E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Stout Der rote Stier
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-608-11030-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Fall für Nero Wolfe - Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-608-11030-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Plan des Restaurantbesitzers Pratt ist grausam, aber werbewirksam: Er hat den berühmtesten Zuchtbullen der USA gekauft, um ihn seinen Gästen als Beefsteak zu servieren. Bevor Pratt sein Vorhaben in die Tat umsetzen kann, wird ein Tierschützer tot in der Koppel gefunden. Der Verdacht fällt sofort auf den Stier. Doch Nero Wolfe ist überzeugt: Hier ist Mord im Spiel.
Nero Wolfe und Archie sind auf dem Weg zu einer Orchideenausstellung im ländlichen New York, als ihnen ein Reifen platzt. Unverletzt wollen sie vom nächsten Haus aus Hilfe rufen. Beim Überqueren der nahegelegenen Weide, sehen sie sich plötzlich einem roten Stier gegenüber, vor dem sie sich nur mit Mühe und Not in Sicherheit bringen können. Der Stier gehört Thomas Pratt, dem Besitzer einer Fast-Food- Kette, der ihn für phantastische 45.000 Dollar gekauft hat, um ihn zu Steaks zu verarbeiten. Doch dann wird auf der Koppel die Leiche eines jungen Mannes entdeckt. Und nur der exzentrische Privatermittler Nero Wolfe glaubt an die Unschuld des roten Stiers.
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Kapitel Eins
Jener sonnige Septembertag steckte voller Überraschungen. Zur ersten kam es, als ich schnell merkte, dass der Wagen sich nicht überschlagen hatte und die Windschutzscheibe ebenso wie die anderen Fenster heil geblieben waren, ich den Motor ausmachte und mich zur Rückbank umdrehte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er durch den Aufprall vom Sitz geschleudert worden war, denn ich wusste, dass er stets die Füße auf den Boden stemmte und sich am Halteriemen festklammerte, sobald das Fahrzeug sich in Bewegung setzte; womit ich allerdings gerechnet hatte, war ein alle Rekorde brechender Wutanfall. Stattdessen sah ich ihn ruhig dasitzen, und Erleichterung sprach aus seinem gewaltigen runden Gesicht – vorausgesetzt, ich kannte Nero Wolfes Gesicht gut genug, und das tat ich ganz gewiss. Verwundert starrte ich ihn an. Er murmelte »Gott sei Dank«, als käme es aus tiefstem Herzen. Ich fragte: »Was?« »Ich sagte, Gott sei Dank.« Er ließ den Riemen los und fuchtelte mit einem Finger in meine Richtung. »Jetzt ist es passiert, und nun sitzen wir hier. Ich vermute, Sie wissen, zumal ich es Ihnen gesagt habe, dass mein Misstrauen und meine Abscheu gegenüber motorisierten Verkehrsmitteln teilweise auch von meiner unerschütterlichen Überzeugung herrühren, dass ihre vermeintliche Kontrollierbarkeit illusorisch ist. Vielmehr steht es in ihrer Macht, sich nach Lust und Laune, ganz wie es ihnen beliebt, zu verhalten, was sie früher oder später auch tun werden. Nun gut, dieses Exemplar hat es getan, und wir sind unversehrt. Gott sei Dank hatte seine Laune keine tödlicheren Folgen.« »Laune, zum Teufel. Wissen Sie, was passiert ist?« »Gewiss. Eine Laune, habe ich doch gesagt. Machen Sie schon.« »Was soll das heißen, machen Sie schon?« »Ich meine, fahren Sie weiter. Starten Sie das verflixte Ding und fahren Sie los.« Ich öffnete die Tür, stieg aus und sah mir den Wagen von vorn an. Eine schöne Bescherung. Nach sorgfältiger Inspektion ging ich auf die andere Seite, öffnete die hintere Tür, sah Wolfe an und berichtete. »Für eine bloße Laune nicht ohne. Ich möchte gern festhalten, was passiert ist, da ich Ihre Wagen seit neun Jahren fahre und zum ersten Mal die Fahrt unfreiwillig beenden musste. Der Reifen war in Ordnung, man muss also in der Garage, wo ich ihn gestern Abend gelassen habe, über Scherben gefahren sein, oder vielleicht war ich es auch selbst, aber das glaube ich nicht. Jedenfalls bin ich fünfundfünfzig Meilen gefahren, als der Reifen platzte. Der Wagen kam von der Straße ab, doch ich hatte das Lenkrad im Griff, bremste, steuerte wieder auf Kurs und hätte es auch geschafft, wäre dieser verdammte Baum nicht gewesen. Jetzt ist der Kotflügel bis auf den Reifen eingedellt, eine Radaufhängung ist hinüber und der Kühler aufgeschlitzt.« »Wie lange werden Sie brauchen, um das zu reparieren?« »Ich kann das nicht reparieren. Hätte ich einen Nagel, würde ich nicht dran kauen, sondern gleich ganz hineinbeißen.« »Wer kann es reparieren?« »Männer mit Werkzeugen in einer Werkstatt.« »Der Wagen befindet sich aber nicht in einer Werkstatt.« »Richtig.« Er schloss die Augen und blieb reglos sitzen. Wenig später öffnete er sie wieder und seufzte. »Wo sind wir?« »Zweihundertsiebenunddreißig Meilen nordöstlich des Times Square. Achtzehn Meilen südwestlich von Crowfield, wo einmal jährlich die North Atlantic Exposition stattfindet, die stets am zweiten Montag im September beginnt und bis zum –« »Archie.