Steireif / Eitel | Carnets noircis, Band I | Buch | 978-3-907350-25-6 | www.sack.de

Buch, Französisch, Deutsch, 256 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 240 mm, Gewicht: 600 g

Steireif / Eitel

Carnets noircis, Band I

Rudolf Rocker, Memoiren eines deutschen Anarchisten
300. Auflage 2025
ISBN: 978-3-907350-25-6
Verlag: Edition Haus am Gern

Rudolf Rocker, Memoiren eines deutschen Anarchisten

Buch, Französisch, Deutsch, 256 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 240 mm, Gewicht: 600 g

ISBN: 978-3-907350-25-6
Verlag: Edition Haus am Gern


Die Inspiration für das vorliegende Sammelwerk war Rudolf Rocker’s Buch "Aus den Memoiren eines deutschen Anarchisten“, das 1974 bei Suhrkamp erschienen ist, jedoch nur in Form von Auszügen, die von Magdalena Melnikow und Hans Peter Duerr ausgewählt worden sind. Bis heute wurden die vollständigen Memoiren von Rudolf Rocker nur auf Spanisch und Jiddisch veröffentlicht; die deutsche Version bleibt entsprechend lückenhaft.
Rudolf Rocker wurde am 25. März 1873 in Mainz geboren. Schon früh verwaist, versucht er sich in verschiedenen Berufen, bevor er eine Lehre als Buchbinder absolviert. Ein belesener Onkel weckt in ihm das Interesse für Literatur, Politik und Sozialgeschichte. Die Stadt Mainz ist nach ihren revolutionären Erfahrungen in den Jahren 1848-49 durch die Präsenz einer preußischen Armee geprägt. Trotz der militärischen Unterdrückung sind die Arbeitervereine bereits gut vertreten und aktiv. Rocker engagiert sich früh in der Sozialistischen Arbeiterpartei, aber er distanzierte sich schon bald von dieser zusammen mit der gesamten deutschen sozialistischen Jugend.
Die ersten Seiten des vollgeschriebenen Notizbuches schildern dieses politische Umfeld, erzählen von Rockers Lektüren und Begegnungen. Er erwähnt etwa „den alten Volck“, Henri Rochefort, Georg Forster, der eine entscheidende Rolle bei der Gründung der Mainzer Republik spielte, Constantin Frantz, einen radikalen Gegner Bismarcks, sowie Redner wie Wilhelm Liebknecht und August Bebel. Eine Reise nach Belgien führt ihn 1891 zum Internationalen Sozialistenkongress. Er entdeckt die internationale Arbeiterbewegung und Delegierte wie Saverio Merlino und Domela Nieuwenhuis. Und er erkennt die Gefahr eines möglichen Flächenbrands in Europa, bei dem sich das Proletariat – sogar von linken Parteien instrumentalisiert – bei einem Konflikt, der seine Sache nicht ist, intern zerfleischen könnte. Er erkennt auch die Kluft zwischen den Sozialisten, die einer Partei und den Machtspielen zwischen den Nationen ausgeliefert sind, und dem Anarchismus.

INHAFTIERUNG UND RÜCKKEHR NACH MAINZ

Ohne Geld für die Rückreise versucht Rocker, über Aalst nach Flandern zu gelangen, wo sich ihm eine Arbeitsmöglichkeit als Buchbinder bietet. Aber unterwegs wird er verhaftet und zunächst in Brüssel, dann in Lüttich in einem Gefängnis für Landstreicher eingesperrt, bevor er nach Deutschland abgeschoben wird. Es folgen Schilderungen seiner Erfahrungen in Gefängnissen, mit geheimen Schriften und insbesondere seiner Beziehung zu Bakunin, der ihn nachhaltig prägt. Zurück in Mainz beschreibt er die Schikanen der Polizei und die Taktiken der Aktivisten, sich einer Verhaftung zu entziehen. Er äussert seine Bewunderung für Johann Most und beschreibt den Weg, den die politischen Schriften im Untergrund zwischen Druck und Verbreitung nehmen. Rocker zeigt zudem auf, wie sich die „Propaganda der Tat“, auch in einem politisch geknebelten, pluralismusfeindlichen Deutschland, manifestieren kann. Von Versammlungen in Kneipen über die Organisation politischer Debatten bis hin zu internen Kontroversen erfahren wir mehr über seine Aktivitäten in der Stadt Mainz, aus der er schließlich – nach einer als zu radikal empfundenen Rede von Sepp Oerter – unter Androhung einer Verhaftung fliehen muss. Oerter wird am 25. Oktober 1893 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.

