Stäber | Kalt wie Nordlicht | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band Band 2, 386 Seiten

Reihe: Arne Eriksen ermittelt

Stäber Kalt wie Nordlicht


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7325-4234-5
Verlag: beTHRILLED
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, Band Band 2, 386 Seiten

Reihe: Arne Eriksen ermittelt

ISBN: 978-3-7325-4234-5
Verlag: beTHRILLED
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Die alte Akka, die der Psychologe Arne Eriksen in Nordnorwegen kennengelernt hat, ist tot. Zusammen mit seinen Freunden, der Kommissarin Kari Bergland und dem Journalisten Frode Bakklund, reist Arne an den Polarkreis, wo eine Gedenkfeier für die alte Samifrau stattfinden soll. Es ist kurz vor Weihnachten, die Zeit der längsten Dunkelheit. Ein massiver Schneesturm schneidet Akkas Hof von der Außenwelt ab, und die Gruppe aus Angehörigen und Freunden der Toten wird von einem Mörder heimgesucht. In der Kälte des Nordens auf sich allein gestellt, muss Arne in die Mythen der Sami eintauchen, um den Täter zu fassen. eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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2
Sie konnte fühlen, dass es zu Ende ging. Schon seit ein paar Tagen hatte sie es geahnt. Was als gewöhnliche Erkältung begonnen hatte, war zu einer Lungenentzündung geworden, und sie wusste, was das in ihrem Alter bedeuten konnte. Neue Namen konnte sie sich zwar nicht mehr so gut merken – zum Beispiel hatte der Name der neuen Ministerpräsidentin Erna Solberg anfangs einfach nicht in ihrem Gedächtnis hängen bleiben wollen –, aber ihr Verstand war noch immer scharf. Sie machte sich nichts vor. Es war so weit. Seltsam. Als sie siebzig wurde, hatte Anja Sofia Turi erwartet, dass sich in ihrem Verhältnis zum Tod etwas ändern würde. Dass sein Schatten häufiger als früher ihren Alltag verdunkeln würde. Stattdessen lebte sie einfach weiter wie zuvor, kümmerte sich sommers wie winters um ihren Hof und ihre Schafe und erlebte die Jahrtausendwende ebenso wie das erste Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts, ohne sich von dem Gedanken bedrücken zu lassen, sie könnte die Maisonne, die ihr die alten Knochen wärmte, möglicherweise nie wieder erleben, wenn jener Monat ein weiteres Mal vorüber war. Nicht einmal mit zweiundneunzig hatte sie sich darüber Gedanken gemacht, vielleicht eines Nachts für immer einzuschlafen. Sie war ein pragmatischer Mensch, war es immer gewesen. Grübeleien gehörten nicht zu ihrem Alltag. Aber wenn sie hin und wieder darüber nachdachte, dann kam sie zu dem Schluss, dass es an ihren Erlebnissen im Krieg liegen musste. Während der deutschen Besatzung hatte sie sich nicht arrangiert, sie hatte sich am Widerstand beteiligt. Der Tod war ihr schon in jungen Jahren, mit noch nicht einmal zwanzig, ein ständiger Begleiter gewesen, der nicht als vage Möglichkeit in der Ferne des Alters auf sie wartete. Sie hatte sich damit abgefunden, dass es jederzeit unvermittelt aus sein konnte. Diese stoische Einstellung zum Sterben hatte sie in all den Jahrzehnten, die dem Ende des schrecklichen Kriegs folgten, nie verloren. Sie lag in ihrem Bett und starrte an die Deckenbalken. Mit jedem rasselnden Atemzug hob und senkte sich ihre dünne Brust unter der Decke, die Magnus ihr bis ans Kinn hochgezogen hatte. Guter Magnus. Ohne ihn hätte sie in den letzten Jahren niemals alleine leben können. Er hatte ihr die Familie ersetzt. Wenn sie sich konzentrierte, was sie aber nur für ein paar Sekunden durchhalten konnte, weil es sie zu sehr anstrengte, konnte sie ihn in der unteren Etage