Steinhauer | Die Stunde des Medicus | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 378 Seiten

Steinhauer Die Stunde des Medicus

Ein Roman zur Völkerschlacht
2014
ISBN: 978-3-8392-4297-1
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection

Ein Roman zur Völkerschlacht

E-Book, Deutsch, 378 Seiten

ISBN: 978-3-8392-4297-1
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection



Im Herbst 1813 wird von Anglern eine geschundene Frauenleiche gefunden. Gerüchte über ein riesiges wildes Tier kursieren, das sein Unwesen in der Gegend treiben soll. Der Medicus Dr. Prätorius hingegen hält einen Menschen für den Schuldigen. Während sich in Leipzig eine Typhusepidemie ankündigt und Truppenbewegungen die Bevölkerung verängstigen, wird eine weitere Leiche entdeckt. Unruhe macht sich breit. Da wird Dr. Prätorius ins Lager der Franzosen gerufen, um einen Kranken zu behandeln …

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Die erste Frau
Wahrscheinlich wird keiner von uns den Tag je vergessen. Den nicht und was danach folgte wohl auch nicht. Mein Bruder Klaus und ich waren zusammen mit Onkel Matthäi aufgebrochen, um unser Geschick im Fischfang zu verbessern. Meine Mutter war der Meinung, es könne nicht schaden, wenn wir in der Lage wären, den Speisezettel der Familie deutlich zu erweitern. Natürlich kannte ich den wahren Grund. Meine Mutter, eine sehr kluge Frau, wusste, dass Brüder unseres Alters ihre Kräfte und ihr Können messen müssen. Sicher, es stimmte was im Dorf geredet wurde, nämlich dass sie deutlich klüger als schön war, uns jedoch störte das nicht. Wir drei hatten also unsere Rucksäcke gepackt. Wegzehrung für uns, Köder für die Fische, unsere selbstgebastelten Angelruten. Es würde für die Fische nicht einfach sein, uns zu entkommen, denn wir waren schon recht geübte Angler. Außerdem stand der Mond auf unserer Seite. Lorenz, ein kauziger Mann aus dem Dorf, von dem niemand sagen konnte, wie alt er war oder woher er stammte, hatte uns im Sommer erklärt, nach Neumond und vor Vollmond würden die Fische besonders gut beißen. Und in der letzten Nacht hatte sich der Mond gar nicht am Himmel gezeigt. Klaus und ich waren sicher, wir würden so viele fangen, dass wir Hilfe beim Heimtragen bräuchten. Matthäi führte uns zu einer Stelle an der Parthe, die ein wenig versteckt lag. Das dunkle Wasserband machte hier eine Biegung, das Ufer verschwand fast vollständig unter Gestrüpp und kam erst weiter flussabwärts wieder zum Vorschein. Matthäi behauptete, hier fühlten die Fische sich sicher, fänden Schatten, und die anderen Fischfänger kämen nur selten her zum Angeln, weil sie sich durch das Unterholz arbeiten mussten, das sei vielen zu beschwerlich. Klaus watete durchs Wasser, was nach den vielen Regenfällen, die selbst den kleinen Fluss hatten anschwellen lassen, gar nicht so einfach war, und setzte sich an der gegenüberliegenden Uferseite auf einen Stein. Wir warfen unsere Ruten durch die Luft, ließen die Regenwurmköder eintauchen und warteten. Schweigend. Sehr lange. Wortlos. Lautlos. Ich beobachtete, wie Klaus eine stattliche Forelle fing und in seinen Eimer warf. In meinem schwammen nach kurzer Zeit auch schon drei, unser Onkel war auch erfolgreich. Mehr Beute, als wir zum Abendessen allein verzehren konnten. Die Sonne krabbelte am Himmel empor. Es wurde erst warm, dann unerwartet heiß für einen Herbsttag. »Matthias«, erklärte mir Onkel Matthäi, »ich glaube, wir machen noch eine Stunde weiter. Die beißen heute so gut, da fällt genug an für eine Ladung in der Räucherkammer. Deine Mutter wird sich freuen.