E-Book, Deutsch, 432 Seiten
Sternberg Ein Garten für zwei
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-24261-9
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 432 Seiten
ISBN: 978-3-641-24261-9
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
EMMA STERNBERG ist die Autorin zahlreicher Bestseller, darunter FÜNF AM MEER. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin und Brandenburg, wo sie gerade ein Bauernhaus renoviert. Seither vergöttert sie jeden, der mit Lehm, Kalk, Holz und Liebe alte Häuser wieder zum Leben erwecken kann.
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Seit meinem Examen vor acht Jahren arbeite ich nun schon bei Steinkopf Ahmadi LLP, erst als First-Year-Associate, dann als Associate, und inzwischen bin ich zum Senior Associate aufgestiegen. Ich habe eine Firmenkreditkarte, ein schickes Büro und verdiene mehr, als ein alleinstehender Mensch jemals ausgeben könnte. Und doch habe ich immer noch Herzklopfen, wenn der Lift im achten Stock zum Stehen kommt und sich die Tür fast lautlos öffnet. Es ist eine seltsame Mischung aus Vorfreude, Lampenfieber und Angst, die in meinem Bauch aufsteigt: Vorfreude auf die Arbeit und meine Kollegen, von denen manche inzwischen fast so etwas wie eine Familie geworden sind – immerhin verbringe ich mit niemandem mehr Zeit als mit ihnen. Lampenfieber, weil man als Anwältin immer performen muss, weil man ja irgendwie eine Rolle spielt. Und Angst, tja … die würde ich öffentlich natürlich niemals zugeben, aber da ist sie immer: Angst davor, eines Tages vor einer Aufgabe zu stehen, der ich nicht gewachsen bin. Angst, gezwungen zu sein, einen Klienten an eine erfahrenere Kollegin oder einen Kollegen verweisen zu müssen. Angst: zu scheitern.
All das strömt gleichzeitig durch meine Adern, wenn ich unsere perfekt designten Kanzleiräume betrete und meine Schritte durch die Eingangslobby hallen. Aber dann holt mich auch schon die Realität wieder ein, und während ich auf den Empfangstresen zulaufe, fallen mir all die Dinge ein, die ich als Erstes erledigen muss: E-Mails, Post, ein wichtiges Telefonat, eine noch wichtigere Akte.
»Morgen!«, grüße ich Romina hinter ihrem Tresen und marschiere an ihr vorbei.
»Guten Morgen, Frau Thome!« Romina sieht nur halb von ihrem Computer auf, und ihr dunkelrot geschminkter Mund verzieht sich zu einem säuerlichen Lächeln. Ich habe lange nicht verstanden, warum Carl Steinkopf sie eingestellt hat, denn für eine Empfangsdame ist sie wirklich unfassbar unfreundlich. Obendrein ist sie spindeldürr und vom Wesen her ungefähr so einladend wie ein Sack Nägel. Andererseits ist sie angstfrei und wirklich sehr penibel. Sie würde unter Einsatz ihrer langen Fingernägel verhindern, dass irgendjemand Unberechtigtes die Kanzleiräume betritt.
»Gibt es Post für mich?«
»Hat Frau Marquez schon abgeholt.«
Frau Marquez ist Cecilia, meine Sekretärin. Na gut, eigentlich ist sie nicht meine Sekretärin, sondern nur die von meinem Chef, Carl Steinkopf, dem Gründer der Firma. Als Senior Associate hätte ich gar keinen Anspruch auf eine eigene Assistentin – schließlich hat jede unserer Abteilungen eine ganze Handvoll Rechtsanwaltsgehilfinnen und -gehilfen. Aber vor ein paar Monaten hat Carl mich dabei ertappt, wie ich die ganze Nacht durchgearbeitet habe. Von dem Tag an bin ich irgendwie in seinem Ansehen ein Stück nach oben gerutscht, und er hat Cecilia angewiesen, in Zukunft auch mich zu unterstützen, zumal sich ihr Schreibtisch ohnehin fast direkt vor meinem Zimmer befindet.
Und tatsächlich, als sie mich sieht, wedelt mir Cecilia schon mit einem Stapel Dokumente entgegen. »Pohoost!«, ruft sie ungeduldig, und nimmt noch hastig einen Löffel von der veganen Vollwert-Bowl, die sie sich seit Neuestem jeden Morgen zum Frühstück mit ins Büro bringt. Unwillkürlich wandert mein Blick zu der offen stehenden Schreibtischschublade neben ihr. Früher war die randvoll gefüllt mit einem herrlichen Vorrat aus Schokoriegeln, Gummibärchen und diversem Knabberzeugs, den sie bereitwillig mit jedem teilte, der es mal wieder nicht zum Essen geschafft hatte. Aber seit sie vor ein paar Wochen eine angeblich Augen öffnende Fernsehdoku über die Lebensmittelindustrie gesehen hat, stapeln sich darin nur noch Trockenfrüchte und fair gehandelte Rohkostsnacks, die immer irgendwie nach Blumenerde schmecken und wahnsinnig krümeln. Ich meine, grundsätzlich finde ich es ja nicht falsch, halbwegs bewusste Konsumentscheidungen zu treffen – aber muss man sich deshalb so sehr selbst kasteien? Zumal die Lebensmittelbranche ja jetzt auch nicht schlimmer als alle anderen Branchen ist. Würde sie aufhören, Taxi zu fahren, nur weil die Ölindustrie böse ist? Steigt sie auf Jutekleidung um, bloß, weil Textilhersteller kein Gewissen haben? Schmeißt sie ihre Teakholz-Balkonmöbel weg, weil dafür Regenwald gerodet wurde? Na? Eben.
