E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Sohr / Wilms Lebe anders!
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7495-0454-1
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Life Coaching mit Achtsamkeit und Positiver Psychologie
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-7495-0454-1
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ansätze für ein erfülltes, achtsames und positives Leben Angesichts größer werdender Belastungen und von immer mehr Stress fragen sich viele Menschen, ob es Alternativen gibt. Wie könnte man anders leben? Wie könnte ein erfülltes, achtsames und positives Leben aussehen? Faszinierend einfache und reichhaltige Antworten geben die Achtsamkeitslehre und die jungen Disziplinen des Life Coachings und der Positiven Psychologie. Diese Ansätze werden in diesem Buch mit ihren aktuellen Ergebnissen kompakt vorgestellt und miteinander vernetzt. Indrani Alina Wilms und Sven Sohr laden mit kritischen Selbstreflexionen, inspirierenden Dialogen und über 60 Fallbeispielen aus der Life-Coaching-Praxis dazu ein, diese wertvollen Erkenntnisse umzusetzen. Denn: Ganz anders könnten wir leben.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologische Disziplinen Coaching, Training, Supervision
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologische Theorie, Psychoanalyse Positive Psychologie, Glücksforschung
Weitere Infos & Material
2. Achtsamkeit
In diesem Kapitel erfährst du, wie du Achtsamkeit leben kannst, jeden Tag und überall, ganz gleich, woher du kommst, ganz gleich, ob du religiös, spirituell orientiert oder agnostisch bist. Nach einer kurzen Einführung in die philosophischen und praktischen Grundlagen von Achtsamkeit in den ersten beiden Unterkapiteln tauchen wir in verschiedene Lebensbereiche menschlichen Seins ein, um zu ergründen, wie Achtsamkeit das Erleben des Einzelnen und der Gesellschaft verändern kann. Wie in Kapitel 1 und 3 dieses Buchs bist du am Ende eines jeden Unterthemas eingeladen, selbst zu reflektieren und damit einen ersten Schritt zu gehen, um anders zu leben. Abgesehen von reichhaltigen Versen und Spruchzitaten wird in diesem Kapitel unseres Lebensratgebers komplett auf zusätzliche Expertenstimmen verzichtet. Dieser Entschluss ist das Ergebnis einer emotionalisierten Debatte darüber, welche Koryphäen und Autoren aus wissenschaftlicher, berufspolitischer und moralischer Sicht vorwiegend zitiert werden sollten. Da nicht alle benannt werden können, die zum Thema Achtsamkeit etwas zu sagen haben, würde eine Inklusion erfordern, aus der Fülle von Veröffentlichungen über Achtsamkeit einzelne hervorzuheben und andere zu unterschlagen. Und deshalb wird im Kapitel Achtsamkeit ganz darauf verzichtet. Ferner gibt es wie in der Positiven Psychologie auch in der Achtsamkeitspsychologie Statements, die mit „großen“ Namen der aktuellen Achtsamkeits-Community assoziiert werden. Jedoch können wir nicht wissen, ob diese Erkenntnisse originär von ihnen stammen. Vielleicht wurden sie bereits vor hunderten oder tausenden von Jahren von buddhistischen Urhebern formuliert, die keine Copyrightverletzung einklagten, weil für sie in ihrer digital entfernten und zurückgezogenen Lebensrealität nicht vorhersehbar war, wie ihr Wissen später westlich vermarktet würde. Selbst mit dem entsprechenden Wissen hätten sie eine Reaktion oder gar Klage unterlassen, denn auf Materialismus und geistiges Eigentum zu pochen waren für sie Ausgeburten geistiger Unfreiheit und Ego-Knechtschaft. Ihre Weisheit stellten sie der Menschheit kostenlos zur Verfügung und ohne einen Gegenwert zu erwarten. Achtsamkeit ist was nicht? Achtsamkeit ist was? Achtsamkeit ist.