« Er kniff die Augen zusammen. »Bitte sparen Sie sich die Scherze. Was sollen wir jetzt machen?« Ich gestehe, ich war gerührt. Nero Wolfe fragte mich, was wir machen sollten! »Ich weiß nicht, wie Sie das sehen«, sagte ich, »aber ich werde mich umbringen. Neulich habe ich in der Zeitung gelesen, dass Japaner Selbstmord begehen, wenn sie ihren Kaiser enttäuschen, und was die Japaner können, kann ich schon lange. Man nennt es Seppuku. Vielleicht denken Sie, man würde es Harakiri nennen, aber dem ist nicht so, oder zumindest selten. Man nennt es Seppuku.« Doch er fragte noch einmal: »Was sollen wir jetzt machen?« »Wir werden einen Wagen anhalten und uns mitnehmen lassen. Vorzugsweise nach Crowfield, wo wir in einem Hotel Reservierungen haben.« »Würden Sie ihn fahren?« »Wen fahren?« »Den Wagen, den wir anhalten.« »Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mich lässt, angesichts dessen, was ich mit diesem hier angestellt habe.« Wolfe presste die Lippen aufeinander. »Ich fahre nicht bei einem fremden Fahrer mit.« »Dann fahre ich allein nach Crowfield, miete einen Wagen und komme Sie holen.« »Das würde zwei Stunden dauern. Nein.« Ich zuckte mit den Schultern. »Vor etwa einer Meile sind wir an einem Haus vorbeigekommen. Dort kann ich per Anhalter hinfahren oder -laufen und telefonisch einen Wagen in Crowfield bestellen.« »Während ich hier hilflos in diesem manövrierunfähigen Dämon sitze und warte.« »Genau.« Er schüttelte den Kopf. »Nein.« »Das wollen Sie nicht?« »Nein.« Ich ging hinten um den Wagen herum und besah mir die Umgebung, von nah bis fern. Es war ein schöner Septembertag, und die Hügel und Täler des New Yorker Hinterlands lagen schläfrig und zufrieden in der Sonne. Wir befanden uns auf einer einsamen Landstraße, keiner Hauptverkehrsader, und seit unserem Zusammenstoß mit dem Baum war niemand vorbeigekommen. Knapp hundert Meter weiter machte die Straße eine Rechtskurve und verschwand hinter einigen Bäumen. Das Haus, das wir ungefähr eine Meile zuvor passiert hatten, lag hinter einer weiteren Biegung und war nicht zu sehen. Auf der anderen Straßenseite befand sich eine sanft ansteigende Wiese, die am Übergang zum Wald steiler wurde. Ich drehte mich um. In dieser Richtung sah ich einen weiß gestrichenen Lattenzaun, eine flache grüne Weide und zahlreiche Bäume; dahinter noch einige höhere und das Dach eines Hauses. Es führte kein Weg dorthin, also musste er sich weiter vorn an der Straße befinden, hinter der Biegung, wie ich vermutete. Wolfe schrie, um zu fragen, was zum Teufel ich machte, und ich kehrte an seine Wagentür zurück. »Nun«, sagte ich, »eine Werkstatt sehe ich nirgendwo. Aber da drüben zwischen den hohen Bäumen steht ein Haus. Wenn wir die Straße nehmen, wird das wahrscheinlich eine Meile oder mehr sein, nehmen wir die Abkürzung über diese Weide vielleicht nur vierhundert Meter. Wenn Sie nicht hilflos hier sitzen wollen, gehen Sie ein Telefon suchen und ich bleibe, ich bin bewaffnet. Das Haus dort ist das nächste.« Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Wolfe sah mich an. »Da hat ein Hund gebellt.« »Ja, Sir.« »Vermutlich gehört er zu dem Haus. Ich bin nicht in Stimmung, es mit einem freilaufenden Hund aufzunehmen. Wir gehen gemeinsam. Aber ich klettere nicht über diesen Zaun.« »Das müssen Sie nicht. Ein Stück weiter hinten ist ein Gatter.« Er seufzte und beugte sich vor, um einen Blick auf die Kisten mit den eingetopften Orchideen zu werfen, eine auf dem Boden und eine zweite auf dem Sitz neben ihm. In Hinblick auf die Launen unseres Wagens war es nur gut, dass sie gesichert worden waren, so dass sie nicht herumrutschen konnten. Dann stieg er aus, und ich trat einen Schritt zurück, um ihm Platz zu machen, zumal Platz etwas war, von dem er meist mehr in Anspruch zu nehmen pflegte, als ihm zustand. Er streckte sich ausgiebig, richtete dabei seinen Gehstock aus Apfelholz wie ein Schwert gen Himmel, drehte sich einmal im Kreis und betrachtete die Hügel und Täler mit finsterem Blick, während ich die Türen des Wagens abschloss. Anschließend folgte er mir am Rande des Grabens entlang zu der Stelle, wo wir hinüber zum Gatter konnten. Kaum waren wir hindurchgegangen, ich schloss gerade das Gatter hinter uns, hörte ich einen Mann brüllen. Ich blickte über die Weide zum Haus und entdeckte ihn gegenüber auf dem Zaun sitzend. Er musste eben erst hinaufgeklettert sein. Er schrie zu uns herüber, wir sollten zurückgehen, woher wir gekommen seien. Aus dieser Entfernung vermochte ich nicht sicher zu sagen, ob es ein Gewehr oder eine Schrotflinte war, dessen Kolben er an die Schulter gelegt hatte. Er zielte nicht direkt auf uns, aber seine Absichten schienen durchaus in diese Richtung zu tendieren. Wolfe war bereits vorangegangen, während ich noch das Gatter schloss, und nun trottete ich hinter ihm her und packte ihn am Arm. »Warten Sie einen Moment. Wenn das eine Klapsmühle ist und der dort drüben einer der Insassen, könnte er uns...