»Danke«, sage ich und sehe rasch die Briefe durch. Das klingt so langweilig, ist aber immer einer der aufregendsten Momente des Tages – schließlich werden alle wirklich ärgerlichen Schreiben immer noch mit der Post oder sogar per Fax versandt. Sind irgendwelche Bußgeldbescheide oder Klageschriften dabei? Heute offenbar nicht, hurra.
Obwohl, was ist das? Einen schweren, großen Briefumschlag aus handgeschöpftem Papier sehe ich mir genauer an. Patricia de Blasio & Konstantin Hildebrandt steht da in verschnörkelten Lettern als Absender auf dem Umschlag, dazu eine Adresse in New York, Lafayette Street, was, wenn ich mich nicht täusche, mitten im schicksten SoHo ist.
Puh, ein Brief von Konstantin. Das ist doch wohl nicht etwa …?
Ich merke, dass Cecilia mich kauend betrachtet, und lege den Brief unauffällig zurück auf den Stapel. Dann ziehe ich mich damit in mein Büro zurück. Doch als ich die Tür gerade hinter mir zuziehen will, fällt Cecilia noch etwas ein: »Ach so, und Ihre Mutter bittet dringend um Rückruf!«
»Ah, danke«, sage ich wie nebenbei, aber innerlich stöhne ich auf. Manche Leute finden im Rentenalter ja angeblich zur Ruhe, aber seit meine Mutter sich aus dem Berufsleben zurückgezogen hat, dreht sie erst so richtig auf. Sie hatte bis vor drei Jahren eine gut gehende Agentur, die sich auf PR für die Kosmetikbranche spezialisiert hat, und arbeitet immer noch als freie Beraterin für zwei kleine, aber feine Labels. Das nimmt sie aber längst nicht ausreichend in Beschlag, weshalb sie ununterbrochen Nachbarschaftsinitiativen gründet, Liederabende und Vernissagen organisiert, und die Welt von früh bis spät mit vermeintlich wichtigen Anrufen tyrannisiert. Mein Vater, der früher Patentanwalt war und nur unwesentlich länger als meine Mutter in Rente ist, hat seine beruflichen Kämpfe ebenfalls ins Privatleben verlagert: Er spielt nun täglich mit seinen alten Kollegen Tennis, und zwar mit einem Ehrgeiz, den ich schrecklich und gleichzeitig bewundernswert finde. Aber immerhin würde es ihm niemals einfallen, die ganze Kanzlei aufzuschrecken, nur um mich an die Strippe zu kriegen.
Ich signalisiere Cecilia mit einer Geste, dass ich mich bei meiner Mutter melden werde, und schließe endlich meine Bürotür hinter mir. Dann nehme ich Konstantins Brief noch einmal in die Hand und öffne ihn.
Und es ist wirklich wahr:
Together with their families Patricia de Blasio and Konstantin Hildebrandt request the pleasure of your company as they exchange marriage vows steht da in golden geschwungenen Buchstaben unter einem wirklich ausgesuchten und geschmackvoll illustrierten Blütenmotiv. Darunter in etwas schlichterer Schrift die Details: Old Whaling Church, Edgartown, Martha’s Vinyard, dinner and dancing to follow. Trauzeugen sind Konstantins alter Freund Alex und eine gewisse Dahlia McEwan. R.S.V.P. bis 31. Mai.
Ich klappe die Karte wieder zu und warte schicksalsergeben darauf, dass ich in Tränen ausbreche. Doch komischerweise empfinde ich: nichts. Keinen Schmerz. Keine Trauer. Nicht einmal ein eifersüchtiges Ziehen in der Brust. Dabei waren wir immerhin fast eineinhalb Jahre zusammen. Bin ich wirklich so wenig verliebt in Konstantin gewesen, dass es mir überhaupt gar nichts ausmacht, wenn er meine direkte Nachfolgerin schon nach wenigen Monaten heiraten will? Wo es ihm bei mir schon schwerfiel, beim Mittagessen mal sein Tiramisu mit mir zu teilen?
Unwillkürlich ziehen die Monate unserer Beziehung an mir vorüber. Nein, die große Liebe ist das wirklich nicht gewesen. Irgendwie hat sich das mit uns so ergeben. Er hat bei Snyder Schirmer Precht gearbeitet, einer Kanzlei für IT-Recht zwei Etagen tiefer, und so kam es, dass wir öfter mal zusammen zum Lunch draußen waren. Dann ist es nach einer Firmenfeier passiert. Aber eigentlich waren wir von Anfang an auf eine Weise zusammen, wie es andere Paare höchstens ganz am Ende ihrer Beziehung sind. Ich meine, wir haben uns wirklich gut verstanden, viel gelacht und hatten immer viel zu bequatschen – dämliche Konzern-Chefjustiziare, nervige Kartellamtssekretärinnen, die...