Achtsamkeit ist im Rahmen der aktuellen New-Age-Bewegung zu einem inflationär gebrauchten Modebegriff geworden, der in die mediale Welt und fast alle Sparten menschlichen Lebens triumphalen Einzug gehalten und so manchen Autor oder Achtsamkeits-Coach zum Multimillionär gemacht hat. Unter seriösen Wissenschaftlern wird Achtsamkeit oft als die dritte Welle der Psychologie bezeichnet, eine Revolution, entstanden durch die Zusammenführung kognitiver (gedanklicher) Konzepte, die maßgeblich der Feder westlich sozialisierter Psychologen entstammen, mit buddhistisch-philosophischen Weisheiten und meditativen Zugängen zu klareren Bewusstseinsebenen. Bei genauerer Betrachtung der zahlreichen Angebote auf dem westlichen Selbsterfahrungsmarkt offenbart sich schnell, dass eine Mehrheit der Anbieter und User von Achtsamkeit gar kein tiefer gehendes Verständnis der Lehre hat, die sie praktiziert. Oft wird in die achtsamkeitsbegleitenden Meditationen in regelmäßigen Abständen ein „Om“ im abgehackten Staccato-Stil eingebunden, das als unendlicher Urlaut im Legato lang gezogen auszusprechen ist. Es kommt regelmäßig zu Verquickungen von Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, wobei Achtsamkeit viel mehr ist als bloße Aufmerksamkeit. Positive Psychologie und Achtsamkeit werden undifferenziert als Analogien verwendet, dabei gibt es, trotz einer engen Verwandtschaft der beiden Disziplinen, auch trennscharfe Unterschiede. Die überwiegende Zahl der „Schicki-Micki-Achtsamkeitsfollower“ legt keinen Wert auf ein tiefer gehendes Verständnis der uralten vedischen Lehren, in denen Achtsamkeit wurzelt. Es genügt ihnen, modebewusst dem Schein zu folgen und eine Stunde pro Woche oder im Rahmen eines Kuraufenthaltes den oft falsch ausgesprochenen Anweisungen eines im Wochenendverfahren „qualifizierten“ Achtsamkeitstrainers zu folgen. Ist die Übungseinheit beendet, wird sekundenschnell und ohne es überhaupt zu bemerken, zurück auf Alltag, zurück auf Autopilot geschaltet. Dabei ist ein übergeordnetes Ziel der Achtsamkeit, zwischen Sein und Schein zu unterscheiden und auch im Alltag authentische Momente der Achtsamkeit zu praktizieren und ihre philosophischen Prinzipien zu verstehen. Vielleicht fragst du dich, weshalb dir per Ausschlussprinzip erklärt wird, was Achtsamkeit nicht ist, und du denkst, es sei doch besser zu definieren, was Achtsamkeit ist. Die simpelste und zugleich treffsicherste Antwort ist: Achtsamkeit ist. In diesem Minimalsatz aus Subjekt und Prädikat ist die gesamte Essenz von Achtsamkeit enthalten. Selbstverständlich kannst du hiervon zahlreiche Erweiterungsvarianten ableiten, beispielsweise durch die Ergänzung eines mit einem Adjektiv beschriebenen Objekts: Achtsamkeit ist pures SEIN. Solltest du dich zukünftig für die Teilnahme an einem Achtsamkeitstraining entscheiden und es wird eingangs gefragt, wer von euch sich bereits mit Achtsamkeit beschäftigt hat oder gar weiß, was Achtsamkeit ist, kannst du nun antworten: „Achtsamkeit ist.“ Oder: „Achtsamkeit ist Sein.“ Hast du einen wissenden Trainer oder eine wissende Trainerin erwischt, wird deine Antwort gewertschätzt und verstanden werden. Andernfalls frage dich, ob du dich von einem Menschen trainieren lassen möchtest, dem bereits das Urverständnis von Achtsamkeit fehlt. Wirst du positiv überrascht, würdest du dich als fortgeschrittener Praktiker der Achtsamkeit freuen, jedoch ohne dem damit verbundenen Stolz „Ich habe es gewusst und mich in der Gruppe als besonders clever gezeigt“ nachzuhängen. Dieses uns Menschen oft immanente Streben würdest du als Köder des Egos identifizieren und es wie ein kluger Fisch umschwimmen. In der englischen Sprache, mit ihren sonst so begrenzten grammatikalischen Differenzierungsmöglichkeiten, hilft die im Deutschen unübliche Continuous- bzw. Verlaufsform, um die Essenz von Achtsamkeit noch passgenauer auszudrücken: Mindfulness is being. Im Gegensatz zu „sein“ oder „to be“ zeigt die „Ing-Form“ noch deutlicher an, dass Achtsamkeit im aktuellen, einmaligen Augenblick des Hier und Jetzt stattfindet – voll seiend ist –, indem unser Bewusstsein (Mind) komplett ausgefüllt (full) ist von dem, was wir mit unseren fünf Sinnen, dem Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten, wahrnehmen können. 2.1 Mit allen Sinnen im Hier und Jetzt leben
„Es gibt nur zwei Tage in deinem Leben, an denen du nichts ändern kannst.
