Steppacher | Blösse | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Steppacher Blösse


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-99200-380-8
Verlag: Braumüller Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-99200-380-8
Verlag: Braumüller Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Unterschiedlicher könnten die jungen Frauen kaum sein: Moira, eine resolute Tierschützerin, und Sibylle, eine zurückhaltende Tierpräparatorin. Beide bekämpfen Artenschwund, Waldsterben, Klimawandel, streiten jedoch heftig über die Mittel. Überraschend verlieben sie sich ineinander, doch ein Familiengeheimnis zerstört alles. Moira und Sibylle sind Halbgeschwister. Der Schock radikalisiert das einstige Paar. Moira wählt in einem Akt des Widerstandes den Freitod. Bestürzt hinterfragt Sibylle ihre Ziele und sucht Ausdruck und Trost in der Kunst. In versehrten Tierhäuten findet sie ein Symbol für den Verlust ihrer Geliebten und die Zerstörung der Natur. Angesichts des Sterbens der Natur stellt sie sich die Frage: Erzwingt dies nicht gänzlich neue Formen der Kunst? Resigniert zieht sich Sibylle zurück und lebt isoliert in einem Wald. Eines Tages erhält sie unerwartet eine Einladung von einem Future-Lab, das Gentechnik als Lösung gegen Artensterben propagiert. Sibylle steht vor einer folgenschweren Entscheidung.

Elvira Steppacher, 1963 in Hiltrup geboren, studierte Literaturwissenschaft in Münster und Santander. Lange Jahre Leiterin einer Journalistenschule, gründete sie 2012 ihre eigene Agentur. Seitdem bloggt sie unter anderem zu Sprache, Virtualisierung, Ethik. Überzeugt, dass Literatur Zeitenwenden mitgestaltet, begann sie 2019 Prosa und Lyrik zu schreiben. Ein Auszug ihres Stundenheftes gewann den Internationalen Literaturpreis der Ärztekammer Wien (2021). Elvira Steppacher lebt und arbeitet in München. Bei Braumüller erschienen: Von Fall zu Fall (2022)

