Steele / Franßen | Ravenhill | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Steele / Franßen Ravenhill


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-945133-78-1
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-945133-78-1
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



John Steeles explosive Geschichte der Paramilitärs in Belfast greift auf die dreißig Jahre alte düstere Geschichte einer langen Reihe von Gräueltaten zurück, mit denen die IRA, die INLA, die Ulster Volunteer Force und die Ulster Defence Association sich gegenseitig bekämpften. Jackie Shaw kehrt nach Belfast zurück, um an der Beerdigung seines alkoholkranken Vaters teilzunehmen, findet aber schnell heraus, dass seine Vergangenheit ihn einholt. 1993 fand ein schrecklicher Bombenanschlag auf eine Video­thek statt, in der neun Zivilisten und Kinder, getötet wurden. Shaw fuhr das Fluchtfahrzeug und ver­schwand danach spurlos. Seine verbrannte Leiche wurde am Tatort gefunden. Im Ethos der Paramilitärs ist alles akzeptabel, außer ein Polizei- oder Armeeinformant oder noch schlimmer, ein verdeckter Polizist oder Geheimdienst. Die Strafe für beide ist brutale Folter und eine Kugel in den Hinterkopf. Jahre später hat das Karfreitagsabkommen die Dinge verändert. Die Paramilitärs haben ihren Zweck verloren. Einige, wie Jackies ehemaliger Kommandant, finanzieren ihren Lebensstil mit dem gleichen Schutzgeld, das sie einst in ihren Ge­meinden erhoben haben. Andere mit Drogen, Prostitution, Menschenhandel und arbeiten sogar mit ihren ehemaligen IRA-Feinden zusammen. 'Ravenhill' erinnert uns alle daran, welchen Folgen ein möglicher Brexit für Nordirland mit sich bringt, wie schnell alte wunde erneut aufbrechen.

John Steele wurde in Belfast geboren. Mit 22 Jahren reiste er in die Vereinigten Staaten und lebte auf drei Kontinenten, darunter ein dreizehnjähriger Aufenthalt in Japan. Zu seinen früheren Tätigkeiten gehören Schlagzeuger in einer Rockband, Illustrator, Lastwagenfahrer und Englischlehrer. Heute lebt er mit seiner Frau und seiner Tochter in England. Ravenhill ist sein erster Roman. Das zweite Jackie-Shaw-Buch 'Seven Skins' ist soeben erschienen.

