E-Book, Deutsch, 340 Seiten
Stout Zu viele Köche
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-608-10885-9
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Fall für Nero Wolfe
E-Book, Deutsch, 340 Seiten
ISBN: 978-3-608-10885-9
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die fünfzehn besten Küchenmeister der Welt haben Nero Wolfe zu ihrer Tagung eingeladen. Als einer von ihnen sinnigerweise mit einem Tranchiermesser ermordet wird, erklärt der gewichtige Privatermittler sich bereit, den Mörder zu finden. Allerdings nur unter einer Bedingung: Er fordert als Honorar ein geheimes Würstchenrezept.
Jeder weiß, dass zu viele Köche den Brei verderben, aber es muss ja nicht gleich zu Mord und Totschlag führen. Doch genau das steht auf dem Speiseplan bei einem Treffen der weltbesten Köche. Nero Wolfe ist als Ehrengast aus seinem New Yorker Stadthaus in ein schickes Spa gelockt worden, um die Eröffnungsrede zu halten. Dabei hätte er niemals erwartet, zwischen den exquisiten Gängen der Haute Cuisine zusammen mit seinem Assistenten Archie nach einem Mörder suchen zu müssen. Einem Mörder, der auch dem großen Privatermittler nur allzu gern sein letztes Abendmahl bereiten möchte.
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Kapitel Eins
Rastlos neben dem Zug auf und ab gehend, der am Bahnsteig der Pennsylvania Station auf seine Abfahrt wartete, wischte ich mir den Schweiß von der Stirn und zündete eine Zigarette an, denn ich war überzeugt, wenn ich erst meine Nerven ein wenig beruhigt hatte, wäre ich, trotz allem was ich gerade durchgemacht hatte, in der Lage die Cheops-Pyramide mit bloßen Händen und nichts als einer Badehose am Leib von Ägypten auf das Dach des Empire State Building zu verfrachten. Doch als ich zum dritten Mal zog, wurde ich von jemand unterbrochen, der an das Fenster des Abteils klopfte, an dem ich gerade vorüberging, und als ich mich vorbeugte, um durch die Scheibe zu spähen, sah ich mich mit dem verzweifelten Blick Nero Wolfes konfrontiert, der mich von seinem Platz im Schlafabteil eines dieser neumodischen Pullman-Wagen anfunkelte, in dem ich ihn endlich wohlbehalten verstaut hatte. »Archie!«, brüllte er mir durch das geschlossene Fenster zu. »Zum Teufel mit Ihnen! Machen Sie, dass Sie reinkommen! Der Zug fährt gleich ab! Sie haben die Fahrkarten!« »Sie haben gesagt, drin sei es zu eng zum Rauchen!«, schrie ich zurück. »Außerdem ist es erst 21:32! Und ich habe beschlossen, nicht mitzukommen! Angenehme Träume!« Ich schlenderte weiter. Von wegen Fahrkarten. Es waren nicht die Fahrkarten, die ihn beschäftigten; er hatte panische Angst, weil er allein im Abteil war und fürchtete, der Zug könnte sich in Bewegung setzen. Er hasste Dinge, die sich bewegten, und brüstete sich mit der Behauptung, in neun von zehn Fällen seien die Orte, wohin die Menschen gingen, in keinster Weise besser als die, woher sie kamen. Aber verdammt, ich hatte ihn – ungeachtet von Kleinigkeiten wie drei Taschen und zwei Koffern sowie zwei Mänteln für einen viertägigen Aufenthalt im April – zwanzig Minuten vor der Zeit zum Bahnhof geschafft, obwohl Fritz Brenner uns mit Tränen in den Augen auf den Stufen des Hauses verabschiedet hatte, Theodore Horstmann herausgerannt kam und noch ein paar Dutzend Fragen bezüglich der Orchideen