E-Book, Deutsch, Band 2, 320 Seiten
Reihe: Der LKA-Präsident ermittelt
Steinleitner Tod im Abendrot
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-492-99291-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der LKA-Präsident ermittelt
E-Book, Deutsch, Band 2, 320 Seiten
Reihe: Der LKA-Präsident ermittelt
ISBN: 978-3-492-99291-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Eine legendäre Dreierbeziehung
begründete der US-Psychologe und
Wonder-Woman-Erfinder Professor
Marston. Allerdings war seine Frau
Elizabeth, mit der er im Übrigen
auch den Lügendetektor erfand,
mit diesem Modell ehelichen
Zusammenlebens sehr unzufrieden.
Eins | Hanswurst
Karl Zimmerschied hätte es besser wissen müssen. Warum hatte er nicht auf sein Bauchgefühl gehört? Auf den Gedanken, er könnte seine Frau dazu überreden, von Bali zurückzukommen, wenn er nur selbst hinflog und ihr die Situation hinreichend erklärte, konnte nur ein Fantast oder Träumer kommen. Dabei war er doch Realist. Eigentlich. Wie hatte ihn, den sein Beruf tagtäglich zum logischen Denken zwang, in dieser Privatangelegenheit nur derart die Intuition verlassen können? Da stand er nun an einem Strand in Bali und betrachtete mit Befremden seine Ehefrau. Der Polizeipräsident konnte es drehen und wenden, wie er wollte: Wie Roswitha da so in ihrer kürzlich gegründeten Oben-ohne-Bar Rose Garden herumfuhrwerkte, in einem Bikini, der aus derart wenig Stoff bestand, dass Zimmerschied ihr gerne ein Tuch übergeworfen hätte – seine an sich bodenständige Frau machte den Eindruck, als sei sie durchgeknallt. Immerhin hatte sie oben herum überhaupt etwas an. Das konnte man von den drei Frauen unter den fünf Gästen, die er auf der kleinen Terrasse erblickte, nicht sagen. Zimmerschied empfand sich nicht nur wegen seines dunklen Anzugs, den er vergangene Woche noch bei einem Abendessen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten getragen hatte, als Fremdkörper in der Urlaubsidylle. Wenige Meter entfernt perlten die Wellen mit sanftem Rauschen an den Strand. Zum Glück hatte er die Krawatte noch im Taxi auf dem Weg zu dem kleinen Badeort, an den er sich noch von dem gemeinsamen Urlaub mit Roswitha erinnerte, in der Jacketttasche verschwinden lassen.
Widerwillig konstatierte er, dass Roswitha gut aussah. Sie war braun gebrannt und schien, obwohl ohnehin schon schlank, noch etwas abgenommen zu haben. Auch hatten ihre blauen Augen wieder denselben Glanz, den sie früher, in den ersten Jahren ihrer Beziehung gehabt hatten.
Jetzt stellte sie die beiden Gläser weg, die sie eben noch in der Hand gehalten hatte, und wandte sich endlich zu ihm um. Erst musterte sie ihn nur. Dann trat sie vor, umarmte ihn, machte einen Schritt zurück, kam wieder näher, küsste Zimmerschied auf den Mund, was sich eher schwesterlich anfühlte und ihm deshalb einen kleinen Stich versetzte, und trat erneut einen Schritt zurück. Auf seinen Lippen, an seinem Bart blieb ein Hauch von Kokosmilch oder irgendeinem Öl hängen. Jedenfalls roch es gut. Er sah seine Ehefrau an. Er verspürte Lust auf sie. Im Augenwinkel nahm er eine blutjunge Frau wahr, die nichts trug außer einem knappen Badehöschen und mit einem Tablett mit zwei leeren Cocktailgläsern von den Liegen am Strand zurückkehrte. Sie schien hier zu arbeiten.
