E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Stevens Mord ist nichts für junge Damen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95728-595-9
Verlag: Knesebeck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Fall für Wells & Wong
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-95728-595-9
Verlag: Knesebeck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Deepdean-Mädchenschule, 1934. Als Daisy Wells und Hazel Wong ihr eigenes, streng geheimes Detektivbüro gründen, gibt es zuerst gar kein wirklich aufregendes Verbrechen zum Ermitteln. Doch dann entdeckt Hazel die Lehrerin Miss Bell tot in der Turnhalle. Zuerst denkt sie, es sei ein schrecklicher Unfall gewesen. Aber als Daisy und sie fünf Minuten später zurückkommen, ist die Leiche verschwunden. Jetzt sind die Mädchen sicher: Hier ist ein Mord geschehen! Und nicht nur Person in Deepdean hätte ein Motiv gehabt ...
Nun haben Daisy und Hazel nicht nur einen Mordfall aufzuklären – zuerst müssen sie beweisen, dass es überhaupt ein Mord war. Fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, bevor der Mörder wieder zuschlagen kann (und bevor die Polizei eingeschaltet wird, natürlich), müssen Hazel und Daisy nach Beweisen suchen, Verdächtige ausspionieren und all ihre Intuition einsetzen. Doch werden sie Erfolg haben? Und wird ihre Freundschaft diese Herausforderung bestehen?
Ein spannender Mädchen-Krimi ganz im Stil Agatha Christies, mit viel Internatsflair und zwei Heldinnen, die jeder gern zur Freundin hätte!
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Daisy will, dass ich erkläre, was dieses Schuljahr so alles passiert war, bevor ich die Leiche fand. Sie meint, ordentliche Detektive machen das so – fassen zuerst die Sachlage zusammen –, also werde ich genau das tun. Sie meint außerdem, dass eine gute Schriftführerin ihr Fallbuch stets bei sich tragen sollte, um wichtige Ereignisse noch an Ort und Stelle notieren zu können. Sie darauf hinzuweisen, dass ich das sowieso tue, war zwecklos.
Das wichtigste Ereignis der ersten paar Wochen des Herbsttrimesters war gewissermaßen der Detektivclub selbst, und es war Daisy, die damit anfing. Daisy ruft mit Begeisterung ständig Clubs für alles Mögliche ins Leben. Letztes Jahr hatten wir den Pazifistenclub (öde) und dann den Spiritistenclub (weniger öde, aber dann zerbrach Lavinia während einer Séance ihre Tasse, weshalb Küken in Ohnmacht fiel und die Hausmutter Spiritismus jeder Art verbot).
Doch das war letztes Jahr, als wir alle noch Shrimps waren. Jetzt, da wir erwachsene Neuntklässler sind, können wir uns mit so albernen Dingen wie Geistern nicht mehr abgeben – Daisys Worte, als sie zu Beginn des Trimesters zurückkam und Verbrechen für sich entdeckt hatte.
Ich war einigermaßen erleichtert. Nicht, dass ich jemals Angst vor Geistern gehabt hätte, nicht wirklich. Jeder weiß, dass es sie nicht gibt. Trotzdem machen an unserer Schule genug Spukgeschichten die Runde, um jedem einen Schauer über den Rücken zu jagen. Unser berühmtestes Gespenst ist Verity Abraham, das Mädchen, das sich im Schuljahr vor meiner Ankunft in Deepdean vom Turnhallenbalkon gestürzt hat. Es gibt aber auch die Geister eines früheren Fräuleins, das sich in einem der Musiksäle eingesperrt und zu Tode gehungert hat, und eines kleinen Siebtklässlershrimps, der im Teich ertrunken ist.
Wie gesagt, Daisy beschloss also, dass wir ab sofort Detektive wären. Bei ihrer Ankunft im Wohnheim hatte sie, verstaut in ihrer Knabbertruhe, Bücher mit zwielichtigen, düsteren Einbänden und Titeln wie und im Gepäck. Zwar konfiszierte die Hausmutter eins nach dem anderen, aber Daisy schaffte es immer wieder, Nachschub zu besorgen.
