Smits | Linkshänder - Geschick und Geschichte einer besonderen Begabung | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Smits Linkshänder - Geschick und Geschichte einer besonderen Begabung


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-641-31137-7
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-641-31137-7
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
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Als Linkshänder hat man es nicht immer leicht, z. B. weil fast alle Geräte für Rechtshänder entworfen sind, vom Kartoffelschäler über Scheren bis zur Handkreissäge. Aber lebt man als Linkshänder tatsächlich so schlecht? Wie ungeschickt sind Linkshänder wirklich und sind sie mehr oder weniger erfolgreich als Rechtshänder? Sind sie gar mit einem erstaunlichen Geschick ausgestattet wie etwa Leonardo da Vinci, Albert Einstein oder Ludwig van Beethoven? Unterhaltsam und spannend beleuchtet Rik Smits die geschichtlichen, kulturellen und psychologischen Aspekte einer außergewöhnlichen Begabung.

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Gegenpole und Widersprüche


Tief im Nebel der Zeit, vor mehr als dreitausend Jahren, muss Griechenland von einem Bauernvolk bewohnt gewesen sein, das Erdgötter verehrte. Zuoberst stand dabei die Erde selbst, die fruchtbare Mutter, aus der alles Leben entspringt. Daher wird vermutet, dass es sich um ein matriarchalisches Volk handelte, in dem eng mit Mutter Erde verbundene Frauen das Sagen hatten. Wie dem auch sei, eines unseligen Tages fielen indoeuropäische Nomaden in Griechenland ein. Dieses kriegerische Volk, das ein ganz anderes Weltbild hatte, brachte mühelos die alteingesessene Bevölkerung unter seine Herrschaft. Die Erde spielte in ihrer Vorstellung nur eine untergeordnete Rolle; die weite Ferne, Reisen, Jagd und Kämpfe waren ihnen weitaus wichtiger. In ihrer Gesellschaft hatten die Männer das Sagen. Wie immer und überall, so war auch bei den Indoeuropäern die Götterwelt ein Abbild ihrer eigenen Welt. Ihre Götter waren vornehmlich Männer, die Kräfte wie Sonne, Licht und Wind personifizierten. Sie saßen nicht in der warmen Finsternis der Erde, sondern hoch oben im Himmel.

Die Eroberer ließen sich dauerhaft nieder und vermischten sich nach und nach mit der einheimischen Bevölkerung. Nach einiger Zeit erinnerten nur noch Geschichten an die so dramatischen Ereignisse von einst, Geschichten, von denen irgendwann niemand mehr sagen konnte, ob sie der Wahrheit entsprachen oder erfunden waren. So verwandelte sich Geschichte mit der Zeit in Mythen. Menschen wurden zu Helden, und Helden nahmen immer stärker göttliche Züge an.

Etwas Ähnliches geschah mit den Götterwelten. Religion ist zäh, und statt zu verschwinden, vermischten sich viele Elemente des alten Erdkults mit denen der neuen indoeuropäischen Götterwelt. In der klassischen Mythologie ist dieser Prozess noch zu erkennen an den wunderlichen und teilweise widersprüchlichen Familienverhältnissen zwischen einigen Göttern und Halbgöttern.

Das Ergebnis ist eine zweipolige Götterwelt, beherrscht von den olympischen Himmelsgöttern unter Führung von Zeus. Darin spielen alte Gottheiten wie Poseidon, der die Erde erbeben lassen kann, die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, was wörtlich übersetzt »Mutter Erde« bedeutet, und der über die Unterwelt herrschende Hades eine wichtige Rolle. Zahlreiche andere Kulte wie die Verehrung der Mondgöttin Kybele erlangten keinen derart herausragenden Platz in der »offiziellen« Religion. Sie nahmen den Charakter von Mysterienkulten an, die man mit Argwohn betrachtete und die ausgerottet werden mussten, auch wenn dies irgendwann niemand mehr recht begründen konnte. In der Folge wurden Dunkelheit, Weiblichkeit, Erde und Fruchtbarkeit wie selbstverständlich mit Heimlichkeit, Bedrohung, Schlechtigkeit und Magie in Verbindung gebracht.