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


20. September 1983
Coco
Wenn ich daran : denke : nein : es höre : nein : sehe : nein : zuerst : den Schlag : den Aufschlag, wenn : das Geräusch : nein : doch : das Geräusch : das nie : das nicht : weil dumpf wie : du : rücklings : du : tot : dein wacher Blick : so flammend : so leicht : so geschickt : und jetzt : so trübe : und jetzt : so starr : deine kleine Klaue : im Muff : so kalt : so eiskalt über Nacht. Ich prüfte, ob meine Sinne mir einen Streich spielten. Doch die Signatur war echt, der Institutsdirektor ­Johannes Gutenborg hatte persönlich unterschrieben. Er informierte über die Einladung zu einem Erprobungstag. Im Nachhinein habe ich mich oft gefragt, warum ausgerechnet er, dieser weit ausholende Denker, eine so kleingeizige Schrift ausgebildet hatte. Inzwischen weiß ich, dass sie vom Krieg herrührte. Schulen, Unis, Bibliotheken, alles weggebombt. Die Welt ein Trümmerhaufen. Wie zig andere lebte er sein aus den Fugen geratenes Leben. In einer verwüsteten Stadt, einem Raum ohne ersichtliche Ordnung, empfand er dennoch Lebendigkeit, intensive sogar, wie er mir einmal gestand. Nach Jahren des Faschismus endlich frei. Obgleich es praktisch an allem mangelte, vermisste er am meisten seine Bücher. Verglichen mit anderen existenziellen Begrenzungen mag das befremden. Doch für einen Menschen, der in Sprache atmet und im Schreiben lebt, dürfte die Entbehrung qualvoll gewesen sein. Von frei liegenden Wänden haben sie Tapetenreste gekratzt, aus feuchten Kellern Kartonagen geklaut, von Anschlagbrettern Reklame. Seitdem füllte Gutenborg jede freie Stelle auf Papier vollständig aus, selbst an der Tafel ließ er kein Fitzelchen Rand. Sein Schriftbild bestand aus winzigen Wellen, die wie seismische Mikrogramme den Zeitpuls registrierten. Als ich das Phänomen Moira gegenüber erwähnte, reagierte sie genervt. Einfach alles, was diesen Typen anginge, würde ich überhöhen. Verehrt wie ein Abgott stünde der auf seinem Podest. Meine Haltung sei vollkommen unkritisch und verblendet, geradezu hörig. 26. Oktober 1983
Coco Tag eins: Das Rupfen der Federn beginnt in der Nacht. Tag zwei: Auf der Einstreu wogt smaragdgrün die See. Tag drei: Ein Gast nimmt ein Bad, es ist der Tod. Am Erprobungstag war ein kleiner Parcours vorbereitet ­worden. Wie bei einem Zirkeltraining rückten wir vor. An den Stationen lagen Stücke aus Metall, Holz, Gips, Formschaum. Man erklärte uns die Werkzeuge, wir gaben unser Bestes, schließlich würden Lötkolben, Schweißgeräte, Feilen und Skalpelle von nun an unsere täglichen Begleiter sein. Die Schlussaufgabe bestand darin, ein Kopfmodell aufzubauen. Welches der ausgestellten Präparate wir zum Vorbild nahmen, blieb uns überlassen. Die Köpfe sollten wir grob mithilfe von Watte, Holzwolle oder Werg vorbilden und anschließend durch Wickelband weiter ausformen. Es würde einfacher, hieß es, wenn wir uns an den Schädeln der jeweiligen Präparate orientierten. Ich weiß noch, dass die Originale sich von den dunkel polierten Holzplatten wie Schmuckstücke abhoben. Ihr knöchernes Weiß leuchtete, als wäre es Porzellan oder Kunststoff, aber nie und nimmer Bein. 24. Oktober 1983
Ägyptische Tiermumien G. hat uns Röntgenbilder von Tiermumien mitgebracht. Ein Ibis, ein Falke, ein Pavian, ein Krokodil. Mit welcher Sorgfalt die Balsamierer die Körper drapierten. Bis zu 70 Tage habe die Prozedur gedauert, inklusive Organentnahme und Einwirkzeit. Mumien, sagt G., zählen nicht zu den Präparaten, ganz gleich, ob Tier oder Mensch. Die X-Rays lassen ihre Knochen durchsichtig wirken. Selbst das Mark scheint beinahe verklärt. Man weiß gar nicht, ob diese Wesen erscheinen oder verschwinden. Wie sie daliegen in ihren Kokons. Fast schäme ich mich, ihren Schlummer zu begaffen. Als könnte das ihre Träume stören. Ein Leinenband der Liebe umgibt sie, die Gottheiten, Menschen, Tiere. Ich frage mich, warum eine solche Hochkultur unterging. Indem Gutenborg uns Erkenntnisse nicht vorenthielt, ihnen aber auch nicht unkritisch erlag, förderte er Fortschritt auf seine Art. Er empfahl uns, akademische Streitigkeiten zu meiden. Oft führten gut dotierte Gockel Scheinkämpfe, zankten um Verzweigungen, sprich: Taxonomien. Gewiss, es mache einen Unterschied, ob der Kastanienkauz, der Prachtkauz, der Albertseekauz und der Etchécoparkauz eigene Spezies seien oder lediglich Unterarten vom afrikanischen Kapkauz. Denn so betrachtet, führte er leise verschmitzt aus, wären die kauzigen Fünf eben ziemlich nahe Verwandte. Neuen Erkenntnissen dürften wir uns nie verweigern. Im Gegenteil, wir sollten uns auf Taxonomien im Fluss einstellen. Nur darauf beharrte er: Selbst, wenn wir noch so viele Fakten anhäuften und über alles Wissen der Welt verfügten, letztendlich bliebe unser Verstehen unzureichend. Was begriffen wir denn genau von der Entwicklung und ihren Kräften? Wer ahnte schon, wie alles zusammenhinge und wozu? Hätte irgendwer auch nur eine Mikrobe, eine Alge, einen Lurch, geschweige denn einen