hatte, nachdem wir Wolfe schon im Auto verstaut hatten, und sogar der kleine Saul Panzer ein Schluchzen herunterwürgte, als er uns am Bahnhof absetzte und Wolfe Auf Wiedersehen sagte. Man hätte denken können, wir würden in die Stratosphäre fliegen, den Mond polieren und wilde Sterne pflücken. Und just da ich meinen Hintern über den Spalt zwischen Zug und Bahnsteig schwang, hätte ich auf der Stelle so einen Stern pflücken – oder wenigstens berühren können. Sie ging nahe genug an mir vorbei, dass ich einen feinen Hauch von etwas abbekam, das aus einer Parfümflasche hätte kommen können, aber angesichts der Umstände nur zu natürlich wirkte, und während ihre Gesichtszüge in Technicolor erstrahlten, schienen sie zudem, als wären sie von Anbeginn genauso beabsichtigt und bedürften keinerlei Veränderung. Der kurze Blick, den ich erhaschte, genügte, um zu sehen, dass sie keine Fabrikware, sondern gänzlich handgefertigt war. Sie löste sich vom Arm eines großen, massigen Mannes, der einen braunen Umhang und einen braunen Schlapphut trug, um vorzugehen und dem Schaffner in den Waggon hinter unserem zu folgen. »Mein Herz war alles, was ich hatte, und jetzt, da es gebrochen ist, hätte ich besser Scheuklappen aufgesetzt«, murmelte ich vor mich hin, zuckte betont indifferent mit den Schultern und ging in unser Abteil, während draußen »Alles einsteigen« ertönte. Wolfe saß in unserem Abteil auf dem breiten Sitz am Fenster und hielt sich mit beiden Armen fest umklammert; nichtsdestotrotz narrte der Zug seine Erwartung, und als er ruckelnd anfuhr, kippte Wolfe nach vorn und wieder zurück. Aus dem Augenwinkel sah ich die Wut, die ihn gepackt hatte, und entschied, es sei besser, die Tatsachen zu ignorieren. Ich zog eine Zeitschrift aus meiner Tasche und zwängte mich auf den unterdimensionierten Sitz in der Ecke. Mit immer noch um den Körper geschlungenen Armen rief er mir zu: »Wir erreichen Kanawha Spa morgen Vormittag um 11:25! Vierzehn Stunden! Dieser Wagen wird in Pittsburgh an einen anderen Zug gekoppelt! Sollte eine Verspätung eintreten, müssten wir auf den Nachmittagszug warten! Sollte unserer Lokomotive irgendetwas zustoßen –« »Ich bin nicht taub, Sir«, erwiderte ich kühl. »Sie können auch herumstänkern, so viel Sie wollen, denn es ist ja Ihr eigener Atem, den Sie verschwenden, aber ich verbitte mir, dass Sie durch die Wahl Ihrer Worte oder auch nur Ihres Tonfalls andeuten, ich sei in irgendeiner Weise für Ihre Misere verantwortlich. Ich habe diese Rede gestern Abend schon vorbereitet, weil ich wusste, dass ich sie benötigen würde. Es war Ihre Idee, dieser Ausflug. Sie wollten hinfahren – zumindest wollten Sie im Kanawha Spa sein. Vor sechs Monaten haben Sie Vukcic erzählt, Sie würden am 6. April dort eintreffen. Jetzt bedauern Sie es. Genau wie ich. Was unsere Lokomotive angeht, so verwenden sie für diese Express-Züge nur die neuesten und besten, und nicht einmal ein Kind –« Wir kamen auf der anderen Seite des Flusses wieder nach oben und nahmen Fahrt auf, während wir durch die Verschiebebahnhöfe von Jersey ratterten. »Eine Lokomotive hat zweitausenddreihundertundneun bewegliche Teile!