E-Book, Deutsch, 406 Seiten
Sternberg Ruhrbeben
2. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7534-1071-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 406 Seiten
ISBN: 978-3-7534-1071-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fracking im Ruhrgebiet, Recycling von giftigen Schlämmen Meeresbiologe Hannes Schindler stirbt an einer rätselhaften Krankheit und hinterlässt brisantes Material: Es geht um Fracking, ein umstrittenes Verfahren zur Erdgasförderung. Dann rast Sturmtief Cassandra über das Ruhrgebiet und schlägt eine Schneise der Verwüstung. In Essen geraten Ruhr und Kanalisation außer Rand und Band. Bald erkranken die ersten Menschen und eine fieberhafte Suche nach den Gründen beginnt. In »Ruhrbeben« entwickelt Ursula Sternberg einen Plot, der langsam, aber dennoch unaufhaltsam auf eine Umweltkatastrophe zusteuert. Was zunächst ungefährlich scheint, verwandelt sich durch einen Mix aus laxem Umgang, profitgesteuertem Verhalten und Naturgewalt zu einer tödlichen Bedrohung für eine ganze Stadt. Sehr detailliert wird über die realen Hintergründe des Fracking informiert, was dem Krimi beunruhigende Tiefe und Aktualität verleiht. Neuveröffentlichung der gleichnamigen Originalausgabe (2014)
Ursula Sternberg, geboren in Duisburg, arbeitet hauptberuflich als Anwendungsentwicklerin, lebt in Essen und ist tief mit der Region verwurzelt. Sie liebt Katzen, Natur, Bewegung an der frischen Luft, Kochen und gutes Essen. Neben dem Schreiben malt sie, überwiegend in Öl, und hat bereits an mehreren Gruppenausstellungen teilgenommen. Ihr erster Roman »Variationen der Wahrheit oder von Liebe, Käse und anderen Dingen« erschien 2007, es folgten die vierbändige Ruhrgebiets-Krimiserie um die private Ermittlerin Toni Blauvogel, die Originalausgabe »Ruhrbeben« sowie mehrere Kurzgeschichten. Die Kurzgeschichte »Sieben« wurde 2019 für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. www.krimis-und-kunst.de
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KAPITEL 1
Münster, 03. März Der Schmerz schnitt durch die Eingeweide, und Hannes Schindler krümmte sich. Mit zusammengebissenen Zähnen tastete er nach der Pumpe an seinem Bett und wartete auf die nächste Attacke. Aber die schien nicht mehr so stark wie die letzte, und auch die, die dann folgte, war weniger intensiv. Erleichtert ließ er die Pumpe los, ohne sie betätigt zu haben. Eine Weile später hatte es ganz aufgehört. An ein Wunder glaubte Hannes Schindler jedoch nicht. Instinktiv begriff er diese Phase, in der die Schmerzen plötzlich von ihm abließen, als das, was sie war: ein paar Stunden Gnade. Ein Aufschub. Eine Chance, innezuhalten und sich zu sammeln. Den Verstand zu mobilisieren, ihn nicht wieder mit der Droge aus der Pumpe zu umnebeln, die den Schmerz halbwegs erträglich machte, und zu regeln, was noch geregelt werden sollte. Und das tat er nun, so gut er es eben konnte. Er griff nach dem Telefon und tätigte einen Anruf. Dann klingelte er nach der Schwester, um sich Stift und Papier bringen zu lassen. Sorgsam faltete Hannes Schindler den Brief zusammen, den er soeben geschrieben hatte. Zittrig zwar, mit krakeligen Buchstaben, aber er hoffte, dass er dennoch lesbar sein würde. Hannes war froh, dass er das geschafft hatte, denn diese Zeilen hatten ihm auf der Seele gebrannt. Nun wartete er ungeduldig auf seinen Besuch. Viel Zeit hatte er nicht mehr, das wusste er. Die Minuten liefen