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E-Book, Deutsch, 236 Seiten
Stark Hochbegabte Erwachsene
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-044751-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Begabungsbezogenes Erleben verstehen - Herausforderungen meistern
E-Book, Deutsch, 236 Seiten
ISBN: 978-3-17-044751-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sabine Stark, Dipl.-Psych., ist als Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin, Dozentin und Lehrtherapeutin in eigener Privatpraxis in München mit Schwerpunkt Hochbegabung tätig.
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Anlass und Zielsetzung des Buchs: Worin kann ich Sie unterstützen?
Entsprungen aus einer langen Historie besteht noch heute eine stereotype Laienvorstellung von hochbegabten Personen. Hochbegabten wird zwar unumstritten eine weit überdurchschnittliche Intelligenz, im Sinne eines kognitiven Potenzials, zugeschrieben, sie seien jedoch sozial-emotional problematisch, was sich als sozial unbeholfen, einzelgängerisch und komisch umschreiben ließe. Das Klischee des »verrückten Genies« ist dabei schon seit der Antike bekannt. Bedauerlicherweise begegnen uns noch heute diese Laienannahmen, die in der Literatur als sog. »Disharmoniehypothese« über Hochbegabte zusammengefasst sind (Baudson, 2021). Dies lässt sich leicht »überprüfen«, wenn man in Google »Hochbegabte sind...« eingibt. Aktuell (Stand Februar 2025) werden Suchvorschläge angeboten, die da lauten »verhaltensauffällig« oder »anstrengend«, aber auch »immer gut in Mathe« oder »gut in der Schule«.
Es lässt sich die Frage stellen, ob es auch die entgegengesetzte Laienannahme über Hochbegabte gibt, welche mit »ja« beantwortet werden muss: So wird zuweilen Hochbegabten auch heute noch eine generelle Überlegenheit in allen (Lebens-)Bereichen zugeschrieben, was als sog. »Harmoniehypothese« bezeichnet wird. Deren Ursprung scheint viel weiter zurückzuliegen und durch Ergebnisse aus einer der ersten und bahnbrechenden Längsschnittstudien, die von Lewis Terman 1920/1921 in den USA begonnen wurde, gefüttert zu sein (Preckel & Vock, 2021). Auch wenn Hochbegabte hin und wieder als generell überlegen gesehen werden, wird ihnen erfreulicherweise wenigstens nicht der Status von »Superheros« angedichtet (Baudson, 2016).
Somit löst Hochbegabung als Begriff respektive Label vielfältige Reaktionen aus. Dabei schwingt oftmals mit, als hochbegabte Person eben nicht normal oder gänzlich anders zu sein – einem Attribut, das für viele mit anhaltender Nicht-Zugehörigkeit bis hin zu elitärem Denken verbunden ist. Wird der Begriff jedoch neutral unter wissenschaftlicher Perspektive als Begreifbarmachen eines Phänomens verstanden, kann die Identifizierung mit dem Label zugleich auch als heilsam erlebt werden, endlich Erklärungen für das eigene Erleben und Verhalten zu erhalten, sich im eigenen hochbegabungsbezogenen Denken bestärkt zu fühlen und sich im Alltag sogar selbstbewusster im Äußern der eigenen Gedanken und Überlegungen zu zeigen.
Auch im psychotherapeutischen Kontext ist es oftmals nicht vorhersagbar, wie eine Person auf den Hinweis reagiert, möglicherweise hochbegabt zu sein, oder wie der Austausch mit einer bereits IQ-getesteten Person über die eigene Hochbegabung erfolgt. Die Variationsbreite der Reaktionen reicht von neutral über erleichtert, überfordert, irritiert, stolz, freudig, bis hin zu genervt, die Hochbegabung herunterspielend oder sich unter Druck gesetzt fühlend. Je nachdem, welche Lernerfahrungen die Person gemacht hat, kann die eigene Hochbegabung als Teilselbstkonzept im innerpsychischen Kontext integriert sein und keine offenen Fragen aufwerfen. Die Person erlebt keinen »Bruch« zu oder im Austausch mit anderen, sie kann ihr Bedürfnis nach kognitivem Input beruflich wie privat erfüllen und sie bleibt im eigenen hochbegabungsspezifischen Erleben und Verhalten nirgends »hängen«. Dem entgegengesetzt kann jedoch auch eine andere Lerngeschichte vorliegen, bspw. wegen der Hochbegabung ausgegrenzt, unter Performanzdruck gesetzt oder kaum bis nie hinsichtlich des weit überdurchschnittlichen Potenzials gesehen worden zu sein. Daraus kann sich schließlich ergeben haben, bspw. die eigene Hochbegabung nicht zu mögen, sie nicht nach außen sichtbar erscheinen zu lassen oder das Thema weit von sich wegzuschieben. Ebenso können simplifizierende Annahmen über Hochbegabung übernommen worden sein (bspw. »Hochbegabung bedeutet einfach intelligenter zu sein, sonst nichts«), weshalb die Sinnhaftigkeit einer Auseinandersetzung mit der Hochbegabung nicht gesehen wird.
