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Strohschneider | Zumutungen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Strohschneider Zumutungen

Wissenschaft in Zeiten von Populismus, Moralisierung und Szientokratie
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96196-155-9
Verlag: kursbuch.edition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wissenschaft in Zeiten von Populismus, Moralisierung und Szientokratie

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-96196-155-9
Verlag: kursbuch.edition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Pluralistische Gesellschaften sind voller Zumutungen: Andere vertreten andere Positionen, Moralen oder Rationalitäten als man selbst. Sachlich falsche Entscheidungen können demokratisch legitim sein. Freiheit braucht das zivilisierte politische Streiten. Und nicht einmal die Wissenschaften könnten es schlichten, denn ihr Wissen ist in gewisser Weise stets vorläufig.

Gegen solche Komplexität wird derzeit revoltiert: Durch populistische Provokationen; durch überschießende Moralisierung; durch szientokratische Vereinfachung, welche Politik bloß als Exekutierung klarer wissenschaftlicher 'Lösungen' versteht. Konkrete Beispiele, an denen dies hier gezeigt wird, reichen von Corona über Trumps Tweets und öffentliche Wissenschaftsdebatten bis hin zu akademischen Rederegimen.

Zugleich argumentiert der langjährige Wissenschaftsratsvorsitzende und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Peter Strohschneider, dafür, dass wir uns den gesellschaftlichen und politischen Zumutungen des Pluralismus stellen müssen. Und das heißt: mit Vorbehalten leben, Irritationen produktiv machen, Kontingenz und Mittelbarkeit auch als Voraussetzung von Freiheit und Modernität verstehen.

Ein Plädoyer für die Pluralismuszumutungen moderner Gesellschaft. Ein engagierter Essay der Verteidigung unserer liberalen Demokratie.