davon wie der Sand in einem Stundenglas, der immer schneller durch die kleine Öffnung zu rieseln schien, je mehr er zur Neige ging. Wie gern würde er auch noch Abschied von seinem Sohn nehmen. Es gab doch noch so viel zu sagen. Dass er stolz auf ihn war, zum Beispiel, und dass er ihn immer geliebt hatte, trotz aller Kritik, die manchmal so schonungslos aus ihm herausgebrochen war. Aber er hatte Jan nicht erreicht. Doch für einen weiteren Brief fehlte ihm die Kraft. Er musste sich ausruhen. Für einen kurzen Moment die Augen schließen. Dann würde es schon wieder gehen. Hannes dämmerte in einen unruhigen Schlaf hinüber. Verschwommene Gesichter zogen an ihm vorbei. Menschen, die ihm etwas bedeutet hatten, unscharf zwar, nicht klar umrissen, aber dennoch wusste er, dass sie es waren. Geliebte Gesichter. Marlene, Jan, Idgie. Seine Mutter ... Sie lächelten ihn an und formten Worte, die er nicht verstehen konnte. Bleibt doch ein wenig, ich habe euch so lange nicht gesehen! Ein leises Klopfen riss ihn aus dem Halbschlaf. Hannes spürte, wie jemand in sein Zimmer trat, und öffnete die Augen. Als er in das erschrockene Gesicht seines alten Freundes Rüdiger Gehrling sah, war er froh, dass er Jan nicht hatte erreichen können. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass er schlimm aussehen musste, denn selbst auf dem Handrücken waren ihm die Haare ausgegangen, und obwohl die Haut seltsam aufgedunsen war, bleich und verquollen wie aufgehender Hefeteig, wusste er, dass er abgemagert war wie eine alte Katze. Kein schöner Anblick, schon gar nicht für das eigene Kind. »Mein Gott, Hannes«, sagte Gehrling erschüttert. »Du weinst ja! Hast du Schmerzen? Soll ich die Schwester rufen?« »Keine Schmerzen.« Selbst das Sprechen fiel ihm schwer. »Ich habe bloß geträumt. Es war schön.« Eigentlich war Gehrling ein Freund seiner Frau Marlene gewesen. Sie hatte ihn gewissermaßen mit in die Ehe gebracht. Rüdiger, den stillen, steten Verehrer, der ihn, Hannes, von Anfang an mit einer gewissen Skepsis betrachtet hatte. Mit dem sezierenden Röntgenblick des Abgewiesenen, der sich in sein Schicksal fügt, um die Frau, die er liebt, nicht vollends zu verlieren. Was willst du bloß von diesem Freibeuter? Er wird dich unglücklich machen ... Gehrling hatte gute Miene zum bösen Spiel gemacht und sich in eine Anwalts- und Notariats-Kanzlei in Münster eingekauft. Dennoch war er häufig bei ihnen in Hamburg zu Gast gewesen und hatte sich schließlich auch gegenüber Hannes als guter Freund erwiesen. Dick war er geworden, der Rüdiger, fiel Hannes erneut auf. Da halfen auch keine feinen Nadelsteifen. Die Tränensäcke unter den Augen verrieten, dass er zu viel trank. »Schön, dass du kommen konntest.« »Was kann ich für dich tun?« »Ich sterbe.« Hannes versuchte ein Lächeln. Es geriet seltsam kläglich. »Jeder von uns stirbt irgendwann.« Hannes sah, dass sein Freund schluckte. Er spürte die Hand, die seine eigene umfasste. Warm. Lebendig. Und dennoch vorsichtig, um die Kanüle nicht zu berühren, die dort in seinem Handrücken steckte. »Nicht irgendwann, Rüdiger. Jetzt. Ich weiß es. Hast du alles vorbereitet?« Gehrling nickte. »Jan bekommt natürlich alles. Bis auf eine Kleinigkeit.« »Die da wäre?« »Meine Scheune in Nottuln. Die möchte ich jemand anderem vererben.« »Jemandem aus der engeren Familie?« »Nein. Überhaupt keine Verwandtschaft.« »Dann muss derjenige Erbschaftssteuer zahlen, und das nicht zu knapp.