Sparks Das Lächeln der Sterne
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-06011-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-641-06011-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nicholas Sparks, 1965 in Nebraska geboren, lebt in North Carolina. Mit seinen Romanen, die ausnahmslos die Bestsellerlisten eroberten und weltweit in über 50 Sprachen erscheinen, gilt Sparks als einer der meistgelesenen Autoren der Welt. Viele seiner Bestseller wurden erfolgreich verfilmt, drei weitere Filme sind derzeit in Planung. Alle seine Bücher sind bei Heyne erschienen.
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EINS
An einem milden Novembermorgen im Jahr 1999 war Adrienne Willis zu der kleinen Familienpension zurückgekehrt. Auf den ersten Blick schien es ihr, als ob sich nichts verändert hatte, ganz so, als wäre das kleine Haus gegen Sonne und Sand und salzhaltigen Nebel unempfindlich. Die Veranda war frisch gestrichen, und in beiden Etagen wurden die Fenster mit den weißen Vorhängen von glänzend schwarzen Fensterläden eingerahmt, sodass es wie zwei Reihen von Klaviertasten aussah. Die Wände aus Zedernholz hatten die Farbe von schmutzigem Schnee. Auf beiden Seiten des Hauses nickte Strandhafer zur Begrüßung, und der Sand bildete eine geschwungene Düne, die mit jedem Tag unmerklich ihre Form veränderte, weil die einzelnen Sandkörner unablässig in Bewegung waren.
Die Sonne schien zwischen den Wolken zu schweben, und es sah so aus, als schwirrten kleine Lichtpartikel im Dunst. Das Ganze vermittelte Adrienne einen Augenblick lang das Gefühl, eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit gemacht zu haben. Doch als sie genauer hinsah, entdeckte sie Veränderungen, die auch kleine Schönheitsreparaturen nicht zu verbergen vermochten: der Ansatz von Schimmel an den Fensterrahmen, Rostspuren am Dach, Wasserflecken unter den Regenrinnen. Die Pension war vom Alter gezeichnet, und es stand nicht in Adriennes Macht, daran etwas zu ändern. Doch heute, drei Jahre später, wusste sie noch, dass sie die Augen geschlossen hatte, als könne sie mit einem Blinzeln das Haus wieder so erstehen lassen, wie es einst gewesen war.
Adrienne hatte vor wenigen Monaten ihren sechzigsten Geburtstag gefeiert. Jetzt stand sie in der Küche ihres eigenen Hauses und legte den Hörer auf.
Sie hatte gerade mit ihrer Tochter telefoniert. Sie setzte sich an den Tisch, sann über ihren letzten Besuch in der Pension nach und ließ noch einmal die Bilder von dem langen Wochenende, das sie vor vielen Jahren dort verbracht hatte, vorüberziehen. Trotz allem, was sich seitdem ereignet hatte, hielt Adrienne an ihrer Überzeugung fest, dass es allein die Liebe war, die das Leben so wunderbar machte.
Draußen fiel Regen. Adrienne lauschte dem gleichmäßigen Geräusch und war dankbar für das Gefühl von Beständigkeit und Vertrautheit, das es ihr gab. Die Erinnerung an jene Tage weckte jedes Mal die unterschiedlichsten Empfindungen in ihr – so etwas Ähnliches wie Wehmut oder Nostalgie, aber das war es nicht allein. Wehmütige Gefühle stellten häufig die Vergangenheit in einem verklärten Licht dar, doch es gab keinen Grund, die Erinnerungen zu verklären. Adrienne teilte sie mit niemandem. Die Erinnerungen gehörten ihr, und im Laufe der Jahre waren sie ihr zu einer Art Museum geworden, in dem sie sowohl die Kuratorin als auch die einzige Besucherin war. Und in gewisser Hinsicht war Adrienne zu der Überzeugung gelangt, dass sie in den fünf Tagen damals mehr gelernt hatte als in all den Jahren davor oder danach.
