Stein Um jeden Preis
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-943758-47-4
Verlag: B3 Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mord im Discount
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-943758-47-4
Verlag: B3 Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In Nieder-Erlenbach, einem Vorort Frankfurts, ist die nächste Filiale der Discountkette "BILLI" entstanden. In der Nacht vor der Eröffnung werden die Außenwände des Gebäudes mit Drohungen und Parolen besprüht - zwei Mitarbeiterinnen tot aufgefunden - heimtückisch ermordet. Handelt es sich um Erpressung des multinationalen Konzerns? Haben erboste Einwohner des Ortes ihrer Wut freien Lauf gelassen? Oder war es am Ende eine verdeckte Beziehungstat? Hauptkommissar Martin Schwaner und sein Team gehen den unterschiedlichen Spuren nach und decken dabei die vielfältigen Verflechtungen aus Politik, Wirtschaft sowie den egoistischen Interessen Einzelner auf.
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Prolog
Das Licht fällt kühl von der Decke und verblasst in den strukturlosen und unbeschädigten Oberflächen der Fliesen. Die Wände, unbefleckt und kahl, und die Regale strahlen noch den unverbrauchten Glanz des Neuen aus. Die Waren stehen wie mit einem Lineal ausgerichtet in Reih und Glied. In makelloser Schrift auf orangefarbenem Grund sind die Produktinformationen und der Preis zu lesen. Die abgestandene Luft riecht nach einer Mischung aus Innenbinder und scharfen Putzmitteln. Die Gänge laufen auf die Fensterfont zu, die sich fast über die gesamte Breite des Gebäudes erstreckt. Trotz der Fülle an Regalen, Schütten, Kühltheken, Eisschränken, Kassen und Einkaufswagen wirkt der Raum gespenstisch leer – bis auf eine Frau in einem weißblau gestreiften Kittel ist keine Menschenseele zu sehen. Sie trippelt mit einer Schreibunterlage in der Hand die Fronten entlang, bleibt hin und wieder stehen, schaut auf ihre Papiere, hakt etwas ab, geht einen Schritt weiter, hält wieder inne, rückt etwas gerade, zählt mit dem Stift dirigierend Flaschen nach, setzt wieder einen Haken, rückt wieder eine Fliese oder zwei nach vorne, einer Marionette gleich, so mechanisch und plötzlich sind ihre Bewegungen. In der stockdunklen Nacht wirkt das gesamte Gebäude, mit seinem weithin strahlenden Eingang, dem bunten Firmenemblem und dem beleuchteten Parkplatz vor den schon fast im Schwarz versunkenen Feldern wie eine Fotografie aus dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Die im Wind flatternden rotweißen Absperrungsbänder – sie umrunden die bereits ausgehobenen Gruben für die noch nicht gelieferten Bäume, die der öden Parkfläche ein wenig Natur und etwas Schatten spenden sollen – betonen die Künstlichkeit des gesamten Areals zusätzlich. Ein einsames Fahrzeug steht in unmittelbarer Nähe einer halbrunden Kuppel aus Plexiglas, über die das Licht fließt wie ein aufgeschlagenes Ei. Ein alter Wagen, in einem ausgelaugten Grün, das kaum noch das Strahlen der Laterne über ihm reflektiert. Verloren steht er auf der weiten Fläche. Die Beulen links und rechts am Heck sind bei dieser direkten Beleuchtung aus der Ferne deutlich zu erkennen. Ein grellfarbener, klobiger Pickup, oder eine lange, unförmige Limousine, breit wie ein Fahrstreifen, mit geschwungenen Rückleuchten – ein Abbild einer Fotografie von William Eggleston –, und die Illusion, ein verlassenes Motel an einem vergessenen Highway in den USA zu betrachten, wäre nahezu perfekt. So ist es ein fantasieloser durchschnittlicher Kleinwagen, der die Tristesse des kleinen Vorortes der Mainmetropole zur Schau stellt. Tagsüber, bis in den Abend hinein, hat es teilweise heftig geregnet. Wie Perlenschnüre haftet das Wasser an den milchig dumpfen Scheiben des Autos. Ab und an löst sich ein Tropfen, läuft, immer schneller werdend, dem grauen Verbundpflaster entgegen, reißt andere mit, wird dicker, springt über das schwarze Dichtungsgummi, kullert am Kotflügel entlang und zerplatzt auf den Steinen. Unmittelbar vor der breiten Fensterfront hat sich eine große Wasserlache gebildet, die nun den Planungsfehler oder die mangelhafte Arbeit des beauftragten Bauunternehmens verrät. In dem schwarzen Spiegel steht die Welt kopf. Das Licht aus dem Inneren des Gebäudes fließt in breiten Bahnen darüber hin, das Leuchttransparent steckt wie ein Reißbrettstift daneben. Gelegentliche Windstöße raspeln über die Oberfläche, und das Bild zerspringt in tausend Teile, um danach von selbst wieder ineinanderzufließen, als wären es Puzzleteilchen, jedes mit seinem festen Platz, an den es eilends zurückkehren muss. Der Wagen gehört Sara Davids, der Filialleiterin des neuen BILLI-Marktes in Nieder-Erlenbach, dem nördlichsten und mit etwas mehr als viereinhalbtausend Einwohnern auch einem der kleinsten Stadtteile Frankfurts. Nieder-Erlenbach bildet eine platte