EXIL IN PARIS

Rocker kommt am 30. Dezember 1892 in Paris an, er ist 21 Jahre alt. Léopold Zack beherbergt ihn und Rocker wird ein aktives Mitglied des Clubs der unabhängigen Sozialisten und der zahlreichen deutschen Diaspora. Dort trifft er auf Max Baginski, einen jungen Sozialisten, der in Berlin aktiv ist und gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde (späterer Gefährte von Emma Goldman in New York), oder auf Wilquet, der zum Organisationskomitee des antiparlamentarischen Kongresses in Paris (19.-20. September 1900, von den Behörden verboten) gehören wird, und Elisée Reclus. Durch Jean Grave findet Rocker eine Anstellung als Buchbinder bei Buchhändlern im Quartier Latin. Er reist zum ersten Mal nach London, um die Redaktion der „Autonomie“ zu treffen, und lernt dort Bernhard Kampffmeyer kennen, einen engen Vertrauten von Kropotkin. Er veröffentlicht regelmäßig Artikel in „Les Temps nouveaux“. In Paris lebt er mit seiner ersten Gefährtin und ihrem Sohn (Rudolf) und betreibt eine kleine Buchbinderei mit Shlomo Sinwel Rappoport, einem russischen Revolutionär. 1894, nach der Ermordung Carnots in Lyon durch Caserio, findet der Prozess der Dreißig statt und Rocker wird verhaftet; ausgewiesen kehrt er nach London zurück. Er wird jedoch bis 1914 etwa zwanzig Mal nach Paris zurückkehren, um Vorträge zu halten.

EXIL IN LONDON

London war das vorrangige politische Exil für die Anarchisten und Sozialisten jener Zeit. Rocker, mittlerweile ein anerkannter Redner und Theoretiker, bemüht sich, einen Überblick über die in London ansässigen anarchistischen und sozialistischen Kreise zu erstellen und versucht, ihre Spaltungen zu überwinden. Er trifft auch bedeutende Persönlichkeiten wie Louise Michel, Pietro Gori, Errico Malatesta und setzt die Debatten und Aktionen der Aktivistinnen und Aktivisten in den politischen Kontext der damaligen Zeit. Er erwähnt den Erfolg der einen (den Sieg der deutschen Sozialdemokratie, den Erfurter Parteitag 1891, die mythologisierte Figur von Marx in den Rededuellen), die Repression der spanischen Regierung (die zur Ermordung des Ministers Cánovas durch Michele Angiolillo führte), seine Begegnung mit Milly Witkop, seiner zukünftigen Gefährtin, und die Geburt seines zweiten Sohnes Fermin. Im Mai 1898 verliert er seine Arbeit und die Familie Rocker versucht, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Da sie sich weigern, auf Anordnung der amerikanischen Behörden zu heiraten, werden sie zurück nach London geschickt. Die Zeichnungen aus dem Buch schildern die Zensur, die Anschläge, die internationale anarchistische Szene in Paris, die ersten Fluchten nach London und die Armut im Migrantenviertel East End.

