Steinleitner / Edlinger | Ambach – Die Auktion / Die Tänzerin | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 140 Seiten

Reihe: Ambach

Steinleitner / Edlinger Ambach – Die Auktion / Die Tänzerin

Kriminalroman
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-492-97083-9
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 140 Seiten

Reihe: Ambach

ISBN: 978-3-492-97083-9
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Felix Ambach kann nichts so richtig gut - außer schnitzen. In den Augen seines Bruders Christian, eines angesehenen Kunsthistorikers, zählt das jedoch wenig: Er behandelt Felix wie einen Versager. Bis Felix genug hat. Um sich zu rächen, fälscht er einen alten Kunstschatz. Er will ihn Christian unterjubeln und ihn dann als Fälschung enttarnen - schon wäre der Ruf seines Bruders zerstört. Doch die Dinge laufen nicht ganz nach Plan. Ehe er sich's versieht, gerät Felix in das Visier eines zwielichtigen Kunstsammlers. Der macht ihm ein so brisantes wie verlockendes Angebot ...

Jörg Steinleitner, geboren 1971 im Allgäu, studierte Jura, Germanistik und Geschichte. Er absolvierte die Journalistenschule in Krems/Wien und ließ sich 2002 nach Stationen in Peking und Paris als Anwalt in München nieder. Bei Piper veröffentlichte er die Anne-Loop-Krimis, die Krimiserie um den LKA-Präsidenten Kurt Nonnenmacher, die 'Ambach'-Reihe mit Co-Autor Matthias Edlinger sowie 'Gummistiefelyoga' unter dem Pseudonym Felix Tanner. Zudem ist er Chefredakteur des Literaturmagazins BUCHSZENE.DE und veröffentlicht auch Kinderbücher. Seine Lesungen inszeniert Steinleitner als unterhaltsames multimediales Kabarett. Steinleitner wurde u.a. mit dem Preis 'Demokratisch handeln' ausgezeichnet und ist seit 2020 Bürgermeister im oberbayerischen Riegsee, wo er mit Frau und drei Kindern in einem 200 Jahre alten Bauernhof lebt.
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Eins


Felix Ambach war selbst überrascht, mit welcher Wucht die schwere Axt durch die Werkstatt flog, die er seit dem Tod des Vaters allein nutzte. Beim Aufprall auf das alte Regal splitterte Holz. Bücher, Kunstbände, hölzerne Rohlinge und einige fertige Schnitzfiguren stürzten in die Tiefe. Ein gläserner und schon lange nicht mehr benutzter Aschenbecher ging scheppernd zu Bruch.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich der aufgewirbelte Staub legte, bis er aufhörte, im Gegenlicht zu tanzen. Auch außerhalb der Werkstatt war der Aufprall zu hören gewesen, ein Eichhörnchen hatte sich verschreckt auf einen Baum in Sicherheit gebracht. Jetzt war es hier draußen, vor dem Ambach’schen Hof, still. Kein Tier wagte es, die Ruhe zu durchbrechen, die in den nächsten Minuten einen so kühnen wie gefährlichen Plan gebären würde.

Felix Ambach stand schwer atmend in der Werkstatt. Sein hagerer Körper zitterte noch Sekunden – vielleicht waren es sogar Minuten – nach dem folgenreichen Axtwurf. Es war eine Mordswut, die ihn beben ließ. Doch allmählich fand sein Puls zur Ruhe. Der Sechsunddreißigjährige wischte sich die dunkelblonden halblangen Haare, die schon lange kein professioneller Schnitt mehr geformt hatte, aus der Stirn und sah sich mit seinen kühlen blauen Augen die Zerstörung im Raum an, die sein Wurf angerichtet hatte. Wäre die Axt anstatt auf ein Bücherregal auf einen menschlichen Schädel getroffen, so hätte sie diesen sauber in zwei Teile geteilt. Felix Ambach hatte keine sichtbaren Muskeln, aber Kraft. Schuld an seinem Ausbruch war ein Telefongespräch mit dem älteren Bruder gewesen. Wieder mal hatten sie gestritten. Ausnahmsweise nicht wegen Maria. Gefühle hatte Felix keine mehr für sie – jedenfalls glaubte er das. Außerdem machte der Vertrauensbruch nur einen Teil der Verachtung aus, die die Brüder füreinander hegten: Regelmäßig hatte der größere Bruder den kleineren mit Prügeln und anderen Gemeinheiten drangsaliert. Und genau genommen war Christian Ambach der Hauptschuldige daran, dass sein Bruder ein Loser geworden war. Denn eigentlich war Felix viel talentierter als er. Bereits als Bub hatte er nicht nur erstaunlich filigrane Holzfiguren geschnitzt, sondern sich auch für die Geschichte der Holzbildhauerei und ihre herausragendsten Vertreter interessiert. Aus Felix Ambach hätte ein Künstler werden können. Als Neunzehnjähriger stand er sogar kurz davor, in die Bildhauerklasse der Kunstakademie aufgenommen zu werden. Doch dann hatte Christian einen Tag vor der Abgabe Felix’ Skulptur »Die Liebenden und der Klumpfüßige« zerhackt und in das Feuer des Küchenofens geworfen. Als Felix fassungslos vor den lodernden Flammen stand, sagte sein großer Bruder: »Das ist wahre Kunst. Sieh es als Performance, Felix. Ich nenne sie ›Das Scheitern des Niveaulosen‹.«

Etwas in Felix’ Innerstem war an diesem Abend zu Bruch gegangen. Und er hatte ein für alle Mal begriffen: Sein großer Bruder duldete keinen König neben sich.

