Stengel Kant und Swedenborg
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-484-97085-4
Verlag: M. Niemeyer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Zugänge zu einem umstrittenen Verhältnis
E-Book, Deutsch, 184 Seiten, Gewicht: 10 g
Reihe: ISSN
ISBN: 978-3-484-97085-4
Verlag: M. Niemeyer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
In Immanuel Kant als dem führenden Vertreter der philosophischen Aufklärung und dem Geisterseher Emanuel Swedenborg stehen sich zwei auf den ersten Blick ganz gegensätzliche Repräsentanten des 18. Jahrhunderts gegenüber. Zugleich war Swedenborg einer der wenigen Autoren, denen Kant eine eigene Schrift, die , widmete. Die Kant- und die Swedenborgforschung haben seither kontrovers über die Bedeutung Swedenborgs für Kants kritische Philosophie diskutiert und dabei auch ganz unterschiedliche Ergebnisse hervorgebracht. Ist in den nur die radikale Abwendung Kants von Swedenborg und dem hinter ihm vermuteten philosophischen Rationalismus zu sehen? Kann von einer späteren Rehabilitierung Swedenborgs durch Kant gesprochen werden und wie wäre dieser Wandel zu beurteilen? Hat Kant Swedenborg nicht nur zurückgewiesen, sondern zugleich auch wichtige Elemente seiner Lehre übernommen? Oder muss Swedenborgs Rolle lediglich auf eine „Negativfolie“ für die spätere Philosophie Kant reduziert werden? Im vorliegenden Band stellen Philosophen, Religionswissenschaftler, Theologen und Literaturwissenschaftler aus sechs Ländern ihre Deutungen des umstrittenen Verhältnisses zwischen Kants kritischer Philosophie und Swedenborgs „visionärem Rationalismus“ vor.
Zielgruppe
Philosophen, Germanisten, Literaturwissenschaftler, Institute, Bi / Academichs (Philosophy, German and Literary Studies), Institute,
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;5
2;Vorwort;7
3;Abkürzungen;9
4;Die Swedenborgforschung: ein persönlicher Überblick;11
5;Überlegungen zur Umbruchsituation 1765–1766 in Kants philosophischer Biographie1;23
6;Kant – „Zwillingsbruder“ Swedenborgs?;45
7;Träume eines Geistersehers – Polemik gegen die Metaphysik oder Parodie der Popularphilosophie?;109
8;Swedenborg in der Kritik der reinen Vernunft;133
9;Schwärmerei und Geisterseherei, Aufklärung und analytische Psychologie: Kant und Swedenborg aus der Sicht von C. G. Jung;143
10;Swedenborg aus der Sicht von Kant und der akademischen Kantforschung;167
11;Personenregister;183
GREGORY R. JOHNSON (Atlanta) Träume eines Geistersehers – Polemik gegen die Metaphysik oder Parodie der Popularphilosophie? (S. 99-100)
Skizze
In der Forschungsliteratur wird Kants 1766 erschienenes Buch über Swedenborg, Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, vorwiegend als ein skeptischer, gleichsam im Stil Humes verfasster Angriff auf die dogmatische Metaphysik der „Leibniz-Wolffschen“ Schule in der merkwürdigen Gestalt einer Kritik an Swedenborgs angeblichen hellseherischen Fähigkeiten und Visionen einer geistigen Welt angesehen.1
Diese Interpretation gründet sich vor allem auf das dritte Kapitel des ersten Teils der Träume, das mit „Antikabbala. Ein Fragment der gemeinen Philosophie, die Gemeinschaft mit der Geisterwelt aufzuheben“ überschrieben ist. Ich möchte dagegen behaupten, dass dieses Kapitel nicht als ernsthafte Präsentation der eigenen Meinung Kants gelesen werden sollte, sondern als eine Parodie der Popularphilosophen der Berliner Aufklärung, deren Standpunkt Kant nur vorübergehend einnahm, um seine tatsächliche Ansicht der kritischen Untersuchung zu unterwerfen. An anderer Stelle habe ich bereits erörtert, dass die Träume mehrere sprechende Autoren und Personen und verschiedene philosophische Sichtweisen enthalten Kapitel I.1 der Träume ist eine Zusammenfassung von Kants früher Metaphysik.
Kapitel I.2 stellt den Versuch Kants dar, eine zentrale Unzulänglichkeit seiner frühen Metaphysik aufzugreifen. Auf diese Unzulänglichkeit war Kant durch Rousseau hingewiesen worden, der ihn zu der Frage brachte, wie das Reich der menschlichen Freiheit und Verantwortlichkeit mit dem deterministischen Reich der physischen Natur in Einklang gebracht werden könnte.3 In den Träumen wird die Antwort gegeben, dass Freiheit und Determiniertheit in demselben Kosmos nicht miteinander versöhnt werden können. Deshalb müssen wir den Kosmos in das Reich der Natur und das Reich der Freiheit aufteilen: in die materielle und in die geistige Welt.
Die ersten zwei Kapitel der Träume sind nicht nur durch ihr gemeinsames Argument miteinander verbunden, sondern auch durch ihre Autor-Person, die ich den „ironischen Metaphysiker“ nenne. In apologetischer Absicht kniet der ironische Metaphysiker vor den populären antimetaphysischen Vorurteilen nieder, bringt aber trotzdem seine Argumente vor. Er ist ein Metaphysiker, weil er sich der metaphysischen Berufung tief verpflichtet fühlt, die er als Suche nach der Erkenntnis des Unbedingten, des Übersinnlichen und des letzten Wahren begreift. Er ist ein Ironiker, weil er einen hoch entwickelten Sinn für die Gefahren und Fallen der metaphysischen Nachforschung besitzt.
Die Autor-Person des Kapitels I.3 der Träume nenne ich den „aufgeklärten Skeptiker“. Der ironische Metaphysiker vertritt eine dualistische Metaphysik, der aufgeklärte Skeptiker ist seinem Wesen nach ein epikureischer Materialist. Der ironische Metaphysiker möchte über die Erklärung empirischer Phänomene hinausgehende spekulative metaphysische Hypothesen riskieren, der aufgeklärte Skeptiker ist ein „wissenschaftlicher“ Empirist.
Der ironische Metaphysiker ist demütig, weil er sich seiner Grenzen bewusst ist. Er verstärkt die Schlussfolgerungen seiner Argumente, indem er die allgemeinen Maßstäbe der Gewissheit herabsenkt. aufgeklärte Skeptiker hingegen ist hochmütig, weil er sich seiner Grenzen nicht bewusst ist und die Schlussfolgerungen seiner Argumente abschwächt, indem er sich in enorme innere Widersprüche verwickelt. Im vierten Kapitel des ersten Teils der Träume – und durch den Rest des Buches hindurch – kehrt der ironische Metaphysiker wieder und versucht, den Inhalt seiner eigenen anmaßenden Theorie von der Gemeinschaft der Geister4 zu verteidigen, die in Kapitel I.2 dargelegt wird, aber nun auf moralischen und pragmatischen anstatt auf metaphysischen und spekulativen Grundlagen.