Aber dann konzentrierte er sich wieder auf Roswitha. Wie lange war es her, dass sie beschlossen hatte, den gemeinsamen Bali-Urlaub noch etwas zu verlängern – sechs Monate? Sieben? Acht? Er wusste es nicht genau, die vergangenen Monate waren hart gewesen, er hatte einen Feind im eigenen Haus ausfindig und unschädlich machen müssen, und die fünfunddreißig Grad auf dieser Insel machten ihm auch zu schaffen.
Jetzt bewegte sich etwas im hinteren Teil der Strandbar, die mit ihrem einfachen Holzgerüst und den Bastmatten etwas provisorisch wirkte, was auf ihn aber wegen der geschickt angebrachten bunten Tücher keineswegs einen geschmacklosen Eindruck machte. Für so etwas hatte Roswitha ein Händchen. Allerdings hätte er seiner Frau gegenüber niemals zugegeben, dass er ihre Bar schön fand.
Der Vorhang, der offensichtlich die Bar von der Küche trennte, wurde zur Seite geschoben, und heraus trat der Mann, den Zimmerschied für sich »Hanswurst« nannte. Normalerweise bemühte sich der Polizeipräsident um Respekt gegenüber jedermann. Aber dieser Hans Müller war der Schweinehund, den Roswitha als ihren neuen Freund bezeichnet hatte. Noch dazu hatte sie gesagt, er sei ihm, Zimmerschied, so ähnlich! Der Hanswurst sei auch bei der Kripo gewesen und – das war das Höchste: Er sei für eine Dreierbeziehung offen, wenn Zimmerschied und Roswitha dies wollten. Dass Roswitha das wollte, hatte sie ihm schon bei einem der wenigen Telefonate in den vergangenen Monaten mitgeteilt. Zimmerschied wähnte sich seither im falschen Film. Aber das war nicht alles. Roswitha, die sich, seit sie Barbesitzerin in Bali war, Rose nannte, hatte sogar schon den bayerischen Innenminister zu einem Urlaubstrip nach Bali eingeladen. Alfred Werner war Zimmerschieds Chef!
Nun stand der Hanswurst also vor ihm. Ziemlich genauso groß wie Zimmerschied, mit ziemlich ähnlichem Bart, aber natürlich wesentlich gesünderem Teint. Außerdem sah er auch etwas trainierter aus in seinen bunten Shorts und den Flipflops. Sonst hatte dieser Hans Müller nichts an.
Zimmerschied hatte schon Barack Obama die Hand geschüttelt, er kannte die Bundeskanzlerin persönlich, er telefonierte regelmäßig mit dem bayerischen Ministerpräsidenten, alles sicherlich aufregende Momente, die sein hohes Amt im Polizeidienst mit sich brachte. Aber jetzt, da er seinen Nebenbuhler beäugte, fühlte er sich mit einem Mal verschwitzt und der Situation ausgeliefert, was nicht gut war. Der Hanswurst streckte ihm die Hand hin und sagte »Selamat sore«.
War das die Begrüßung auf Balinesisch? Zimmerschied wusste es nicht mehr. Seine Antwort war ein eisiges »Grüß Gott«. Dann entstand eine kurze Pause. Roswitha, die etwas angespannt wirkte, versuchte sie zu füllen, indem sie ein Glas mit Strohhalmen von A nach B verschob, mit einem Schwammtuch einen nicht vorhandenen Fleck wegwischte und ein wenig mit Gläsern an der Bar herumklapperte. Zimmerschied hatte das Gefühl, der Schweiß würde ihm in Strömen unter den Achseln wegfließen.
