E-Book, Deutsch, 188 Seiten
Stanley Es ist ein Fulltime-Job, sich selbst zu lieben
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7066-2945-4
Verlag: Löwenzahn Verlag in der Studienverlag Ges.m.b.H.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mein Yoga der Selbstakzeptanz
E-Book, Deutsch, 188 Seiten
ISBN: 978-3-7066-2945-4
Verlag: Löwenzahn Verlag in der Studienverlag Ges.m.b.H.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jessamyn Stanley lebt in North Carolina (USA) - sie ist Yogalehrerin, Autorin und Body-Positivity-Aktivistin. Sie wurde durch ihren Instagram-Account (@mynameisjessamyn) weltweit bekannt, in dem sie sich selbst als 'fette und queere Femme' identifiziert und sich als solche beim Yoga zeigt. Sie unterrichtet Yoga im Studio und über ihre App 'The Underbelly'.
Weitere Infos & Material
Vorwort
Yolk
Ich bin nicht Ich
Der Hierophant
Posen
Wohlstand und andere amerikanische Werte
Rituale
Kulturelle Aneignung ist amerikanischer als Apple Pie
Atmen
Weiße Schuld
Meditation
Es ist ein Vollzeitjob, sich selbst zu lieben
Sakrale Musik und Pflanzenmedizin
Mama sagte immer: Trau keinem weißen Jungen
Danksagung
Yolk
1.2 – „Das Zügeln der Veränderungen des Geistes ist Yoga.“ (Satchidananda, 3)1
1.14 – „Die Praxis wird fest verankert, wenn sie über eine längere Zeit ohne Unterbrechung und mit aller Ernsthaftigkeit gut gepflegt wird.“ (Satchidananda, 19)
1.13 – „Das heißt, du wirst ewiglich wachsam und prüfst jeden Gedanken, jedes Wort und jede Handlung.“ (Satchidananda, 18)
Okay, es ist also nach Mitternacht. Einige Monate sind seit der Veröffentlichung von , meinem ersten Buch, vergangen. Ich sitze hellwach in meinem Homeoffice und stecke knietief im Wikipedia-Wurmloch, als eine Gmail-Nachricht aufploppt.
Um es klarzustellen, ich hasse Push-Nachrichten. Sie nerven voll. Manchmal sind sie hilfreich, aber das sind Mansplainer2 auch. Und so wie Mansplainer neigen Push-Nachrichten dazu, dir deinen Tag unwiderruflich zu verderben.
Die besagte Nachricht kam jedenfalls von einer Person, die gelesen hat und war, dass sie das Gefühl hatte, mir eine E-Mail schreiben zu müssen. Mitten in der Nacht. Eine wildfremde Person sandte mir mitten in der Nacht eine E-Mail.
Seufz.
Meiner Erfahrung nach brachten ungebetene, spätnächtliche Gespräche mit wildfremden Personen selten was Gutes. Wenn man eine fette3, Schwarze, queere Yogalehrerin in einer mehrheitlich dünnen, und sehr heterosexuellen Yogaindustrie ist, kommt mit dem Kleingedruckten, dass es genauso viele Menschen gibt, die von dir inspiriert sind, wie solche, die unbedingt wollen, dass du das Maul hältst. Ich faltete meine Hände und hoffte das Beste.
Offensichtlich kam die Nachricht von einer freien Lektorin, die mir ihre Dienste für mein nächstes literarisches Projekt anbot, nachdem sie als Yogapraktizierende schockiert von einem bestimmten Tippfehler in gewesen sei.
Oh, oh.
Ich griff nach meinem Exemplar von und schnitt mich fast am Papier auf der Suche nach der Seite, auf die sie sich bezog. Mein Herz stoppte. Genau dort, auf der verdammten Seite 29, umschrieb ich den Sanskrit-Begriff unabsichtlich als 4.
Mich haute es fast um.