« Klaus war auch einverstanden, er hatte wohl einen Rückstand auszugleichen, und so blieben wir am Fluss. Ich glaube, es war Matthäi, der sich zuerst beschwerte. »Es stinkt!« Und das stimmte tatsächlich. »Kommt vom Wasser«, behauptete Klaus. »Hier ist wenig Strömung. Es wird brackig.« Erneutes Schweigen. Wir behielten unsere Angeln fest im Blick. Nach einer Weile maulte Matthäi: »Es stinkt nicht nach verdorbenem Wasser!« Mein Onkel konnte manchmal nervtötend rechthaberisch sein. »Sind bei euch auch so viele Wespen?«, fragte ich, denn, wenngleich ich es nicht zugegeben hätte, die Stiche waren schmerzhaft, das Gesumme lästig. Dem Lärm nach zu urteilen, musste das Nest im Gebüsch hinter mir sein. »Bei mir nicht«, rief Klaus grinsend, doch Matthäi, der ein paar Meter von mir entfernt stand, nickte. Bei ihm waren die Biester also auch. »Du bist am anderen Ufer«, stellte ich fest. »Vielleicht mögen die nicht übers Wasser fliegen. Dann hast du die bessere Seite gewählt.« Ich beobachtete, wie Matthäi aufstand und im Unterholz verschwand. Der viele Tee vom Frühstück drückte, nahm ich an. Nach einer Weile kam er zurück. Nahm wortlos seine Rute wieder in die Hand. Starrte ohne Regung aufs Wasser. Überraschend begann er heftig zu würgen. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie jemanden so kotzen sehen. »Mensch, Matthäi! Was ist dir?«, ich lief zu ihm und bemerkte sofort, wie ungewöhnlich bleich er war. Deutlich weißer als sein Hemd. Langsam kam er wieder zu Atem. Spülte sich den Mund mit Flusswasser aus. Starrte mit glasigen Augen vor sich hin. »Besser?«, erkundigte ich mich, und mein Onkel nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Sollen wir nach Hause gehen?«, fragte Klaus, der angewatet kam. »Nein, nein«, stöhnte Matthäi. »Wir können sie doch nicht einfach so da liegen lassen.« Dieser Satz ergab keinen Sinn. Schließlich waren wir nur zu dritt; und keiner von uns weiblich. Vorsichtshalber legte ich meine Hand auf seine Stirn. Bei meinem letzten heftigen Fieber hatte ich jede Menge Unfug geredet, hatte Dinge gesehen, die außer mir keiner sah. Drachen, die sich in der Schublade räkelten, Zwergengesichter an der Wand hinter meinem Bett, seltsame Fabelwesen, die durch das Zimmer tobten. Doch Matthäi war nicht heiß. Klaus nahm eine Handvoll Wasser und schleuderte es ins Gesicht unseres Onkels. »Der hat einen Sonnenstich!« »Verdammt, hört auf damit«, fluchte Matthäi. »Da hinten liegt eine tote Frau.« »Wo soll hier eine tote Frau herkommen?« Klaus gab sich gern herb männlich. »Hattest du was in deinem Tee? Von den seltsamen Pilzen, die wir für den Medicus gesammelt haben? Die gegen Schmerzen helfen sollen? Wer weiß, vielleicht erzeugen sie auch Trugbilder.« »Sie liegt da. Ganz still«, gab Matthäi mit sonderbarer Stimme zurück und deutete vage auf das Dickicht. »Einfach so.« »Wo genau?« Ich schluckte aufgeregt. »Dort. Wo die Wespen sind.« Als wir nachsehen wollen, hielt mein Onkel uns mit eisernem Griff zurück. »Entweder alle zusammen oder keiner.« Allein hätten Klaus und ich uns wohl ohnehin nicht dorthin gewagt. Eine Tote. So etwas hatten wir noch nie zuvor gesehen. Kaninchen und Mäuse, ja, gelegentlich eine Katze oder einen Hund, aber noch nie einen verstorbenen Menschen. Verpassen wollten wir das ganz sicher nicht. Falls sie wirklich dort lag und kein Hirngespinst war. Matthäi rappelte sich auf und schleppte sich voran. Es kam uns vor, als mache er immer einen Schritt vorwärts und drei zurück. Und dennoch näherten wir uns. Das Brummen der Wespen wurde stetig lauter. Obwohl Klaus und ich – anders als mein Onkel zuvor – auf das vorbereitet waren, was wir finden sollten, traf es uns wie ein mächtiger Hieb in Magen und Knie. Eine Wolke übelsten Gestanks hing über der kleinen Lichtung. Wir schoben unsere Nasen in die Ellenbeuge, legten dann die Hand des anderen Armes auf die Schulter, um zu verhindern, dass sie etwa rausrutschten. Wespen sind nicht leicht zu beeindrucken. Es dauerte ziemlich lang, bis sie sich mehrheitlich dazu entschlossen, den abziehenden Fliegen und Brummern zu folgen. Als sich der schwarze, schillernde Teppich gehoben hatte, sahen wir sie. Die Frau war vielleicht zu Lebzeiten eine Schönheit gewesen, erkennen konnte man das jetzt allerdings nicht mehr. Die Tiere des Waldes hatten sich an ihr gütlich getan, die Insekten ebenfalls. Die Oberlippe fehlte ganz, und so erkannten wir den Kieferknochen und ihre Zähne. Zwei oder drei fehlten in der Reihe, aber das konnte nach ihrem Tod passiert sein. Ich hatte unter einer toten Ratte auch schon deren Zähne entdeckt. Das musste keine Folge eines Kampfes gewesen sein. Die Lider fehlten ebenfalls. Von den Augen war nichts zu erkennen, die bedeckte eine sich bewegende weißliche Masse. Selbst an der Nase und den Ohren war schon gefressen worden. Unterhalb des Halses schien sie auf den ersten Blick unverletzt. Zarte, weiße Haut. Blonde, gelockte Haare. Eine Hochsteckfrisur, aus der sich im Sterben viele Strähnen gelöst hatten. Glatte Arme wie aus Porzellan. Ein glänzendes rotes Kleid, ein grüner Unterrock. Das Kleid musste aus Seide sein, es schimmerte im Licht. Die Verschnürung des Mieders hatte sich gelöst, ihre Brüste waren nur noch teilweise bedeckt. Zwischen den Falten ihres Kleides, auf ihrem Körper, in ihrem Gesicht, überall krochen weißliche Maden herum. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es um einen toten Körper so laut zuging. Die Luft vibrierte förmlich vor Rauschen, Summen und Brummen. Vielleicht war ein verendetes Eichhörnchen nicht groß genug, um derart viele Fresser anzulocken. Fliegen, Wespen und Käfer, an einem Arm hatte ein wildes Tier geknabbert, vielleicht ein Wildschwein. Die Finger zeigten eine seltsame grün-violett-schwarze Farbe, die Kuppe war nicht an allen zu entdecken. Ich zählte. Sechs. Insgesamt. Klaus starrte sie unverwandt an. »Bist du sicher, dass sie tot ist?«, fragte er dann überflüssigerweise. Er flüsterte, als wolle er die Ruhe der Fremden nicht stören. Auch Matthäi wisperte nur: »Daran kann es wohl keinen vernünftigen Zweifel geben. Das halbe Gesicht fehlt! Und sieh nur all das Leben, das auf ihr herumkrabbelt.« »Sie war bestimmt sehr schön. Was meinst du, ist ihr passiert?« »Das kann ich dir auch...


Steinhauer, Franziska
Franziska Steinhauer ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt seit 1993 in Cottbus. Nach dem Abitur studierte sie Pädagogik.
Seit 2004 arbeitet sie als freie Autorin. Die Schwerpunkte ihrer literarischen Tätigkeit sind Kriminalromane und Kurzgeschichten, in und um Cottbus und den Spreewald. 2014 hat sie außerdem ein Studium in Forensik (M.Sc.) an der Technischen Universität Cottbus abgeschlossen. Das hierdurch erworbene Wissen setzt sie ein, um die in ihren Krimis beschriebenen kriminaltechnischen Untersuchungen und die Rekonstruktion von Tathergängen realitätsgetreu darzustellen. Ihre psychologisch ausgefeilten Kriminalromane ermöglichen tiefe Einblicke in das pathologische Denken und Agieren des Täters. Mit Geschick verknüpft sie mörderisches Handeln mit Lokalkolorit und dem Blick auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen.



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