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Kapitel 1
1993
Stephen Armstrong hatte sich immer für einen anständigen Kerl gehalten. Die Einsicht, von einem Geheimnis zu wissen, das ihn sein Leben kosten könnte, überraschte ihn daher ziemlich. Er grübelte gerade darüber nach, als Archie Sinclair die Stimme hob, um das Radio zu übertönen. »Während einer Ermittlung auf einem Friedhof in West Belfast heute am späten Vormittag wurde ein als Grab getarntes Waffenlager entdeckt. Die Polizei erklärte, bei den gefundenen Waffen handele es sich unter anderem um eine abgesägte Schrotflinte, zwei Handfeuerwaffen und ein automatisches Gewehr.« »Das war einfach grandios, als der Typ sich in Metall verwandelt hat und all das. Ich sag dir, in Zukunft wird es vor allem Comic- Verfilmungen geben.« Stephen blickte durch das Schaufenster von East-End-Video auf den vorbeiströmenden Feierabendverkehr und hinüber zum Ormeau Park auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es war ein schöner Nachmittag im Februar und noch immer nicht dunkel, dabei war es schon beinahe halb fünf. Schmale Lichtstreifen fielen durch die kahlen Bäume und warfen ein blassgoldenes Streifenmuster auf die Spazierwege. »Der war eindeutig besser als dieser andere Film, den du mir empfohlen hast. Ich interessiere mich eigentlich nicht für Science-Fiction, aber wenn Arnie mitspielt, kann’s eigentlich nicht schlecht sein, oder?« »Die Polizei ermittelt im Fall einer Schießerei in einer Taxi-Firma an der unteren Newtownards Road in East Belfast, die sich heute Nachmittag ereignet hat.« Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte Stephen hinter den Baumwipfeln das Ashby-Hochhaus der Queen’s University an der Stranmillis Road erkennen. Er fragte sich, ob Donal vielleicht dort herumhing und in der Studenten-Cafeteria einen Espresso trank. Donal hatte gestern Abend erwähnt, er würde Maschinenbau oder etwas in der Art studieren, und Stephen hatte so eine Ahnung, dass der Fachbereich sich im Ashby-Gebäude befinden könnte. Auch wenn er noch nie in seinem Leben eine Universität betreten hatte. »In der vergangenen Nacht wurden im Market Quarter Schüsse auf einen katholischen Mann abgegeben. Er wurde am Kopf getroffen und starb wenig später im Krankenhaus. Die Kriminalpolizei vermutet, dass die Ulster Volunteer Force für den Anschlag verantwortlich ist …« »Wee Minty behauptet, der Typ, der den Bösen spielt, soll angeblich schwul sein, aber ich meine, dass ist totaler Schwachsinn. Der ist doch viel zu brutal für einen Homo.« Oje, wenn du wüsstest, dachte Stephen. Tag für Tag saß er hier auf diesem hohen Hocker hinter dem Tresen des Videoverleihs und wurde von allen als harter Bursche angesehen. Er war groß und ziemlich kräftig, hatte im Laufe der Jahre einige handfeste Auseinandersetzungen durchgefochten und hübsche Narben davongetragen. Stephen war mit Männern zur Schule gegangen, die Verbindungen zu den Loyalisten hatten. Mit Männern also, die solche Anschläge guthießen, von denen gerade im Radio berichtet wurde. Männer, die nicht die leiseste Ahnung davon hatten, dass Stephen hundertprozentig schwul war und sehr zufrieden damit. Wenn sie davon Wind bekämen, würde sein Laden garantiert nicht länger von den Schutzgeldzahlungen ausgenommen werden, die andere hier in der Straße leisten mussten. Außerdem würde man ihn in seiner Stammkneipe bestimmt nicht mehr fragen, ob er sich nicht einer der paramilitärischen Einheiten anschließen wollte. Er hatte derartige Angebote immer ausgeschlagen, ohne groß darüber nachzudenken, aber die Reaktion seines jeweiligen Gegenübers war jedes Mal schwer vorhersehbar gewesen und hatte immer irgendwo zwischen freundschaftlich und aggressiv gelegen. Schließlich mied er seine Stammkneipe und besuchte lieber eins der anderen Lokale an der unteren Ravenhill Road oder My Lady’s Road, bloß um sich diesen Blödsinn vom Leib zu halten. Aber in jeder Bar saß einer von denen herum und suchte nach jungen Kerlen, die bereit waren, für Gott und Ulster in den Krieg zu ziehen. »… der Mann hatte eine protestantische Freundin in der Lisburn Road. Die Polizei vermutet, dass dies der Grund für seine Ermordung sein könnte.