Die aus Asien stammenden Indoeuropäer kamen nicht nur bis Griechenland, sie breiteten sich über ganz Europa und Richtung Westasien bis nach Indien aus, wo sie ihre Normen und Wertvorstellungen durchsetzten. Diese mischten sich wiederum mit Elementen der von ihnen eroberten Kulturen. So entstanden in diesem riesigen Gebiet Mythologien und Religionen, die sich im Grunde stark ähnelten. Ob er nun wie im Griechischen Zeus hieß oder wie im Sanskrit den Namen Dyar Pitar erhielt – dem wir im Lateinischen als Jupiter begegnen – oder Tiu, wie ihn die Germanen nannten –, der höchste Gott ist immer ein Mann. Es ist ein Vater, der hoch im Himmel thronend mit Sonne, Blitz und Donner und anderen Himmelsphänomenen in Verbindung steht. Ihm gegenüber stehen die unterirdischen Kräfte der Dunkelheit. Sie sind meist suspekt und stehen immer an zweiter Stelle, sind gleichwohl nicht unbedeutend.

Die Apostel und Missionare, die später das Christentum nach Europa brachten, hatten ihre Freude daran, denn auch sie hatten schließlich Gott Vater, der im Himmel saß, im Gepäck. Und auch er sendet keine zufälligen Blitze aus. Das Fundament, eine verständliche Symbolik, in der Begriffe wie Mann, Herrscher, gut, Licht und Himmel wie im Christentum eine Einheit bildeten, war für sie schon bereitet. Aus dem irdischen, finsteren Gegenpol konnte sich mühelos das Bild vom Teufel entwickeln. Bis heute lebt die Symbolik in westlichen Kulturen auf verschiedene Art und Weise fort, etwa bei der Babykleidung. Jungen werden blau gekleidet, in der Farbe des Firmaments, Mädchen dagegen rosa, das dem Blut und der Erde verwandt ist.

Als die ersten Denker, die Wissenschaftler des Altertums, die Erscheinungen in ihrer Welt zu deuten versuchten, konnten sie auf keine bestehende Tradition zurückgreifen. Alles musste im wahrsten Sinne des Wortes neu gedacht werden, und das, obwohl ihnen dafür kaum Begriffe zur Verfügung standen. Sie konnten lediglich auf die bestehenden religiösen Symbolsysteme und ihr eigenes, dualistisch geprägtes Denken zurückgreifen, das Vermögen zur Zweiteilung und Polarisierung. Daraus bildeten sich neue Systeme der Gegensätze, aber es wurden auch Zusammenhänge sichtbar, die ihnen zeigten, wie die Welt aufgebaut ist.

Einer der führenden frühen Gelehrten war Pythagoras, der um 530 v. Chr. in Kroton, einer griechischen Kolonie an der Ostküste des italienischen Stiefelabsatzes eine philosophische Schule gründete. Heute ist Crotone ein abgelegenes Provinznest, damals jedoch war es eine vor Kreativität und Erfindungskraft strotzende, hochmoderne Stadt. Sie war so modern und reich, dass man von überall her professionelle Läufer und Ringer engagierte, mit denen die Stadt Mal um Mal bei den Olympischen Spielen Triumphe feierte. Der Sport spielte eine so bedeutende Rolle, dass die Stadt deswegen sogar mit dem Rivalen Sybaris Krieg führte. Pythagoras und seine Schüler stellten unter anderem mathematische Grundsätze auf und formulierten Prinzipien für das, was wir heute Musiklehre nennen würden. Für Pythagoras drehte sich in der Welt alles um Zahlen und zahlenmäßige Verhältnisse zwischen ganzen Zahlen. Saitenlängen korrespondierten mit Tonhöhen und »schöne« Verhältnisse zwischen den Saitenlängen mit dem harmonischen Zusammenspiel von Tönen, die sie erzeugten. Ausgehend von dieser Idee wurde das Wesen weiterer Dinge in Zahlenverhältnisse gebracht. Die Zahl 5 etwa stand für die Ehe; sie war die Verschmelzung der kleinsten geraden und der kleinsten ungeraden Zahl größer als 1. Die Eheschließung verband 3 mit 2, Mann mit Frau und ungerade mit gerade.

