Stonebridge | Wir sind frei, die Welt zu verändern | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Stonebridge Wir sind frei, die Welt zu verändern

Hannah Arendts Lektionen in Liebe und Ungehorsam

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-406-81468-6
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Dieses Buch bringt uns die Hannah Arendt nahe, die wir für das 21. Jahrhundert brauchen. Es erzählt, wie die charismatische Philosophin zu ihrem eigenen, sehr besonderen Denken kam – und erklärt, wie wir denken sollten, wenn unsere Politik aus den Fugen gerät. Mit Leidenschaft und brillanter Expertise beleuchtet Lyndsey Stonebridge Arendts Leben und Werk, bringt sie in einen Dialog mit unserer unruhigen Gegenwart – und fordert uns dazu auf, wie Hannah Arendt zu denken: unerschütterlich, liebevoll und trotzig.

Die Umwälzungen unserer heutigen Zeit wären Hannah Arendt nur allzu vertraut gewesen. Tyrannei, Rassismus, postfaktische Politik, Verschwörungstheorien, Massenmigration, die Banalität des Bösen: Alles hat sie erlebt. Arendt wurde zu Beginn des letzten Jahrhunderts geboren und floh aus dem faschistischen Europa, um sich in Amerika ein neues Leben aufzubauen. Dort wurde sie zu einer der einflussreichsten – und umstrittensten – öffentlichen Intellektuellen der Welt. Sie schrieb über Macht und Terror, Exil und Liebe, aber vor allem über die Freiheit. Fragen und Denken – darin bestand ihre erste Verteidigung gegen jede Form der Tyrannei, der sie eine Politik der menschlichen Pluralität und Spontaneität entgegensetzte. Die Welt zu lieben, so lehrt uns Arendt, bedeutet, den Mut zu finden, sie zu schützen.
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Nachdenken über das,
was wir eigentlich tun
In den Monaten nach der Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 schossen Hannah Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft auf den amerikanischen Amazon-Bestsellerlisten nach oben. Im ersten Jahr seiner Präsidentschaft steigerten sich die Verkaufszahlen des Buchs um insgesamt über 1000 Prozent. Im Internet kursierten immer mehr auf Tweet-Länge gebrachte Zitate aus ihren Schriften, und in der Presse erschienen auf einmal regelmäßig Kommentare, die sich um Arendt’sche Themen drehten. Eine Politik des Absurden und Grotesken, des Grausamen, Verlogenen und rundweg Irrsinnigen war zurückgekehrt, und sie hatte dazu offensichtlich etwas zu sagen. Die Elemente und Ursprünge waren erstmals 1951 erschienen und beschrieben, wie die historischen Umstände in Europa dabei zusammengewirkt haben, dem Bösen im 20. Jahrhundert eine schockierend moderne politische Gestalt zu verleihen. Hass und Angst bestimmten in den totalitären Regimen alles, wie sie behauptete. Politische Lügen triumphierten über die Tatsachen. Wichtig waren allein Macht, Gewalt und Ideologie; die Menschen selbst wurden überflüssig gemacht. «Was war geschehen? Warum war es geschehen? Wie konnte es geschehen?», fragte Arendt (TH 630), und die alten politischen und historischen Narrative gaben darauf keine plausiblen Antworten mehr. Hannah Arendt warnte auch davor, dass die totalitären Regime ihrer Zeit zwar zwangsläufig zusammenbrechen würden, die Kontexte und das Denken aber, die sie möglich gemacht hatten, durchaus fortwirken könnten. Sie würden dabei natürlich neue Gestalten – in Reaktion auf veränderte Umstände – annehmen, dabei aber immer noch auf einer politischen und kulturellen Fäulnis aufbauen, die sich bereits früher zusammengebraut habe. Auf den Straßen Amerikas war in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts nun allerdings nur selten das knallende Geräusch von marschierenden Stiefeln zu vernehmen, und politische