Storck / Stegemann / Bormuth | Psychoanalytische Konzepte in der Psychosenbehandlung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 159 Seiten

Storck / Stegemann / Bormuth Psychoanalytische Konzepte in der Psychosenbehandlung

Entwicklungspsychologie, Störungsbild und Beziehungsdynamik

E-Book, Deutsch, 159 Seiten

ISBN: 978-3-17-033000-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Psychotische Störungen lassen sich bestimmen als Störungen des Denkens oder des Ichs. Die berührten Bereiche gehören zu ihren zentralen Feldern, und doch hat die Psychoanalyse einen langen Weg genommen, um sich auf das spezifische Feld psychotischer Störungen zu beziehen. Im vorliegenden Band geht es um eine Prüfung psychoanalytischer Konzepte für die Konzeptualisierung und Behandlung v.a. der Schizophrenie. Dazu werden vor dem Hintergrund psychoanalytischer Entwicklungstheorie, Methodologie und Konzeptbildung die konzeptuellen Linien nachgezeichnet sowie eine zeitgenössische Sicht entwickelt.
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2          Zum konzeptuellen und methodischen Verständnis von Psychoanalyse
    Zunächst sind einige Positionsbestimmungen vorzunehmen. Das betrifft das zugrunde gelegte Verständnis der Psychoanalyse, insbesondere ihrer Entwicklungstheorie und ihrer Perspektive auf Körperlichkeit, Denken und Fühlen ( Kap. 2.1). Außerdem bedeutet eine Prüfung psychoanalytischen Denkens in Auseinandersetzung mit psychotischen Störungen zu klären, wie die Psychoanalyse in ihrem Bemühen um das Verstehen von (unbewussten) Bedeutungen klinisch vorgeht, wie sich dies methodologisch beschreiben lässt und welchen Weg die Psychoanalyse nimmt, um ihre Konzepte zu bilden ( Kap. 2.2). Schließlich ist es nötig, die Grenzen des hier gewählten Zugangs abzustecken: Wir blicken in erster Linie auf die Schizophrenie. Manie und psychotische Depression wären unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten (v. a. im Hinblick auf die »Wertigkeit« von Selbst und Objekt). Wir werden darlegen, von welchem Verständnis eines »psychotischen« Symptoms wir ausgehen, sowie eine neurobiologische oder genetische Betrachtungsebene nur knapp skizzieren. Damit soll nicht gesagt sein, dass diese nicht wichtig oder zentral wären, der psychoanalytische Zugang hat nichtsdestoweniger seine Stärken (und methodischen Möglichkeiten) im Bereich der psychosozialen Aspekte psychotischer Störungen. Nur knapp werden wir auf den Bereich der pharmakologischen Behandlung eingehen, indem wir die Bedeutung der Medikamentengabe und -einnahme unter der Perspektive der therapeutischen Beziehung und begleitender Vorstellungen und Gefühle betrachten. Abschließend wird es um Wirksamkeitsnachweise für psychodynamische Behandlungen der Schizophrenie gehen ( Kap. 2.3). 2.1       Skizze der psychoanalytischen Entwicklungs- und Persönlichkeitstheorie
In der Darstellung der psychoanalytischen Theorie geht es uns darum, ein zeitgenössisches Verständnis vorzulegen sowie zu kennzeichnen, welches der allgemeine Rahmen unserer Überlegungen sein soll (Storck 2018a). Zunächst erörtern wir die Grundpfeiler der psychoanalytischen Theorie, danach werden wir die Bereiche Körperlichkeit, Denken und Fühlen herausstellen. 2.1.1     Grundpfeiler der psychoanalytischen Theorie
Ein wesentliches Merkmal der psychoanalytischen Theorie ist der Einbezug eines dynamisch Unbewussten in die Theorie des Psychischen. Freuds Anliegen ist es, eine »Metapsychologie« zu formulieren, worunter er eine »hinter das Bewußtsein führende Psychologie« (Freud 1985, S. 329) versteht, also eine Psychologie, in der es konzeptuell ein Unbewusstes gibt, das nicht außer-psychisch ist. Freud will sich »achselzuckend über diese Idiosynkrasie der Philosophen hinaussetzen« (Freud 1925d, S. 57) und das Unbewusste ins Psychische einbeziehen2. Freud hält es für »eine unhaltbare Anmaßung zu fordern, daß alles, was im Seelischen vorgeht, auch dem Bewußtsein bekannt werden müsse« (1915e, S. 265). Dabei geht es im Besonderen um ein dynamisch Unbewusstes, also um ein Unbewusstes, das mit einem innerpsychischen Kräftespiel aus drängenden und verdrängenden Kräften im Zusammenhang steht. Zunächst konzipiert er dazu das sogenannte topische Modell des Psychischen, in dem dieses aus »Systemen« (Bewusst, Vorbewusst, Unbewusst) zusammengesetzt gedacht wird, später das Instanzen-Modell aus Ich, Es und Über-Ich (vgl. z. B. J. Sandler et al. 1997). In diesen Modellen werden psychische Konflikte konzeptualisiert. Freud postuliert das Lustprinzip als Kern menschlicher Motivation (neben dem Realitätsprinzip, das letztlich aber nur eine auch sozial ausgerichtete Sonderform des Lustprinzips ist; Freud 1911b): Lust wird gesucht, Unlust vermieden. Lust bzw. Befriedigung empfinden wir Freud (1915c, S. 214) zufolge bei der »Herabsetzung« der Intensität eines Reizes, Unlust bei deren Ansteigen bzw. anhaltend hohem Niveau. Nun kann es Erlebniszustände geben, in denen das