E-Book, Deutsch, 222 Seiten
Strasser Bahadur, sein Yak und Yarak
3. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-5175-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 222 Seiten
ISBN: 978-3-7562-5175-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oft träumte er von Aufbruch, Flucht, Neuanfang und insgeheim hatte er schon lange beschlossen zu gehen. "Traurig sein kann ich auf der ganzen Welt, und so hätte ich sie wenigstens gesehen", dachte er bei sich. Warum genau an diesem Abend das Fass überlief, konnte Bahadur sich nicht erklären. Es passierte an diesem Tag nichts Besonderes, bis auf die Tatsache, dass seine innere Stimme so laut nach Aufbruch rief, wie nie zuvor. Mitten in einer stockfinsteren mondlosen Nacht des Sommers 1967 beginnt die phantastische Odyssee eines außergewöhnlichen Helden, dessen abenteuerliche Suche nach dem gelungenen Leben ihn einmal um die Welt und durch die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts führt.
Ich, Michael Strasser, geboren an einem heißen Sommertag im August 1983 habe meine Kindheit zusammen mit meinen Eltern und meinen beiden Brüdern an der Nordflanke eines Tiroler Dorfes, nahe der Baumgrenze verbracht. Herangereift, meine Frau kennen gelernt, ein Haus gebaut, dieses mit lebhaften Kindern gefüllt und sesshaft geworden, bin ich in Vorarlberg. Mehr oder weniger arbeite ich seit meiner Lehrzeit als Schlosser. Ich versuche, meinen Kindern ein guter Vater, meiner Frau ein guter Mann und meiner Firma ein guter Mitarbeiter zu sein. Aber ab und zu muss ich einfach raus! In der wenigen Freizeit, welche ich mir nehme, suche ich, auch wenn ich mir insgeheim wünsche, nie zu sterben, Aktivitäten mit leicht erhöhtem Sterberisiko. So besteige ich die höchsten Gipfel der Alpen, fahre exzessiv Snowboard, harpuniere Fische oder schreibe ein 56.696 Worte fassendes Buch. Zudem bin ich Mitglied des Kegelclubs Rankweil. Wenn mich das Leben mit weniger aufwühlenden Gedanken fordern würde und ich mich nicht genötigt fühlen würde, so viel zu denken, wäre ich glücklicher. Was nicht heißen soll, dass ich es nicht bin!
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
17. August 1967
… die ersten Bilder, an die wir uns erinnern, sind oft lange Zeit vergangen und liegen in unserer frühen Kindheit. Wer jedoch kann sich schon an seine ersten Gefühlsregungen erinnern? Als Bahadur am 17. August 1967, nach getaner Arbeit, in seiner Jurte saß und das bekannte Gefühl der Traurigkeit verspürte, versuchte er, sich daran zu erinnern, wann er wohl das erste Mal so gefühlt hatte. Nach einiger Überlegung stellte er fest, dass es mittlerweile 37 Jahre her sein musste, als er erstmalig dieses durchdringende Gefühl von Traurigkeit verspürt hatte. Es musste etwas geschehen. Da es aber schon spät war und die Sonne schon lange untergegangen, passierte – abgesehen von der Routine vor dem Schlafengehen – gar nichts mehr. So schlief Bahadur mit einem benommenen Gefühl ein, erwachte jedoch am nächsten Tag mit klarem Kopf in seiner Jurte. Bahadur war mittlerweile 43 Jahre alt, hatte langes braunes Haar, einen Bart und war von großer Statur. Seine Augen wiesen eine grüne Färbung auf, seine Nase war lang und seine Haut war hell, was für diese Gegend eher untypische Merkmale waren. Er war Nomade, wie fast jeder Mongole. Zusammen mit seiner Frau Kira und deren Familienclan lebte er in einer Jurte. Sie nannten eine große Yakherde ihr Eigen. Um die Yaks ausreichend mit Gras versorgen zu können, zog der Clan jedes Jahr gegen Ende des Sommers in die Gegend zwischen Ulaanbaatar und Dalandsadgad – eine gottverlassene, aber zu dieser Jahreszeit fruchtbare Region in der ohnehin dünn besiedelten Mongolei. Die Yakherde versorgte sie mit allem, was sie zum