Dissidenten verschwanden auch nicht nachts um drei in irgendwelchen Folterkellern – obwohl zeitgleich im syrischen Aleppo, auf dem Maidan im ukrainischen Kyjiw und anderswo durchaus sowohl die Stiefel als auch der Terror vorhanden waren. Die totalitären Regime nach Art des 20. Jahrhunderts waren zwar nicht wiedergekehrt, doch wie einige Beobachter damals wie heute angemerkt haben, sickerten viele der erstmals von Arendt am totalitären Denken identifizierten Elemente wieder in unsere politische Kultur ein. Eine zynische Ernüchterung über die Politik kennzeichnet unsere Gegenwart, und zu Arendts Zeiten war es nicht anders. Verschwörungstheorien blühen und gedeihen, die Selbstzensur ist wieder da, viele von uns sind sozial isoliert. Die stets drohende totale atomare Apokalypse haben wir mittlerweile noch um die Realität der Klimaapokalypse ergänzt. Die stillschweigende Akzeptanz der Tatsache, dass es bestimmte Kategorien von Menschen gibt – Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten, die Entwurzelten, Okkupierten, Eingekerkerten und zu lebenslanger Armut Verurteilten –, deren Leben im Grunde überflüssig sind, hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg nicht sehr verändert. Die Lager und Ghettos haben zwar ihre Standorte, ihre Namen und ihr Erscheinungsbild verändert, doch das Elend ist das Gleiche geblieben, genauso wie die gedankenlose grausame Verwaltung menschlicher Wesen, so als wären diese nicht viel mehr als Frachtgut. Hannah Arendt ist eine kreative und komplexe Denkerin; die Themen, über die sie schreibt, sind Macht und Terror, Krieg und Revolution, Exil und Liebe und vor allem Freiheit. Sie zu lesen ist nie nur ein rein geistiges Unterfangen, sondern immer auch eine Erfahrung. Ich tue dies seit mittlerweile über 30 Jahren. Erstmals entdeckt habe ich sie noch als Doktorandin Ende der 1980er Jahre, als gerade der Kalte Krieg zu Ende ging. Ich mochte ihren Stil, ihre kühne und direkte Art, ihre selbstbewusste Ironie und ihren lebensklugen Humor. Sie entstammte einer Vergangenheit, die noch so greifbar war (Arendt starb 1975, zehn Jahre nach meiner Geburt), sprach jedoch mit einer Stimme, die so vollkommen ihre eigene war, und in einer so luziden Prosa, dass sie zugleich aus dem Nirgendwo zu kommen schien. Doch erst als ich mich fragte, warum wir sie gerade heute lesen sollten, im Zeitalter von Donald Trump und Wladimir Putin, realisierte ich, dass es gerade jene sture Humanität ihrer kämpferischen und komplexen Kreativität war, von der ich am meisten zu lernen hatte. Arendt ist zwar am ehesten für ihre Analyse politisch finsterer Zeiten bekannt, doch ihre bleibende Frage ist eine, die heute in einer Reihe von trotzigen, kreativen und außerordentlich mutigen Erwiderungen auf den Terror, die Besatzung und die Ideologie der Gegenwart wieder zu vernehmen ist: «Was ist Freiheit?» Für sie war diese Frage weder abstrakt noch eine bloß theoretische. Sie liebte die Conditio humana so, wie sie war: schrecklich, wunderschön, verwirrend, großartig und vor allem enorm kostbar. Und sie gab nie den Glauben an eine Politik auf, die dieser menschlichen Verfasstheit gemäß wäre. Ihre Schriften können uns viel davon erzählen, wie wir an diesen Punkt in unserer Geschichte gekommen sind, ebenso wie vom Wahnsinn der modernen Politik und von der grauenhaften, leeren Gedankenlosigkeit der politischen Gewalt der Gegenwart. Sie lehrt uns aber auch, dass in dem Moment, in dem die Erfahrung der Machtlosigkeit am stärksten ist und die Geschichte am düstersten erscheint, es auf die Entschlossenheit dazu, wie ein Mensch zu denken – kreativ, mutig und komplex –, am meisten ankommt. Weil Arendt in einem Post-Wahrheits-Zeitalter