Smith | Roman auf gelbem Papier | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 296 Seiten

Smith Roman auf gelbem Papier


Erstmals ins Deutsche übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Christian Lux / 1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8438-0601-5
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 296 Seiten

ISBN: 978-3-8438-0601-5
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die exzentrische Pompey Casmilus, Sekretärin in einem Londoner Magazinverlag, notiert während der Arbeit die Flut ihrer unkonventionellen Gedanken, Erinnerungen und Assoziationen auf gelbem Papier. Ihre Familie, Liebesbeziehungen, das nationalsozialistische Deutschland, das Leben in der Großstadt, Freundschaft, Kunst und Literatur der Zeit, aber auch Kirche, die Macht der Medien, Abtreibung und Sexualität - zu allem hat Pompey ungewöhnliche Ansichten. Mit ihrem durchdringenden Blick zeichnet sie ein scharfsinniges Bild der Welt in den 1930er-Jahren. Der funkensprühende Debütroman der Schriftstellerin Stevie Smith war ein kleiner Bestseller der Zeit und ist ebenso eigenwillig wie seine Autorin: hochpoetisch, voller witziger Einfälle und entlarvender Ansichten. Für Fans von Dorothy Parker, Virginia Woolf, Laurence Sterne und Leser, die ihren Kopf in den Wolken tragen!

Stevie Smith (1902-1971), eigentlich Florence Margaret Smith, wuchs in London auf und arbeitete als Privatsekretärin zweier Zeitschriftenverleger. 1936 veröffentlichte sie ihren Debütroman 'Novel On Yellow Paper', der ein Erfolg wurde. Es folgten diverse Gedichtbände, die ihr einzigartiges lyrisches Talent offenbaren, und die zwei weiteren Romane 'Over the Frontier' und 'The Holiday'. Sie wurde mit dem 'Cholmondeley Award for Poetry' und 1969 mit der 'Queen's Gold Medal for Poetry' ausgezeichnet. Christian Lux, geboren 1978 in Essen, studierte Buchwissenschaft und Literatur, danach Herausgeber, Übersetzer und Verleger. Seit Jahren betätigt er sich als Vermittler anglo-amerikanischer Literatur.

