Smyth Spielarten der Rache
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-927734-87-6
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 38, 272 Seiten
Reihe: Pulp Master
ISBN: 978-3-927734-87-6
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Irland Ende der 50er. Eine Frau bringt Zwillinge zur Welt, doch Armut zwingt sie, die beiden Jungen in ein katholisches Waisenhaus zu geben. Ein Zwilling stirbt an den Folgen von Misshandlungen durch christliche Klosterbrüder, der andere, Red Dock, überlebt und taucht ab in die kriminelle Welt Dublins. Red Docks machiavellistischer Feldzug beginnt mit der Entführung eines Babys. Es ist das Kind des Polizisten, der die Brüder einst ins Waisenhaus brachte. Der gekidnappten Lucille droht nun das gleiche grausame Schicksal. Doch Red Dock ist mit seiner heimtückischen Attacke gegen eine Welt, die ihn und seinen Bruder verstieß, noch längst nicht am Ende.
In SPIELARTEN DER RACHE betritt Seamus Smyth dunkle Labyrinthe voller zerstörter Seelen, deren Amoralität und Besessenheit in den Versagungen und Misshandlungen der frühen Kindheit zu suchen sind, im Umfeld einer sakrosankten Kirche, deren Praktiken niemand zu hinterfragen hatte.
Seamus Smyth wurde 1952 in Belfast als Kind der Falls Road geboren, eines der Hauptschauplätze des nordirischen Bürgerkriegs. Im Alter von fünfzehn machte er sich nach London auf, wo er sich rumtrieb und unter Autobahnbrücken schlief. Er schlug sich als Pferdezüchter, Restaurator und Sattelmacher durch, bevor er sein eigentliches Ziel - das Schreiben - in Angriff nahm. Sein erster Roman QUINN sorgte bereits für genug Furore, um Übersetzungen ins Französische und Japanische folgen zu lassen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Seamus Smyth Spielarten der Rache »You’re a ghost but I don’t care!« Kitty Ricketts, The Radiators from Space, Irland 1979 Ein Vorwort von Frank Nowatzki Als Seamus Smyth 1995 eine Fernsehdokumentation mit dem Titel States of Fear sah, die einen Missbrauchsskandal ungeheuren Ausmaßes aufdeckte, kam ihm wie vielen anderen Iren die Galle hoch. Im Mittelpunkt die katholische Kirche und 200 von ihr geleitete Einrichtungen wie Waisenhäuser, Erziehungsheime und Arbeitsschulen. Über Dekaden hinweg wurden dort Tausende Kinder ausgebeutet, misshandelt und sexuell missbraucht. Straftaten, begangen mit System, in Anstalten, geführt von der katholischen Kirche und finanziert mit irischem Steuergeld. Bei den Opfern handelte es sich um Waisen, um außerehelich geborene Kinder und Kinder, die durch strafbare Handlungen oder anderweitig auffällig geworden waren. Sie waren im Durchschnitt acht Jahre alt und beiderlei Geschlechts, wurden als Kindersklaven an Bauern ausgeliehen oder waren in katholischen Betrieben mit der Herstellung von Kruzifixen und anderen Devotionalien befasst, die im Anschluss in alle Welt exportiert wurden. Standen im Falle der Jungen der Orden der Christian Brothers und die beiden größten von ihnen geführten industrial schools in Dublin und Donegal im Zentrum der Vorwürfe, so war es bei den Mädchen der katholische Frauenorden der Sisters of Mercy, der Schwestern der Barmherzigkeit. Während der sexuelle Missbrauch bei den Christian Brothers eine wesentliche Komponente im Missbrauchssystem darstellte, machten sich die Schwestern der Barmherzigkeit »nur« des körperlichen Missbrauchs schuldig, der Demütigung und Schikane. Doch die katholische Kirche stand nicht allein am Pranger, sondern mit ihr der irische Staat. Die enge Verflechtung von Kirche und Staat machte es möglich, dass die ungeheuerlichen