E-Book, Deutsch, Band 3, 448 Seiten
Storks Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8412-2931-1
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 3, 448 Seiten
Reihe: Berühmte Paare - Große Geschichten
ISBN: 978-3-8412-2931-1
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Liebe zwischen Poesie und Wirklichkeit.
Paris, 1958: Als der Schweizer Dramatiker Max Frisch dem glamourösen Literaturstar Ingeborg Bachmann begegnet, ist es für ihn Liebe auf den ersten Blick. Auch sie verliebt sich, doch anders als Max, der bodenständige Genussmensch, ringt die sensible Ingeborg im Schreiben - wie im Leben - um jedes Wort. Und sie hat die Trennung von ihrem Geliebten Paul Celan noch nicht überwunden, was die Beziehung schon bald auf die Probe stellt. Doch Ingeborg kann nur eine Liebe leben, in der sie ihre Freiheit nicht preisgeben muss ...
Bettina Storks, geboren bei Stuttgart, lebt und schreibt am Bodensee. Ingeborg Bachmann fasziniert sie seit Langem, schon an der Universität Freiburg promovierte sie über deren literarisches Werk. Nachdem zuletzt immer mehr Quellen über die Beziehung zwischen der Bachmann und Max Frisch zugänglich wurden, begann Bettina Storks diesen Roman über die außergewöhnliche Liebe dieser zwei schillernden Literaten zu schreiben. Im Aufbau Taschenbuch liegt von ihr außerdem der Roman 'Dora Maar und die zwei Gesichter der Liebe' vor.
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PROLOG
München, Mai 1958
Vor der angelehnten Tür zum Hörsaal der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität atmet Ingeborg Bachmann einmal tief durch. Sie streicht über den Rock ihres italienischen Designerkostüms. An ihrem Arm baumelt eine Handtasche, in der Hand hält sie ihr Typoskript. Hektisch zündet sie sich eine letzte Zigarette an, nimmt drei Züge in Folge und erhascht durch den Spalt der Tür einen Blick in die Aula. Durch ihre Kurzsichtigkeit – und ihre hartnäckige Weigerung, eine Brille zu tragen – verschwimmt das Publikum zu einer diffusen dunklen Welle. Erneut inhaliert sie und bläst den Rauch zur Seite. Hat sie tatsächlich gerade einen überfüllten Hörsaal gesehen? Sie weiß, dass er tausend Leute fassen kann.
Wie schnell sie sich an den Erfolg gewöhnt hat.
Getuschel, das Rascheln von Kleidung.
Als der Gong das Cum Tempore verkündet, drückt sie ihre Zigarette aus, nimmt ihre Handtasche und betritt die Bühne.
Sie hat viele Jahre in Rom gelebt, und die Römerin beherrscht die Symphonie des Kleidungsstils von Kopf bis Fuß wie kaum eine andere Frau. Hier in Deutschland mag diese Eleganz als extravagant gelten, eine Einschätzung, die Ingeborg nur belächelt. Der Glamour gehört zu ihr wie die Legendenbildung der Presse über sie und ihr Privatleben.
Tosender Applaus setzt ein, als Ingeborg Bachmann über die Bühne geht. Sie steuert das Pult an, ihr Blick schweift über das Publikum. Sie registriert die Menschenmassen, erkennt jedoch nicht mehr als Umrisse von Köpfen, dicht an dicht. Ihr ständiges Augenzwinkern aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit gehört zu ihren Auftritten wie ihre Bücher. Sie spürt die bewundernden Blicke auf sich ruhen, weiß, dass ihre stockende Rede das Publikum für die kommende Stunde in ihren Bann ziehen wird.
Am Pult sucht sie eine Ablagemöglichkeit. Wohin mit ihrer Handtasche? Sie spürt ihren Herzschlag, das leichte Zittern ihrer Hände. Eine Kleinigkeit wie die verzweifelte Suche nach einem freien Platz für ihr Accessoire vermag es, sie aus dem Konzept zu bringen.
Dann geschieht es: Die Blätter entgleiten ihr, die Handtasche fällt zu Boden, daraus kullern ein Schminkspiegel, Puder und Lippenstift über das Parkett.
Bevor sie sich bücken kann, stürzen ihr zwei Männer aus der ersten Reihe zu Hilfe, bemüht, das Chaos zu beseitigen und alles aufs Pult zu legen.
Sie bedankt sich mit einem Lächeln, stopft mit fahrigen Händen die Schminkutensilien zurück in die Handtasche, die sie dann auf den Boden neben sich stellt. Hektisch ordnet sie die Blätter. Sie hat vergessen, sie zu nummerieren, aber die Reihenfolge ihrer vorzutragenden Gedichte kann sie auswendig.
Sie tippt gegen das Mikrophon – ein schrilles Geräusch lässt sie zusammenzucken. Alle Augen sind jetzt auf sie gerichtet, dessen ist sie sich sicher.
Wie aus der Ferne hört sie die Ankündigung des Dekans, der neben sie tritt, einen Handkuss andeutet und dem Auditorium einen Überblick über das Werk der Bachmann gibt.
Ingeborg schnappt einige Worte auf, die zusammenhanglos in der Aula stehen.
Größte Lyrikerin ihrer Zeit. Preis der Gruppe 47. Spiegel-Bestseller. Literaturpreis der Hansestadt Bremen. Dramaturgin beim Bayerischen Rundfunk und seit mehreren Monaten Bürgerin unserer Stadt.