Ich HATTE das Wort verwenden wollen, das so viel bedeutete wie . Yoga bedeutete, zu 5, wie in: das Helle und das Dunkle des Lebens, das Gute und das Schlechte zu verbinden. Yoken wie in: Yoken heißt, Atem, Gedanken und Bewegung zu vermählen, um Körper, Geist und Seele zu verbinden. Yoken meint, die Bedeutung vom Gleichgewicht zu erkunden.
Diese Definition steht im starken Gegensatz zur Definition von , was so viel bedeutet wie: . Das war ein unübersehbarer Tippfehler und jeder Kritik wert. Ich konnte nicht glauben, dass ich nach Dutzenden von Entwürfen und Runden über Runden von Korrekturgängen diesen offensichtlichen Fehler nicht bemerkt hatte.
Hier will ich mit dir ehrlich sein, vor allem wenn du und ich eine echte Beziehung zueinander aufbauen und nicht nur Dummheiten machen wollen. Ganz ehrlich, meine reflexartige Reaktion auf die E-Mail war, diese Bitch abzuschießen. Wie kam sie dazu, mich auf den Fehler hinzuweisen? Und das auch noch als wildfremde Person in einer passiv-aggressiven, nachmitternächtlichen E-Mail! Falls sie wirklich eine Lektorin (und nicht nur ein gelangweilter, einsamer Internet-Troll, der seine Vendetta nährte, wie ich insgeheim vermutete), dann musste sie wissen, dass Tippfehler in jeder Arbeit von nennenswertem Umfang zu erwarten waren. Schon bald redete ich Scheiße über sie und kickte diese Bitch verbal in die nächste Woche.
Als aber mein Mars im Krebs das Feld räumte, verebbte meine Wut in rot-heißer Scham. Mich packte der Wunsch, meinen Lektor aufzuwecken und mit ihm alle Möglichkeiten zur Schadensminimierung durchzugehen – vielleicht durch den Neudruck der gesamten Auflage von .
Stattdessen machte ich etwas, das mit der Zeit zu meiner pawlowschen Antwort auf Stress und Angst geworden ist. Ich seufzte, schloss meine Augen, ging zu meiner Yogamatte und rollte sie mitten in meinem Büro aus.
Ich fing nicht an, einen Handstand oder ähnlich akrobatisches Zeug zu praktizieren. Ich setzte mich nur hin und schloss die Augen.
Ich sagte mir nicht: „Zeit zu meditieren!“ Ich stellte keinen Timer und machte auch keine bestimmte Atemübung. Ich setzte mich nur hin und lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Versuch, zu atmen. Gleichmäßig ein und aus durch die Nase.
Ich , über das nachzudenken, was mich stresste. Ich machte sogar das genaue Gegenteil. Ich ließ meinem Jungfrau-Aszendenten freien Lauf und erlaubte mir selbst, jeden Winkel und jede Ritze meiner Angst zu betrachten. Anstatt zu versuchen meine innere Kritikerin rauszuschmeißen, machte ich ihr Platz am Tisch. Und während der ganzen Zeit, in der mein Verstand meine Angst über glühende Kohlen wälzte, versuchte ich nur zu atmen.
Anfangs kam mein Atem flach und furchtsam, gefärbt von Unsicherheit. Aber als sich mein Körper seiner Laune hingab, richtete sich mein Atem auf und rollte seine Schultern zurück. Er begann, sich selbst ernst zu nehmen und an sich zu glauben. Mein Atem pfiff durch die Zweige meiner Angst und ich spürte, wie ich weicher – wie vergessene Butter – wurde. Und nach und nach begann ich die Oberfläche dessen zu sehen, was mich wirklich auf die Palme brachte.
Es war nicht der Tippfehler.
Es war nicht die E-Mail oder die Absenderin.