Wir gründeten den Detektivclub, die Detektei Wells & Wong, in der ersten Trimesterwoche. Daisy und ich schlossen den streng geheimen Pakt, dass niemand sonst davon erfahren dürfe, nicht einmal unsere Zimmergefährtinnen Kitty, Küken und Lavinia. Und es hat furchtbar viel Spaß gemacht, hinter dem Rücken der anderen umherzuschleichen und so zu tun, als wären wir völlig normal, während natürlich die ganze Zeit über wussten, dass wir Detektive in geheimer Mission waren, die Informationen sammelten.
Unsere ersten Fälle hat Daisy noch selbst festgelegt. In der ersten Woche schlichen wir uns in den zweiten Schlafsaal der Neunten und lasen in Clementines geheimem Tagebuch. Danach suchte Daisy eine Siebtklässlerin aus, über die wir so viel wie möglich herausfinden mussten. Das, so versicherte Daisy mir, war zur Übung – ebenso wie sich die Kennzeichen sämtlicher Automobile, die wir sahen, zu merken.
In der zweiten Woche ergab sich ein neuer Fall, als wir der Frage nachgingen, warum König Henry (so nennen wir unsere diesjährige Schulsprecherin, Henrietta Trilling, weil sie so unnahbar und majestätisch ist und außerdem so wunderschöne kastanienbraune Locken hat) eines Tages nicht zur Morgenandacht erschienen war. Es dauerte jedoch nur ein paar Stunden, bis alle – nicht nur wir – erfuhren, dass der Grund ein Telegramm war, weil ihre Tante in aller Frühe überraschend verstorben war.
»Die Arme«, sagte Kitty, als wir es herausfanden. Kitty gehört das Bett neben Daisy in unserem Schlafsaal, und Daisy hat sie zu einer »Freundin der Detektei« bestimmt, auch wenn sie davon noch immer nichts wissen darf. Sie hat glattes, hellbraunes Haar und Unmengen an Sommersprossen, außerdem versteckt sie ganz unten in ihrer Knabbertruhe etwas, das ich zuerst für ein Folterinstrument gehalten habe, sich aber als Wimpernzange herausstellte. Sie ist genau so versessen auf Klatsch und Tratsch wie Daisy, wenn auch aus weniger wissenschaftlichen Gründen. »Armer alter König Henry. Sie hatte wirklich schon eine Menge Pech. Immerhin war sie die beste Freundin von Verity Abraham, und ihr wisst ja, was mit Verity passiert ist. Seitdem ist sie nicht mehr dieselbe.«
»Ich nicht«, meldete Küken sich zu Wort, die neben mir schläft. Ihr richtiger Name ist Rebecca, aber wir nennen sie Küken, weil sie so klein ist und vor allem Angst hat. Am meisten fürchtet sie sich vor dem Unterricht. Sie sagt, wenn sie auf ein Blatt Papier guckt, fangen die Buchstaben und Zahlen an, vor ihren Augen zu tanzen, bis sie nicht mehr geradeaus denken kann. »Was ist denn mit Verity passiert?«
»«, zischte Kitty fassungslos. »Ist letztes Jahr vom Turnhallenbalkon gesprungen …? Alles was recht ist, Küks!«
»Oh!«, meinte Küken. »Natürlich. Ich dachte nur immer, sie sei gestolpert.«
Manchmal dauert es bei Küken etwas länger.
Zu Beginn des Schuljahrs ist noch etwas anderes geschehen, das sich als durchaus wichtig herausstellte: Der Traummann kam an.
Ihr müsst wissen, zum Ende des vorigen Jahrs ist Miss Nelson, die stellvertretende Direktorin und unsere langweilige Lehrerin für Musik und Kunst, in Ruhestand gegangen. Wir hatten erwartet, dass sie durch jemanden genauso Uninteressanten ersetzt werden würde – aber der neue Musik- und Kunstlehrer, Mr Reid, stellte sich als das genaue Gegenteil heraus. Und alt war er auch nicht.
