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Soboczynski | Fabelhafte Eigenschaften | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 206 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 212 mm

Soboczynski Fabelhafte Eigenschaften

Roman
2. Auflage 2015
ISBN: 978-3-608-10812-5
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 206 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 212 mm

ISBN: 978-3-608-10812-5
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der berühmte Künstler Hans Weinling malt ausschließlich Tiere am Strand. Bei einer Vernissage trifft er auf die erste große Liebe seines Lebens: Julia, die seinetwegen ihre morsche Beziehung mit dem Architekten Sebastian beendet. Eine klassische Dreiecksgeschichte steht im Zentrum von Adam Soboczynskis erstem Roman. Hans, Julia, Sebastian und all die anderen Personen, die mit ihnen verbunden sind, versuchen sich selbst zu verwirklichen und tragen die Last ihrer Freiheit. Mit sprachlicher Eleganz und subtilem Humor wird vermessen, wo die Grenzen zwischen Liebe und Verachtung, Kunst und Leben, Pose und Authentizität verlaufen. Eine hochaktuelle Comédie humaine, die gnadenlos auf eine raffinierte Pointe zusteuert.

Adam Soboczynski, geboren 1975 im polnischen Toru?, lebt in Berlin und Hamburg und leitet das Ressort Literatur im Feuilleton der ZEIT. Er schrieb mehrere erzählerische Sachbücher, darunter »Die schonende Abwehr verliebter Frauen«. Seine Werke wurden ins Spanische, Französische, Polnische, Italienische und Niederländische übersetzt. 2015 erschien sein Roman »Fabelhafte Eigenschaften« bei Klett-Cotta.
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Hans Weinling hatte früh begriffen, dass man alles Außerordentliche mit Selbstverständlichkeit vollbringen muss. Der Parvenü trinkt den guten Wein mit lauten Bekundungen über seine Schmackhaftigkeit, weltläufige Menschen nehmen ihn mit alltäglicher Routine zu sich und machen überhaupt wenig Aufhebens um Großartiges. Hans Weinlings Vater, aufgrund eines Erbes von erheblichem Reichtum, hatte es ihm vorgemacht. War ein Essen von Freunden oder Verwandten in einem Restaurant zu begleichen, verabschiedete er sich zumeist vorzeitig, beglich die Rechnung stillschweigend, und niemand kam je auf seine spendablen wie diskreten Gesten zu sprechen. Das hatte sich dem Sohn eingeprägt, und als schließlich ihm das Erbe zugefallen war, zog er zum Studium in die Hauptstadt, wo ihn kaum jemand kannte, vor allem kaum jemand, der von seinen Immobilien in München und seinen Aktien amerikanischer Telekommunikationsunternehmen wusste.

Hans Weinling war Künstler, und die Tatsache, dass er einer war, beschämte ihn ab und an – zu viel Geschwafel rankte sich um die Malerei, zu viel herausgestellte Euphorie, zu viel nervöse Geschäftemacherei. Und Hans Weinling wusste, dass es zu seiner Rolle unbedingt dazugehörte, wenn schon nicht einen runtergerocktärmlichen, so doch einen wohlgesetzt verwilderten Eindruck im Kunstmilieu zu kultivieren. Die ehemalige Fabriketage, in der er arbeitete und wohnte, zeichnete sich durch Geräumigkeit, nicht aber durch überambitionierte Sauberkeit oder durch einen allzu kreativen Gestaltungswillen aus. Die Unordnung – zwei Pinsel in einer Ecke des von Farbklecksen hier und da beschmutzten Bodens, unvollendet gebliebene Bilder an den Wänden, Kunstzeitschriften in großen, umsturzgefährdeten Stapeln – wirkte nur auf übersensible Beobachter ein klein wenig aufgesetzt. Den meisten, die ihn besuchten, schien sie der Versunkenheit beim Malen geschuldet.

Ihm war bewusst, dass es von Vorteil für einen Künstler war, wenn er gut aussah. Hans Weinling war sich bewusst, dass er jetzt, mit 38, sogar sehr gut aussah, eigentlich besser als in jüngeren Jahren (dunkelhaarig, großgewachsen, von sehniger, doch nicht schlaksiger Schlankheit, interessante Geheimratsecken, vielleicht etwas zu tief liegende Augen, aber das gehörte dazu, denn nur die leicht gebrochene Perfektion wird als anziehend empfunden). Seine Schönheit half, weil die Kunstmagazine seit einiger Zeit stark auf Personalisierung, auf Porträts und Homestorys setzten. Ein großformatiges Bild, das einen Ochsen am Strand zeigte, hatte ihn in der Kunstwelt halbwegs bekannt gemacht, und auch der etwas kuriose Umstand, dass Hans Weinling ausschließlich Tiere am Strand malte – mal kleinformatige Serien über ein bestimmtes Tier, etwa die Eichhörnchen, die im Sand in unterschiedlichen Konstellationen herumsaßen, dann wieder Großformatiges wie das Gemälde mit Hasen, die vor dunklen Gewitterwolken und stürmischem Wellengang heiter umherhopsten.