hören, wie er die Toilettenspülung betätigte und vom Bad ins Wohnzimmer ging. Im Gegensatz zu ihren Augen hatte ihr Gehör auch im Alter nicht nachgelassen. Jetzt stellte er den Fernseher an. NRK, Spätnachrichten. Er meinte es immer viel zu gut mit ihr, dabei bekam sie kaum Luft, denn das violette Wollmonstrum lag wie Blei auf ihr. Wenigstens war es warm. Zuletzt war ihr ständig kalt gewesen, doch nicht, weil ihr Schlafzimmer nicht gut genug geheizt gewesen wäre – ganz im Gegenteil: Sie schwitzte derart, dass Magnus kaum damit nachkam, ihr etwas zu trinken zu bringen, damit sie nicht dehydrierte. Nein, diese Kälte war anders. Sie schien aus dem Inneren ihrer Knochen herauszusickern und sich um sie zu legen wie ein eisiger Kokon. Es war dieselbe Kälte, die sie manchmal als Kind verspürt hatte, wenn sie im Winter rücklings im tiefen Schnee gelegen hatte und weit über ihr die Nordlichter am Himmel entlanggezogen waren. Ihr unwirkliches Licht, manchmal rötlich, meistens grün, atmete die Kälte des leeren Weltraums. Die Nordlichter besaßen eine schier überirdische Schönheit. Gleichzeitig aber sprach aus ihnen die Unerbittlichkeit der Natur, in der jedes noch so heiß brennende Feuer einmal erlosch. Die kleine Anja Sofia, die sie vor so langer Zeit einmal gewesen war, hatte diese Wahrheit verstanden, wenn es ihr damals auch unmöglich gewesen war, sie in Worte zu kleiden. Sie war inmitten der brutalen Schönheit der Vesterålen-Inseln aufgewachsen. Das Meer und das Wetter regierten das Leben ihrer Familie und das ihrer Nachbarn, die wie sie auf Langøya zu Hause waren. Dass alles in der Natur belebt war, selbst der steinige Boden und die schroffen Gipfel, die sich in den endlos weiten Himmel bohrten, hatte ihr niemand erklären müssen. Die Erkenntnis hatte ihre jungen Sinne regelrecht überflutet, mit einer Wucht, die sie zu manchen Zeiten alle Kraft gekostet hatte, um nicht von ihr fortgerissen zu werden. Ihr Großvater hatte sie beobachtet und verstanden. Sein eigener Großvater war ein Noaidi gewesen, ein Sami-Schamane. Opa Sabbe kannte die alten Lieder seines Volkes, und von ihm hatte sie gelernt zu joiken – heimlich natürlich. Joiken galt als unanständig, ja heidnisch sogar und war unter denen, die keine Sami waren, nicht gern gesehen, denn früher waren viele Zaubersprüche in diesem kehligen Singsang ausgesprochen worden. Aber vor allem begehrte das Joiken gegen die Muffigkeit auf, gegen die Bethausstimmung der Sonntagsschule, in der man stillsitzen und sich die Geschichten aus der Bibel anhören musste, während einem das frisch gewaschene und gestärkte Kleid am Hals kratzte. Für Anja Sofia aber war es hauptsächlich eine Möglichkeit, aus voller Kehle das hinauszurufen, was sie bis zum Platzen ausfüllte, wenn sie sich nach der Schule nach draußen stahl und stundenlang trunken von der sie umgebenden Natur herumlief. Zu joiken gab dem, was in ihr vorging, endlich eine Stimme. Opa Sabbe hatte das begriffen. Er war auch der Erste gewesen, der sie nicht Anja oder Anja Sofia, sondern Akka genannt hatte. Damals hatte sie noch nicht gewusst, warum er sie so genannt hatte oder was dieser Name tatsächlich bedeutete. Das hatte sie erst Jahre später verstanden, als sie zum ersten Mal zu den Klängen einer Rahmentrommel gesungen hatte und in die anderen Welten gereist war. In ihren Kindertagen war es einfach nur ein Geheimnis gewesen, dass Opa Sabbe und sie geteilt hatten. Dann war sie herangewachsen. Ihr Vater war gestorben, und sie waren von Langøya fortgezogen, um auf dem Festland zu leben. Der Verlust, der mit dem Abschied vom Meer und der rauen Berglandschaft einherging, hatte