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Casmilus, whose great name I steal, Whose name a greater doth conceal, Indulgence, pray, And, if I may, The winged tuft from either heel.1 Wenn ich dieses Buch beginne (also nicht das, was sie in meiner Branche darunter verstehen – die meinen damit lediglich ein Heftchen), wenn ich also dieses Buch beginne, möchte ich, wenn es gestattet ist, wenn es gestattet ist (so schreibt Sir Phoebus), dann möchte ich sagen: Lebt wohl denn meine Freunde, meine wunderschönen, lieben Freunde. Und warum das? Lies weiter, lieber Leser, lies weiter und finde es selbst heraus. Hier also bin ich an einem schönen Oktobertag und reite mit Leonie auf der Row2. Nun nimm aber bloß nicht an, dass ich besonders reich wäre. Ich bin lediglich trotzdem hier. Wer das zahlt? Naja, das ist teilweise so: Weißt Du, es gibt günstige Reitpreise auf der Row. Mit billigen Pferden? Nun, nein, auch das eher nicht. Hier also ist mein Pferd. Es ist besser als das Pferd, das ich letztens in Cornwall hatte, das Pferd hieß Kismet. Er hatte einen gesunden Appetit, dieser Kismet. Ohne Unterlass erntete er das Grün. Wie eine Sense bewegte er seinen langen Kopf auf seinem langen, schlangenartigen Nacken. Oh ho Kismet. Er konnte eine Wand schneller von ihrer Pflanzenwelt befreien als irgendein anderes Pferd, das mir je begegnet ist. Er war das riesige Pferd, das das Herzogtum Cornwall verwüstet hat. Das hättest Du sehen sollen, wie sich Kismet auf wachsendes Getreide stürzte. Danach wuchs da im selben Jahr nichts mehr. Nun, Kismet, ich hoffe, dass die Bauern Verständnis hatten, weißt Du? Das Pferd aber, auf dem ich mich gerade befinde, während Leonie neben mir ganz schick und patent aussieht, dieses Pferd ist ein gutes Pferd. Mit zurückgelegten Ohren tänzelt es seitwärts über die Schatten. Es ist ein heißer, sonniger Tag, und es wirkt wirklich nicht, als würde es bald November werden. Es ist ein heißer, sonniger Tag, doch die Erde riecht, als wäre sie mit Frost überzogen, und das Laub zerbricht und zerspringt und wird unter Deiner Nase und vom Mutterboden aufgewirbelt. So ist das im Oktober. Ich blicke zu Leonie, sie hat geschickte Hände, ihre Beinarbeit aber ist nicht sooo wahnsinnig überzeugend. Leonie ist Jüdin, doch schlank, und sie hat einen Sinn für Schick. Sie sieht sehr elegant aus, trägt einen gelben Pullover und beige Reitstiefel und einen beigen Filzhut. Und wen interessiert’s. Letzte Woche war ich auf einer Party bei Leonie. Und ich sah mich um. Ich dachte: Ich bin der einzige Goi3 hier. Es war auch ein Typ von der Zeitung da und ein Musiker und einige oberflächliche Geschäftsmänner. Aber die Juden. Nun, alles, was über die Juden zu sagen ist, ist gesagt worden, also belasse ich es dabei. Dann aber geriet ich auf der Party in einen Augenblick des Hochgefühls. Ich drehte richtig auf. Hurra, ein Goi zu sein! Ein cleverer Goi ist cleverer noch als ein cleverer Jude. Und ich bin ein cleverer Goi, der alles im Himmel und auf Erden kennt. In jenem Augenblick des Hochgefühls, von dem ich Dir erzählte, da spürte ich, die einzige lebendige Person in diesem Raum zu sein, die cleverste Person im Raum, der cleverste lebende Goi überhaupt. Geht es allen Gois unter Juden so? Ja, vielleicht. Und das Gefühl muss man herunterschlucken und sich dafür entschuldigen, derart überlegen und clever zu sein: Ich kann mir nicht helfen, mein Freund, ich bin nun mal ein Goi. Das kommt einfach mit der Geburt. Es ist eine Welt der ungleichen Chancen, im Gegensatz zu B. Franklins Sicht in dieser Sache. Aber vielleicht hat er öffentlich auch einiges heruntergeschluckt und sich dafür entschuldigt, ein Goi zu sein. Und damals gab es ebenfalls Juden. Also schrieb er von Gleichheit und hoffte, dass das reichen würde und hoffte, dass es niemand ernst nehmen würde. Und das tat ja auch niemand. Ach wie schön es im Oktober in London ist. Und wie schön ist es, lebendig zu sein, ein Goi und ein Londoner. Ich habe viele jüdische Freunde. Deshalb fühle ich mich wie ein Janusgesicht. Keiner außer mir weiß, was ich darüber denke. Ich verhalte mich aber, als wüssten sie es, und ich muss es hinunterschlucken und mich entschuldigen und darf nicht so erscheinen, als würde ich mir den glücklichen Unfall einer nordischen Geburt als eigene Leistung anrechnen. Es gibt nichts Hochmütigeres als diese unechte Bescheidenheit, und nichts, was so viele Probleme verursacht hat, und nichts, was auf alle Zeit weiterhin so viele Probleme bereiten wird, so lange es Dinge gibt. Still jetzt, ach still. Hatte ich nicht gesagt, dass alles, was zu sagen wäre, bereits gesagt sei? Der Gedanke, der in mir aufsteigt, während ich auf diesem Pferd reite, das seine Ohren nach hinten legt und über die