Manche Journalisten und Kunsthistoriker verwiesen etwa auf Hieronymus Bosch, andere auf den »Mönch am Meer« von Caspar David Friedrich, den Hans Weinling in seinen Bildern ironisiere, wieder andere sprachen von einer kühnen Wiederbelebung des Surrealismus. Eine hektische Journalistin hatte ihn eines Tages mit einem Fotografen in seinem Atelier aufgesucht, um eine Art Homestory zu schreiben. Hans Weinling hatte erstmals ausführlich über seine Tierbilder Auskunft gegeben, aber alle Fragen, die ins Private reichten, unbeantwortet gelassen, was, zu seinem Erstaunen, im Artikel als feine Sensibilität, als düstere Vornehmheit ausgelegt wurde. Er sei, hieß es diesmal, der Maler eines neuen Realismus, der mit allen postmodernen Lügen aufräume, mit den Trugbildern unserer Zeit. In der weinlingschen Verweigerung, den Menschen abzubilden, verwandle sich dieser zum reinen Betrachter und werde auf sich selbst zurückgeworfen. Der mehrseitige Artikel, der das Pathos nicht scheute, war abwechselnd mit seinen Bildern und Fotografien illustriert, auf denen der Künstler mit einem schwarzen, etwas unzeitgemäßen Rollkragenpullover posierte. Und bald schon erschienen auch zwei polemische Artikel, die ihn als überschätzt brandmarkten, und von diesem Zeitpunkt an wusste Hans Weinling, dass sich eine zaghafte Berühmtheit, ihn und sein Werk betreffend, entwickelt hatte.

Geld in Übermaßen macht traurig. Das hatte Hans Weinling schon als Kind bei seinem Vater registriert und später eine kleine Privattheorie dazu entwickelt: Sobald Alltagsprobleme wegfallen und die Welt nichts ist als ein Meer von Möglichkeiten, ist jeder Schritt von vornherein entwertet. Sein Vater konnte schlechterdings nicht klagen, seine Tätigkeit als Notar langweilte ihn zwar, jedoch hätte er jederzeit aufhören können. Aber gerade weil die Möglichkeiten so vielfältig waren, schien ihm jeder Ausweg, der ihn aus seiner Schwermut hätte befreien können, unendlich mühsam. Keine Geldprobleme zu haben, führte bei seinem Vater dazu, nur noch grundlegende Probleme zu haben: das Problem, dass man nur so kurz auf der Welt ist oder dass man altert, was er als obszön empfand und es auch sagte. Seine zu früh verstorbene Frau hatte derlei als Luxussorgen empfunden, was ihn noch verschlossener machte, als er es ohnehin schon war.

Sein Sohn hatte es sich in seinem Leben zur Aufgabe gemacht, das Schicksal seines Vaters nicht zu teilen. Gewiss, alles sei Pose und Schein, alles Dekadenz und letztlich belanglos, seine Malerei dürfe es nicht werden, sonst würde die Trauer seines Vaters in vollem Umfang auf ihn übergehen. Auch Hans empfand seine finanzielle Sorglosigkeit als Last, aber er durfte nicht den Fehler begehen, jeden Lebensentwurf als fahle, als beliebige Konstruktion aufzufassen.

Es gibt bessere und schlechtere Lebenslügen, und besser ist es, überhaupt eine zu haben als gar keine, sagte sich Hans Weinling. Er betrieb daher seine Kunst mit dem finstersten Ernst. Alles durfte ironisiert werden, nur sie, die Kunst, nicht.

Auf der Akademie hatte er sich für die Anatomie des menschlichen Körpers nicht interessiert. Die Aktzeichnerei, die gelehrt wurde, stieß ihn aus Gründen, die ihm unklar waren, ab. Stattdessen streifte er auf der Suche nach Motiven oft durch den abgelegenen und wenig frequentierten Tierpark im Osten der Stadt und stand eines Tages vor einem Geländer, hinter dem schmutzige chinesische Maskenschweine, die ihres faltigen Kopfes wegen so heißen, in tiefem Schlaf nebeneinandergepresst herumlagen und laut schnarchten. Sie rührten ihn wegen der Enge, in die sie sich freiwillig begeben hatten. Er fotografierte sie und übertrug sie später vom Foto auf eine große Leinwand. Hans Weinling wusste nicht mehr, wie er eigentlich auf die Idee gekommen war, aber er plazierte sie vor einem ungewohnten Hintergrund, vor einem traurigen Sparkassengebäude aus den 70er-Jahren in Duisburg – die Vorlage hatte er im Internet gefunden. Später missfiel ihm das Bild, allem Zuspruch zum Trotz, da es allzu leichtfertig zu einer sozialkritischen Interpretation einlud.