Leben brauchten: Milch, Fleisch, Leder und Wolle. In dem einfachen Leben, das sie führten, nahm jeder seine Aufgaben war. Da Bahadur nicht nur von großer, sondern auch von muskulöser Statur war, wurde er für die groben Arbeiten eingeteilt. Zudem hatte er mit einem geringen Ansehen im Clan zu kämpfen. Fast täglich gab man ihm zu verstehen, dass er nur zum Arbeiten da sei. Zwischen Frühling und Herbst kamen Geschäftsleute aus Ulaanbaatar vorbei, um mit ihnen Handel zu betreiben. Sie tauschten ihr Leder, ihr getrocknetes Fleisch und ihre Wolle gegen Werkzeuge, Kochtöpfe und sonst noch einiges, was sie selbst nicht herstellen konnten. Hin und wieder gelang es ihnen, ihre Produkte gegen ein wenig Gold zu tauschen. Ohne dass der Clan es bemerkt hätte, wurde er von Zeit zu Zeit auch ordentlich über den Tisch gezogen. Die Ehe mit seiner Frau Kira blieb kinderlos. Im Allgemeinen war seine Ehe eine trostlose Geschichte. Es hatte sich eben so ergeben. Wirklich harmoniert hatten die beiden noch nie. So war es wohl das Beste, dass sie nicht viel miteinander redeten und sich mehr oder weniger aus dem Weg gingen. Das letzte Mal, als sie sich körperlich nähergekommen waren, lag schon Ewigkeiten zurück. Vermutlich war es dem alkoholhaltigen Milchgetränk namens Arkhi zu verdanken, dass die beiden überhaupt je Zärtlichkeiten ausgetauscht hatten. Liebe kannte er nur aus Erzählungen. Er selbst hatte dieses Gefühl nie erlebt. Da Bahadur bei der Sippe von Kira lebte und selbst keine Familie mehr hatte, gab es nicht viel, was ihn bei Kira hielt. Oft träumte er von Aufbruch, Flucht, Neuanfang und insgeheim hatte er schon vor langem beschlossen zu gehen. Nur ein wenig Mut fehlte noch. Vielleicht brauchte es ein einschneidendes Erlebnis. Was auch immer es sein mochte, es musste passieren. »Traurig sein kann ich auf der ganzen Welt, und so hätte ich sie wenigstens gesehen«, sprach er sich Mut zu. »Und wer weiß, vielleicht gibt es dann auch gar keinen Grund mehr, trübselig zu sein.« Warum das Fass genau an diesem Abend überlief, konnte Bahadur sich nicht erklären. Es war nichts Besonderes an diesem Tag passiert, bis auf die Tatsache, dass seine innere Stimme so laut nach Aufbruch schrie wie nie zuvor. »Also lass uns packen«, flüsterte er zu seinem Yak. Obwohl es ihm überflüssig vorkam, sich generalstabsmäßig vorzubereiten, war er es in Gedanken schon hundertfach durchgegangen. Eigentlich sollte es nicht so schwer sein, aus einer Jurte zu flüchten. An diesem späten Nachmittag des 18. August 1967 wähnte sich Bahadur einigermaßen unbeobachtet und so verschnürte er das Wenige, das er besaß, in zwei Beutel und versteckte diese in der Nähe des Jurtenausgangs. Den restlichen Tag versuchte er, sich unauffällig zu verhalten. Hätte ihn aber jemand genauer beobachtet, dann hätte man ihm deutlich angesehen, dass er etwas im Schilde führte. Die Sonne zog Richtung Westen weiter und die Nacht brach herein. Bahadur, Kira und der Rest der Sippe wickelten sich in ihre Decken und legten sich zum Schlafen nieder. Nach einer gewissen Zeit, deren Dauer sich in Bahadurs euphorischem Zustand nur schwer abschätzen ließ, war das Geräuschbild in der Jurte durchzogen vom Rauschen des Windes, vom Schnarchen des Familienclans und von herumflatternden Insekten, die sich um das leichte Flackern der Petroleumlampe versammelt hatten. Hinzu kam noch das Geräusch der herunterfallenden Käfer, welche sich nicht mehr an der taunass gewordenen Decke der Jurte festhalten konnten, nachdem sie mühevoll der Wand entlang nach oben geklettert waren. Kann denn niemand mein Herz schlagen hören?, fragte sich Bahadur. Vor lauter Aufregung hatte er das Gefühl, als schlug es ihm durch die Brust. Langsam, ganz langsam stand er auf und bewegte