Erstes Kapitel
Wo soll ich bloß anfangen?
Kurz nach der Fukushima-Katastrophe und meiner persönlichen Schockstarre fangen die Gegenstände in unserer Wohnung an, mit mir zu sprechen. Umso mehr ich zu der Frage »Wie kann ich mein Leben nachhaltiger gestalten?« recherchiere, desto lauter wird das Gemurmel. Die Rosen auf dem Tisch erzählen mir, dass ihretwegen Frauen unfruchtbar werden und Kinder sterben: Auf den Blumenplantagen, auf denen sie gewachsen sind, werden viel zu viele Pestizide eingesetzt – ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter. Als Nächstes meldet sich die Kaffeemaschine. Es ist so eine Maschine, in die man Plastikkapseln reinsteckt. Jede Tasse eine Kapsel. Die Maschine beschimpft sich selbst als Umweltsau. Sie appelliert an mich, ich solle doch besser umsteigen auf eine andere Maschine, in die ich ganze Bohnen fülle – fair gehandelte natürlich. Die Kaffeemaschine ist noch gar nicht fertig mit ihrer Litanei, da höre ich schon die Hähnchenbrustfilets aus dem Kühlschrank. Ein bisschen leise, weil die Tür noch zu ist. Sie flüstern: »Iss uns nicht! Wir kommen aus furchtbarer Massentierhaltung. Das darf nicht unterstützt werden. Außerdem sind uns in großen Mengen Antibiotika gespritzt worden. Wenn dein Kind zu viel von uns isst, kommt es früher in die Pubertät. Und wenn du zu viel von uns isst, wirst du resistent gegenüber Medikamenten.«
Plötzlich fühlen alle Möbel und Gebrauchsgegenstände sich aufgefordert, mir ihre Geschichte zu erzählen. Sie quatschen wild durcheinander. Die Worte prasseln auf mich nieder, das schlechte Gewissen schwillt an, bis ich irgendwann schreie: »Hört auf, ich hab’s verstanden! Ich werde versuchen, mich zu bessern.«
In diesen ersten Wochen und Monaten meines Wandels von der Umweltsau zur Klimaschützerin fühle ich mich grenzenlos überfordert. Es gibt so unendlich viele Informationen zum nachhaltigen Lifestyle, und zu allem Überfluss sind sie teilweise widersprüchlich, häufig gibt es ein Aber. Insbesondere bei Lebensmitteln habe ich oft das Gefühl, mich zwischen Pest und Cholera entscheiden zu müssen. Nehmen wir das Thema Äpfel: Häufig liegt die Biovariante neben der regionalen. Der Bioapfel ist garantiert pestizidfrei, dafür wurde er aber um die halbe Welt geflogen, was die Ökobilanz in absurde Höhen treibt. Was geht vor? Gesundheit oder Treibhausgase? In meiner immer wieder auflodernden Hilflosigkeit entscheide ich mich, erst mal kleine Brötchen zu backen und mit den Dingen anzufangen, die ich schnell, ohne großen Aufwand und ohne viel Aber umsetzen kann. Als würde sie mich unterstützen wollen, geht just in diesem Moment die Kaffeemaschine kaputt. Als Ersatz kaufen wir eine, die man direkt mit ganzen Bohnen füllen kann. Damit sparen wir jeden Tag mindestens vier Kapseln. An besonders müden Tagen sind es mehr …
Mit wenigen Klicks und innerhalb von fünf Minuten wechsle ich als Nächstes den Stromanbieter. Wichtig dabei ist, so hatte ich es gelesen, auf »echten« Ökostrom zu setzen. »Echt« bedeutet, dass die Unternehmen ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien anbieten. Da kommen ohnehin nur eine Handvoll Anbieter infrage, das erleichtert mir die Auswahl. Ich entscheide mich für Naturstrom und bin überrascht, dass der Wechsel so leicht und auf lange Sicht nicht mal wirklich teurer ist. Zwar wird mein Vater, der Unternehmer, mir über die folgenden Jahre hinweg immer mal wieder sensationell günstige Angebote ans Herz legen und mich zum Wechsel ermuntern. Ich nehme das aber gelassen, weil ich weiß, dass er es nur gut meint. Irgendwann sage ich ihm klipp und klar, dass ich Überzeugungstäterin bin und deshalb beim Ökostrom bleiben werde.
Genauso unkompliziert wie die Sache mit dem Strom ist auch der Umstieg auf ökologische Reinigungs- und Waschmittel. Eine kurze Phase des Ausprobierens braucht es natürlich schon, bis allen Familienmitgliedern der Duft oder die Geruchlosigkeit gefällt und die Putzmittel auf Wirksamkeit getestet sind. Aber sicher ist: Auch ohne Chemie putzt und wäscht es sich genauso gut. Oder sogar besser, denn erst wenn man keine beißenden Gerüche mehr in der Nase hat, merkt man so richtig, was man da eigentlich alles an seinen Körper und in die Umwelt gelassen hat. Sogar der Umstieg auf recyceltes Toilettenpapier führt nicht zu einem familiären Aufstand. Obwohl wir beim Klopapier echt aus dem Luxusbereich kommen: Mindestens vierlagig, extra soft und manchmal sogar parfümiert – danach hatte ich bislang gegriffen. Jetzt aber ist Schlichtheit am stillen Örtchen angesagt. Und siehe da: Es stört überhaupt niemanden.