Später mussten Pythagoras und die Seinen aus der Stadt Kroton fliehen. Viele Jahre nach seinem Tod wurden auch seine Schüler verfolgt. Dass seine Arbeit tradiert wurde, ist nicht antiken italienischen Sportfans zu verdanken, sondern Leuten wie dem großen griechischen Philosophen Aristoteles. Er übernahm in seiner Metaphysik die von Pythagoras aufgestellte Tafel der Gegensätze. Dort finden sich unter anderem folgende Gegensatzpaare:

gerade

ungerade

weiblich

männlich

dunkel

hell

schlecht

gut

kalt

warm

krumm

gerade

links

rechts

Hieraus lässt sich deutlich die männliche Dominanz ablesen, Pythagoras assoziiert sie mit »gut«. Der weibliche Gegenpol, die Frau, wird mit dem Gegenpol von »gut« assoziiert, wodurch die Verbindung von Weiblichkeit mit Schlechtigkeit endgültig zur Tatsache wird. Licht, Sonne und Himmel sind eng mit den dominanten männlichen Gottheiten in den indoeuropäischen Kulturen verbunden, Finsternis und Erde werden traditionell der weiblichen Seite zugerechnet. Die uralte Verbindung des nächtlichen Mondes mit dem weiblichen Menstruationszyklus und dem Rhythmus des Landbaus erscheint da ganz natürlich.

Nachvollziehbar ist auch, warum »kalt« mit dem Weiblichen assoziiert wird, »Licht« und »Sonne« und damit auch »Wärme« hingegen mit dem Männlichen, sodass der Gegenpol automatisch der Damenseite zugerechnet wird. Etwas schwieriger ist die Zuordnung von »gerade« und »krumm«. Als mögliche Erklärung mag gelten, dass in der Natur mit bloßem Auge kaum eine gerade Linie auszumachen ist. Gerade Linien sind typisch für vom Menschen gefertigte Dinge. Somit war es ein Stück harte Arbeit, Dinge mit geraden Formen zu schaffen, und wenn etwas schiefging, wurde das Werkstück auch noch krumm. Folglich musste etwas, das gerade war, auch gut sein, sonst würde der Mensch sich nicht so viel Mühe damit geben. »Gerade« gehört also in dieselbe Kategorie wie »gut«, also auf die männliche Seite, während »krumm« der weiblichen Gruppe zugerechnet wird.

Schon in diesem frühen Symbolsystem steht »rechts« in derselben Gruppe wie »gut«. Lange ging man davon aus, dass dies der Sonnenverehrung geschuldet sei. Viele frühere Völker orientierten sich nach Osten, wo die Sonne aufgeht. In der arabischen Welt ist das noch heute so. Wenn der Osten oben auf der Landkarte liegt, dann ist Süden, dort, wo die Sonne Wärme und Leben spendet, auf der rechten Seite. Folglich könnte diese Seite zur guten Seite geworden sein und wurde mit Licht, Wärme, Leben, göttlichem Beistand und vielem mehr assoziiert. Die Polarisierung sorgte für den Rest.

Doch diese Erklärung kann nicht stimmen, da auf der südlichen Erdhalbkugel die Sonne ebenfalls von Osten nach Westen wandert, doch statt durch den Süden führt ihr Weg durch den Norden. Auf der Südhalbkugel müsste demnach links als die gute Seite gelten, doch davon kann keine Rede sein. Links und rechts werden dort genau wie bei uns...


van der Avoort, Birgit
Birgit van der Avoort studierte in Münster Neuere Geschichte, Anglistik und Pädagogik (M.A.). Nach Stationen in verschiedenen Verlagen arbeitet sie seit 1996 als freie Lektorin und Übersetzerin für Englisch und Niederländisch. Wenn sie mal nicht am Schreibtisch sitzt, werkelt sie am liebsten im Garten, radelt durch das Münsterland oder ist unterwegs in ihrer zweiten Heimat Cornwall.



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