Aber auch die Eltern hatten Anteil an dem brüderlichen Hass, insbesondere der Vater. Er und seine Frau schenkten ihrem Erstgeborenen alle Liebe. Christian hatte seinerzeit als geplantes Kind alle Liebe und Zuwendung bekommen, zu der die Eltern fähig waren. Alle Wünsche hatten sie ihm erfüllt, soweit dies angesichts der begrenzten finanziellen Mittel möglich gewesen war. Und so konnte er den Weg des Erfolgs und der Karriere einschlagen. Heute stellte der Experte Dr. Christian Ambach in der Kunstszene etwas dar.

Felix hingegen war zur Unzeit zur Welt gekommen, wenn man es genau nahm: Seine Geburt war überflüssig gewesen. Nicht nur, dass der Vater sich gar kein weiteres Kind mehr gewünscht hatte: Sechs Jahre nach der Geburt des ersten Sohns hatte – auch wegen der Sauferei des Vaters – die Geldnot die Familie endgültig in den Würgegriff genommen.

Dass ihn der Vater lieber nicht bekommen hätte, hatte er Felix ein Leben lang spüren lassen. Und der Vater Ambach hatte diesbezüglich und deswegen eine harte Entscheidung getroffen: Weil das Geld der Familie nicht für zwei Kinder und den Alkohol reichte, wurde einzig Christian respektiert und gefördert – mit Geburtstagsgeschenken, Studium, Promotion, Ansehen und liebevoller elterlicher Zuwendung. Zwar versuchte die Mutter, gegen diese Ungerechtigkeit anzugehen, aber sie war dafür viel zu schwach gewesen. Warum die Mutter derart wenig Energie aufbringen konnte, erfuhr Felix erst viele Jahre später. Beiläufig, im Hausflur, bei einem Telefonat mit ihr. Er stand neben der Kommode mit dem alten orangefarbenen Telefon mit Wählscheibe und hörte von ihr, die vom Krankenhaus aus anrief, die niederschmetternde Diagnose.

Dieses klobige Telefon mit dem schweren Hörer hätte sich Felix just in diesem Moment des Ärgers in seine Werkstatt gewünscht. Dann hätte er seine ganze Wut am Telefonhörer auslassen können. Hätte den Hörer mit Wucht auf die Gabel donnern können. Hätte seinen Hass gleich einem Blitz durch das Telefongerät in den Boden fahren lassen können.

Stattdessen hielt er jetzt ein läppisch leichtes und für seine von der Arbeit gehärteten, außergewöhnlich kräftigen Hände viel zu kleines Plastikhandy am Ohr; und ihm blieb nichts anderes übrig, als eine lächerlich kleine Taste zu drücken, um das Gespräch mit seinem Bruder zu beenden. Ohne ein Wort des Abschieds natürlich.

Immerhin hatte er nicht das Mobiltelefon gegen die Wand geworfen – ein neues hätte er sich angesichts seiner angespannten Finanzlage unmöglich leisten können –, sondern zur Axt gegriffen und mit ihr seine Wut mittels gewaltsamen Wurfs in das alte Holzregal hineingearbeitet.

Dieses Mal war der Bruder zu weit gegangen.

War es nicht so, dass sie beide die Kinder ihrer Eltern waren? Brachte dies nicht auch mit sich, dass beide für die von der Friedhofsverwaltung in Rechnung gestellten Kosten für das elterliche Grab aufzukommen hatten?

»Hundertzwanzig Euro, Christian«, hatte er den Bruder am Telefon angefleht. »Christian, es geht nur um hundertzwanzig Euro. Das ist für dich doch ein Klacks!«

Aber der Bruder hatte auf das Prinzip verwiesen: »Ich habe vor sieben Jahren bezahlt. Jetzt bist du dran.« So machte er das immer. Ein Prinzipienreiter, ein Unmensch, fand Felix. Aber eben auch sein Bruder, auf ewig mit ihm verknüpft.

»Ich habe das Geld aber nicht. Ich bin gerade knapp bei Kasse … Und du … du … hast es doch!« Die letzten Worte hatte er nur zögerlich geäußert.

»Darum geht es nicht«, hatte der Bruder kaltschnäuzig geantwortet.

»Leih es mir, Christian!«

»Weißt du was«, hatte der große Bruder hierauf erwidert, und seine Stimme war sehr leise geworden. »Du kriegst von mir gar nichts. Weil du eine Null bist. Weil du, wenn ich jetzt bezahle, in zwei Wochen wieder auf der Matte stehst …«

»Das stimmt überhaupt nicht, ich habe dich nie angepumpt … nur jetzt – es geht um Mamas Grab.« Felix stutzte – warum hatte er »Mama« gesagt und nicht »Mutter«? Für einen Moment spürte er tiefe Traurigkeit.