Es war mein Impostor-Syndrom6. Das Impostor-Syndrom, das ich spürte, seitdem ich mein erstes Yogafoto auf Instagram gepostet hatte. Das Gefühl, dass ich nicht genug über Yoga wusste, um mich an vorherrschenden Gesprächen darüber zu beteiligen. Das Gefühl, dass ich niemals genug Bücher lesen, dass ich niemals genug Stunden nehmen, dass ich niemals hart genug an den Haltungen arbeiten konnte. Ich hatte es vor meinem dreißigsten Geburtstag geschafft, ein ganzes Buch über Yoga zu veröffentlichen, und unterbewusst glaubte ich, dass jede yogapraktizierende Person wusste, wie unqualifiziert ich für diese Aufgabe war. Ich zweifelte an meinen Fähigkeiten und nahm an, dass auch alle anderen das taten.
Als Influencerin und gleichzeitig Yogalehrende auf Social Media täuschte ich regelmäßig Selbstbewusstsein vor. Sosehr ich auch versuchte dagegen anzukämpfen, Selbstbewusstsein zu projizieren ist Teil des Jobprofils von Influencer*innen. Dennoch brauchte es nur eine lockerzüngige E-Mail von einer wildfremden Person über einen einzigen Tippfehler, um meine Projektion des Selbstbewusstseins zu brechen.
Von meiner Scham und Unzulänglichkeit in die Ecke gedrängt, sah ich, wie ich die meisten meiner Tage und sehr viel von meiner Energie verzweifelt darauf verwendete, vor dieser Wahrheit davonzulaufen. Auf meiner Yogamatte, verloren in meiner Krebs-Schale und erschöpft von der Jagd, hörte ich auf zu rennen. Stattdessen umarmte ich meine Angst vor mir selbst und begann die Wunden, die ich, solang ich denken kann, trug, offenzulegen.
Alle Wunden müssen atmen, egal wie schmerzhaft oder stinkig sie sind. Selbst die Wunden, die du lieber versteckt halten würdest.
Yoga verbindet die tiefsten und konfliktreichsten Aspekte deiner selbst. Das Helle und das Dunkle. Das Schlechte und das Gute. Die Höhen und die Tiefen. Yoga ist sowohl ein Prozess als auch ein Ziel, sowohl eine Frage als auch eine Antwort.
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Ich bin im Sommer 2012 fünfundzwanzig geworden und habe einen Monat vor meinem Geburtstag mein Masterstudium in Kulturmanagement abgebrochen – eine Entscheidung, die mir eine Scheißangst eingejagt hatte. Ich brauchte Veränderung und eine neue Stadt schien mir ein guter Ort, um sie zu finden. Also belud ich mein Auto und zog von Winston-Salem nach Durham im selben Bundesstaat North Carolina. Meine neue Partnerin S war gerade nach Durham gezogen, und wir spürten zwar beide, dass es zu früh war, um zusammenzuziehen, aber niemand von uns konnte es sich leisten, alleine zu wohnen. Dazu kam, dass wir außer uns keinen Freundeskreis in Durham hatten. So waren wir uns einig: Bleib lieber beim Übel, das du kennst.
Ganz am Anfang teilten S und ich uns ein winziges Einzelbett in einer noch winzigeren Wohnung, die zwei co-abhängigen Schwarzen Lesben mittleren Alters, denen wir die Decknamen und gaben, gehörte. Während und nebenan im Doppelbett löffelten, schliefen S und ich wie eine Robbenkolonie in einem Bett, das für Teenager gebaut worden war. Zwei erwachsene Dicke in Einzelbett – selbst ein XLEinzelbett wäre für uns keine langfristige Lösung gewesen. Und schon gar nicht in einer schlecht klimatisierten Wohnung in North Carolina kurz vorm Hochsommer.
S und ich brachten zusammen fast zwanzig Jahre lesbische Co-Abhängigkeit in unsere Beziehung mit. Nichts davon, nicht ein beschissenes Jahr, hatte uns angemessen auf die hässliche Realität vorbereitet, wenn man sich ein winzig kleines...