Stausberg | Die Heilsbringer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 784 Seiten

Stausberg Die Heilsbringer

Eine Globalgeschichte der Religionen im 20. Jahrhundert

E-Book, Deutsch, 784 Seiten

ISBN: 978-3-406-75528-6
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Religionen. Der bekannte Religionswissenschaftler Michael Stausberg beschreibt anhand von 47 Porträts, wie Heilsbringer aller Couleur – von Rudolf Steiner bis zum Dalai Lama, von Mary Baker Eddy bis zu den Beatles – religiöse Energiewellen um den Globus schickten, die geographische und oft sogar konfessionelle Schranken überwanden und so das schillernde religiöse Multiversum schufen, in dem wir heute leben.

Das 20. Jahrhundert war auch in religiöser Hinsicht ein Zeitalter der Extreme. Heilsbringer verkündeten religiöse Neuaufbrüche, die eingespielte Muster überwanden. Leo Tolstoi schuf den Prototyp einer ethischen Universalreligion. Östliche Lehrer verbreiteten im Westen ihre postreligiösen Konzepte von Zen, Yoga oder Achtsamkeit. Für Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Bob Marley war Religion der Ausgangspunkt für politische Befreiung, während die Beatles Erlösung durch kosmische Liebe besangen und mit Transzendentaler Meditation experimentierten. Neben den friedliebenden Welt- und Selbstverbesserern gab es gewaltbereite Prediger wie Osama bin Laden oder Jim Jones, deren Taten für Entrüstung sorgten. Billy Graham und Papst Johannes Paul II. füllten weltweit Stadien, und der Dalai Lama spricht Menschen jenseits traditioneller religiöser Bindungen an. Das gilt erst recht für die Literaten, Filmregisseure, Psychologen und Physiker, die als religiöse Sinnstifter auftraten. Michael Stausberg zeigt in seinem fulminanten Panorama, wie im 20. Jahrhundert neue Heilsbotschaften nicht nur die etablierten Religionen veränderten, sondern auch Politik, Kultur und nicht zuletzt unsere Wahrnehmung der Welt.
Stausberg Die Heilsbringer jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einleitung
Das Jahrhundert der Religionen Was immer es sonst auch war, das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Religionen. Offiziell eingeläutet – zumindest symbolisch – wurde diese neue Ära am 11. September 1893 auf der Weltausstellung in Chicago. Zu zehn Schlägen einer riesigen Glocke wurde in der mit viertausend Menschen bis auf den letzten Platz gefüllten großen Halle des Art Institute eine Veranstaltung eröffnet, die von ihren Organisatoren schon in ihren Zielsetzungen als epochal beschrieben wurde: The World’s Parliament of Religions.[1] Das Weltparlament der Religionen
Die Rede von einem «Weltparlament der Religionen» war ein Novum: Parlamente im Sinne von Volksvertretungen pflegten ja auf einzelstaatlicher Ebene zusammenzutreten. Ebenso neuartig war die Idee, verschiedene Religionen zu einem solchen Parlament zusammenzubringen, zumal die wenigsten Religionen demokratisch verfasst sind, ebenso wie dies seinerzeit relativ wenige Staaten waren. Das Wort «Parlament» leitet sich aus dem Altfranzösischen ab mit der Bedeutung «Unterhaltung» oder «Erörterung». Dieser ältere Wortsinn entsprach dem Anliegen der Organisatoren, die Religionen miteinander ins Gespräch zu bringen. Das erste der zehn Ziele der Veranstaltung war: «Auf einer Konferenz, zum ersten Mal in der Geschichte, die führenden Repräsentanten der historischen Religionen der Welt zusammenzubringen.»[2] Sechzehn Tage lang wurden zweihundertsechzehn Vorträge gehalten. Einem zeitgenössischen Bericht zufolge soll dabei zeitweise eine rauschartig-enthusiastische Atmosphäre aufgekommen sein.[3] Sitzung des Weltparlaments der Religionen am 25. September 1893 in Chicago. Das Bild wurde auch separat mit der Liste der Namen als Einzelblatt verkauft. Auf der Tafel stehen die Namen der vier Redner dieser Sitzung: allesamt Christen, darunter ein China-Missionar, der in chinesischer Kleidung auftrat. Das Weltparlament der Religionen manifestiert die grundlegende Konstellation, die die Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts prägen sollte: die öffentlich kommunizierte und weithin geteilte Annahme, dass es auf der Welt eine Vielzahl Religionen gibt, die sich untereinander als Mitglieder einer Klasse wahrnehmen. Die Existenz von Religionen als Exemplare einer Gattung wird somit spätestens 1893 als globale Realität ausgerufen und anerkannt – zumindest in bestimmten Schichten einer sich formierenden globalen (wenngleich noch westlich dominierten) Elite. Diese pragmatische Universalisierung des Religionsbegriffs legt eine globale Perspektive auf eine Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts nahe. Globalisierung meint nicht nur die sich beschleunigende weltumspannende Verflechtung von vormals getrennten Kulturen, Gesellschaften oder Märkten, sondern auch das Bewusstsein von diesen Verflechtungen, die manchen als Verheißung und manchen als Bedrohung erscheinen. Religionen gab es bereits seit Jahrtausenden, aber jetzt erst wurden sie routinemäßig unter diesem Oberbegriff zusammengefasst und damit vergleichbar. Religion ist damit durch Vielfalt gekennzeichnet, mit den großen Weltreligionen als den bekanntesten Ausprägungen. Außerdem trat Religion nun als distinkte Kategorie neben Wirtschaft oder Politik, Kunst oder Wissenschaft. Die universelle Anerkennung von Religion hat sich seit dem 19. und verstärkt im 20. Jahrhundert in einer zunehmenden Berücksichtigung von Religionsfreiheit in den Verfassungen vieler Länder und im Völkerrecht niedergeschlagen. 