sich in Richtung Ausgang. Er packte seine zwei Beutel und schritt schon mit einem Fuß durch den Ausgang, als er nochmals innehielt. Wäre eine Verabschiedung angebracht gewesen? Sollte er ein schlechtes Gewissen haben oder gar reumütig werden und die ganze Aktion abblasen? Zu viele Gedanken waren es, von denen er bei dem einen, alles entscheidenden, möglicherweise verhängnisvollsten Schritt seines bisherigen Lebens bombardiert wurde. Er drehte sich um, ließ seinen Blick noch einmal durch die Runde schweifen und hatte dann aber im richtigen Moment den Mut, auch den zweiten Schritt zu wagen. Da stand er nun mit zwei Beuteln in der Hand vor einer Jurte in der stockfinsteren Mongolei, zwar traurig wie nie, aber auch voller Vorfreude, was noch alles kommen würde. Die mondlose Nacht war perfekt geeignet, um sich davonzustehlen. Der Himmel gab kaum Licht und sein Körper nahezu keinen Schatten. Das Einzige, das ihn verraten könnte, waren die Geräusche seiner Flucht. Wie er es in seinem Plan verinnerlicht hatte, schlich er langsam und leise zur Yakherde. Die Yaks standen in einem Gehege unweit der Jurte. Es war jedoch gar nicht so leicht, sein Yak Irma ausfindig zu machen. Bahadur nämlich wollte nicht irgendein Yak, es musste schon Irma sein. Nicht jedes Yak eignete sich gleich gut für sein Vorhaben. Bei Irma wusste er, dass sie auf seine Kommandos hören würde. Außerdem hatte sie einen unkomplizierten und gutmütigen Charakter. Auch schien sie sich bester Gesundheit zu erfreuen und gab selbst an den eisigsten Wintertagen ausreichend Milch. Das Problem war nur, genau sie unter einer Herde mit 200 Yaks ausfindig zu machen. Die Yaks schauten sich alle ziemlich ähnlich. Irma hatte jedoch am Vorderfuß eine kahle Stelle, die sie sich bei einem Sturz vor etwa einem Jahr zugezogen hatte. Die unbedeutende kahle Stelle und ihre Charaktereigenschaften machten sie einzigartig und so durchforstete Bahadur die Herde auf der Suche nach seiner Irma. Es war bei der vorherrschenden Dunkelheit wohl eher Glück, dass Bahadur Irma bereits nach einer halben Stunde erblickte. Da er immer noch sehr angespannt war, schnaufte er erst mal tief durch. Er wollte unbedingt weg, bevor die anderen sein Verschwinden bemerken würden. Zügig schnürte er seine zwei Beutel auf Irmas Rücken und gab ihr den Befehl, ihm zu folgen. Wie erwartet, folgte sie ihm ohne zu grunzen oder sonst Laute von sich zu geben, die die anderen Yaks gerne von sich gaben, wenn sie sich in Ihrer Nachtruhe gestört fühlten. Seine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt und so gingen die beiden zügig Richtung Gatter. Er öffnete das Gatter und schritt mit dem Gefühl des Verbotenen hindurch. Vom Gatter aus ging ein Trampelpfad in Richtung Jurte. Die Himmelsrichtung stimmte, es war Richtung Nordosten, trotzdem erschien es ihm zu riskant, an der Jurte vorbeizulaufen, und so gingen sie, nur um die Nähe zur Jurte zu meiden, einen Umweg um das komplette Gehege. Obwohl Bahadur Irma vertraute, legte er ihr zur Sicherheit noch einen Riemen um den Hals, falls sie es sich doch anders überlegen sollte. Am Ende des Geheges blickte Bahadur in den Himmel, um die Sternenbilder, die er zur Orientierung benötigte, auszumachen und die Richtung genauer zu bestimmen. Als dem geschehen war und er seine Orientierungshilfen gefunden hatte, bewegten sich die zwei in Richtung Nordosten. Er, auf Grund seines Adrenalinspiegels mehr schwebend, sie nur gehend, weil sie ein unkompliziertes Yak war. Die Nacht verging wie ein Wimpernschlag. Mit erhöhtem Adrenalinspiegel läuft es sich gut. Richtung Osten blickend, färbte sich der Nachthimmel langsam rötlich und die Sterne verloren ihren Glanz. Ein klares Zeichen, dass der Morgen nicht mehr weit war. Eigentlich...