« »Wenn ich es verschenken will? Aber es gehört doch mir. Was macht denn das für einen Sinn?« »Väterchen Staat verdient daran«, sagte Gehrling trocken. »Logisch.« Etwas von seinem alten Sarkasmus blitzte in Hannes Augen auf. »Das hätte ich mir glatt selbst denken können.« Dann wurde seine Stimme hart. »Aber das will ich nicht.« »Aha.« »Sie hat nur wenig Geld.« »Dann muss sie eben verkaufen. Dafür lässt sich bestimmt ein Liebhaber finden.« »Ich will aber, dass sie dort wohnt«, sagte Hannes störrisch. »Ich bin ihr was schuldig.« »Eine neue Liebe?« Hannes schüttelte kaum merklich den Kopf. »Eine alte.« »Kenne ich sie?«, fragte Gehrling. Und war das, bevor du Marlene geheiratet hast, hing der Satz unausgesprochen in der Luft. »Nein«, sagte Hannes schroff und beantwortete damit beide Fragen gleichzeitig. Sein Tonfall verriet, dass er hierüber keine näheren Auskünfte geben würde. »Aber sie hat noch was gut bei mir. Lass dir also was einfallen.« Er lehnte sich im Kissen zurück und drehte den Kopf zum Fenster, ein klares Signal, dass er hierüber nicht mehr debattieren würde. Schweigen breitete sich im Raum aus. Die rasselnden Atemzüge von Hannes klangen nach Kampf, nach Krankheit und Tod. »Wie wäre es mit lebenslangem Wohnrecht?«, schlug Gehrling schließlich vor. »Das Haus gehört deinem Sohn, und sie darf darin wohnen, solange sie will.« Hannes schloss die Augen, während er sich die Sache durch den Kopf gehen ließ. Nach einer Weile öffnete er sie wieder. »Niemand kann sie dort rausklagen?« »Glaubst du, Jan würde das versuchen?« »Nicht er, aber diese fürchterlichen Restbestände von Marlenes Familie. Die von Kaldenstetts, du erinnerst dich?« Gehrling schmunzelte. »Ingeborg? Lebt die denn immer noch?« »Ich habe nichts Gegenteiliges gehört.« »Lebenslanges Wohnrecht ist unantastbar. Niemand kann das anfechten, es sei denn, du wärest nicht zurechnungsfähig.« »Das würde Ingeborg dir ohne rot zu werden unterschreiben.« Hannes Lachen wurde von einem brodelnden Geräusch in seiner Lunge begleitet. »Also, dass ich nicht zurechnungsfähig bin, meine ich. Aber im Ernst. Ich bin voll da. Ganz klar im Kopf. Zurzeit stehe ich nicht mal unter Drogen.« »Was fehlt dir eigentlich?« »Allgemeine Immunschwäche?« Hannes machte eine vage Geste mit der Hand. Er bemerkte, wie Gehrling unwillkürlich ein Stück zurückwich, und verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. »Keine Angst, Aids ist es nicht. Die Ärzte tappen im Dunkeln. Also – bei lebenslangem Wohnrecht könnte sie bleiben und müsste nichts dafür zahlen?«, kam er auf das Thema zurück. »Wenn du das so festlegst.« »Dann machen wir es so.« Gehrling öffnete seinen Metallkoffer und entnahm ihm ein Notebook. Er begann zu tippen. »Wie heißt sie?« »Idgie. Idgie Callahan.« Hannes buchstabierte den Namen. »Früher wohnte sie in so einem entsetzlichen möblierten Apartment in Emden. Wo sie im Augenblick steckt, weiß ich nicht. Die alte Herumtreiberin«, sagte Hannes zärtlich. »Aber die beim Institut müssten wissen, wo man sie finden kann.« Sein Blick wanderte zum Fenster. »Sie stand mir einmal sehr nahe.« »Ich werde es herausbekommen«, versprach Gehrling und hackte weiter auf die Tastatur ein. Dann ratterte der portable Drucker los und spuckte das Dokument aus. Gehrling stand auf. »Lies es dir in Ruhe durch. Ich hole jemanden von der Station als Zeugen.« Kurze Zeit später verstaute der Anwalt das Equipment in seinem Koffer und schob...