RÜCKKEHR NACH LONDON. DER GOYISCHE RABBINER

In Liverpool wird Rocker die Redaktion von „Dos Fraye Vort“ (Das freie Wort) angeboten, und er beginnt, Jiddisch zu lernen. Er wird bald nach London gerufen, um die Wochenzeitung „Der Arbeyter Fraynd“ zu übernehmen; nach einigen Turbulenzen erscheint die Zeitung regelmäßig bis zum Krieg. Im Jahr 1900 startet er die Kulturzeitschrift „Germinal“. Ein Kongress der anarchistischen Gruppen (25.-26. Dezember 1902) führt zur Gründung der Föderation der jiddischsprachigen anarchistischen Gruppen in Großbritannien und Paris. In dieser Zeit bietet Rocker Kurse über moderne Literatur (Ibsen, Strindberg, Zola, Anatole France, Blasco Ibañez, G. Hauptmann, Tolstoi usw.) und über die Schönen Künste (Goya, Daumier, Courbet, Steinlen) an. Die jüdische anarchistische Bewegung wird durch die neue Welle von Exilierten infolge des Pogroms von Kishinev gestärkt: Demonstrationen, Generalstreiks, anarcho-syndikalistische Organisationen. Die Zeichnungen schildern weiter die jüdischen Studenten, die sich der sozialistischen Sache angeschlossen haben, die anarchistischen Persönlichkeiten Russlands, Saul Yanovsky, Abraham Frumkin, den Matrosen Afanasy Matiushenko, den Anstifter des Aufstands auf dem Schlachtschiff Potemkin in Odessa, der die Russische Revolution von 1905 auslöste. Er beschreibt den Streik der Weber im East End und den Arbeiterwiderstand. Schließlich reist Rocker im August 1907 nach Amsterdam und nimmt am Internationalen Anarchistenkongress teil.

FERRER, STREIK GEGEN DAS SWEATING-SYSTEM, INTERNIERUNG

Er kehrt kurz nach Paris zurück, wo er eine Reihe von Vorträgen hält, bevor er erneut ausgewiesen wird. Zurück in London beschreibt er die Wohnbedingungen im East End, verfolgt das Bildungsprojekt von Francisco Ferrer in Barcelona bis zu dessen Hinrichtung, die internationale Auswirkungen hat. Dieser spanische Kontext mit der Vorherrschaft der Geistlichen über die Bildung, der koloniale Vorwand, das Proletariat in den Krieg zu schicken, und der Aufstand der Frauen findet Resonanz in Rockers Aktivitäten als Verleger und Pädagoge in den jüdischen Vierteln, wo er dazu beiträgt, den Streik gegen das „Sweating-System“ zu organisieren.

Am 2. Dezember 1914 wird er im Zuge des Aliens Restriction Act zusammen mit anderen Deutschen interniert, zunächst im Expogebäude Crystal Palace, dann auf dem vor Anker liegenden Dampfer „Royal Edward“. Er beschreibt seine erzwungene Internierung in Großbritannien; seine Gefährtin Milly Witkop wird ebenfalls verhaftet und verurteilt, weil sie sich gegen die kriegsbedingten regierungsfeindlichen Maßnahmen gegenüber Flüchtlingen gewehrt hat (sie hat weiterhin „Der Arbeyter Fraynd“ veröffentlicht). Sie wird zu zwei Jahren Haft verurteilt und kommt erst nach ihrem Partner im Oktober 1918 frei.