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Einleitung Wie können neueste digitale oder biotechnologische Entwicklungen mit der demokratischen Verfassung des Politischen kompatibel gemacht werden? Und wie diese mit dem Finanzmarktkapitalismus? Wie steht es angesichts des rasanten technologischen Fortschritts um die etablierten anthropologischen, um nicht zu sagen: humanistischen Selbstverständlichkeiten und Selbstverständnisse? Hat sich zwischen den ökologischen Voraussetzungen menschlicher Zivilisation und den Möglichkeiten von Demokratie ein Dilemma aufgetan, weil eine Begrenzung der Erderwärmung in den herkömmlichen Formen demokratischer Politik nicht mehr gelingen kann? Wie sind individuelles Dasein und Gesellschaft eigentlich vermittelbar, wenn demos und ethnos im Zuge globaler Wanderungsbewegungen auseinandertreten, wenn die Ordnungen der Repräsentation und des gesellschaftlich Intermediären Krisensymptome aufweisen oder wenn die Stiftung von Freundschaft und Liebe algorithmisiert wird? Was ist, wenn einem die Wahrheit überall ohnmächtig und Herrschaft bloß noch verlogen erscheint? Wie reagiert man darauf, dass andere andere Götter haben und andere Rationalitäten? Wie auf die Erfahrung, dass die eigene Moral, von welcher man doch weiß, dass sie unbedingt die allgemeine sein muss, unentwegt mit anderen Moralen konfligiert? Wie geht man überhaupt mit einer Überlast an Unvertrautem um, das sich moralisch kaum noch ordnen lässt? Was bedeutet es, dass die Wissenschaften die Wirklichkeit und die Weltinterpretationen, die Ordnungen und Machtverhältnisse in einer Weise rasant und tiefgreifend umgestalten, die offen lässt, ob man gemeinsam mit den Seinen eher zu den Gewinnern oder zu den Verlierern solchen Weltenwandels gehören wird? Die Welt ist unübersichtlich, komplex und voller Zumutungen, und in unterschiedlicher Weise war sie das freilich immer. Stets verlangt sie zu vieles, was lästig oder interessenwidrig ist, was widersinnig oder unmöglich scheint, was bloß hingenommen oder erduldet werden muss. Und schwerlich ließe sich eine Form des Fortschritts denken, die dies zukünftig ändern könnte; es sei denn die Dystopie einer totalen neuromanipulativen Betäubung dessen, was man – noch immer wohl – Bewusstsein nennen kann. Und sofern es sich nicht um biologisch-physikalische, sondern um soziokulturelle Aspekte des Daseins handelt, sind überdies auch die Strukturen und Verarbeitungsformen von Zumutungshaftigkeit historischem Wandel unterworfen. Auch das ist eine Zumutung. Nicht einmal die Zumutungen bleiben sich gleich. Sie verändern sich und sie fordern immer neu die eingeübten Deutungen und Praktiken der Zumutungsverarbeitung heraus. In einer der freiesten, friedlichsten und wohlhabendsten Gesellschaften der bekannten Zivilisationsgeschichte zu leben, macht die Dinge keineswegs einfacher. Eher – so mag es hier und da scheinen – im Gegenteil. Sie ist eine hochkomplexe und kontingente, eine dezentrierte und pluralistische Gesellschaft. Unentwegt setzt sie alle Gesellschaftsglieder den spezifischen Zumutungen von Modernität aus. Charakteristisch ist eine enorme und höchst unübersichtliche Vielzahl von Teilsystemen und Ordnungsmustern, von Sozial- und Machtlagen, von Wissensordnungen und Sinnwelten, von Geltungsquellen und Geltungsansprüchen. Gesamtschau, Orientiertheit, Erwartungssicherheit sind in vielerlei Hinsicht unwahrscheinlich, und noch unwahrscheinlicher in einer allgemeinverbindlichen Form. Immer wieder mutet diese Gesellschaft neue Fragen zu und darunter auch solche, die, wie die eingangs gestellten, von außerordentlich grundsätzlicher Natur sind. Ausmaß und Veränderungsdynamik derartiger Modernitätszumutungen sind unabsehbar. Über sie überhaupt etwas Vernünftiges sagen zu können, das setzt eine reflexive Bestimmung der Beobachtungsposition sowie eine rigide Abgrenzung des Beobachtungsfeldes voraus. In diesem Sinne geht es im Folgenden lediglich um einen kleinen Ausschnitt: um einige Konfigurationen von liberaler Gesellschaft, von demokratisch-konstitutionell verfasster Politik und von moderner Wissenschaft. Und dies in einer entschieden indirekten Weise: Diese gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Konfigurationen sollen hier in den Blick treten vermittels einiger Beispiele dafür, wie derzeit auf ihre spezifische Zumutungshaftigkeit reagiert, ja gegen sie revoltiert wird. Darauf verweisen die Stichworte des Buchtitels. ›Zumutungen‹ sind hier positiv gemeint. Der Ausdruck referiert nicht auf Populismus, Moralisierung und Szientismus. Sondern diese beziehen sich umgekehrt reagierend, revoltierend, negierend auf Zumutungen – und zwar solche, ohne welche die Welt nicht modern sein könnte. Und selbstverständlich wird damit eine zeitdiagnostische Richtung eingeschlagen. Vielfältig verstehen oder inszenieren populistische Politiken die angesprochene Zumutungshaftigkeit moderner Verhältnisse als Kontrollverlust. Mit Parolen wie Donald Trumps »Make America Great