Geschehnisse jahrzehntelang vertuscht werden konnten. Nicht nur dass kooperationswillige Gerichte die Betroffenen einwiesen, nein, der Staat zahlte für jede Einweisung eine Art Kopfgeldprämie an die entsprechende Einrichtung. Wandten sich die Opfer an Polizei und Behörden, fanden sie in Anbetracht einer als sakrosankt empfundenen Kirche kein Gehör und wurden zurück in die Institution verbracht. Die Doku States of Fear, die nicht nur Seamus Smyth vom Glauben abfallen ließ, erzeugte ein Echo, das die Einsetzung einer Kommission erzwang. Bemerkenswert, dass die Kommission im Zuge ihrer Recherchen im Archiv des Vatikans fündig wurde, was Beweise zu den Vorgängen in Irland betraf. 1999, noch bevor die Kommission im Jahre 2000 ihre Arbeit aufnahm, entschuldigte sich der damalige irische Premier Bertie Ahern im Namen des irischen Staates bei den Opfern. Wesentlich wichtiger jedoch als die Ergebnisse besagter Kommission, deren Abschlussbericht in Abwesenheit der nicht zugelassenen Opfer verlesen wurde, ist nach Ansicht der ebenfalls betroffenen irischen Sängerin Sinhéad O’Connor der 2009er Bericht der Untersuchungskommission um Richterin Yvonne Murphy. Die Opfer selbst hätten zu viele Versprechungen von den Geistlichen gehört, die am Ende doch nicht eingehalten worden seien, sagte O’Connor 2010 dem Spiegel. Auch schnelle Rücktritte seien letzten Endes immer wieder nur »eine Flucht aus der Verantwortung gewesen.« Das Leid der Opfer sei zu groß, um es mit Worten wiedergutzumachen. Der Murphy-Report brachte es auf den Punkt: »Die staatlichen Autoritäten sind nicht ihrer Verantwortung nachgekommen, dafür zu sorgen, dass das Gesetz auf alle Menschen gleichermaßen angewandt wird, und haben den kirchlichen Einrichtungen gestattet, außerhalb der Rechtsprozesse zu stehen. Dadurch leisteten sie der Verheimlichung Vorschub.« Seamus Smyth begann, das brisante Thema literarisch aufzuarbeiten, denn eines machte ihn besonders wütend: Jeder Ire hatte geahnt, was da vor sich gegangen war, doch als die Sache aufflog, wollte niemand etwas davon gewusst haben. Er stellte sich die Frage, ob ein Kleinkind, das von einem korrupten System in einen derartigen Höllenschlund entsendet und jahrelang missbraucht und misshandelt wird, eine dissoziale Persönlichkeitsstörung entwickeln kann, die ein rachsüchtiges Verhalten befördert, wie es sein Protagonist und Antiheld Red Dock im vorliegenden Roman an den Tag legt. Als Red Dock volljährig aus dem Waisenhaus entlassen wird, taucht er in die Unterwelt Dublins ab, wo er sich bequem einrichtet und als Machiavellist das geeignete kriminelle Umfeld findet, um rational und kalkulierend seinen seit Langem angelegten Rachefeldzug anzutreten. Wie er die Strukturen des Geflechts von Staat und Kirche analysiert, die ihn und seinen Bruder zum Opfer machten, wie er sie zweckentfremdet und als Waffe einsetzt, kann man durchaus als subtile Anarchie bezeichnen. Manche Szenen, die abrupte Gewalt und der Wechsel der Perspektiven erinnern an das britische Noir-Schwergewicht Ted Lewis (Schwere Körperverletzung). Und wenn dann noch ein Serienkiller namens Picasso das Parkett betritt, der dem sadomasochistischen, an AIDS erkrankten Axtmörder Tony Spavento aus Ich war Dora Suarez Konkurrenz machen könnte – einer Figur, die wir Derek Raymond zu verdanken haben, einem weiteren Meister des Noir –, befürchtet man einen Overkill. Zumal Seamus Smyth damit gleich mehrfach gegen die No-Go-Liste im Blog des ebenfalls aus Belfast stammenden Autors Adrian McKinty (Die Sirenen von Belfast) verstößt, der hierzulande immerhin