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E-Book, Deutsch, Band 2003, 119 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Stemberger Jüdische Religion

E-Book, Deutsch, Band 2003, 119 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-68328-2
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Diese Einführung in die jüdische Religion konzentriert sich auf die Praxis des religiösen Lebens und die ihr zugrunde liegenden theologischen Auffassungen. In sieben Kapiteln wird der Lebenslauf von der Geburt bzw. vom Eintritt in das jüdische Volk bis zum Ende es Lebens und den damit verknüpften Erwartungen und Vorstellungen zum äußeren Rahmen einer detaillierten Erläuterung der religiösen Riten, Bräuche, Normen und Glaubensinhalte, der Feste des Jahreskreises (Pesach, Laubhüttenfest, Channukka u.a.) und der religiösen Feste im persönlichen Leben (Beschneidung, Bar Mitzwa, Hochzeit u.a.). Als Grundlinie der Darstellung gilt eine gemäßigt orthodoxe, der biblischen und talmudischen Tradition verpflichtete Lebensform.
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1;Cover;1
2;Titel;3
3;Impressum;4
4;Inhalt;5
5;Zur Einführung;7
6;I. Eintritt in das Volk Gottes;11
7;II. Das jüdische Haus;23
8;III. Schule und Lernen;42
9;IV. Verpflichtung auf das Gesetz;54
10;V. Die Synagoge;70
11;VI. Heirat und Familie;88
12;VII. Tod, Begräbnis, Jenseits;101
13;Hinweise zum Weiterlesen;115
14;Register;117


II. Das jüdische Haus
Noch ehe das Kind in Synagoge und Unterricht formell in jüdische Religion eingeführt wird, erlebt es diese als den Alltag prägende Wirklichkeit zu Hause. So wächst es, wo man sich an die Tradition hält, ganz von selbst in jüdisches Leben hinein, wobei natürlich der Mutter eine wesentliche Rolle zukommt. Schon von außen unterscheidet sich ein jüdisches Haus durch die Mezuza (wörtlich „Türpfosten“), einen am rechten Türpfosten von Eingang und Wohnräumen befestigten kleinen, oft kunstvoll gefertigten Behälter, in dem sich ein Pergamentröllchen befindet. Darauf stehen handgeschrieben zwei Bibeltexte, Dtn 6,4-9 („Höre, Israel!“) und 11,13-21, aus dessen wörtlichem Verständnis sich der Brauch ableitet: „Du sollst sie (die Worte der Tora) auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben.“ Die ältesten Exemplare, etwa 2000 Jahre alt und heutigen Mezuzot (Mehrz.) schon sehr ähnlich, kennt man aus Qumran am Toten Meer; in monumentaler Form als Inschriften auf Stein sind Belege aus samaritanischen Häusern und Synagogen byzantinischer Zeit erhalten. Der Brauch, über die Jahrtausende durchgehalten, ist also ein äußeres Bekenntnis zum Wort Gottes, unter dem das Haus und seine Bewohner stehen. Die Kleidung, früher ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen den Religionen, von der staatlichen Obrigkeit erzwungen (man denke nur an Judenstern, gelben Fleck oder, im Mittelalter, den Judenhut) und dann auch von der jüdischen Führung als Abgrenzung gegenüber der Umwelt hochgeschätzt, hat sich inzwischen fast ganz der Umwelt angepaßt. Schwarzer Kaftan und Pelzmütze („Streimel“), einst Tracht der osteuropäischen Juden, haben sich nur noch in chasidischen Gruppen gehalten. Das biblische Verbot „Du sollst kein aus zweierlei Fäden gewebtes Kleid anlegen“ (Lev 19,19) bezieht sich streng genommen nur auf Flachs und Wolle und hat heute praktische Bedeutung fast nur in Kreisen, die das Verbot ganz allgemein nehmen und auch auf Kunstfasern ausdehnen. Im Alltag kaum noch sichtbar ist die