Sie lebte allein. Ihre Kinder waren erwachsen, ihr Vater war 1996 gestorben, und Jack und sie waren seit siebzehn Jahren geschieden. Ihre Söhne bedrängten sie manchmal, sich einen neuen Partner zu suchen, aber Adrienne verspürte kein Verlangen danach. Nicht, dass sie mit Männern nichts mehr zu tun haben wollte – ganz im Gegenteil, gelegentlich merkte sie, dass sie sich von jüngeren Männern angezogen fühlte, zum Beispiel, wenn ihr im Supermarkt jemand über den Weg lief. Da manche dieser Männer nur wenige Jahre älter waren als ihre eigenen Kinder, fragte sie sich, was sie wohl denken würden, wenn sie ihre Blicke bemerkten. Würden sie sich sofort abwenden? Oder würden sie ihr Lächeln erwidern und ihre interessierten Blicke reizvoll finden? Sie war sich nicht sicher. Sie wusste natürlich auch nicht, ob diese Männer trotz der ergrauenden Haare und der Falten erkennen konnten, wie sie früher einmal ausgesehen hatte.
Doch Adrienne bedauerte es keineswegs, dass sie älter wurde. Die Menschen sprachen fortwährend von dem Reiz der Jugend, aber sie sehnte sich nicht danach, wieder jung zu sein. Mittleren Alters vielleicht, aber nicht jung. Sicher, manches vermisste sie: Sie würde gern immer noch die Treppe zwei Stufen auf einmal nehmend hinaufrennen oder mehrere Einkaufstaschen gleichzeitig tragen können, und sie hätte gern noch ausreichend Energie gehabt, um mit ihren Enkeln Schritt halten zu können. Doch letzten Endes waren die Erfahrungen, die sie gemacht hatte, wertvoller, und die kamen nur mit dem Alter. Wenn sie auf ihr Leben zurückblickte, erkannte sie, dass sie kaum etwas anders machen würde, wenn sie noch einmal die Gelegenheit dazu hätte, und das war der Grund, warum sie nachts ruhig schlief.
Außerdem brachte das Jungsein viele Probleme mit sich. Adrienne erinnerte sich nicht nur an ihre eigene Jugend, sie hatte auch ihre Kinder begleitet, als diese mit den Ängsten der Pubertät und den Unsicherheiten und dem Chaos des frühen Erwachsenenlebens zu kämpfen hatten. Obwohl zwei von ihnen jetzt schon über dreißig waren und der Dritte fast dreißig, fragte sie sich manchmal, ob es wohl je eine Zeit geben würde, die nicht mehr von ihrer Rolle als Mutter bestimmt war.
Matt war zweiunddreißig, Amanda einunddreißig, und Dan war gerade neunundzwanzig geworden. Alle drei waren zum College gegangen, und darauf war Adrienne stolz, denn es hatte eine Zeit gegeben, als sie daran zweifelte, ob auch nur eines ihrer Kinder es schaffen würde. Sie waren ehrlich, freundlich und genügsam, und im Grunde genommen waren sie so geraten, wie sie es sich gewünscht hatte. Matt war Steuerberater, Dan Sportberichterstatter bei den Abendnachrichten, die aus Greenville gesendet wurden, und beide waren verheiratet und hatten schon eigene Kinder. Als ihre Söhne zu Thanksgiving bei ihr gewesen waren, hatte sie, so erinnerte sie sich, ein wenig abseits gesessen und zugesehen, wie die beiden von ihren Kindern auf Trab gehalten wurden. Adrienne hatte eine große Befriedigung verspürt bei dem Gedanken, wie gut sich das Leben ihrer Söhne entwickelt hatte.
Für ihre Tochter war alles – wie immer schon – ein wenig komplizierter.