schon bei Suhrkamp Fuß gefasst hat. Doch dass auch Seamus Smyth dem Serienkiller-Wahn nichts abgewinnen kann und dem ganzen Sub-Genre mit makaber-ironischer Attitüde begegnet, merkt man spätestens dann, wenn Red Dock selbst den gefürchteten Serienkiller Picasso, der einem Geist gleich auftaucht und sein Unwesen treibt, für seine Zwecke einsetzt und wie einen Hund an die Leine legt. Gemessen an der Bösartigkeit und Gewaltbereitschaft dieser Charaktere kann man nur staunen, dass Seamus Smyth Charles Dickens’ Ebenezer Scrooge als seinen literarischen Lieblingsbösewicht bezeichnet, auch wenn er noch entschuldigend hinzufügt: »Bevor die drei Geister einen Trottel aus ihm machten.« Der hierzulande vermutlich bekanntere Ken Bruen (Kaliber bei Polar, Jack Taylor bei Atrium) feierte 2007 das Krimidebüt von Seamus Smyth, Quinn, und stellte es auf eine Stufe mit George V. Higgins’Die Freunde von Eddie Coyle. Er zollte ihm Respekt für seine traumhafte Schreibe und seinen originellen düsteren irischen Stil. Auch hier arbeitet sich ein Antiheld – Gerd Quinn – an den Schwachstellen des irischen Rechtssystems ab und präpariert im Vorfeld der Tat die Tatorte, sodass am Ende anstelle von Mord und Totschlag nur drei Unfälle und ein Selbstmord auf dem Tisch des überforderten Staatsanwalts liegen. Declan Burke (Absolute Zero Cool) kam hierzulande inzwischen bei Nautilus unter und berichtet auf seinem Blog regelmäßig über die irische Szene. Auch er outete sich als Smyth-Fan und wunderte sich, warum der »only big in Japan« sei. Spielarten der Rache schaffte es nämlich, in Japan zum zweitbesten Krimi des Jahres gewählt zu werden; dort erschien, genauso wie später in Frankreich, auch der dritte Smyth-Roman The Mole’s Cage. Er handelt von dem 17-jährigen Michael Hill, der an der nordirischen Grenze als potentielles IRA-Mitglied verhaftet und ohne Anklage westlich von Belfast auf einem ehemaligen Flughafengelände in Long Kesh mit Tausenden anderer Männer interniert wird. Die einzige Fluchtmöglichkeit bieten eigenhändig gegrabene Tunnel, doch die inhaftierten IRA-Mitglieder kontrollierten die Fluchtwege und bevorzugten ihre »echten« Mitglieder. Ein autobiografisch angehauchtes Catch-22-Dilemma. Dass Seamus Smyth trotz seines Erfolgs in Japan und Frankreich (beide Länder sind ja für ihren skurrilen Geschmack bekannt) in seinem Heimatland keinen Verlag fand, verwundet nicht angesichts der heiklen Themen, die er aufgreift. Nach eigenem Bekunden mag Smyth die Krimischreiberei nur als Vehikel, um am Ende anderen Aspekten zum Durchbruch zu verhelfen. Ken Bruen warnte ihn, das Krimibusiness sei kein Zuckerschlecken und als Krimiautor finde man sich ganz unten auf dem literarischen Barometer wieder; und als irischer Krimiautor könne man sich eigentlich gleich erschießen. Als zu allem Überfluss herauskam – oder gezielt verbreitet wurde –, dass der ebenfalls vor sich hin dümpelnde Krimischreiber Robert Galbraith (Der Ruf des Kuckucks) ein Pseudonym der erfolgreichen Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling war, passierten zwei Dinge: Aus dem tot geglaubten kriminellen Kuckucksei entwickelte sich ein prächtiger Phönix mit beeindruckendem Verkaufsrang. Und Autoren wie Seamus Smyth kamen abermals zu der Erkenntnis, dass die Qualität eines erfolgreichen Buches in Anbetracht dieser Marketingmöglichkeiten ziemlich irrelevant sei. »Wenn du Geld verlieren willst«, sagte er letztes Jahr zu mir, »investiere in Krimis oder züchte Pferde.« Unbekannte Autoren müssten erst aufgebaut werden, gute Übersetzungen kosteten Zeit, erwiderte...