Der eine ist gestern und der andere morgen.“
(Dalai Lama) Jetzt
Wie das Zitat des Dalai Lama verdeutlicht, findet Achtsamkeit stets im Hier und Jetzt statt. Diese Prämisse ermöglicht unerahntes Wachstum, ist heilsam und erlösend zugleich. Die darin enthaltene Weisheit wurde nicht von sogenannten Achtsamkeitsexperten des 21. Jahrhunderts erfunden. In den meisten Kulturen findet man sie, in der Regel deutlich früher und in verschiedenen Formulierungen, die immer wieder die Essenz des Jetzt betonen. Hier einige Beispiele: Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi (1828–1910) betonte: „Denke immer daran, dass es nur eine wichtige Zeit gibt: Heute, hier. Jetzt.“, während der viatnamesisch-buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh (1926–2022) formulierte: „Die beste Weise, sich um die Zukunft zu kümmern, besteht darin, sich sorgsam der Gegenwart zuzuwenden.“ Der Dichter und Naturforscher Johann Wolfgang von Goethe (1782–1832) hingegen wählte folgende Worte für die Beschreibung von Achtsamkeit: „Denn das ist eben die Eigenschaft der wahren Aufmerksamkeit, dass sie im Augenblick das Nichts zu allem macht.“ – Man darf davon ausgehen, dass er mit „der wahren Aufmerksamkeit“ Achtsamkeit meinte. Die meisten Menschen beschäftigen sich gedanklich und im Gespräch mit der Vergangenheit oder der Zukunft, so als habe die Vergangenheit ihr Leben abschließend besiegelt oder ein Hinsehnen auf eine bessere Zukunft könne die Enttäuschung über Vergangenes und Gegenwärtiges lindern. So schlussfolgert Laotse: „Wenn du depressiv bist, lebst du in der Vergangenheit. Wenn du Angst hast, lebst du in der Zukunft. Wenn du inneren Frieden erlebst, dann lebst du in der Gegenwart.“ Menschen mit einer depressiven Grundstimmung selektieren oft vermeintlich negative Ereignisse aus ihrer Vergangenheit und interpretieren sie auf eine zutiefst hoffnungstötende Art und Weise. Richten sie ihren Blick überhaupt gen Zukunft, dann sind ihre Gedanken oft geleitet von einem Phänomen, das Psychologen „negative Triade“ (= „Dreiheit“) nennen. Es kommen drei negative Zukunftsprophezeihungen zusammen, die das Selbst, die Welt und die Zukunft betreffen und jede Hoffnung im Keim ersticken. Sie glauben beispielsweise, die Welt sei schlecht, sie selbst seien hilflos in dieser schlechten Welt und dies ändere sich niemals. Der gedankliche Ausstieg aus Vergangenem und die Fähigkeit, für einen Moment keinerlei Prophezeiungen bezüglich der Zukunft anzustellen, kann sehr befreiend sein. In einer Vielzahl empirischer Studien wurde gezeigt, dass Achtsamkeitstrainings sogar bei schwer depressiv erkrankten Menschen eine effektive Alternative zu anderen Therapieformen und Psychopharmaka darstellen. Auch für Menschen, die traumatische Erfahrungen durchleiden mussten und nicht wissen, wie es zukünftig weitergeht, ist der Fokus auf das Hier und Jetzt und die...