So oder so, oftmals ist für hochbegabte Menschen ein expliziter, offener Austausch über die eigene weit überdurchschnittliche Intelligenz und dem damit verbundenen Erleben und Verhalten im Alltag nicht in Gänze und in jedem Umfeld möglich. Hochbegabt sein bedeutet nüchtern ausgedrückt, zumindest im statistischen Sinne, einer Minorität anzugehören, haben doch nur ca. 2?% der Bevölkerung einen IQ-Wert = 130! Viele Hochbegabte schildern daher, sich in wesentlichen Aspekten des inneren Erlebens im Alltag nicht gesehen zu fühlen. Dabei ist ein Austausch und ein angemessenes Gespiegeltwerden relevant für den eigenen Identitätsentwicklungsprozess (Keupp, 2012).
Von einer psychologischen Perspektive aus betrachtet, lässt sich der Integrationsprozess eines Teilidentitätsaspekts in das Ganze als fluider Prozess beschreiben, hin zu einer »identity synthesis« (Meyer, 2003, S. 678). Übertragen auf Hochbegabte würde es bedeuten, auch das eigene hochbegabungsbezogene Erleben und Verhalten in das eigene Selbstkonzept zu integrieren, so dass sich die Person diesbezüglich ihrer selbst bewusst, authentisch erleben und zeigen kann. Also Antworten auf die möglicherweise vorhandenen Fragen zu finden, warum man sich so anders als die anderen erlebt, sich manchmal nicht verstanden fühlt, vielleicht auch nicht auf einer Wellenlänge mit anderen, während diese scheinbar leicht miteinander connecten, oder warum man wiederholt die Rückmeldung erhält, anstrengend, kompliziert oder »zu viel« zu sein. Je mehr sog. Inkongruenz, also Abweichung zwischen dem eigenen Erleben, eigenen Motiven/Zielen und dem nach außen gezeigten Verhalten (weil man sich vielleicht stark anpasst oder eigene Kompetenzen herunterreguliert) existiert, desto mehr Stress, Unzufriedenheit oder psychische Belastung entstehen. Dies hat bereits Grawe (2004) allgemeingültig in seinem Konsistenz-Modell beschrieben: Indem wir uns als Mensch konsistent erleben, im Einklang mit unseren Motiven und Bedürfnissen, bleiben wir psychisch gesund. Und dies lässt sich auch unter einer Hochbegabungsperspektive betrachten: Die Auseinandersetzung mit diesem Teilidentitätsaspekt scheint sich zu lohnen, denn je besser dieser im Gesamtselbstkonzept integriert ist, desto weniger Niedergeschlagenheit, Stress oder Einsamkeit und sogar mehr Freude, Selbstbewusstsein, Lebenszufriedenheit werden im Zusammenhang mit der eigenen Begabung erlebt (Baudson & Ziemes, 2016). Das ist doch ermutigend!
Wo lassen sich also Informationen rund um Hochbegabung finden? Einige der aktuell publizierten Ratgeber für hochbegabte Erwachsene beinhalten Darstellungen, die sich am Forschungsgegenstand anlehnen und einen guten Überblick bieten. Es lassen sich jedoch auch kaum konturierte, nicht-trennscharfe Ausführungen finden, insb. werden hochbegabte und hochsensible Menschen3 in so manchen Büchern simultan angesprochen, als handelte es sich dabei um austauschbare Begriffe, so dass nach Ansicht der Autorin die Begriffe und die Konzepte verwässert werden. Bemüht man an dieser Stelle erneut Google für die Suche nach »Hochbegabte sind...« (Stand Februar 2025), so werden sogleich die Attribute »neurodivers«, »Autisten« und »hochsensibel« ergänzt. Dies spiegelt vielleicht auch einen »Trend« wider, der sich insb. auf den Social-Media-Plattformen finden lässt. Die Posts und Videos zu Hochbegabung, Autismus-Spektrum-Störung, ADHS oder Hochsensibilität nehmen in den letzten Jahren zu. Selbstredend beinhaltet dies einen sehr begrüßenswerten Effekt, werden diese Nischenthemen doch endlich betrachtet, finden hoffentlich als ein weiteres Phänomen neben vielen anderen Einzug in den Alltag und öffnen den Blick für die (Neuro-)Diversität unserer Zeit. Gleichzeitig stellt sich jedoch auch die Frage, wie qualitativ hochwertig diese Informationen sind. In einer aktuellen interessanten Untersuchung zum Thema »Reichweite und Genauigkeit der Informationen zu Autismus auf TikTok« konnte gezeigt werden, dass die meisten der untersuchten Informationsvideos zu Autismus inakkurate (41?%) und übergeneralisierte (32?%) Darstellungen sind und nur 27?% als akkurat klassifiziert wurden (Aragon-Guevara et al., 2023). Sowohl die übertriebenen als auch die korrekten Inhalte wurden vergleichbar häufig »geliked« und gesehen. Dabei stellten wohl nicht-autistische Alltagspersonen die meisten übertriebenen Videos (im Vergleich zu autistischen Personen) ein. Videos von im Gesundheitswesen tätigen Personen waren im Verhältnis am akkuratesten. Auch wenn – nach aktueller Recherche – keine Untersuchung über Informationsvideos zu Hochbegabung zu finden ist, soll an dieser Stelle doch dafür sensibilisiert werden, welche Informationsgrundlage herangezogen...