Motiv, Lust zu suchen, und das Motiv, Unlust zu vermeiden, gegeneinanderstehen. Es entsteht ein psychischer Konflikt: Eine Handlung oder Handlungsvorstellung verspricht Lust, zugleich aber auch unlustvolle Folgen, zum Beispiel Scham angesichts eigener Wünsche. Infolgedessen setzen Abwehrmechanismen ein, die •  sich gegen einen inneren Reiz richten, •  die Vermeidung unlustvoller Gefühle (Angst, Scham, Schuldgefühle) als Ziel haben und •  unbewusst wirken müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Durch die Abwehr wird etwas, durch Verdrängung, vom bewussten Erleben ferngehalten, aufgrund dessen »lustversprechender« Eigenschaften drängt es jedoch weiter ins Bewusstsein, so dass eine Umarbeitung, zum Beispiel eine Verschiebung oder eine Projektion, hinzutreten muss, damit es eine bewusstseinsfähige, aber »entstellte« Form der Vorstellung geben kann. Ein solches Verständnis des Wirkens psychischer Konflikte ist nicht auf eine Theorie psychischer Störungen beschränkt, sondern wird in der Psychoanalyse zum wesentlichen Teil der Theorie des Menschen und seiner Entwicklung. Im Konfliktbegriff findet die Psychoanalyse ihre Theorie der speziellen Motivation (Storck 2018c): Einzelne psychische Zustände und Prozesse sind wesentlich davon gekennzeichnet, psychische Konflikte zu bewältigen. Das geht zumindest bei Freud (1900a, S. 607) so weit, dass er das Denken als solches als einen »Umweg« bezeichnet: Zwischen aktueller Wahrnehmung und Motilität schalten sich Erinnerungsspuren als Niederschlag vorangegangener lustvoller und unlustvoller Wahrnehmungen ein und hemmen u. U. einen unmittelbaren, primärprozesshaften »Erregungsablauf«. Für diese Hemmung ist bei Freud das Ich zuständig: Für Lust/Befriedigung wird ein Weg gesucht, der wenig Unlust mit sich bringt. Ein solches sekundärprozesshaftes psychisches Funktionieren kennzeichnet das Denken in seinen Grundzügen. Lust und Unlust sind die basalen Erlebnisqualitäten, die sich dann in weitere Affekte ausdifferenzieren. Zunächst handelt es sich bei beiden aber um die qualitativen Erscheinungsformen von Erregung im Psychischen. Dabei kommt das Triebkonzept ins Spiel, hier im Sinne der metapsychologischen Schriften der 1910er Jahre. Freud (1915c, S. 214) kennzeichnet »Trieb« als einen »Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem«. Als »Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomatischen Reizquelle« (1905d, S. 67) stellt er in seiner Quantität (als Trieb-Drang) für das Psychische das »Maß an Arbeitsanforderung« (Freud 1915c, S. 214) dar. Aufgrund von Erregungszuständen, die unsere Körperlichkeit mit sich bringt, sind wir dazu getrieben, uns einen psychischen »Reim« darauf zu machen, was in uns vorgeht. So drängen sich uns erste psychische Erlebnisformen gleichsam auf, innere Bilder von Zuständen und Interaktionen. Im Wesentlichen ist »Trieb« dann ein psychosomatisches Konzept, denn es bezieht sich auf eine Vermittlungsfunktion zwischen Körperlichkeit und Erleben. Es ist aber auch sozialisatorisch, denn die Zustände von Erregung (und Beruhigung) sind immer eingebunden in sinnliche Erlebnisszenen mit anderen. Der Grundgedanke, dass sich Erregung (also eine Quantität, die größer oder kleiner wird) sich in qualitativ bestimmtes Erleben umsetzt, führt zur Kennzeichnung der Triebtheorie als einer Theorie der allgemeinen Motivation des Psychischen. Sie zeigt an, wie Psychisches als solches motiviert ist (Storck 2018b). Die psychoanalytische Theorie erschöpft sich nicht in der Konzeption motivationaler Konflikte, sondern schließt auch repräsentationale ein (Storck 2021a). Es können nicht nur Lust und Unlust oder widerstreitende Affekte miteinander in Konflikt stehen, sondern auch verschiedene Aspekte des Erlebens von Selbst und anderen. In der Psychoanalyse taucht die psychische Repräsentanz anderer als »Objekt« auf. Damit ist keine Vergegenständlichung gemeint, sondern der Terminus entsteht aus der Triebtheorie, in welcher das (Trieb-)Objekt als »das variabelste am Triebe« (Freud 1915c, S. 215) auftaucht, als das am stärksten von der Erfahrung abhängige an ihm. Die andere der Interaktion ist selbst im Triebkonzept immer mitgedacht, ebenso wie in der psychoanalytischen Theorie der Sexualität. Dezidiert taucht hier in der Psychoanalyse ein erweiterter Begriff von Sexualität auf (Freud 1905d, S. 35): Sexualität meint dabei die Empfindung von Lust bzw. Befriedigung auf der Grundlage der Körperlichkeit. Dann ist folgerichtig von einer infantilen Sexualität zu sprechen und das...


Prof. Dr. phil. Timo Storck, Dipl.-Psych., Psychoanalytiker und psychologischer Psychotherapeut, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin.
Daniel Stegemann, Dipl.-Psych., Psychoanalytiker und Psychologischer Psychotherapeut, jahrelange Tätigkeit in der ambulanten und stationären gemeindepsychiatrischen Versorgung von Menschen mit psychotischen Erkrankungen.


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