»Warm hier, was?«, sagte der Hanswurst mit einem Gesichtsausdruck, den Zimmerschied nicht anders als locker und freundschaftlich bezeichnen konnte, obwohl er alles lieber wollte, als diesen Mann, der seiner Frau eine fixe Idee ins Hirn gepflanzt hatte, nett zu finden. Ohne auf die Antwort des Polizeipräsidenten zu warten, bückte sich dieser Hans Müller nun, griff in eine Schublade oder Kiste unter der Bar – Zimmerschied konnte es nicht genau erkennen –, richtete sich wieder auf und hielt dem Präsidenten ein Stück bunt gefärbten Stoff hin. Bei genauerem Hinsehen entpuppte es sich als kurze Hose. »Nimm das hier, Karl – du heißt doch Karl, oder habe ich das falsch abgespeichert?«
»Abgespeichert«. Zimmerschied mochte keine technischen Ausdrücke im Zusammenhang mit Menschen. Dennoch griff der LKA-Chef reflexartig nach der Hose, was er noch im selben Augenblick bereute, er wollte nichts von diesem Trittbrettfahrer, aber es war schon zu spät. Immerhin blieb er ihm eine Antwort auf die Frage schuldig. Er war im Gegensatz zu diesem Affen, der ihm die Frau weggenommen hatte, kein Computer mit Festplatte, der Erinnerungen »abspeicherte«. Er war ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der sich hochgearbeitet und sich dabei seine Menschlichkeit bewahrt hatte. Jedenfalls hoffte er das.
»Ja, er heißt Karl«, bestätigte Roswitha – wie überflüssig war das denn? Kurz wollte Zimmerschied einem inneren Impuls nachgeben und seiner Frau mitteilen, sie sei eine dumme Kuh, aber er riss sich zusammen. Stattdessen beschloss er im Anblick der kurzen Hose des Nebenbuhlers und der halb nackten Roswitha, dass er während seines gesamten Aufenthalts – von Urlaub konnte man hier ja wohl nicht sprechen, schließlich ging es um die Heimholung der Ehefrau – seinen Anzug nicht ablegen würde. Ganz egal, wie heiß es noch werden sollte: Wollte er Roswitha aus den Klauen dieses fahnenflüchtigen Polizeikollegen befreien, musste er sich von dem Lotterleben, das man hier offensichtlich führte, absetzen. Und sich wie ein vernünftiger Mensch zu kleiden war eine der wenigen Möglichkeiten, die ihm diesbezüglich zur Verfügung standen.
Noch immer standen sie einander schweigend gegenüber. Der Hanswurst und er. Zimmerschied fühlte sich überfordert. Seine Zunge klebte am Gaumen. Er wollte nach Hause. Roswitha schien dies zu spüren, denn jetzt sagte sie: »Geh doch bitte mal in die Küche, Hans, und bereite die Tapas für die Cocktailgäste vor. Das geht ja schon bald los.«
Dem Gesichtsausdruck seines Konkurrenten nach zu urteilen, schien es ihm nicht zu passen, dass er in die Küche geschickt wurde. Zimmerschied entspannte sich innerlich ein wenig. Als der Freund seiner Frau weg war, trat der Präsident ganz hinter die Bar, nahm sich ein Glas und befüllte es am Wasserhahn. Sofort flog der Vorhang zur Küche zurück, und Hans Müllers Kopf erschien: »Roswitha, würdest du ihm bitte sagen, dass wir hier die Regel haben, dass nur Personal hinter die Theke darf?«
So ein Arschloch! Zimmerschied schüttelte den Kopf, schwieg aber.
»Jetzt geh du mal nach hinten!«, sagte Roswitha in Richtung ihres Bar- und Bettkompagnons. Der Polizeipräsident litt, und er verfluchte sich. Immer weniger konnte er sich erklären, weshalb er diese Reise unternommen hatte. Zu Hause wartete Dr. Isabelle Augustin, die neue Leiterin der Abteilung für Forensische DNA-Analytik, und wollte etwas von ihm, und er stand hier und ließ sich von der Affäre seiner Ehefrau erniedrigen. Isabelle Augustin war viel jünger als Roswitha und obendrein genau sein Typ. Was wollte er hier eigentlich? Das war doch alles...