Springfeld | Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Springfeld Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert

Warum das Erstarken der Rechten eine Bedrohung für uns alle ist
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7517-7342-3
Verlag: Quadriga
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Warum das Erstarken der Rechten eine Bedrohung für uns alle ist

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-7517-7342-3
Verlag: Quadriga
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Angriffe auf Geflüchtete nehmen zu, die AfD plant massive Abschiebungen und neonazistische Positionen sind vielerorts »normal« geworden. Staatliche Behörden, die Bundeswehr, sowie unser Justizsystem sind Teil des Problems - die Brandmauer ist längst gefallen. Obwohl die extreme Rechte bundesweit auf dem Vormarsch ist, schaut Westdeutschland vor allem auf den Osten - gern von oben herab.

Der Autor ist mit seiner Angst vor Steigbügelhaltern, vorauseilendem Gehorsam und lautem gesellschaftlichem Schweigen nicht allein. Es reicht! Wer 2025 beansprucht, aus der Geschichte gelernt zu haben, muss sich positionieren, im Kleinen und Großen aktiv werden und darf die Krise der Demokratie nicht nur auf »den« Osten projizieren.

Denn das epochale Problem geht uns alle an!



Jakob SpringfeldistStudentund 2002 in Zwickau geboren und aufgewachsen. In Stuttgart erhielt er die Theodor-Heuss-Medaille für besonderes Engagement für Demokratie und Bürgerrechte.ZEIT-Campus hat ihn zu den 100 wichtigsten Ostdeutschen ernannt. In seinem Buch beschreibt er, warum im Osten der Boden für die Instrumentalisierung von Existenzängsten besonders fruchtbar ist. Aber struktureller Rassismus und Rechtsextremismus sind Probleme, aus denen eine gesamtdeutsche Bedrohung hervorgeht, in Halle wie in Hanau.

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Deutschland in Blau


Was war ich motiviert! 300 Menschen hatten sich am 15. März 2019 am Zwickauer Bahnhof versammelt, um anlässlich des globalen Klimastreiks nach Chemnitz zu fahren. Damals glaubte ich fest daran, dass sich endlich etwas Gewaltiges in Gang gesetzt hätte. Zusammen hatten wir eine Ortsgruppe von Fridays for Future gegründet. Wir demonstrierten für Klimagerechtigkeit, ob bei uns in Zwickau oder in größeren Städten. Ältere rot-rot-grüne Kommunalpolitiker:innen am Rande der Demos hatten Freudentränen in den Augen. Wir vernetzten uns, zum Beispiel mit dem Bündnis #unteilbar, das dem Motto »Solidarität statt Ausgrenzung. Für eine offene freie Gesellschaft« folgt. Es war einfach schön! So viele setzten sich in dieser Zeit für eine gute Sache ein. Und … hatten Spaß! Was gibt’s Besseres? Es tat sich etwas – sogar in Zwickau, und für einen Moment hatten wir das Gefühl, die taktgebende Jugendkultur vor Ort zu bestimmen.

Es ist ein fast wehmütiger Blick zurück, wenn ich mir die Bilder von damals anschaue. Ein Kumpel und ich – mit verspiegelter Sonnenbrille – am Zwickauer Hauptmarkt vor einem Wal aus Draht, der Plastik frisst. Wie sich das anhört – damals. Ich bin gerade mal Anfang zwanzig, und das alles liegt nur ein paar Jährchen zurück. Es fühlt sich aber trotzdem an, als wäre es länger her. Denn ein halbes Jahr nach dem Foto mit dem Wal plagte uns Corona, Lockdown, nix mehr mit großen Demos. Die Pandemie bremste die Klimabewegung brutal aus, als diese gerade so richtig Fahrt aufnahm. Als es wieder losging, waren eineinhalb Jahre vergangen. Und wenn ich mir heute einen meiner Texte aus dem August 2021 anschaue, klingt das schon etwas skeptischer: »Wenn wir mit den Nachrichten von Fluten, Waldbränden, Hitzerekorden und Hunger konfrontiert werden, rutscht einem schnell das Herz in die Hose, und wenn dann noch der Rechtsruck, den wir vor der eigenen Haustür spüren, dazukommt, ist es leichter, unsere Zukunft dystopisch und etwas wehleidig zu denken.«1 Und doch hoffte ich, dass die Wahlen – gemeint sind die Bundestagswahlen im September 2021 mit einer grünen Kanzlerkandidatin – »in die richtige Richtung gehen könnten«. Darin sah ich »Grund zur Zuversicht«.