1948 wurde Religionsfreiheit von der UN-Generalversammlung im Rahmen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sogar als universales Menschenrecht proklamiert. In Artikel 18 heißt es: «Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Praxis, Gottesdienst und Observanz zu bekunden.» Religion erhielt damit den Status einer anthropologischen Universalie und wurde zugleich, zumindest theoretisch, zum Gegenstand der autonomen Entscheidung jedes Menschen. Ein Streitpunkt der vorbereitenden Verhandlungen war das Recht auf Religionswechsel. Dafür sprach sich neben dem libanesischen Christen Charles Malik auch der pakistanische Außenminister Muhammad Zafrullah Khan aus. Khan gehörte einer prominenten Familie der Ahmadiyya-Gemeinschaft an, einer messianischen Gruppierung, die Ende des 19. Jahrhunderts in Britisch-Indien von Gulam Ahmad begründet wurde. 1974 wurde sie vom pakistanischen Parlament als unislamisch eingestuft, ihre Mitglieder müssen seither Einschränkungen ihrer Religionsausübung hinnehmen. Das ist zugleich ein Beispiel für die faktischen Grenzen der Religionsfreiheit. Vehement gegen das Recht auf Religionswechsel sprach sich Saudi-Arabien aus. Das Land gehörte aus diesem Grund neben Südafrika, der Sowjetunion und fünf osteuropäischen Staaten zu den acht Ländern, die sich bei der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 der Stimme enthielten.[4] Im 1966 aufgesetzten und 1976 nach Ratifizierung durch dreiundfünfzig Staaten in Kraft getretenen Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der die Erklärung von 1948 völkerrechtlich verbindlich implementieren sollte, blieb das explizite Recht auf Religionswechsel auf der Strecke: In Artikel 18(1) ist nun von der «Freiheit, eine Religion oder eine Überzeugung eigener Wahl zu haben» die Rede. Diese Formulierung scheint auch die Abkehr von Religion außen vor zu lassen. Als «Apostasie» steht die Loslösung vom Islam in einer Reihe von Ländern mit islamisch geprägter Gesetzgebung unter Strafe. Die Erklärungen von 1948 und 1966 haben dagegen gemeinsam, dass keine bestimmte Form von Religion privilegiert wird. Von daher gilt: «Die Prinzipien von Freiheit der Religion und Gleichheit aller Religionen sind unzertrennlich.»[5] Mit dem Weltparlament von 1893 traten die USA eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet globaler religiöser Kommunikation an, nicht zuletzt durch die Festsetzung des Englischen als ausschließlicher Tagungssprache. Zu einem Parlament gehören normalerweise gewählte Volksvertreter. In dem Weltparlament der Religionen traten hingegen Religionsvertreter in Erscheinung, die teilweise formell angefragt, eingeladen oder entsandt wurden, im Einzelfall aber auch auf eigene Initiative anreisten – so etwa der hinduistische Mönch und Gelehrte Swami Vivekananda (Kap. 3). Ein wichtiges Kriterium für die Auswahl der Teilnehmer war ihre «Kompetenz», die «wichtigen distinkten Wahrheiten» ihrer jeweiligen Religion für ein gebildetes Publikum zum Ausdruck zu bringen. Hier artikuliert sich das grundlegende, auch heute noch vielerorts geteilte Religionsverständnis der Organisatoren: Religionen sind in erster Linie Wahrheitsrepositorien, was Religionen, die über keine explizit artikulierten Doktrinen und keine extern anschlussfähigen Sprecherfiguren verfügten, irrelevant erscheinen ließ. Die schiere Vielfalt der vorgetragenen Wahrheiten würde – so die unausgesprochene Hoffnung – einzelne Wahrheitsansprüche zu bändigen helfen. Oder aber das Christentum würde sich als die letztlich überlegene Wahrheit durchsetzen. Das Parlament sollte keine Weltmeisterschaft der Religionen sein, kein Jahrmarkt exzentrischer Einzelwahrheiten, sondern eher ein symphonisches Festkonzert, bei dem alle Teilnehmer freudig in die Ode auf die positive kulturelle und zivilisatorische Bedeutung von Religion einstimmen sollten. Ihr gegenüber standen die Gefahren des interreligiösen Konflikts, innerreligiöser Auflösungserscheinungen und der «Irreligion», womit wohl Materialismus, Gleichgültigkeit, Agnostizismus oder Atheismus gemeint waren.[6] Die Organisatoren wagten sich auf den schmalen Pfad zwischen der Beschwörung einer brüderlichen Verbundenheit und prinzipiellen Gleichrangigkeit aller vertretenen Religionen und ihrer faktischen Gleichwertigkeit, die alle Unterschiede nivellieren und Indifferenz Vorschub leisten würde. Die Geschäftsordnung sah vor, dass die Redner von Angriffen auf andere Religionen abzusehen hätten,[7] was allerdings nicht immer konsequent eingehalten wurde. Dunkle Seiten einer Religionsgeschichte
des 20. Jahrhunderts
Das Projekt des Weltparlaments traf nicht überall auf Zustimmung. Die Generalversammlung der amerikanischen Presbyterianer...


Michael Stausberg ist Professor für Religionswissenschaft an der Universität Bergen, Mitglied der Norwegischen Akademie der Wissenschaften und europäischer Herausgeber der internationalen Fachzeitschrift 'Religion'.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.