»Du musst endlich einmal auf eigenen Beinen stehen, Felix. Ich kann dich nicht immer aus der Scheiße holen.«

»Christian, es gibt zurzeit keine Jobs für mich …«

»Dann geh halt auf den Bauarbeiterstrich nach München und kratze Asbest von den Wänden.«

»Und wenn ich dir nächsten Monat einfach hundertzwanzig weniger Miete überweise …?«

»Dann schmeiß ich dich raus. Endgültig. Du zahlst doch eh fast nichts für das Haus! Ich könnte es locker fürs Doppelte vermieten! Übernimm endlich mal Verantwortung für dein Leben! Wer bin ich denn? Ich bin doch nicht dein Depp. Du bist mir schon viel zu lange viel zu billig weggekommen. Hundertzwanzig popelige Euro für das Grab unserer Mutter wirst du jetzt wohl noch auftreiben können, du Versager.«

Da war es wieder, dieses Wort: Versager. Und wie in früheren Auseinandersetzungen verließ Felix auch dieses Mal die Schlagfertigkeit. Anstatt dagegenzuhalten, legte er einfach auf. Es hatte keinen Sinn, dem Bruder Paroli zu bieten. Christian war gebildet, erfolgreich, er war es gewöhnt, vor Menschen zu sprechen, es war ihm ein Leichtes, Felix das Wort im Mund herumzudrehen. Als Felix nach der Axt griff, spürte er tiefen Hass, aber auch große Hilflosigkeit. Dann kam der Wurf, potenziell Schädel spaltend. Und jetzt, beim Herausziehen der Axt aus dem Bücherregal, fiel sein Blick auf einen der Kunstbände, die aus dem staubigen Möbel gefallen waren. Die Seite, die durch den Sturz des Buchs aufgeschlagen worden war, zeigte das Schwarz-Weiß-Foto des berühmten Reliefs von den vierzehn Nothelfern, angefertigt aus Lindenholz von dem legendären Holzbildhauer Tilman Riemenschneider; im Original etwa 60 Zentimeter hoch und 120 Zentimeter breit, Entstehungszeit Anfang des 16. Jahrhunderts. Das Foto war Bestandteil eines wissenschaftlichen Aufsatzes von Dr. Christian Ambach. Zunächst fiel Felix’ Blick nur auf das abgebildete Relief. Doch dann begann er den Aufsatz des Bruders zu lesen. Und was hier stand, brachte ihn auf eine Idee, die mehrere Menschen das Leben kosten würde:

»… geht aus der vom Fürstbischof zu Würzburg verfassten Urkunde eindeutig hervor, dass der sterbenskranke Geistliche im Jahr 1494 Riemenschneider beauftragt hat, für die private bischöfliche Wohnstatt eine Serie der vierzehn Nothelfer als kleinere, einzeln stehende Statuen zu schnitzen. Bischof Rudolf II. von Scherenberg aber ist 1495 verstorben. Der Schriftwechsel zwischen Riemenschneider und der...


Steinleitner, Jörg
Jörg Steinleitner, geboren 1971 im Allgäu, studierte Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule in Krems/Wien. 2002 ließ er sich nach Stationen in Peking und Paris als Anwalt in München nieder. Er veröffentlichte mehrere Bücher – neben den bei Piper erschienenen Anne-Loop-Krimis auch das kulinarische Erlebnisbuch »Heimat auf dem Teller«, für das er eine Auszeichnung erhielt. Für das Online-Literatur- und Kulturmagazin Buchszene schreibt er die Kolumne »Steinleitners Woche«. Seine Lesungen inszeniert er als kriminalistisches Hörspiel-Kabarett. 2013 gründete der Autor den Stiftungsverein für Leben und Kultur e.V., mit dem er existenzielle und kulturelle Projekte fördert. Steinleitner teilt sein Leben am oberbayerischen Riegsee mit einer Frau, drei Kindern und ebenso vielen Wachteln.

Edlinger, Matthias
Matthias Edlinger, Jahrgang 1972, studierte Kommunikationswissenschaft in seiner Geburtsstadt München. Er ist ein erfolgreicher Regisseur, drehte Musikvideos für namhafte Künstler sowie Werbe- und Imagefilme für bekannte Unternehmen. Als Redakteur, Headwriter und Berater für TV-Produktionen arbeitete er u.a. für den BR, das ZDF und RTL2. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Journalistenpreis der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, mehreren Eyes und Ears Awards und der New York World Gold Medal. Gemeinsam mit Jörg Steinleitner schrieb er den Roman „205.293 Zeichen", mit Eduard Augustin das Sachbuch „Ein Mann ein Rost“ (2013). Matthias Edlinger betätigt sich außerdem als bildender Künstler, seine Werke werden international ausgestellt. Er lebt in München.



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