Einhaltung eines anderen biblischen Gebotes: „Rede zu den Israeliten und sag zu ihnen, sie sollen sich Quasten an ihre Kleiderzipfel nähen, von Generation zu Generation, und sollen an den Quasten eine violette Purpurschnur anbringen; sie soll bei euch zur Quaste gehören. Wenn ihr sie seht, werdet ihr euch an alle Gebote des Herrn erinnern“ (Num 15,38f). Dies bezog man auf viereckige Kleidungsstücke, die nicht mehr üblich sind. So haben sich diese Quasten (Tsitsit) nur am Gebetsmantel (Tallit) gehalten, der zu den Gottesdiensten in der Synagoge, gelegentlich auch noch daheim beim Gebet getragen wird. Um das Gebot auch im Alltag zu erfüllen, tragen fromme Juden stets einen „kleinen Tallit“ unter dem Hemd; nur in ganz orthodoxen Kreisen läßt man die Fransen offen nach außen sehen. Hier sind auch die Gebetsriemen (Tefillin, von hebr. tefilla, Gebet) zu nennen, Lederriemen, an denen kleine Behälter mit Bibeltexten befestigt sind und die der Mann beim Gebet daheim, v.a. aber in der Synagoge trägt. Die biblische Begründung findet sich in Dtn 11,18: „Diese meine Worte sollt ihr auf euer Herz und auf eure Seele schreiben. Ihr sollt sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck auf eurer Stirn werden.“ Auch solche Tefillin hat man in Qumran gefunden, und auch das Neue Testament spricht davon. Da sie nur an Wochentagen üblich sind, ist die Sitte, Tefillin zu tragen, stark zurückgegangen. Die Kopfbedeckung, die Männern bei Gebet (damit auch beim Essen) und anderen religiösen Handlungen vorgeschrieben ist und von Orthodoxen in Form eines kleinen Käppchens (Kippa) ständig getragen wird, ist nicht biblisch begründet. Im Altertum durften nur freie Menschen einen Hut tragen; so drückt der Brauch wohl aus, daß Juden als Kinder Gottes alle frei sind. Nur erwähnt seien hier auch religiös begründete Formen der Haartracht, v.a. Bart und Schläfenlocken, die man in orthodoxen Kreisen überhaupt nicht kürzt, gestützt auf Lev 19,27: „Ihr sollt nicht abrunden die Ecke eures Haupthaars. Du sollst nicht zerstören die Ecke deines Bartes“ (vgl. 21,5); beide Verbote waren vielleicht ursprünglich Abwehr von Aberglauben (der sich ja in vielfacher Form an Haar und Haarschnitt knüpft), vielleicht auch nur Abgrenzung gegenüber anderen Stämmen. Diese Bräuche als bloße Äußerlichkeiten abzutun wäre ein Mißverständnis. Hinter ihnen steht der Glaube, daß ein Gebot der Bibel auf ewig gilt und äußere Zeichen Symbolwert – in vielen Fällen von der Bibel selbst angegeben – und Bekenntnischarakter besitzen, Religion nie rein innerlich ist. Zeichen schaffen die Atmosphäre, in der Religion den Alltag und das gesamte Leben durchdringt. In besonderer Weise gilt dies für die Speisegesetze, den wesentlichen Bereich der Kaschrut („Tauglichkeit, rituelle Eignung“; jidd. koscher bzw. hebr. kascher: „tauglich, rituell rein“), der den traditionellen jüdischen Haushalt kennzeichnet. Die Grundbestimmungen finden sich in der Bibel. Lev 11 unterscheidet reine, zum Essen erlaubte, und unreine Tiere: „Alle Tiere, die gespaltene Klauen haben, Paarzeher sind und wiederkäuen, dürft ihr essen“ (V.3); damit ist z.B. das Schwein ausdrücklich verboten. „Alle Tiere mit Flossen und Schuppen, die im Wasser, in Meeren und Flüssen leben, dürft ihr essen“ (V. 9); Aal und Krebs, Muscheln und Tintenfisch sind nach diesen Kriterien verboten. Auch verschiedene Raubvögel und die meisten Kleintiere sind nicht zum Essen erlaubt (11,13-30). Es wäre falsch, die hier vorgenommene Klassifikation nach naturwissenschaftlichen Kriterien zu beurteilen (wenn etwa V. 6 den Hasen als Wiederkäuer zählt) oder gewisse Verbote mit hygienischen Erfahrungen zu begründen, daß etwa Schweinefleisch in heißem Klima nicht haltbar sei u.