Und trotzdem: Nicht nur die Frage »Wo fange ich an mit mehr Nachhaltigkeit?« überfordert mich. Auch dass ich überhaupt etwas verändern will, macht mir mehr zu schaffen, als ich in der ersten Euphorie erwartet habe. Immerhin habe ich mir mein angenehmes Leben über viele Jahre hart erarbeitet. Aufgewachsen in einem Unternehmerhaushalt mit Eltern und Großeltern, die das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg mitgestaltet haben, stand für mich bereits früh fest: Ein Arbeitsleben sollte geprägt sein von Karrierefortschritten und finanziellem Wachstum. Oder einfacher ausgedrückt: Ich wollte erfolgreich sein und gutes Geld verdienen.
Zum Leidwesen meines Vaters sah ich mich dabei nicht im elterlichen Betrieb, sondern wollte etwas ganz anderes machen. Schon als Teenager beschließe ich, die nächste Barbara Eligmann zu werden. Anfang der 90er ist sie die erste Moderatorin des RTL-Boulevardmagazins Explosiv. Bei uns zu Hause können wir damals gar kein Privatfernsehen empfangen, weil meine Eltern sich gegen eine Satellitenschüssel sperren. Bei einer Freundin sehe ich die Sendung zum ersten Mal und treffe in diesem Moment eine Entscheidung fürs Leben: Genau in diesem Studio will ich später auch mal stehen. Zielstrebig, mit großem Einsatz und vielen Entbehrungen arbeite ich auf diesen Traum hin. 2008 kommt dann noch ein bisschen Glück dazu, und tatsächlich wird wahr, was ich mir als Teenager vorgenommen hatte: Ich werde das neue Gesicht von RTL Explosiv.
Schon auf dem Weg dorthin hat mein Leben an Fahrt aufgenommen. Ich reise viel, beruflich und privat. Ich esse gut, meistens auswärts. Ich konsumiere einfach gern und zuweilen auch teuer. Zwar lege ich auch Geld zur Seite und spende einiges von meinem Einkommen. Aber im Großen und Ganzen genieße ich mein Leben in vollen Zügen und ohne Rücksicht auf Ressourcen. Umweltschutz und Nachhaltigkeit spielen dabei keine Rolle. Obwohl ich sehr ländlich und naturverbunden aufgewachsen bin, fragte ich mich damals nie, wie es dem Planeten geht.
Die Katastrophe in Fukushima, die Geburt unseres Sohnes und die daraus resultierenden Gedanken sind demzufolge wirklich ein Novum in meinem Leben. Und mir wird relativ schnell klar: Die Veränderungen in meinem Verhalten müssen größer werden, radikaler. Nur die einfachen Hürden nehmen und recyceltes Toilettenpapier verwenden wird nicht reichen, um die Welt zu retten. Och nö. Können das nicht andere machen? Nein, können sie nicht. Jeder muss bei sich selber anfangen.
Bei allem, was ich konsumiere, plane, tue, stelle ich mir ab jetzt die Frage: Gibt’s das auch in Grün, oder geht das vielleicht auch klimaschonender?
Das Thema Finanzen lässt sich da beispielsweise nicht so schnell abhandeln wie die Frage nach dem besten Stromanbieter. Hier muss ich langjährige Verbindungen gegen ethisch-moralische Entscheidungen abwägen. In Bezug auf meine Sparkonten kann ich schnell agieren. Bislang landeten meine zurückgelegten Euro bei einer privaten Onlinebank. Ohne großen Aufwand wechsle ich damit zu einer von damals vier nachhaltigen Banken am Markt, bei der die Konditionen sogar genauso gut sind. Und der Effekt auf Umwelt und Mensch ist riesig: Zukünftig parke ich mein Erspartes bei einer Bank, die nicht in fragwürdige Geschäfte wie die Rüstungsindustrie, Atomstrom, Kohlestrom oder korrupte Regime investiert. Sogenannte Ethikbanken arbeiten extrem transparent. Die Kunden wissen, welche Projekte die Bank fördert, oft gibt es sogar die Möglichkeit der Mitbestimmung. »Aber muss ich bei solchen Banken auf Gewinn verzichten?«, ist oft die bange Frage. Es hat sich aber gezeigt, dass sie ökonomisch absolut mit konventionellen Banken mithalten können. Das gute Gefühl, mit dem eigenen Geld keinerlei Ausbeutung von Mensch oder Erde zu unterstützen, kommt als Gewinn obendrauf.
Trotz dieser vielen guten Argumente: Als es um meine Girokonten geht, komme ich ins Wanken. Denn nach allen Beratungsgesprächen mit nachhaltigen Banken muss ich doch feststellen: Keine kann mir die Flexibilität bieten, die ich bei der Volksbank in meiner Heimat habe. Dort habe ich ein Konto, seit ich geschäftsfähig bin. Dort kennt man mich, es gibt ein Vertrauensverhältnis. Dort erhöht man mir ohne viel Bürokratie mal schnell den Dispo, damit ich eine ungewöhnlich hohe Überweisung tätigen oder die schlechte Zahlungsmoral einiger Auftraggeber abfedern kann. Das hat mir vor allem als Selbstständige schon mehrfach den Arsch gerettet. All das kann ich nicht aufgeben und schließe einen Kompromiss: Ich eröffne ein Girokonto bei einer nachhaltigen Bank. Eines behalte ich aber bei der Volksbank. Immerhin hat meine Hausbank schon mal einen langen Text von mir zum Thema Nachhaltigkeit veröffentlicht, vollkommen egal scheint ihnen mein Anliegen also nicht zu sein. Aber ich will an dieser Stelle nicht naiv erscheinen: Die Ansprüche, die ich an nachhaltige Finanzgeschäfte stelle, erfüllt weder »meine« Volksbank noch all die anderen.
Einige Jahre später greife ich notgedrungen wieder auf meine Volksbank zurück. Als er acht Jahre alt ist, äußert unser Sohn den Wunsch nach...