Again«, dem »Let’s Take Back Control« der Brexiteers oder der Drohung »Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen« des AfD-Politikers Alexander Gauland versuchen die Populismen – und nicht ohne Erfolg – aus dieser Erfahrung des Kontrollverlusts politische Funken zu schlagen. Einher geht dies mit einer Aufheizung des gesellschaftlichen Klimas durch die, wie es scheint, wachsende Geneigtheit, mehr oder weniger alles, was einem gesellschaftlich zugemutet ist, als Kränkung zu verstehen. In höchst verschiedenen Situationen wird auf Pluralismus, auf Differenz und Dissens ähnlich affektgeladen reagiert, werden Unterschiedenheit, Andersheit, Komplexität und Kontingenz gereizt als Anerkennungsverweigerung aufgefasst und mit Wut und Empörung beantwortet. Überkomplexe gesellschaftliche Strukturen, ihre Ambiguitäten und Deutungsschwierigkeiten werden in einem einfachen Dual des ›Wir vs. Nicht-Wir‹ geordnet. Wie auch immer die Positionen dabei besetzt sein mögen, wird jedenfalls das ›Wir‹ im Sinne differenzarmer Gemeinschaftlichkeit gefasst. Und es soll einen Machtanspruch rechtfertigen, dessen Legitimität über denjenigen einer liberal verfassten Demokratie weit hinausgeht. Derartige Reaktionsmuster der Affektaufladung und gemeinschaftsförmigen Homogenisierung sind übrigens keineswegs allein im Resonanzraum rechter Nationalpopulismen zu finden. Politisch außerordentlich diffuse Gruppen von Wutbürgern demonstrieren miteinander in Deutschland wie anderswo im Frühjahr und Sommer 2020 auf sogenannten ›Coronademos‹ heftig gegen eine Seuchenprävention, die ihnen das Diktat eines illegitimen Regimes zu sein scheint. Und an jener Stelle, an welcher man im eingeführten, aber kaum noch sehr aussagekräftigen Rechts-Links-Schema die eher ›linke‹ Seite des politischen Spektrums vermuten würde, dort ist auch das Streiten gegen Benzinpreise und Steuerpolitik (Gilets jaunes in Frankreich), gegen sexuelle Gewalt (#MeToo) und akademische microaggressions oder gegen Kolonialistendenkmäler, Straßennamen sowie strukturellen Rassismus (Black Lives Matter) durchaus nicht davor gefeit, die wütende Expression von Gekränktheit schon für Politik zu halten, sofern sich dieses Streiten bloß moralisch gut begründet sieht. In alledem ebenso wie in den politischen Populismen ist neben kollektiver Emotionalisierung und sozialen Homogenitätsfiktionen zudem ein enormer Moralisierungsüberschuss zu beobachten, der überhaupt ein charakteristisches Merkmal gegenwärtiger Gesellschaftslagen und ihrer Schwererträglichkeit sein dürfte. Und dabei wird nicht lediglich, gegen alle moderne Pluralisierung, die je eigene Moral universalisiert. Es schrumpfen überdies die Gelegenheiten, zu denen das Moralisieren selbst durchaus einmal suspendiert sein darf. Jede Form komplexer Unterschiedenheit kann so gut wie immer sogleich wertsemantisch überformt, Abweichung jederzeit mit Abwertung beantwortet werden. Also mit Vereindeutigung. Und auch darin lässt sich, so soll hier erkennbar werden, eine Abwehrreaktion gegen die Komplexitäts-, Kontingenz- und Ambiguitätszumutungen pluralistischer Gesellschaften sehen. Außerdem ergibt sich so ein systematischer Vergleichszusammenhang, in welchen die folgenden Kapitel schließlich auch die Wissenschaften stellen. Innerhalb, aber auch außerhalb der Wissenschaften begegnet man einem reduktionistischen Verständnis, welches Forschung schlicht als Erzeugung von ›Fakten‹ versteht. Im Unterschied zu epistemologisch tragfähigen Begründungen moderner Wissenschaft wird dabei für diese ›Fakten‹ nicht nur absolute Gewissheit unterstellt, sondern auch, dass sie eben deswegen jeder weiteren gesellschaftlichen Verhandlung entzogen und dass sie, wie Moral, unmittelbar praxisleitend seien. Es ist dieser Kontext, in dem es geschehen kann, dass ›Skepsis‹ als ein Grundbegriff modernen Wissenschaftsverständnisses ein Ausdruck für Wissenschaftsfeindschaft wird. Wollte man dies noch einmal anders formulieren, so ließe sich etwa auch Folgendes sagen: Das vorliegende Buch beschreibt Populismus, Moralisierung und Szientismus als Symptome eines Schwindens von gesellschaftlichen Mittelbarkeiten, womöglich einer Krise von Unterscheidungen. Dass wissenschaftliches Wissen etwas anderes sei als Gewissheit; dass es Herrschaft nicht legitimiere und von ihr auch nicht gerechtfertigt werde; dass Forschungserkenntnis Wertkonflikte nicht entscheiden könne und von direkter Handlungsorientierung durchaus unterschieden werden müsse; dass Repräsentationen weder im zeichen- noch im politiktheoretischen Sinne identisch seien mit dem, was sie repräsentieren; dass auch Dissens und Feindschaft zweierlei seien: Unterscheidungen solcher Art sind es, die sich in den hier diskutierten...


Peter Strohschneider (*1955) war von 2013 bis 2019 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Er ist Professor i.R. für Germanistische Mediävistik an der Ludwig-Maximilians-Universität und lebt in München.



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