E-Book, Deutsch, 100 Seiten
Reihe: Reclam 100 Seiten
Streidl Feminismus. 100 Seiten
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-15-962376-4
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 100 Seiten
Reihe: Reclam 100 Seiten
ISBN: 978-3-15-962376-4
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Zukunft ist weiblich »Es genügt nicht, sich gegen die strukturelle Diskriminierung aufgrund von Geschlecht zu stemmen. Es gilt auch, Rassismus und die Benachteiligung aufgrund von sozialer Herkunft oder Alter mitzudenken.« Genderdebatten, #MeToo-Skandale und häusliche Gewalt bewegen die Gemüter - es ist Zeit für mehr Feminismus! Wie können wir in aller Vielfalt gleichberechtigt und sicher zusammenleben? Und was kann der Feminismus dazu beitragen? Barbara Streidl hat ihren Erfolgsband im Lichte aktueller Diskussionen komplett überarbeitet. Ein Buch für alle, die sich eine bessere Gesellschaft wünschen. Mit 4-farbigen Abbildungen und Infografiken.
Barbara Streidl, geb. 1972, ist Journalistin. Sie arbeitet u. a. für den Bayerischen Rundfunk und ist Co-Autorin des Buches Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht, das bei Erscheinen 2008 eine Debatte lostrat. Bei Reclam erschien zuletzt Langeweile. 100 Seiten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Gibt es ›den‹ Feminismus überhaupt?
Von Gleichheits-, Differenz- und Post-Feminismus sowie anderen Ideen, die gemeinsam eine Bewegung bilden Nein. ›Den‹ Feminismus gibt es nicht. Das wusste ich aber noch nicht, als ich mit Anfang 20 während meines Germanistikstudiums auf die sogenannte feministische Linguistik stieß. Dass die Grenzen meiner Sprache auch die Grenzen meiner Welt bedeuten, das hatte ich bereits bei Ludwig Wittgenstein gelesen. Dass die deutsche Sprache mich als Frau an vielen Stellen unsichtbar macht – etwa dann, wenn von »Studenten« die Rede ist, ich als »Studentin« aber auch gemeint bin – und dass damit nicht nur meine eigene Welt begrenzt wird, sondern auch die aller anderen, das leuchtete mir ein. Ich sprühte in großen schwarzen Lettern »Frau« an die Außenwand meiner Studentinnenwohnung und begann, mit Sprache zu experimentieren. Die »Krankenschwesterin« sorgte für Lacher in Uniseminaren und öffnete mir die Tür zu Grundsatzdiskussionen über Geschlechtergerechtigkeit. Heute, rund 25 Jahre nach Abschluss meines Studiums, hänge ich immer noch am Sichtbarmachen von Frauen in der Sprache. Es geht mir längst auch um mehr, um Gleichstellung in der Gesellschaft, in der privaten wie politischen Debatte: Und die ist in Bewegung. Auf Veranstaltungen zu diesem Buch vergleiche ich den Feminismus gerne mit der Donau. »Iller, Lech, Isar und Inn fließen rechts zur Donau hin« – den Spruch kenne ich noch aus meiner Grundschulzeit. Wie die Donau ruht auch der große feministische Strom niemals, wie sie wird er gespeist von vielen Zuflüssen, von Ideen und Beobachtungen, politischen Ereignissen und mutigen Taten. Als ich dieses Buch für die Erstauflage 2019 schrieb, war die Welt eine andere als heute: Angela Merkel hat die politische Bühne nach 16 Jahren Kanzlerinnenschaft verlassen. Das feministische Mindset von Außenministerin Annalena Baerbock prägt die Politik der Folgekoalition, die sich um die Pandemie und deren Nachwehen ebenso wie um die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, den Klimawandel sowie den europaweiten Rechtsruck sorgt. Globale Themen, die einen langen Schatten werfen, bis hinein in den lokalen Denkraum, den ich für den Verein Frauenstudien München mit anderen auf Veranstaltungen und im Podcast Stadt, Land, Krise erschaffe. Sie werden sehen: Die feministische Debatte ist vielstimmig – und durchaus streitbar. Es gibt und gab also immer schon viele unterschiedliche Feminismen – auf den folgenden Seiten bringe ich Ihnen einige davon näher. Dabei geht es in der Hauptsache um Deutschland ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ich skizziere immer wieder Bücher, Ereignisse oder Biografien, auch von außerhalb des Landes. Einige Personen können Sie zum Teil mit exklusiven Zitaten etwas näher kennenlernen: Es sind Menschen, mit denen ich gemeinsam gearbeitet habe, deren Aktivismus ich schätze und die mich auf meinem feministischen Weg begleitet haben und begleiten. Was ist unter »Feminismus« zu verstehen? Es gibt jede Menge Definitionen. Etwa diese aus dem dtv-Lexikon in 20 Bänden aus dem Jahr 1990, das mir meine Eltern zum Abitur schenkten, noch vor meinem feministischen Erwachen: Richtung innerhalb der Frauenbewegung, die durch Zusammenschluss nur von Frauen (bei gleichzeitigem bewusstem Ausschluss der Männer) um Gleichberechtigung kämpft. Ganz anders lautet die Definition der Schauspielerin Emma Watson von 2017: Feminismus bedeutet, Frauen die Wahl zu lassen. Klammer auf: Watson ist Britin – sie sprach von choice, ein Wort, hinter dem sich mehrere Diskussionen verbergen. Im aktivistischen Kontext etwa bedeutet »Pro Choice«, dass Frauen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch haben sollen (seit vielen Jahrzehnten ein wichtiger Punkt auf