Mr Reid hatte kräftige Wangenknochen und einen hinreißenden Schnurrbart, außerdem ölte er sein Haar mit Brillantine. Er sah wie ein echter Filmstar aus, auch wenn wir uns nicht einigen konnten, welcher genau. Kitty fand, er habe Ähnlichkeit mit Douglas Fairbanks Jr., während Clementine auf Clark Gable beharrte, aber das liegt nur daran, dass Clementine von Clark Gable vollkommen besessen ist. Unterm Strich spielte es sowieso keine Rolle. Mr Reid war ein Mann, und er war nicht Mr MacLean (unser kauziger, ungewaschener alter Pastor, den Kitty Mr MacDreck nennt) – das genügte, damit die gesamte Schule sich auf der Stelle in ihn verliebte.
Kitty gründete sogar einen völlig ernst gemeinten pseudogeheimen Club, der sich der Huldigung von Mr Reid verschrieb. Auf dem ersten Treffen wurde er umgetauft in »Der Traummann«. Wir alle mussten ab sofort das geheime Zeichen machen (Zeigefinger anheben und mit dem rechten Auge zwinkern), wenn wir uns in seiner Gegenwart befanden.
Der Traummann war noch keine volle Woche auf der Deepdean, als er den schockierendsten Vorfall seit Verity im letzten Jahr verursachte.
Es ist nämlich so, dass vor diesem Schuljahr die ganze Schule wusste, dass Miss Bell (unser Fräulein für Naturkunde) und Miss Parker (unser Fräulein für Mathematik) ein Geheimnis hatten. Gemeinsam bewohnten sie die kleine Stadtwohnung von Miss Parker, in der es ein Gästezimmer gab. Dieses Gästezimmer war das Geheimnis. Als Daisy mir zum ersten Mal davon erzählte, begriff ich noch nichts – doch jetzt, wo wir in der Neunten sind, verstehe ich natürlich ganz genau, was es bedeuten muss. Es hat etwas mit Miss Parkers Frisur zu tun, die viel zu kurz ist, selbst für die aktuelle Mode, und mit der Art und Weise, wie sie und Miss Bell letztes Schuljahr während der »Süßen Pause« (die Süße Pause und andere Deepdean-Eigenheiten hat Daisy im Anhang erklärt) immer Zigaretten teilten.
In diesem Trimester jedoch wurden keine Zigaretten weitergereicht, denn sobald Miss Bell am ersten Tag einen Blick auf den Traummann geworfen hatte, war sie ihm mit Haut und Haaren verfallen, genau wie Kitty. Ganz Deepdean geriet außer Fassung. Miss Bell galt nicht als Schönheit. Sie wirkte sehr verschlossen, zugeknöpft und streng in ihrem weißen Laborkittel. Außerdem war sie arm. Miss Bell trug abwechselnd immer dieselben drei abgewetzten Blusen, schnitt sich ihre Haare selbst und erledigte nach dem Unterricht für Miss Griffin Sekretariatsarbeit, um sich etwas dazuzuverdienen. So ziemlich jeder hatte Mitleid mit ihr, und wir nahmen an, dass der Traummann sie ebenfalls bemitleiden würde. Als es anders kam, waren wir wie vor den Kopf gestoßen.
»Zwischen den beiden läuft was«, berichtete Clementine unserer Klasse am Ende der ersten Schulwoche. »Ich war in der Süßen Pause im Labor und habe Miss Bell und den Traummann beim erwischt. Das war vielleicht ein Schreck!«
»Ich wette, du hast dich getäuscht«, meinte Lavinia verächtlich. Lavinia gehört auch zu unserem Schlafsaal – sie ist ein großes, schweres Mädchen mit störrischem dunklen Haar, und die meiste Zeit über schlecht...