ä. Eher könnte man daran denken, daß z.B. das Schwein in vielen Kulten das bevorzugte Opfertier war; da alles Schlachten in der Antike irgendwie in den religiösen Bereich des Opferns gehörte, zog ein solches Verbot eine deutliche Trennlinie zu heidnischen Kulten. Dieses Motiv gilt natürlich nicht für viele andere Verbote. Man kann nur noch vermuten, daß hinter dieser Einteilung der Tierwelt eine priesterliche Klassifikation des Seienden nach Ordnung und Unordnung, Leben und Chaos steht, ohne ein allgemein passendes Erklärungsmodell bieten zu können. Wer in biblischer Tradition lebt, dem genügt ohnedies, daß es so in der Bibel steht; Begründungen zu suchen würde immer auch die Begründung von Ausnahmen ermöglichen. Ein zweites Grundelement der Speisegesetze ist das Verbot, Blut zu genießen: „Jeder Mann aus dem Haus Israel oder jeder Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut genießt, gegen einen solchen werde ich mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines Volkes ausmerzen. Die Lebenskraft des Fleisches sitzt nämlich im Blut. Dieses Blut habe ich euch gegeben, damit ihr auf dem Altar für euer Leben die Sühne vollzieht; denn das Blut ist es, das für ein Leben sühnt“ (Lev 17,11f). „Nur Fleisch, in dem noch Blut ist, dürft ihr nicht essen“ (Gen 9,4). Dieses absolute Blutverbot bedingt die Schlachtmethode des Schächtens (hebr. schachat, „schlachten“): Dabei durchschneidet der eigens ausgebildete Schächter mit einem schartenfreien Messer in einem Zug Halsschlagader, Luft- und Speiseröhre, so daß das Blut ganz abrinnen kann. Letzte Blutreste werden durch Einsalzen des Fleisches vor seiner Zubereitung entfernt. Da man das Tier vor der Schächtung nicht betäuben darf, wenden sich Tierschützer oft gegen diese Methode (in der Schweiz ist das Schächten deshalb verboten); doch bleibt sie (wie im Islam) aus religiösen Gründen unverzichtbar. Auf der Jagd erlegtes Wild ist, da nicht koscher geschlachtet, selbstverständlich nicht erlaubt. Dritte Basis der Speisegesetze ist Ex 23,19: „Das Junge einer Ziege sollst du nicht in der Milch seiner Mutter kochen“ (auch 34,26; Dtn 14,21). Ursprünglich vielleicht Abwehr eines Fruchtbarkeitszaubers, wurde das Verbot immer mehr verallgemeinert: Wer sich nicht auf dem eigenen Hof selbst versorgte, sondern auf dem Markt Lebensmittel kaufte, konnte ja nicht wissen, woher Fleisch und Milch kamen. Vor allem aber hat die dreifache Nennung des Verbots in der Bibel dazu geführt, darin nicht nur das Kochen, sondern auch das Essen und jegliche Nutznießung von Fleisch (und sei es auch von Geflügel) in Verbindung mit Milch zu verbieten. Die Verschärfung dieses Verbots in der weiteren Tradition ergab eine völlige Trennung von Fleisch- und Milchprodukten bei einer Mahlzeit (nach einem Fleischgericht ist ein längerer zeitlicher Abstand vorgeschrieben, bevor etwa als Nachspeise Käse gegessen oder Kaffee mit Milch genommen werden darf). Auch getrenntes Geschirr (ausgenommen Glas, das als neutral gilt, da es nicht so leicht Geruch oder Geschmack annimmt) und Besteck, ebenso eigene Abwäschen für...


[Prof. Dr.] Günter Stemberger lehrt als Professor für Judaistik an der Universität Wien.


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