Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 140 Seiten, Ambach Band 1 + 2
Reihe: Ambach
ISBN: 978-3-492-97083-9
Verlag: Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Autoren/Hrsg.
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Eins
Felix Ambach war selbst überrascht, mit welcher Wucht die schwere Axt durch die Werkstatt flog, die er seit dem Tod des Vaters allein nutzte. Beim Aufprall auf das alte Regal splitterte Holz. Bücher, Kunstbände, hölzerne Rohlinge und einige fertige Schnitzfiguren stürzten in die Tiefe. Ein gläserner und schon lange nicht mehr benutzter Aschenbecher ging scheppernd zu Bruch. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich der aufgewirbelte Staub legte, bis er aufhörte, im Gegenlicht zu tanzen. Auch außerhalb der Werkstatt war der Aufprall zu hören gewesen, ein Eichhörnchen hatte sich verschreckt auf einen Baum in Sicherheit gebracht. Jetzt war es hier draußen, vor dem Ambach'schen Hof, still. Kein Tier wagte es, die Ruhe zu durchbrechen, die in den nächsten Minuten einen so kühnen wie gefährlichen Plan gebären würde. Felix Ambach stand schwer atmend in der Werkstatt. Sein hagerer Körper zitterte noch Sekunden - vielleicht waren es sogar Minuten - nach dem folgenreichen Axtwurf. Es war eine Mordswut, die ihn beben ließ. Doch allmählich fand sein Puls zur Ruhe. Der Sechsunddreißigjährige wischte sich die dunkelblonden halblangen Haare, die schon lange kein professioneller Schnitt mehr geformt hatte, aus der Stirn und sah sich mit seinen kühlen blauen Augen die Zerstörung im Raum an, die sein Wurf angerichtet hatte. Wäre die Axt anstatt auf ein Bücherregal auf einen menschlichen Schädel getroffen, so hätte sie diesen sauber in zwei Teile geteilt. Felix Ambach hatte keine sichtbaren Muskeln, aber Kraft. Schuld an seinem Ausbruch war ein Telefongespräch mit dem älteren Bruder gewesen. Wieder mal hatten sie gestritten. Ausnahmsweise nicht wegen Maria. Gefühle hatte Felix keine mehr für sie - jedenfalls glaubte er das. Außerdem machte der Vertrauensbruch nur einen Teil der Verachtung aus, die die Brüder füreinander hegten: Regelmäßig hatte der größere Bruder den kleineren mit Prügeln und anderen Gemeinheiten drangsaliert. Und genau genommen war Christian Ambach der Hauptschuldige daran, dass sein Bruder ein Loser geworden war. Denn eigentlich war Felix viel talentierter als er. Bereits als Bub hatte er nicht nur erstaunlich filigrane Holzfiguren geschnitzt, sondern sich auch für die Geschichte der Holzbildhauerei und ihre herausragendsten Vertreter interessiert. Aus Felix Ambach hätte ein Künstler werden können. Als Neunzehnjähriger stand er sogar kurz davor, in die Bildhauerklasse der Kunstakademie aufgenommen zu werden. Doch dann hatte Christian einen Tag vor der Abgabe Felix' Skulptur »Die Liebenden und der Klumpfüßige« zerhackt und in das Feuer des Küchenofens geworfen. Als Felix fassungslos vor den lodernden Flammen stand, sagte sein großer Bruder: »Das ist wahre Kunst. Sieh es als Performance, Felix. Ich nenne sie 'Das Scheitern des Niveaulosen'.« Etwas in Felix' Innerstem war an diesem Abend zu Bruch gegangen. Und er hatte ein für alle Mal begriffen: Sein großer Bruder duldete keinen König neben sich. Aber auch die Eltern hatten Anteil an dem brüderlichen Hass, insbesondere der Vater. Er und seine Frau schenkten ihrem Erstgeborenen alle Liebe. Christian hatte seinerzeit als geplantes Kind alle Liebe und Zuwendung bekommen, zu der die Eltern fähig waren. Alle Wünsche hatten sie ihm erfüllt, soweit dies angesichts der begrenzten finanziellen Mittel möglich gewesen war. Und so konnte er den Weg des Erfolgs und der Karriere einschlagen. Heute stellte der Experte Dr. Christian Ambach in der Kunstszene etwas dar. Felix hingegen war zur Unzeit zur Welt gekommen, wenn man es genau nahm: Seine Geburt war überflüssig gewesen. Nicht nur, dass der Vater sich gar kein weiteres Kind mehr gewünscht hatte: Sechs Jahre nach der Geburt des ersten Sohns hatte - auch wegen der Sauferei des Vaters - die Geldnot die Familie endgültig in den Würgegriff genommen. Dass ihn der Vater lieber nicht bekommen hätte, hatte er Felix ein Leben lang spüren