Sumell | Wunde Punkte | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Sumell Wunde Punkte

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-10-403175-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-10-403175-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der erste Roman des Amerikaners Matt Sumell - ein emotionaler Faustschlag. Eigentlich ist Alby ein guter Kerl. Aber dennoch schlägt er seine Schwester, besäuft sich sinnlos und fängt mit jedem Streit an, der ihm in die Quere kommt. Kein Wunder, dass seine Mutter selbst auf dem Sterbebett kein gutes Wort für ihn übrig hat. Dabei liebt Alby sehnsuchtsvoll und unbeholfen: einen verletzten Vogel, seine Großmutter, jeden Schwachen und Wehrlosen unter uns. In seinem ungestümen Wesen offenbart sich ein verletzlicher, melancholischer und liebessüchtiger Held, der uns wider Willen zum Lachen bringt. Ein erstaunliches Debüt voll derbem Humor und verblüffender Intensität.

Eigentlich wollte Matt Sumell gar nicht Schriftsteller werden, sondern nur seiner Literaturdozentin imponieren. Das Imponieren hat nicht geklappt, dafür aber das Schreiben. Nun erscheint sein erster Roman. ?Wunde Punkte? ist der Beweis eines ungeheuren Talents. Matt Sumell hat an der University of California Creative Writing studiert. Seine Erzählungen erschienen in verschiedenen Zeitschriften und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Sumell lebt zurzeit in Los Angeles.
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Jackie schlagen


Es war so, dass sie dachte, Töpfe und Pfannen gehörten nicht in die Spülmaschine, also wies ich sie darauf hin, dass die Maschine ein Programm für Töpfe und Pfannen hatte, guck mal, hier ist es doch, mach die verdammten Augen auf. Na ja, das fand sie nicht so gut und fing damit an, dass ich ein planloser Loser wäre und so, was mich normalerweise nicht aufbringen würde, nur dass es vielleicht stimmt, außerdem kam es von jemandem, der sich angeblich was aus mir macht und aus dem ich mir was mache und bla bla bla, ich meine, ich habe so ziemlich mein ganzes Leben zu ihr aufgeblickt – sie ist wie ein großer Bruder für mich, nur eine Frau.

Wie auch immer, sie meinte es nicht so, glaube ich, vielleicht ein bisschen, aber eigentlich testete sie nur, was mir am meisten weh tun würde, und wenn ich behaupten würde, dass ich so was in früheren Streits nicht auch schon gemacht hätte, wäre das gelogen. Gerade neulich Abend erst mit diesem Mädel in einer Bar, das nicht nett zu meinem netten Freund James war, weshalb ich sagte: »Wow, das ist ja übel.« Als sie fragte: »Was denn?«, sagte ich: »Dein Gesicht. Und jetzt hau ab.« Es stimmte nicht, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es ihre Gefühle verletzen würde, und wie sich herausstellte, hatte ich recht. Ich wusste, dass ich recht hatte, weil sie anfing zu weinen und mich einen verdammten Wichser nannte, nur dass es bei ihr mehr wie »Wächser« klang,  – und dann zeigte sie mir den Mittelfinger und stakste wackelig auf ihren hohen Absätzen Richtung Damenklo.

Außerdem, und das ist vielleicht ganz ähnlich gelagert, gilt für jeden rassistischen Spruch, der aus meinem Mund kommt, dass er, wenn er nicht humorvoll gemeint ist, einfach nur verletzen soll. Einmal zum Beispiel ging so ein asiatischer Typ extra langsam mit einer Orange in der Hand über den Zebrastreifen, also habe ich das Fenster heruntergekurbelt und gesagt: »Geht’s vielleicht ein bisschen schneller, Ninjarsch? Ich hab noch was vor.« Ich habe das nicht so gemeint, das mit dem Ninjarsch, es war nur so, dass er mich echt genervt hat, also wollte ich ihn auch nerven. Ich weiß, dass es da rassische Empfindlichkeiten gibt, die ohne das Attribut genau wie alle anderen Empfindlichkeiten sind: leicht auszunutzen. Es liegt keine Aufrichtigkeit darin, nur Bosheit, und genau das vermute ich, wenn meine Schwester mich einen Loser nennt, nur dass sie es vielleicht auch ein bisschen so meint. Ich bin mir nicht sicher.