« Diese Männer ahnten ja nicht, dass Stephen heute Morgen im Bett eines sechsundzwanzigjährigen Studenten aufgewacht war. Ein sehr attraktiver, sehr männlicher, sehr katholischer Student aus Warrenpoint, der Donal hieß und zurzeit in Belfast auf die Uni ging. Für Stephen war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. »Der arme Kerl, bloß weil er katholisch war. Und seine Freundin tut mir auch leid«, sagte Archie. Archie hatte keinen blassen Schimmer von Stephens Sexleben. Aber Archie hatte von vielen Dingen nicht den geringsten Schimmer. Er war mit sechzehn von der Schule abgegangen ohne irgendeinen Abschluss in der Tasche. Und jetzt, mit einunddreißig, war er gerade mal eine Woche älter als Stephen und arbeitslos. Jedenfalls im formalen Sinn. Archie war so etwas wie der stille Teilhaber dieses Videoverleihs und holte alle vierzehn Tage pünktlich und gewissenhaft seine Arbeitslosenunterstützung ab. Falls irgendein übereifriger Staatsbeamter ihn hier hinterm Tresen neben Stephen herumlungern sah, würde er behaupten, er sei bloß gekommen, um seinem Kumpel Gesellschaft zu leisten. Stephen und Archie waren tatsächlich Freunde. Archies Vater war Seemann bei der Handelsmarine gewesen und hatte die Familie verlassen, als sein Sohn noch klein war. Von ihm hatte Archie seinen schmächtigen Wuchs geerbt. Er war eine einfache Seele und immer zu klein für sein Alter gewesen, weshalb er in der Schule ständig herumgeschubst wurde. Einige der Schlägereien, in die Stephen während seiner Teenagerzeit geraten war, hatten dazu gedient, Archie zu verteidigen. Einer seiner frühesten Gegner war inzwischen ein wichtiger lokaler Vertreter der UDA. »Ja, es hört einfach nie auf«, sagte Stephen. Archie kratzte sich an seiner gebrochenen Nase, dem prägnantesten Aspekt seines sonst eher tumben Gesichts. »Ich hab neulich abends den Film gesehen, in dem dein Typ auftritt.« »Mein Typ?« »Von dem du geredet hast, der mit der Schauspielerei aufgehört hat und Boxer wurde. Der hat in diesem heißen Film gespielt, zusammen mit dieser Tussi, dieser Basinger. Du hast mir mal ’nen anderen Film von ihm geliehen, irgendwas mit ›A Prayer‹ oder so.« »Ach den Typen meinst du.« »Totaler Scheißfilm. Handelt von einem IRA-Mann, verstehst du? Da spielt er die Hauptrolle, ist aber total schlecht drauf, weil er bei einem Bombenanschlag aus Versehen eine Menge Kinder umgebracht hat. Und dann wird er den ganzen Film lang als beschissenes Opfer gezeigt. Und wir sollen auch noch Mitleid mit ihm haben.« »Ts-ts«, machte Stephen. »Aber die Yankees sehen das vielleicht wirklich so.« Jetzt trat eine Kundin an den Tresen, Diane Hunter. In der Hand hielt sie eine Kassette mit einer Beziehungskomödie. Archie redete weiter: »Und er hat den Akzent nicht hingekriegt. Er klang total behindert, als wäre er leicht betrunken oder so. Schätze, die Amerikaner denken sowieso, dass wir alle ständig besoffen sind.« Diane schaltete sich ein: »Meinst du den Film über die IRA, wo dieser Typ mitspielt? Dieser Boxer?« Stephen und Archie antworteten wie aus einem Mund: »Ja, genau.« »Mein Cousin ist Bulle, wisst ihr. Und wenn ein Schauspieler oder so herkommt, um zu recherchieren, dann muss die Polizei ihn mit einem Land Rover durch Belfast eskortieren. Mein Cousin ist am Donegal Pass stationiert und soll also diesen Typen herumführen, und sie fahren die Sandy Row hoch. Dort sind überall Union Jacks und Parolen von der UVF an den Mauern zu sehen. Und der Typ fragt: ›Wieso sind da überall diese britischen Malereien an den Wänden?‹ Und mein Cousin erklärt ihm ganz höflich: ›Das hier ist eine protestantische Gegend, die Leute hier wollen im Vereinigten Königreich bleiben.‹ Darauf der Typ: ›Ich wusste gar nicht, dass es Protestanten in Irland gibt!‹ So ein Vollidiot.« »Schade, dass dein Cousin ihm nicht den korrekten Akzent beigebracht hat«, sagte Archie. Diane wandte sich wieder den Regalen zu, wo zwei ungefähr acht Jahre alte Mädchen sich gerade die grellbunten Cover in der Zeichentrickabteilung anschauten. Archie folgte ihrem Blick. Sein Bein fing an zu zucken und schlug rhythmisch gegen den Hocker. Er fummelte an seiner Zigarettenschachtel herum und sein Gesichtsausdruck wechselte mehrfach zwischen Panik, Verwunderung und Verwirrung. Die Mädchen kicherten und zogen hastig Videokassetten heraus und stellten sie wieder ins Regal. »Jane, reiß dich zusammen und...



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