Als Jack auszog, standen die Kinder am Anfang der Pubertät, und jedes hatte die Scheidung auf seine eigene Art verarbeitet. Matt und Dan hatten ihre Aggressionen auf dem Sportplatz rausgelassen und waren hin und wieder in der Schule aus der Rolle gefallen. Doch Amanda hatte es schwerer. Als das mittlere Kind zwischen zwei Brüdern war sie schon immer besonders empfindlich, und als Teenager hätte sie den Vater gebraucht, und sei es nur als Gegengewicht zu den besorgten Blicken der Mutter. Sie begann, sich in Lumpen zu kleiden – so empfand Adrienne es zumindest –, und schloss sich einer Gruppe von jungen Leuten an, die abends nur in der Gegend herumlungerten. Im Laufe der nächsten zwei Jahre behauptete Amanda mindestens ein Dutzend Mal, über die Maßen in irgendeinen Jungen verliebt zu sein. Wenn sie von der Schule nach Hause kam, hörte sie in ihrem Zimmer so laut Musik, dass die Wände wackelten, und ignorierte es, wenn ihre Mutter zum Essen rief. Es gab Phasen, da sprach Amanda tagelang kaum ein Wort, weder mit ihrer Mutter noch mit ihren Brüdern.
So ging das ein paar Jahre, aber schließlich fand auch Amanda ihren Weg und gestaltete sich ein Leben, das Adrienne merkwürdig an ihr eigenes früheres Leben erinnerte. Im College lernte Amanda Brent kennen. Die beiden heirateten nach dem Abschluss und bekamen in den ersten Ehejahren zwei Kinder. Wie bei vielen anderen Paaren auch war ihre finanzielle Lage angespannt, aber Brent plante alles mit Bedacht, was Jack nie getan hatte. Als das erste Kind zur Welt kam, schloss Brent vorsorglich sofort eine Lebensversicherung ab, obwohl keiner von beiden damit rechnete, sie in nächster Zeit in Anspruch nehmen zu müssen.
Sie hatten sich geirrt.
Brent war seit acht Monaten tot. Er war einer besonders bösartigen Form von Hodenkrebs zum Opfer gefallen. Adrienne hatte mit ansehen müssen, wie Amanda in eine tiefe Depression versank, aus der sie sich bisher nicht befreit hatte. Als sie am Tag zuvor ihre Enkelkinder, die ein paar Tage bei ihr gewesen waren, zu Amanda zurückbrachte, waren die Vorhänge im Haus ihrer Tochter zugezogen gewesen. Das Licht auf der Veranda brannte, und Amanda saß im Bademantel im Wohnzimmer und hatte den gleichen leeren Blick wie am Tag der Beerdigung.
In dem Moment wusste Adrienne, dass es an der Zeit war, ihrer Tochter von ihrer Vergangenheit zu erzählen.
Vierzehn Jahre. So lange war es inzwischen her.
In all den Jahren hatte Adrienne nur einem einzigen Menschen davon erzählt, aber ihr Vater hatte das Geheimnis mit ins Grab genommen.
Als Adrienne fünfunddreißig war, starb ihre Mutter. Zwar hatte sie eine gute Beziehung zu ihr gehabt, aber ihrem Vater hatte sie sich immer besonders nahe gefühlt. Er war einer von den beiden Männern, so dachte sie noch immer, die sie je richtig verstanden hatten, und sie vermisste ihn schmerzlich. Sein Leben war typisch für das Leben vieler Männer seiner Generation verlaufen. Er war nicht zum College gegangen, sondern hatte ein Handwerk gelernt und dann fünfzig Jahre in einer Möbelfabrik gearbeitet. Dort bekam er einen Stundenlohn, der sich jedes Jahr im Januar um wenige Pennys erhöhte. Er trug stets einen Filzhut, auch in den warmen Sommermonaten, und er hatte immer seine Brotdose mit den quietschenden Scharnieren dabei. Jeden Morgen verließ er pünktlich um Viertel vor sieben das Haus, um die anderthalb Meilen zur Arbeit zu gehen.
Abends nach dem Essen zog er sich eine Wolljacke über sein langärmeliges Hemd. Wegen der zerknitterten Hosen sah er immer etwas unordentlich aus, was sich mit den Jahren noch verstärkte, besonders nach dem Tod seiner Frau. Er saß gern in...