Quastenflosser wirklich erfasst? Kein Mensch wisse, was uns bewege, egal ob zu Wasser, auf der Erde oder in der Luft. Im Kontakt mit etlichen Kollegen stehend, gab Gutenborg ein Fachorgan für Praktiker heraus. Vor- und Nachteile neuer Verfahren fanden darin Platz, genau wie eine Rubrik zur Kulturgeschichte der Präparation. Ich glaube, er hatte nach und nach alle naturkundlichen Schriften des 18. und 19. Jahrhunderts gelesen. Im Grunde lag hier seine Leidenschaft. Er behauptete steif und fest, die Geschichte der Präparation lehre uns alles. Wer in den Formen lesen könne, sähe Kriege, Katastrophen und Umbrüche aller Art voraus. Die Exponate und ihr Werden sprächen zu uns. Man konnte an solchen Sätzen nagen wie an einem Knochen, man konnte daran verzweifeln oder widersprechen, doch einfach auf Durchzug schalten, konnte niemand. Ausnahmslos alle in der Klasse nahm seine Art zu denken für sich ein. Erst recht, wie Sie richtig vermuten werden, seine Kunst zu präparieren. Nachdem Gutenborg uns anfangs mit historischen Präparaten überhäufte, zeigte er uns bald eine unglaublich schöne, aktuelle Dermoplastik. Die Goldmedaille, die er dafür erhalten hatte, war mehr als verdient. 23. September 1983
Jaguar jagt zwei grüne Aras Heute hat G. eine eigene Arbeit mitgebracht. Ob er uns was beweisen will? Zeigen, was er draufhat? Nötig hat er’s nicht. Immerhin, mal kein historisches Präparat. Ein ausgewachsener Jaguar springt fast senkrecht in die Luft und jagt zwei Aras über ihm. Grüne Aras (Ara ambiguus). Die beiden hockten einen knappen Meter über ihm, nah genug für einen Sprung aus dem Hinterhalt. Das Fleckfell dicht wie ein Seidenteppich. G. beginnt erst mal mit Statik, zeigt Bilder der verbauten Vierkanteisen. Die Vertikale, erklärt er, erzeugt Dynamik. Erlaubt die Länge des kompakten Jägers darzustellen. Zugleich ein Kunstgriff, das herrliche Fell rundum zu zeigen. Stimmt, die weiße Bauchseite mit den schwarzen Punkten liegt frei, die gold-schwarze Rückenpartie mit den fast geschlossenen Rosetten auch. Pfeilschnell der Überraschungsangriff, die typische Jagdtechnik der Großkatze. Nur der rechte Hinterlauf berührt das Podest, das linke Bein tritt förmlich in die Luft, weshalb der Schwanz kräftig dagegensteuert. Fauchend fegt der Jaguar seine Tatzen zu dem Ara, mit voller Wucht schlägt er seine Krallen in die Beute, berührt wohl auch das Bauchgefieder. Aufgescheucht reißt der andere die Flügel hoch, stiebt flatternd und lauthals kreischend davon. Wie fein G. das ausgearbeitet hat. Die Gesichter der Aras tatsächlich im Schreck. Eine Kippszene, Ausgang ungewiss. G. meint, die Katze wolle treffen, müsse, was denn sonst? Gespannt wie ein Flitzebogen die ganze Bewegung, das Kreuz durchgedrückt, die Wucht im Angriff. Doch ob ihre Tatze tötet oder nur schrappt, überlasse das Präparat unserer Fantasie. Das Meinungsbild sagt: Sechs zu Zwei. Pech gehabt. Dem Pärchen fehlt es an Glück. Mir gefällt sein Ansatz. Professionell, unsentimental, präzise. Werde es genauso halten. Obwohl die Reichweite der Jaguare, liebe Freundin, bereits während unserer Ausbildung merklich zurückging, hieß die Einstufung auf der Roten Liste lediglich: potenziell gefährdet. Potenziell, denken Sie nur, was für ein Irrsinn! Schon damals brummten Kreissägen, prasselten Feuer, furchten Pflüge über weite Kilometer des Amazonas-Regenwalds. Ausgerechnet dort, in ihrem angestammten Terrain, haben wir durch Kahlschlag, Viehzucht, Ackerbau sehenden Auges das Zuhause dieser Tiere zerstört. Statt weitläufiger Habitate blieben nur mehr zerstückte. Wir sehen ja, wie Konflikte zunehmen, jetzt auch im brasilianischen Pantanal, dem kostbaren Binnen-Sumpfgebiet. Verdrängung und Racheabschüsse werden folgen. Glauben Sie mir, der Anfang vom Ende ist programmiert. Genauso begann es in den USA mit dem Arizona-Jaguar. Eine regionale Unterart, die seit den 80ern als ausgerottet gilt. In den Wäldern der Staaten fehlt das geschmeidige Tier seither. 25. Oktober 1983
Scheinmumien Komisch, etliche der bandagierten Bündel fand man leer! Gefüllt mit nichts als ein paar Federn, Eiern oder Nistmaterial. Ob es stimmt, wie G. vermutet, dass der heilige Kult zur Mumienindustrie verkam? Oder wurden die heiligen Tiere damals etwa knapp? Wie friedvoll ich mir den Alltag von Göttern, Tieren und Menschen vorstellte, liebe Kunstfreundin. Ein pharaonisches Paradies malte ich mir aus....


Elvira Steppacher, 1963 in Hiltrup geboren, studierte Literaturwissenschaft in Münster und Santander. Lange Jahre Leiterin einer Journalistenschule, gründete sie 2012 ihre eigene Agentur. Seitdem bloggt sie unter anderem zu Sprache, Virtualisierung, Ethik. Überzeugt, dass Literatur Zeitenwenden mitgestaltet, begann sie 2019 Prosa und Lyrik zu schreiben. Ein Auszug ihres Stundenheftes gewann den Internationalen Literaturpreis der Ärztekammer Wien (2021). Elvira Steppacher lebt und arbeitet in München.

Bei Braumüller erschienen:
Von Fall zu Fall (2022)



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