Heute, weitere dreieinhalb Jahre später, bin ich ernüchtert. Die Grünen sind für mich viel zu kompromissbereit geworden, und Fridays for Future? Um den Klimaschutz ist es still geworden. Die Pandemie wurde nahtlos abgelöst vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Um für Energiesicherheit zu sorgen, gab es beschämende Allianzen. Der grüne Energieminister, der sich vor dem autoritären Emir von Katar verbeugt. Die Inflationsrate geht durch die Decke. Im Oktober 2023 folgten der Angriff der Hamas auf Israel und der darauffolgende Krieg im Gazastreifen und Libanon. »Krisenmodus« wurde 2023 zum Wort des Jahres gekürt. Der Zukunftsforscher Matthias Horx spricht von der »Omnikrise«, in der wir uns befinden und die viel mehr beinhaltet als die konkret benennbaren Krisenherde. Für Horx gehören auch die Krisen der Demokratien und der weltweit um sich greifende Autoritarismus dazu.2 Die Klimakrise war plötzlich lediglich ein Thema unter vielen und trat in den Hintergrund. Die Europawahl, die 2019 noch als Klimawahl bezeichnet wurde, ist 2024 zur Angstwahl geworden, bei der sich vieles nur noch um Migration oder Krieg drehte. Viele Fridays for Future-Ortsgruppen haben sich inzwischen aufgelöst oder sind eingeschlafen. Leider wurde es auch in Zwickau ruhiger.

Aber mal ehrlich: Auch unsere spaßigen Anfänge verliefen nicht ohne Probleme, jedenfalls nicht in Zwickau. Wenn du hier klimamäßig aktiv wirst, musst du dich politisch, antifaschistisch positionieren, auch wenn uns das anfangs schwerfiel. Wir befürchteten, dass uns damit in der Automobilstadt Zwickau noch mehr Rückendeckung wegbrechen würde. Doch letztlich ging es gar nicht anders, denn die Klimabewegung war von Anfang an auch ein Feindbild der extremen Rechten. Zusammenstöße und Pöbeleien waren an der Tagesordnung. Während der Corona-Pandemie kaperten dann die Rechten die Proteste gegen Lockdown und Schutzmaßnahmen. In ganz Deutschland zogen sogenannte Querdenker:innen durch die Städte. Die Rechten witterten ihre Chance. Bald gab es Fackelmärsche – etwa vor dem Haus des Oberbürgermeisters von Halberstadt.3 Dem Privathaus von Sachsens Ministerpräsident statteten Schwurbler:innen einen »Besuch« ab. Verschwörungserzählungen der abstrusesten Art, häufig antisemitisch gefärbt, florierten. Auch wenn einige Organisator:innen der Corona-Proteste immer wieder betonten, keiner politischen Richtung anzugehören, mischten sich immer mehr extrem Rechte, inklusive Reichsflagge, unter die Demonstrierenden. In einem Video des extrem rechten Magazins Compact sagt eine Frau bei Protesten in Chemnitz: »Hier herrscht jetzt totale Diktatur, und es wird von Tag zu Tag schlimmer. Wenn wir nicht aufpassen, dann wird es hier bald viele Tote geben.«4 In Chemnitz zum Beispiel war es die extrem rechte Vereinigung »Pro Chemnitz«, die bei den Corona-Protesten immer wieder in Erscheinung trat. In Berlin mischte der sogenannte Volkslehrer und verurteilte Holocaustleugner Nikolai Nerling mit. Höhepunkt der Corona-Proteste war dann der sogenannte Sturm auf den Reichstag am 29. August 2020, der nur an der Standhaftigkeit einer Handvoll Polizisten scheiterte.