«, rief Wolfe. Ich legte die Zeitschrift beiseite und grinste ihn an. Und wenn schon, dachte ich. Er hatte Lokomophobie, und es ergab keinen Sinn, ihn vor sich hinbrüten zu lassen, denn das würde es für uns beide nur schlimmer machen. Man musste ihn auf andere Gedanken bringen. Doch noch ehe ich mir ein hübsches Thema einfallen lassen konnte, wurden wir unterbrochen, und es zeigte sich, dass er, auch wenn er panische Ängste ausgestanden haben mochte, während ich auf dem Bahnsteig eine Zigarette rauchte, sich nicht hatte demoralisieren lassen. Es klopfte an der Tür, die sich öffnete und den Blick auf einen Schaffner freigab, der auf einem Tablett drei Flaschen Bier und ein Glas brachte. Er förderte ein Tischchen zutage, auf dem ein Glas und eine Flasche Platz hatten, öffnete sie und stellte die beiden anderen zusammen mit einem Öffner in die Ablage, ließ sich von mir bezahlen und verschwand. Als der Zug sich in eine Kurve legte, schaute Wolfe wütend auf, und erst als wir wieder geradeaus fuhren, nahm er das Glas, schluckte ein-, zwei-, fünfmal und setzte es leer wieder ab. Er leckte sich den Schaum von den Lippen, wischte sie dann mit dem Taschentuch ab und bemerkte ohne das geringste Anzeichen von Hysterie: »Ausgezeichnet. Ich darf nicht vergessen, Fritz zu sagen, dass das erste exakt die richtige Temperatur hatte.« »Sie könnten ihm von Philadelphia aus telegrafieren.« »Danke. Ich leide Höllenqualen, und das wissen Sie. Würde es Ihnen etwas ausmachen, Ihr Gehalt zu verdienen, Mr. Goodwin, indem Sie mir ein Buch aus meiner Tasche holen? Inside Europe von John Gunther.« Ich holte die Tasche und fischte es heraus. Als sich eine halbe Stunde später die nächste Unterbrechung ankündigte, glitten wir sanft und geschwind durch das nächtliche Herzland von Jersey. Die drei Flaschen Bier waren leer, Wolfe schaute stirnrunzelnd in sein Buch, las aber tatsächlich, was ich an der Art, wie er die Seiten umblätterte, erkennen konnte. Ich hatte mich indes im Journal of Criminology fast bis ans Ende eines Artikels über die Kollation von Beweisen gekämpft. Allerdings hatte ich nicht viel behalten, denn ich war nicht in der Verfassung, mir Gedanken über den Abgleich von Beweisen zu machen, da ich mit dem Problem beschäftigt war, wie ich Nero Wolfe auskleiden würde. Zu Hause erledigte er das selbstverständlich selbst, und ebenso selbstverständlich stand ich auch nicht als Kammerdiener in seinen Diensten, sondern lediglich als Sekretär, Leibwächter, Büroleiter, Detektivassistent und Sündenbock. Nichtsdestotrotz war es in zwei Stunden Mitternacht, und hier saß er in seinen Hosen, und jemand musste herausfinden, wie man sie ihm auszog, ohne dass der Zug entgleiste. Nicht dass er schwerfällig gewesen wäre, aber er besaß praktisch keine Erfahrung, in einem sich bewegenden Gefährt das Gleichgewicht zu halten, und ihm die Hosen im Liegen auszuziehen stand außer Frage, da er irgendetwas zwischen hundertzwanzig Kilo und einer Tonne wog. Soweit ich wusste, war er nie auf einer Waage gewesen, deshalb wusste auch niemand genau wie viel. Angesichts des Problems, das sich mir stellte, setzte ich meine Schätzung an diesem Abend etwas höher an und hatte mich gerade auf hundertfünfzig als Grundlage meiner Berechnungen festgelegt, als es an der Tür klopfte. Ich rief »Herein«. Es war Marko Vukcic. Aufgrund eines Telefonats zwischen ihm und Wolfe vor einer Woche wusste ich, dass er im selben Zug sein würde, aber gesehen hatte ich ihn...