Schatten tänzelt und voller Hass und Panik auf die weißen Begrenzungspfähle blickt, ist der Gedanke, der alles umfasst, was ich in diesem Buch sagen will, es ist der Gedanke, der in mir wie ein Wurm arbeitet, wie ein Darmwurm, der seine alexandrinische Länge über jene 500 Yard-Linie voller Sorgen und Nöte zieht und schleppt. Als ich ein junges Kind war, habe ich das Buch Mrs. Haliburton’s Troubles4 gelesen. Manchmal glaube ich, dass ich zu viel gelesen habe. Da waren zum einen die Wie-reite-ich-ein-Pferd-Hobby-Bücher. Kaum taucht das Wort Reiten auf, muss ich gleich wieder an Kismet denken. Hobby-Pferd hühott! Das Buch Mrs. Haliburton’s Troubles. Ich kann mich an nichts in dem Buch erinnern, außer dass Mrs. Haliburton – vielleicht schrieb man sie auch mit zwei »l« – jede Menge Schwierigkeiten hatte, die sie standhaft und mit unbewegter Miene ertrug, und dass sie bis zum bitteren Ende lächelte, da Gott endlich dazwischen fuhr und alles wieder in Ordnung brachte. Es gab noch ein weiteres Buch, an das ich mich in bescheidener Dankbarkeit erinnere, auch dieses ein kleines viktorianisches Kunstwerkchen, und der Titel lautet: Lost Sir Massingberd5, was die cleveren Jungs der damaligen Zeit in »Lost Sir Missing-Bird« umtauften. Naja, mach es selbst halt besser. Es geht darin um einen Baronet, der in einer hohlen Eiche auf seinen Ländereien gefangen gerät und dort stirbt. Und wenn Du das Buch liest, siehst Du, wie die Vorsehung alles hübsch fügt, oh ja, und die richtigen Leute auf der richtigen Seite des Unheils versammelt, und die Eiche erwischt schließlich den Missetäter. Die Vorsehung sorgt für dergleichen in den Büchern aus jener Zeit, die ich als Kind in Scaithness, Lincs6 in der Bibliothek meines Großvaters väterlicherseits gelesen habe. Wie sattsam verrottend lehmig-traurig diese viktorianischen Tage gewesen sind, voller Traurigkeit, die nicht wie die heutige die Nerven durcheinanderbringt. Wie ich diese klammen viktorianischen Wirren liebe. Die Wälder rotten, die Wälder rotten und fallen hin, Der Dunst weint seine Bürden in das Land, Der Mensch bestellt das Feld und liegt darin, Und viele Sommer später stirbt der Schwan.7 Ja, immerfort stirbt jemand, weint jemand, abgestimmt auf das Fallen der Lorbeerblätter und das Tropfen des Wasserhahns und das dünne Flackern der Gasflamme im nasskalten Wintergarten. Und die Lorbeeren, vor denen es überall auf dem Weg wimmelte, führten dazu, dass einen menschlichen Fuß das Gefühl beschlich, dass hinter alledem etwas stecken musste. Hinter den Lorbeersträuchern lag die Leiche von Sir Vyuyan Markaby, Baronet. Dann denke ich an die wilden nassen Tage des wilden nassen Lincolnshire des jungen Tennysons. Wie, gab es denn zwei? Ja, aber ich meine jenen, der jünger war als das Schoßtier der alten Queen. Jünger und trauriger. Oh der traurige, süße, übermäßig süße Alfred, so hochmütig, so stolz und so unangenehm. Und wenn ich an all das denke, überkommt mich eine immense Nostalgie nach einem offenen Abfluss, wie jene gefluteten Auffangbecken zwischen den aufgeweichten Feldern. So wie in diesem Bild aus meiner Kindheit. Wir sind im Sommer stets in eine kleine Hütte am Meer verreist, wo es die Bilder und das saubere grobe Leinenbettzeug gab. Und den Gestank der stickigen Landhauszimmer. Dort hing an einer Wand dieses Bild. Es prangte wie der Finger Gottes. In Lincs hing es, wo wir bei Saltfleet unterkamen. In Norfolk, wo wir bei Heacham unterkamen. Und auch in Suffolk, wenn ich meine Counties richtig in Erinnerung habe, wo wir bei Pakefield unterkamen, überall hing dieses Bild. Darauf sieht man eine weite überflutete Grasebene, einen rauschenden schlammgelben, aufschäumenden, regengepeitschten Strom, als wären alle Dämme der Welt auf einmal gerissen; er wirbelt, treibt, stößt sich nach vorn, das Ganze ist kaum noch christlich zu nennen, überhaupt nicht christlich, einfach nur das schiere Element in all seiner Wildheit und unverändert zu der Zeit vorm Jahr des Herrn,...


Stevie Smith (1902–1971), eigentlich Florence Margaret Smith, wuchs in London auf und arbeitete als Privatsekretärin zweier Zeitschriftenverleger. 1936 veröffentlichte sie ihren Debütroman "Novel On Yellow Paper", der ein Erfolg wurde. Es folgten diverse Gedichtbände, die ihr einzigartiges lyrisches Talent offenbaren, und die zwei weiteren Romane "Over the Frontier" und "The Holiday". Sie wurde mit dem "Cholmondeley Award for Poetry" und 1969 mit der "Queen's Gold Medal for Poetry" ausgezeichnet.

Christian Lux, geboren 1978 in Essen, studierte Buchwissenschaft und Literatur, danach Herausgeber, Übersetzer und Verleger. Seit Jahren betätigt er sich als Vermittler anglo-amerikanischer Literatur.



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