»Die Wortvirtuosin hat bereits ein großes Publikum erreicht. Heute hören wir Auszüge aus ihren Gedichtbänden Die gestundete Zeit und Anrufung des großen Bären. Lassen wir uns entführen in die magische Welt des Wortes.«
Nervös wartet sie, bis der Redner in der ersten Reihe Platz genommen hat und der Applaus langsam abebbt. Sie schließt die Augen, streicht über das Papier und blickt auf ihr Typoskript. Wo Buchstaben wie Hieroglyphen ins Papier gestanzt sind, fährt sie mit den Fingern über die Kerben, die sie hinterlassen haben. Gedanken an Nächte streifen sie, in denen sie geschrieben hat, manisch und voller Euphorie, bis die Sonne hinter dem Petersdom aufging. Selbst ein Blinder könnte auf diesen Seiten mit den Fingerkuppen jedes einzelne Wort entziffern.
Im Saal ist es still, die Luft wie elektrisiert. Der Hörsaal beginnt im gemeinsamen Takt zu atmen – ein Gedicht ist eine höchst musikalische Angelegenheit. Bis in ihre Haarspitzen glaubt sie die Anspannung des Publikums zu spüren. Oder ist es ihre eigene?
Die Worte schweben durch den Raum, und dennoch steht ein jedes für sich in der Sprachlandschaft ihrer Muttersprache. Jedes Mal, wenn Ingeborg ihre eigene Stimme hört, leise, zweifelnd, verhalten, als suche sie ihren Platz in der Welt, jedes Mal ist sie sich selbst dabei fremd und gleichermaßen vertraut. In diesem Spannungsfeld, das in ihrem Wesen begründet liegt, lebt sie, seit sie denken kann. Nur ihr souverän getakteter Rhythmus lässt ihr Selbstbewusstsein im Vortrag durchschimmern, ihr Zu-Hause-Sein in der Poesie. Ihre mädchenhaft hohe Stimme offenbart Anspannung, Nervosität. Aber sie weiß um die anziehende Wirkung ihrer Töne ebenso wie ihrer Gesten. Die dunklen Vokale, das Nebeneinander von Melancholie, Nüchternheit und Pathos – all das verleiht ihrer Intonation etwas Verletzliches und Offensives zugleich. Niemals lässt sie vergessen, dass sie ein Kriegskind ist.
Der Krieg wird nicht mehr erklärt …
Er wird verliehen
Vor der Flucht von den Fahnen
Für die Tapferkeit vor dem Freund
Ingeborg hält inne, sieht auf, den Blick in eine andere Welt gerichtet. Ihre Lider zucken. Das ist es, was ihre Welt bewegt, das ist es, was sie von sich zeigt.
Der Preis des Erfolgs bedeutet auch, sich geheimnisvoll zu geben, sich zu inszenieren und Fragen über ihre Person im Raum schweben zu lassen, das Spielen mit der Presse.
Nein, ich nehme keine Drogen, ich nehme Bücher zu mir.
Der Boden unter ihren Füßen mag schwanken, in der Sprache liegt ihr wahres Zuhause, ihr Fundament. Das Fragile gehört zu ihr, genau wie ihre italienische Hülle.
Niemand von den Zuhörern kann ihre Kraft auch nur erahnen, im Gegenteil: Männer wollen schützend den Arm um sie legen, sie stützen. Manche Frau im Publikum hingegen rollt die Augen über Bachmanns Auftreten: Mein Gott, hat sie dieses Mädchengehabe denn nötig?
Aber die Zeiten, da sie das »süße Wiener Mädel« gab, sind endgültig vorbei. Routiniert trägt sie, stets an der Grenze zum plötzlichen Abbruch, Gedicht um Gedicht vor, Zeile für Zeile.
Die Anwesenden lauschen gebannt.
Gegen Ende wird ihre verschattete Stimme lauter, klar, deutlich.
Manchmal erinnert sie sich nicht einmal mehr daran, wie ihr die Einfälle gekommen sind. Metaphern fliegen ihr zu wie Männer, hat ein Beobachter einmal behauptet. Das ist ihr Leben. Sie hat es genau so haben wollen. Eine eigenständige Frau, die von ihrer Kunst existieren kann und sich zuweilen zwei Wohnungen leistet, weil sie es will, auch wenn es ihren finanziellen Rahmen mehr als sprengt. Einen Überblick über ihre Einnahmen und Ausgaben hat sie selten. Geld ist ihr zu profan. Es interessiert sie nicht, dass ihre Taschen Löcher zu besitzen scheinen, sobald sie Münzen und Scheine hineinsteckt. Auf geheimnisvolle Weise verschwindet das Geld einfach so.
Was bedeutet schon ein leerer Kühlschrank gegen einen Palast voller Worte?
Leise, mit der Attitüde der Mahnung gegen das kollektive Vergessen verkündet sie die abschließende Strophe ihres Gedichts Früher Mittag.
Wo Deutschlands Himmel die Erde schwärzt,
sucht die Wolke nach Worten und füllt den Krater mit Schweigen.
Das letzte Wort verklingt.
Sie legt das Blatt aus der Hand und blickt über die vielen Köpfe hinweg.
Stille liegt über dem Hörsaal. Dann setzt frenetischer Applaus ein, und die Studierenden erheben sich von ihren Plätzen, klatschen begeistert, manche rufen: »Wundervoll!« – »Reine Poesie!«
Ein Strauß roter Rosen fliegt durch die Luft, landet auf der Bühne und rutscht bis vor das Pult.
Ingeborg Bachmann genießt es, gefeiert zu werden. Lächelnd wirft sie ihre Schüchternheit ab,...