der feministischen Agenda, siehe Seite 55, 63). Der sogenannte Choice Feminism dagegen bezieht sich auf eine Folge der Serie Sex and the City: In »Time and Punishment«, Staffel 4, Episode 7, beschließt Charlotte, einem Vorschlag ihres Mannes nachzugeben und künftig nur mehr Ehefrau und vielleicht bald auch Mutter zu sein, aber nicht mehr erwerbstätig. Gegen den Widerspruch ihrer Freundinnen sagt Charlotte: I choose my choice – »Ich wähle meine Wah«. Im »Choice-Feminismus« steht also das individuelle Wohlempfinden aufgrund eigener, freiheitlicher Entscheidungen im Vordergrund – was ein attraktives Verkaufsargument sein kann für luxuriöse Beautyprodukte, weiße Brautkleider oder Frauenzeitschriften voller Diättipps. Klammer zu. Watson fügte hinzu, dass sie nicht wisse, was ihre Brüste mit ihrem Feminismus zu tun hätten: Die Schauspielerin, die als Darstellerin in den Harry-Potter-Filmen bekannt wurde, erntete heftige Kritik, als sie in einer kunstvollen Fotostrecke im Magazin Vanity Fair eben ihre Brüste zeigte, wenig bedeckt durch eine Art Strick-Poncho. Wie könne sie so etwas machen, fragten viele. Schließlich stehe die Forderung, Frauen sollten nicht mehr auf ihre (makellosen, schlanken, weißen) Körper reduziert werden, ganz oben auf der feministischen Agenda. Emma Watson sagte abschließend: Feminismus ist kein Stock, mit dem andere Frauen geschlagen werden. Es geht um Freiheit, um Befreiung und um Gleichheit. Offensichtlich gibt es nicht nur viele Vorstellungen davon, was unter Feminismus verstanden wird, es kursieren auch viele Handlungsanweisungen dafür, wie sich eine Feministin (oder ein Feminist) zu verhalten habe. Dabei geht es um Taten, Worte und auch das Aussehen, die Lebensplanung, die Frage, ob eine heterosexuelle Partnerschaft, gar Ehe, möglich sei, ob Kinder »erlaubt« seien, eine Festanstellung oder eine Taxifahrt mit einem männlichen Fahrer. All diese Vorstellungen und Handlungsanweisungen sind häufig widersprüchlich – sie können das Leben eines Menschen sehr einschränken. Was erstaunlich ist, geht es bei den meisten feministischen Bestrebungen doch um Freiheit. Die US-amerikanische Journalistin Andi Zeisler hat ihren Umgang mit dem Diktum »Wie soll eine Feministin sein?« in Anlehnung an den Choice Feminism (siehe Seite 5) treffend zusammengefasst: Nicht alles, was eine Feministin tut, ist eine feministische Tat. Es gibt viele Filme, Romane, Sachbücher, Popsongs oder Kunstwerke, die eine feministische Intention erkennen lassen. In diesen Kästen werden Sie im Folgenden einige dieser Werke kennenlernen – aus Deutschland, aber auch aus den USA, aus Frankreich, Kanada, der Schweiz, aus Schweden, Großbritannien oder Nigeria. Das wohl bekannteste Buch der feministischen Debatte ist Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht, geschrieben 1949. In diesem über 900 Seiten langen Essay untersucht de Beauvoir (1908–1986) die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Es ist eines der Bücher, das wahrscheinlich nicht alle gelesen haben, die daraus zitieren; besonders häufig diesen Satz: »Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu.« De Beauvoir schreibt, dass eine Frau sich als Gegenstück zum vorherrschenden männlichen Prinzip diesem unterzuordnen habe und somit unfrei sei. Die Philosophin und Autorin, die viele auch als die Partnerin von Jean-Paul Sartre kennen, hat sich dem Existentialismus verschrieben: Die Freiheit des bzw. der Einzelnen steht für sie im Vordergrund. Ihr Buch, das vor allem in der Zeit der zweiten Frauenbewegung (siehe Seite 51), also rund 20 Jahre nach seinem Erscheinen, viel diskutiert werden wird, ist ursprünglich nicht feministisch gemeint. Dennoch legt es den Grundstein zu vielen feministischen Debatten über Gleichstellung, Freiheit und die Frage, ob es Frauen überhaupt gibt: »Von allen wird einmütig anerkannt, dass es innerhalb der menschlichen Spezies ›Weibchen‹ gibt. Sie stellen heute wie ehedem etwa die Hälfte der Menschheit. Und doch sagt man uns, die Weiblichkeit sei ›in Gefahr‹, man ermahnt uns: ›Seid Frauen, bleibt Frauen, werdet Frauen.‹ Nicht jeder weibliche Mensch ist also zwangsläufig eine Frau …« »Für mich ist sie ein großes Vorbild – und ihr Werk ist zu komplex, als dass es in eine Schublade passen würde«, sagt die Journalistin und Autorin Julia Korbik (* 1988) im Lila Podcast, den ich bis 2019 mit Susanne Klingner und Katrin Rönicke gemacht habe. Korbik hat sich mit mehreren Büchern tief in das Werk von Simone de Beauvoir gegraben: »Der Feminismus von Simone de Beauvoir lässt sich am besten in ihren eigenen Worten zusammenfassen: ›Feminismus ist eine Art, individuell zu leben und kollektiv zu kämpfen.‹ Das heißt, beim Feminismus geht es um uns als Individuen, aber es geht auch um die anderen.« (Julia Korbik) Zum Verhältnis von »ich« und »den anderen« gehört eine beliebte Verneinung, das »ich bin zwar keine Feministin, aber…«. Jahrelang verneinte Angela Merkel die »Feministin?«-Frage, bis zu einem Podium 2017 auf dem W20-Frauengipfel in Berlin. Dort fand die niederländische Königin Máxima eine...