lebte, wurde sie Zeugin dessen, was es bedeutet, wenn Menschen nicht mehr den gleichen Sinn für die Welt besitzen, die sie gemeinsam bevölkern. Wir brauchen sie heute, da sie wie nur wenige politische Denkerinnen und Denker seither begriff, was wir eigentlich zu verlieren haben, wenn wir es zulassen, dass unsere Politik inhuman wird. Die letzten paar Jahre haben uns erneut vor Augen geführt, wie destruktiv und zugleich vulnerabel die Conditio humana ist. Arendt lehrt, dass man dann, wenn man die Welt wirklich liebt (und das tat sie), auch den Mut aufbringen muss, sie zu schützen – das heißt, ungehorsam sein muss. Für Arendt können wir nur so lange frei sein, wie wir einen freien Geist haben. Was folgt, ist eine Geschichte darüber, wie Hannah Arendt zu ihren Gedanken über ihre eigene Zeit kam. Sie wird mit der Absicht erzählt, auf eigensinnigere und kreativere Weise über unsere eigene Zeit nachzudenken. Sie ist zudem eine – ab und an auch kämpferische – Unterhaltung zwischen der Gegenwart und ihrer Vergangenheit. Arendt hat ihrer Leserschaft nie gesagt, was zu denken sei. Ihr Werk liefert keine einfachen Rezepte für den erfolgreichen Kampf gegen Autokraten oder den Populismus, keine schnellen Lösungen für den Kaltstart einer Sozialdemokratie. Manchmal, vor allem in ihrem Schreiben über race, versagte ihr Denken auch. Was sie stattdessen vorlegt, ist ein Modell dafür, wie zu denken sei, wenn Politik und Geschichte all die üblichen Geländer aus dem Boden reißen – wie es zu ihrer Zeit und erneut im frühen 21. Jahrhundert geschehen ist. Einen freien Geist im Sinne von Arendt zu besitzen bedeutet, sich von Dogmen, politischen Gewissheiten, theoretischen Komfortzonen und angenehmen Ideologien abzuwenden. Es bedeutet, stattdessen die Kunst kultivieren zu lernen, sich den Gefahren, Vulnerabilitäten, Mysterien und Rätseln der Wirklichkeit zu stellen, weil dies am Ende unsere beste Chance darauf ist, menschlich zu bleiben. Unsere Protagonistin gehörte einer Generation von Schriftstellern und Denkern an, die im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts geboren wurde, kurz bevor dieses ins politische und wirtschaftliche Chaos, in Krieg, Faschismus, Totalitarismus und den atomaren Schrecken hineintaumelte. Diese Generation war sehr daran gewöhnt, dass historische Ereignisse unangenehme Überraschungen mit sich brachten, und Arendt – als Flüchtling und Außenseiterin – war dies noch stärker gewohnt als die meisten anderen. Sie war die kluge junge jüdische Frau, die aus dem finsteren Herzen des faschistischen Europas und seiner absterbenden Nationalstaaten entkam, sich ein neues Leben in Amerika, der Republik der Neuanfänge, aufbaute und zu einer der einflussreichsten öffentlichen Intellektuellen der Welt wurde. Wie Arendts Leben, so umfasst auch dieses Buch viele Reisen. Königsberg, die quirlige preußische Hafenstadt, in der sie aufwuchs und zu denken lernte, heißt seit 1945 Kaliningrad und ist heute russische Exklave direkt vor der Haustür...


Lyndsey Stonebridge ist Professorin für Humanities und Menschenrechte an der Universität Birmingham. Sie forscht zur politischen Theorie, Literatur und Geschichte des 20. Jahrhunderts, zu Migration und Menschenrechten sowie zu den Auswirkungen von Gewalt auf Leben und Denken. Zu ihren mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Büchern gehören: "Placeless People: Writing, Rights, and Refugees" (2018) und "The Judicial Imagination: Writing After Nürnberg" (2011). Stonebridge ist außerdem regelmäßig als Radiokommentatorin tätig und schreibt für The New Statesman, Prospect Magazine und New Humanist. Sie lebt in London.


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