RÜCKKEHR NACH BERLIN

Die Rückkehr nach Deutschland markiert ein neues Kapitel in seinem Leben. Rocker strukturiert dort eine anarcho-syndikalistische Föderation (FAUD) und engagiert sich für eine internationale anarchistische Bewegung, während er als Redner weiterhin die „Propaganda der Tat“ verbreitet. Auf diesen Seiten wird deutlich, wie sektiererisch, nationalistisch und paternalistisch die deutsche Universität ist. Dieser Kontrast zu den anarchistischen Versammlungen wird deutlich gemacht, während gleichzeitig auf die Gefahr hingewiesen wird, die von den Kommunisten für die gesamte Linke ausgeht, bis hin zum Kongress von Saint-Étienne, bei dem sich der französische Gewerkschaftsbund CGTU der kommunistischen Partei anschließt. Rocker beschreibt die Gewalt des sowjetischen Staates, der nicht zögert, seine eigenen Bürger zu vertreiben, wenn sie der Sache nicht zustimmen. Berlin wird zum Zentrum der russischen politischen Flüchtlinge mit so bedeutenden Persönlichkeiten wie Makhno und Emma Goldman; Augustin Souchy und Armando Borghi fällen ein schonungsloses Urteil über die autoritären Methoden der Sowjets. Rocker erzählt von den letzten Momenten Erich Mühsams vor seiner Inhaftierung und Ermordung durch die Nazis; aber er erwähnt auch Zeitungen wie „La Protesta“ in Argentinien, „Le Réveil“ in Genf, „Kain“, den Fall Durutti, Ascaso, die Streiks in Italien und die Haltung von Malatesta und Berneri. Die Rockers fliehen nach dem Sieg der Nazis nach dem Reichstagsbrand aus Deutschland. Sie finden sich unter den Flüchtlingen in den USA wieder, wo ihre Aktivitäten zur Information über den Spanischen Krieg eine herausragende Rolle spielen.

ANHÄNGE

Als Bonus bieten Porträts von Persönlichkeiten des Anarchismus und Faksimiles von Zeitungen und Büchern einen subjektiven Überblick über einen kosmopolitischen und vielsprachigen Anarchismus.

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Zielgruppe


Politisch interessierte Menschen, v.a. auch jüngere, Studierende, an Anarchismus interessiert

Weitere Infos & Material


Eitel, Florian
Florian Eitel, geb. 1981, forschte und lehrte am Studienbereich Zeitgeschichte der Universität Freiburg (Schweiz) zur Geschichte des Anarchismus und zur Rolle von Musik in der politischen Mobilisierung. Er arbeitet als Kurator für Geschichte am Neuen Museum Biel (Schweiz).

Steireif, Tilo
Artiste plasticien, Lausanne, (CH).
Investigations artistiques par l'imaginaire critique, l'enquête, la photographie, la performance et le dessin.
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Tilo Steireif, Artiste et enseignant; né à Lausanne en 1969. Père de 4 enfants. Fondateur de l’espace Standard-deluxe à Lausanne, membre du collectif BECBED.

Formé à l'ECAL en arts visuels à Lausanne et en Master à la HEAD, professeur associé, à la HEP depuis 2004.

S'intéresse à l'art collaboratif, aux enjeux institutionnels et artistiques en lien avec le territoire, aux questions sur l'émancipation de l'enfant et de l'individu par l'art.
Dans son travail artistique, a développé divers travaux d'enquêtes: castors, monde ouvrier et habitat, patrimoine architectural et figure politique en Suisse, l'anarchisme.
Ancré dans un regard critique à l'environnement construit, a développé divers enquêtes sur le développement de la ville de Lausanne (quartier du FLON), sur le rôle des animaux dans un monde pensé et imaginé pas l'homme: "Madame Castor et la métropole lémanique", archéologie contemporaine des lacustres et plus récemment moules quagga (sous le collectif BECBED, work in progress).
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Essais et recherche sur l'utopie, la jeunesse comme "avant-garde", sur l'anarchisme et les publications d'autrices et auteurs jeunes (FANZINES, EPHEMERAS du CIRA), sur un musée de quartier à Berlin (Kreuzberg), les écoles alternatives et l'enseignement des arts comme vecteur d'émancipation.

Parmi ses éditions et conférences, il se base sur des livres et des concepts des auteurs-trices tel.les que l'écrivain suisse Robert Walser, le penseur Walter Benjamin, l'architecte Giancarlo de Carlo, l'anarcho-syndicaliste Rudolf Rocker, ainsi que la pédagogue Margherita Zoebeli et l'historien de l'art Ananda Coomaraswamy.
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Collaborations avec Nicolas Savary, Haus am Gern, Nils Norman, Gabriela Löffel, Cyril Bron, Micha Hedinger, Sylvain Froidevaux, Yves Mettler, Diego Castro.



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