Es sind die immer gleichen Reflexe, falschen Annahmen und Hoffnungen. Nach der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 glaubten viele, der Höhenflug für die AfD werde nicht ewig andauern, das Interesse werde irgendwann abflauen. Dann wieder die Hoffnung: Nach Corona hätten die Rechten ja wohl kein Thema mehr. Falsch gedacht: Der extremen Rechten und den Faschos gehen die Themen nie aus. Nun waren es der Angriff Russlands auf die Ukraine und die hohe Inflationsrate. Bei Protesten gegen die angeblich bevorstehende Gaskrise flatterten bald die ersten Russland-Fahnen im Wind. Auf Bannern der »Freien Sachsen« waren Sprüche wie »Wir frieren nicht für eure Politik« oder »Sanktionswahn stoppen« zu lesen. Auf Telegram rief die extreme rechte Gruppierung einen »sächsischen Widerstandssommer« aus. Die AfD sprang sofort auf das Thema auf und warnte vor tagelangen Blackouts inklusive Plünderungen. Bei einer AfD-Pressekonferenz ging es um die dramatische Krise, die im Winter drohe. AfD-Vertreter:innen vergaßen dann, dass die Mikrofone noch angeschaltet waren, und sagten: »Man muss sagen: hoffentlich. Wenn es nicht dramatisch genug wird, geht es weiter wie bisher.«5 Das erinnert an eine ebenfalls versehentlich aufgezeichnete Aussage, die dem damaligen Pressesprecher der AfD-Fraktion, Christian Lüth, zugeschrieben wird: »Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.«6 Das ist er wohl, dieser echte Patriotismus, diese Vaterlandsliebe …

Der Winter wurde nicht dramatisch. Aber die Umfrageergebnisse der AfD entwickelten sich dramatisch. Bundesweit zeitweise stabil über 20 Prozent, in Sachsen stärkste Kraft vor der CDU, genauso in Brandenburg und Thüringen.

Oft galten und gelten Rechtsextremismus, Rassismus, AfD-Erfolge als Ost-Phänomen. Zur Zeit der größten Pegida-Aufmärsche 2015 meinte die Welt: »Selbst 25 Jahre nach der Wiedervereinigung tickt der Osten anders. Besonders fällt die Ost-West-Differenz in der Einstellung gegenüber Ausländern aus.«7 Welche »Ausländer« sind damit überhaupt gemeint? Weil das oft vergessen wird, möchte ich mal kurz daran erinnern, dass der Hass gegen angebliche »Ausländer« sich oft einfach gegen Deutsche richtet, die »anders« aussehen. Und dann ist das keine böse Einstellung gegen Ausländer, sondern purer Rassismus. Vier Jahre später erklärte uns der Spiegel aus Hamburg jedenfalls in einer Titelgeschichte: »So isser, der Ossi. Wie der Osten tickt – und warum er anders wählt«. Weitere vier Jahre später, 2023: Nach geleakten Textnachrichten von Mathias Döpfner kennt man nun die zweifelhafte Einstellung des mächtigen Springer-Chefs: »Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig.«8

Es ist zum Verzweifeln, es ändert sich einfach nichts. Es vergeht Jahr um Jahr, und immer noch erklärt uns der Westen, wie wir sind. Umgekehrt führt das zu einer Trotzhaltung im Osten, aber auch zu einer Verharmlosung der extrem rechten Zustände nach dem Motto: Ihr pauschalisiert uns, dann dürfen wir das jetzt auch. Es ist nicht förderlich, wenn die Oberbürgermeisterin von Zwickau darauf beharrt, dass »der Zwickauer in seiner Haltung nicht anders [ist] als der Bochumer, der Berliner und der Heidelberger«.9 Klingt ein bisschen nach Biedenkopf und verharmlost vor allem das, was in Zwickau, zum Beispiel in Form des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der rassistisch mordend durch Deutschland zog, passiert ist. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Trotz allem weiß ich, dass sehr viele Leute in Westdeutschland überhaupt nicht mitbekommen, was im Osten passiert, was sich dort zusammenbraut. In Ostdeutschland haben sich rechtsradikale Kulturen gebildet, wie es sie in dieser Form im Westen weniger häufig gibt. Die Umfragewerte und Wahlerfolge der AfD sind im Osten eine echte Bedrohung. Die extrem Rechten haben im Osten Anschluss an die gesellschaftliche Mitte gefunden, aber der Westen soll sich nicht, wie ich manchmal den Eindruck habe, einbilden,...


Springfeld, Jakob
Jakob Springfeld ist Student und 2002 in Zwickau geboren und aufgewachsen. In Stuttgart erhielt er die Theodor-Heuss-Medaille für besonderes Engagement für Demokratie und Bürgerrechte. ZEIT-Campus hat ihn zu den 100 wichtigsten Ostdeutschen ernannt. In seinem Buch beschreibt er, warum im Osten der Boden für die Instrumentalisierung von Existenzängsten besonders fruchtbar ist. Aber struktureller Rassismus und Rechtsextremismus sind Probleme, aus denen eine gesamtdeutsche Bedrohung hervorgeht, in Halle wie in Hanau.



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