Elsbeth eines schönen Tages draußen auf der Fohlenkoppel beim Skizzieren angetroffen und kurzer Hand eingeladen, für ein paar Wochen ihr Gast zu sein. ... In ihrer Freude über das endliche Wiedersehen mit der Heimat hatte sie gewissermaßen das Bedürfnis, jedem, der ihr begegnete, etwas Gutes anzutun. Und der Königsberger Meisterschüler, der mit überschmalem Beutel eine Ferienstudienreise machte, nahm nur zu gern an. In der Folge aber gefiel ihm das sorglose Wohlleben so, daß er nicht mehr ans Fortgehen dachte. In der ersten Zeit nahm er zwar alle vier Wochen einen schüchternen Anlauf, sein längeres Bleiben zu begründen, sagte: »Gnädigste Baronesse, eigentlich dürfte ich ja Ihre Gastfreundschaft nun nicht länger mehr in Anspruch nehmen, aber ich hätte im Interesse meiner künstlerischen Entwicklung noch so viel nach der Natur zu skizzieren ...« Da aber darauf jedesmal eine erneute freundliche Einladung erfolgte, so unterließ er nach und nach diese Erinnerungen, daß er im Lipinsker Schlosse nur zu Gaste war. Und eines Tages begab es sich, daß die junge Herrin ihn in einer etwas peinlichen Unterhaltung mit dem Allenberger Gerichtsvollzieher betraf, der durchaus nicht einsehen wollte, daß Staffelei, Leinwand, Pinsel, Farben und Palette zu den unantastbaren Reservatgütern eines der Malkunst beflissenen Jüngers des heiligen Lukas gehören sollten. Da schlichtete sie lächelnd den Streit, indem sie den Schergen des Königsberger Schneiders anwies, die eingeklagte und erstrittene Schuldsumme an der Gutskasse zu erheben, dem »Professor« aber setzte sie stillschweigend ein auskömmliches Taschengeld aus, das ihm allmonatlich von dem Verwalter Wisotzki als »Gehalt« ausgezahlt werden sollte. Beim ersten Male sträubte er sich ein wenig, hielt seiner gnädigen Schutzherrin eine feurige Dankesansprache, in der er sie »Mäcena« titulierte, in der Folge aber unterließ er auch diese Ansprachen, ebenfalls aus dem bereits oben angeführten Grunde. Nicht aber aus Undankbarkeit. Als Sohn armer Schneidersleute, die kaum den Speck erschwingen konnten, um die täglichen Kartoffeln abzuschmälzen, war er eines Tages tief aus dem Posenscheu nach München auf die Wanderschaft gegangen, weil er den Gott in seiner Brust fühlte und den Drang, ein großer Maler zu werden; hatte sich dort ein paar Semester durchgefrettet, indem er nächtens für ein Herrengarderobegeschäft Gehröcke nähte, tagsüber aber zeichnete und malte, solange die nachts müde geprickelten Hände und Augen vorhalten wollten, bis ihm ein vom heimatlichen Pastor erwirktes kleines Stipendium an der Königsbergs Kunstschule ein etwas menschenwürdigeres Dasein ermöglichte. Schließlich aber als ein unverhofftes Gnadengeschenk des Himmels hier diese großzügige, echt ostpreußische Gastfreundschaft, gewissermaßen eine Belohnung für treues Ausharren im Dienste der Kunst! Brauchte sich nicht zu kümmern, ob der liebe Gott Winter oder Sommer sein ließ, drei-, viermal am Tage ein mit allerhand guten Sachen gedeckter Tisch, und von Morgen bis Abend keine andre Frage, als, was male ich jetzt und was zeichne ich nun. ... Da war es ihm nicht zu verdenken, wenn er im Verkehr mit den maßgebenden Schloßinsassen sich ein wenig »politisch« verhielt und darauf aus war, sich seine Stellung nicht zu verderben. Draußen fing wieder das...