Nase im kartografischen Bild der Stadt und ragt weit in die Fluren, Felder und Obstwiesen der Wetterau hinein. Der Discountmarkt ist auf ehemaligen landwirtschaftlichen Nutzflächen errichtet und wirkt wie ausgestoßen aus der Gemeinde. Wem es das an der vorbeiführenden Landstraße stehende Schild nicht verrät, der käme nicht auf die Idee, dass dieser Ort ein Teil der etwa fünfzehn Kilometer weit entfernten City ist. Die ländliche Umgebung wird durch den dörflichen Charakter Erlenbachs noch verstärkt. Den Kern bilden Fachwerkhäuser aus dem achtzehnten Jahrhundert, kaum eines ist älter, da zwei große Brände das damals noch eigenständige Dorf fast vollständig zerstörten. Der namensgebende Erlenbach durchquert romantisch plätschernd, von Bäumen beschattet, am alten Ortskern vorbei diesen Wohnort der Besserverdienenden, die es aus dem hektischen Frankfurt in die Idylle gezogen hat. Seit der Eingemeindung Anfang der Siebziger hat sich die Zahl der Einwohner Nieder-Erlenbachs mehr als verdoppelt, die bebaute Ortsfläche allerdings vervielfacht, da keine Mehrfamilieneinheiten oder Wohnblocks entstanden sind, sondern in großzügige, allein stehende Häuser mit Garten investiert wurde. Sara Davids kontrolliert ein letztes Mal die Auslagen, die Präsentation, die korrekte Auszeichnung und die Dekoration der Eröffnungsangebote. Es ist schon weit nach zehn am Abend, und morgen früh, am 17. September, um acht Uhr, soll es endlich losgehen. Sie hat alle Kolleginnen und Kollegen, die bis spätabends räumten, sortierten und reinigten, nach Hause geschickt. Nur Habibe Tosun, die Putzfrau, ist noch da und beseitigt die zahlreichen Schmutzspuren in den hinteren Räumen. »Frau Tosun? Frau Tosun?« Sara Davids geht mit dem Klemmbrett unterm Arm nach hinten und sucht sie. Sara und Frau Tosun leben beide in Erlenbach, haben sich aber erst durch den Neubau des Discountmarktes kennen gelernt. Sara Davids ist gerade zur Filialleiterin aufgestiegen, sonst hätte sie Habibe längst das Du angeboten. So ist sie sich unsicher, ob ein zu enger Kontakt zu den Mitarbeitern nicht hinderlich wäre. Obendrein ist sie deutlich älter als die junge Türkin. Außerdem sieht es die Regionalleitung nicht gerne, wenn die Hierarchien übergangen werden. Dennoch zeigt sie, wo immer möglich, Habibe ihre Zuneigung. Selten ist sie einer solch sympathischen und engagierten Kollegin, jetzt ihre Mitarbeiterin, begegnet. Darüber hinaus hält Sara Frau Tosun für eine der schönsten Frauen überhaupt. Sie versteht es, obwohl sie immer ein Kopftuch und weit ausladende Kleider trägt, auf eine besondere Art weiblich zu wirken, die Sara mit neidloser Hochachtung beeindruckt. Sie treffen sich am Durchgang zu den Lagerräumen. »Frau Tosun, da sind Sie ja. Schluss für heute. Sie haben genug gearbeitet. Sauberer wird’s nicht!« »Da wäre noch Ihr Büro, dazu bin ich noch nicht gekommen«, antwortet Frau Tosun und will sich, mit Eimer und Wischmopp bewaffnet, an Sara vorbei auf den Weg machen. »Nichts da, mein Büro kann bis morgen warten. Es ist schon fast elf. Schluss jetzt. Ich muss auch ein wenig schlafen. Zumindest muss ich es versuchen.« Mit jedem Tag, den die Eröffnung näher rückte, war Sara Davids unruhiger geworden. Die letzten Nächte hatte sie fast kein Auge mehr zubekommen. »Aber, morgen …« »Nichts aber, wenn ich sage Schluss jetzt, dann ist Schluss. Stellen Sie Ihre Sachen ab, ziehen Sie sich um, ich warte in meinem Büro auf Sie.« Sara versucht den Ton zu treffen, den sie in der Fortbildung zur Filialleiterin gelernt hat. ›Ein freundlicher, aber bestimmender Tonfall, der Ihren Mitarbeitern ganz klar die zu erledigenden Aufgaben definiert.‹, geht es ihr durch den Kopf – und es funktioniert. Frau Tosun stellt die Putzgeräte an die dafür vorgesehene Stelle und geht in Richtung Mitarbeiterraum. Sara Davids sitzt am Schreibtisch in dem kleinen Büro, das neben ihrem eigentlichen Arbeitsplatz nur zwei dicht beieinander stehenden Stühlen, einem Regal im Rücken und zwei kleinen Stahlschränken Platz bietet. Ein kleines, vergittertes und sichtgeschütztes Fenster ist die einzige Öffnung für Tageslicht. Ursprünglich sollte sie den größeren, aber abgeschlossenen Raum weiter hinten beziehen, doch die Regionalleitung war mit dem Tausch einverstanden, und sie bekam wenigstens etwas frische Luft. Unter dem Fenster, auf der äußersten Ecke des Tisches, in einem goldenen Übertopf, steht ein Pfennigbaum, ein Geschenk ihres Mannes zu ihrer neuen Stelle als Filialleiterin. An den Blumenkübel angelehnt eine Postkarte: ›99 Cent‹ – ein Foto von Andreas Gursky. Ein kleiner Seitenhieb von Gregor Davids, der die BILLI-Märkte verabscheut. Sie kontrolliert nochmals die Arbeitspläne, Pausenzeiten, das Wechselgeld und die morgigen Termine. Der Regionalleiter möchte kommen, der Ortsvorsteher ebenfalls. Ansonsten ist sie sehr gespannt, wie viele Kunden...