Seine Abschlussarbeit bestand aus einer Serie von Affenhänden in Öl auf Leinwand, die er »Verwandtschaft« nannte und die bei den Professoren auf große Resonanz gestoßen war, aus im weitesten Sinne politischen Gründen (das Tier als naher, diskriminierter Verwandter des Menschen, als erniedrigtes Geschöpf, das verspeist oder medizinischen Versuchen ausgesetzt wird und so weiter; zu Hans Weinlings Verwunderung hatte niemand der Experten erkannt, dass die Fingerzeige der Affen auf eines der berühmtesten Fresken der Welt verwiesen – egal). Jahre später malte er ausschließlich Tiere am Strand und zerstörte alle seine vorherigen Werke. Hans Weinling duldete fortan nichts weiter als das eine, ihm ideal scheinende Arrangement.

Seit er ein klein wenig berühmt war genoss er es, im Mittelpunkt zu stehen. Auf Vernissagen seiner eigenen Werke, aber auch auf denen befreundeter Künstler stand er zwar vorzugsweise, zumeist tief im Gespräch versunken, in wohlkalkuliertem Abseits, doch nahm er mit einiger Genugtuung zur Kenntnis, dass er bei solchen Anlässen so gut wie immer das heimliche Zentrum bildete. Er spürte die kurzen, scheinbar beiläufigen Blicke, die auf ihn fielen. Auch die von Frauen. Es behagte ihm nur nicht die kalte Erkenntnis, dass die verstohlenen Blicke erst deutlich zahlreicher geworden waren, seitdem er als eine vielversprechende Hoffnung der deutschen Malerei gehandelt wurde.

Hans Weinling hatte nichts gegen Frauen. Seine Tante Eva, eine Kunsthistorikerin, die in Augsburg in einem kurios verbauten Haus wohnte und von der er sich nicht nur oft hatte inspirieren lassen, sondern die ihm schon in frühen Jahren zur Ersatzmutter geworden war, vermutete, er interessiere sich nicht für das weibliche Geschlecht, da er ihr noch nie eine Freundin präsentiert hatte. Aber das stimmte nicht. Hans Weinling hatte lediglich die ungute Eigenart, bereits nach zwei, drei Restaurantbesuchen und den sich anschließenden Nächten den recht genauen Ablauf einer sich anbahnenden Beziehung vorauszusehen: zuerst die hektische Anziehung, das stürmische Entkleiden, das lustige Durcheinander. Dann der Zweifel, ob man denn wirklich zueinanderpasst. Die Phase nochmaliger, diesmal bemühter Anziehung, um den Zweifel zu zerstreuen. Schließlich die Marotten, die man bald nicht mehr als faszinierende Kuriosa, sondern als Ärgernisse am anderen empfindet. Der Sex, der zur Routine, dann zur Pflicht wird. Am Ende das Fremdgehen, das Türenknallen, die Heulerei. Vielleicht, sagte er sich, war er einfach noch nicht an die Richtige geraten, mit der er genau diesen Ablauf, den er sich als zwangsläufig dachte, zelebrieren wollte. Hans Weinling fragte sich ab und an, ob es ein boshafter Zug...


Soboczynski, Adam
Adam Soboczynski, geboren 1975 im polnischen Torun, lebt in Berlin und Hamburg und leitet das Ressort Literatur im Feuilleton der ZEIT. Er schrieb mehrere erzählerische Sachbücher, darunter 'Die schonende Abwehr verliebter Frauen'. Seine Werke wurden ins Spanische, Französische, Polnische, Italienische und Niederländische übersetzt. 2015 erschien sein Roman 'Fabelhafte Eigenschaften' bei Klett-Cotta.

Adam Soboczynski, geboren 1975 im polnischen Torun, lebt in Berlin und Hamburg und leitet das Ressort Literatur im Feuilleton der ZEIT. Er schrieb mehrere erzählerische Sachbücher, darunter 'Die schonende Abwehr verliebter Frauen'. Seine Werke wurden ins Spanische, Französische, Polnische, Italienische und Niederländische übersetzt. 2015 erschien sein Roman 'Fabelhafte Eigenschaften' bei Klett-Cotta.

Adam Soboczynski, geboren 1975 im polnischen Torun, lebt in Berlin und Hamburg und leitet das Ressort Literatur im Feuilleton der ZEIT. Er schrieb mehrere erzählerische Sachbücher, darunter »Die schonende Abwehr verliebter Frauen«. Seine Werke wurden ins Spanische, Französische, Polnische, Italienische und Niederländische übersetzt. 2015 erschien sein Roman »Fabelhafte Eigenschaften« bei Klett-Cotta.



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