sie mit so unmittelbarer Härte getroffen, als hätte ihr jemand mit einer Axt eine ihrer Gliedmaßen abgehackt. Die dunkle Zeit war gekommen, die zum Glück nur fünf Jahre gedauert hatte, aber wer hätte das damals wissen können, als die Deutschen ihr Land besetzt hatten? Wenn sie später an jene Zeit zurückgedacht hatte, dann mit der Gewissheit, dass sie trotz ihrer Jugend an den Menschen verzweifelt wäre, wenn es nicht die Erinnerung an jene ersten Jahre ihres Lebens gegeben hätte. Menschen mochten Ungeheuer sein, aber solange es etwas gab, das größer als sie selbst war – Wald, Berge, Sterne, in deren lebendigen Zyklen sie sich mit derselben Leidenschaft verlieren konnte wie in den Armen eines Menschen –, lohnte es sich, weiterzuleben. Und dann war tatsächlich jemand aufgetaucht, der in ihr noch eine andere Liebe entzündet hatte als die zu einsamen Wäldern und verlassenen Bergkuppen. Sie konnte sich Frank Schenks Gesicht nicht mehr so gut vorstellen wie früher. Aber das war auch nicht notwendig. Sie musste seine Züge nicht vor sich sehen, um sich daran zu erinnern, welche Leidenschaft seine Berührung in ihr hervorgerufen hatte, selbst Jahre und Jahre nach seinem Tod. So viele Menschen, die vor ihr gegangen waren, sogar ihre eigene Tochter. Zu viele. Der Fluch des Alters. Dennoch waren auch immer wieder neue Menschen in ihrem Leben aufgetaucht, und Akka hatte sie in ihr Herz gelassen. Menschen wie Magnus Skog Sandmo, der bärbeißige Anthropologe, der sie über die Riten und Gesänge ihrer Vorfahren hatte ausfragen wollen und der am Ende auf ihrem Hof geblieben war, um ihr den Verlust ihres Zuhauses und das Altersheim zu ersparen. Erst im letzten Spätsommer hatte sie einen eigenartigen jungen Mann kennengelernt. Er war halb Deutscher, wie ihre längst verstorbene Liebe, und halb Norweger und war vor den Geistern seiner Vergangenheit aus Deutschland ins Land seines verstorbenen Vaters geflüchtet. Magnus hatte ihm dabei geholfen, seine Angstzustände in den Griff zu bekommen. Am Ende hatte er sich entschlossen, in Norwegen zu bleiben, und den Herbst bei ihnen verbracht. Wie war noch einmal sein Name gewesen? Er wollte ihr nicht mehr einfallen, aber Namen spielten keine Rolle mehr. Wichtig waren nur Gesichter und die Gefühle, die sie hervorriefen. Und das Gesicht des jungen Halbnorwegers trat so deutlich in ihrer Vorstellung hervor wie das ihres deutschen Mannes, an den sie sich zuletzt vor allem so erinnert hatte, wie sie ihn bei ihrer ersten Begegnung erlebt hatte: jung und faltenlos, mit einem aufmerksamen, wachen Blick, mit Augen, die etwas in sich hineinsahen. Der Westwind, der von der Nordsee her landeinwärts gezogen war und schon den ganzen Abend über ums Haus strich, heulte unvermittelt auf. Ihr Atem setzte für einen kurzen Moment aus und sie rang röchelnd nach Luft. Ihre Lunge brannte schmerzhaft. Dieses Feuer würde sie nicht mehr löschen können. Es würde sie verzehren, bald schon. Plötzlich überfiel sie nun doch Angst. Ihr ganzes Leben lang war sie gut allein zurechtgekommen, aber sie wollte nicht allein sterben. Ihre Augenlider begannen zu flattern, als sie sich anstrengte, nach Magnus zu rufen. Doch nur ein heiseres Pfeifen entkam ihrer Kehle. Im unteren Geschoss liefen die Nachrichten weiter. Aber da … War Magnus ins Zimmer getreten? Stand er jetzt am Bettrand und sah auf sie herab, ohne sich zu regen, ohne etwas zu sagen? Sie bemühte sich, den Kopf zu drehen. Endlich gelang es ihr. Die Zimmertür stand eine Handbreit offen, aber der Platz vor dem Bett war leer. Verzweifelt schloss...



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