Wie auch immer, es hat mich echt aufgebracht und ich habe die Kühlschranktür so zugeknallt, dass die Milch explodiert ist, dann habe ich mich umgedreht und ihr gesagt, dass sie die Klappe halten soll, oder ich würde ihr den Schnurrbart aus dem Gesicht fegen und zusehen, wie er wie ein haariger Käfer durch die Küche fliegt. Dann habe ich mit den Armen gewedelt, als würde ich fliegen, wie ein Käfer, wie ihr Schnurrbart. Tja, ich weiß, dass ich da eine Grenze überschritten habe, aber ich hoffe, dass ein paar Leute wenigstens zu schätzen wissen, was es mich gekostet hat, mich nicht einfach umzudrehen und ihr eine zu scheuern. Wohlwissend, dass einige Leute dies nur schwer zu schätzen wissen werden, will ich diesen phantastischen Vergleich anbringen: Meine Wut ist wie eine Monsterwelle aus Waffen, und mein Ego ist der Deich, der die Monsterwelle aus Waffen davon abhält, über die Stadtbewohner/-bewohnerin, in diesem Fall meine Schwester, hereinzubrechen. Manchmal ist die Welle aus Waffen aber zu groß oder zu mächtig oder was auch immer und einige Waffen werden durch einen Riss gepresst oder schwappen obendrüber oder so was. Das ist unglücklich, klar, aber verdiene ich nicht wenigstens ein bisschen Anerkennung dafür, dass ich 99 Prozent der gesamten Waffen-Welle zurückhalte, wo ich sie doch genauso gut über sie hereinbrechen lassen könnte, wenn ich als Person/Ego/Deich nichts taugen würde? Wichtiger noch, sie hatte sich ja über das Ego/den Deich lustig gemacht und provozierte geradezu den Bruch oder was auch immer. In gewisser Weise sabotierte sie mich, wie eine verdammte Saboteurin. Wie eine verdammt dreckige, nichtsnutzige, keinen-Topf-spülende, Schuppen-habende Saboteurin. Worauf ich also hinauswill, ist: Hatte sie nicht in gewisser Weise als Erste eine Grenze überschritten? Ich glaube ja, und das ist die Nummer eins auf meiner Liste von sieben Entschuldigungen, warum es okay war, dass ich meine Schwester in die Titten geboxt habe.

  1. Sie hat angefangen. Ich weiß, das klingt kindisch, aber ...

  2. Wenn erwachsene Geschwister in das Haus zurückkehren, in dem sie groß wurden, regredieren sie häufig und benehmen sich wieder wie Kinder.

  3. Geschwisterstatus schlägt Frauenstatus. Geschwister zählen nicht als Frauen.

  4. Die Testosteron-Ausschüttung steht in direktem Zusammenhang mit Aggressionen und schwankt in Reaktion auf Wettbewerbssituationen wie z.B. ein Tennismatch oder Streits über Spülmaschinen oder Veränderungen im empfundenen eigenen Status in einer sozialen Hierarchie, zum Beispiel einer Geschwister-Hierarchie oder einer Spülmaschinen-Entscheidungs-Hierarchie oder einer archie von Schnurrbärten (in diesem Fall gewinnt sie mit links). Wenn ich nicht respektiert werde, kommt es zu einer Reaktion in meinen Eiern, und sie machen mehr Zeug, das mehr Aggressionen macht. Was ich auch tue, ich kann’s nicht kontrollieren. Das ist vielleicht ein schwaches Argument, aber die Logik ist auch nicht anders, als wenn man sich wie ein Arschloch benimmt und es dann auf PMS schiebt.

  5. In Gewalt liegt eine gewisse Klarheit. An ihr ist nichts rhetorisch oder vage – sie bedeutet nur, was sie bedeutet, was sich grob übersetzt ungefähr so anhören würde: »Ich mag dich gerade nicht, und zwar doll.« Eine weniger grobe Übersetzung hängt von den Einzelheiten ab, und die einzelnen Einzelheiten dieses Falls in Betracht ziehend, würde meine Übersetzung in etwa lauten: »Die Tatsache, dass du mich beleidigst, obwohl du sowieso schon intelligenter, eloquenter, ruhiger und erfolgreicher bist und zudem noch all deine Haare und eine Wohnung und einen Job hast, der dir tatsächlich etwas bedeutet, frustriert mich so ungemein, dass ich dich physisch dominieren werde, weil das der einzige Lebensbereich ist, in dem ich die Oberhand zu haben scheine.« Aber wie auch immer man Gewalt übersetzt, sie ist nicht gar so grausam oder folgenschwer. Meiner Erfahrung nach ist körperliches Leid vergänglicher als emotionales. Worte hingegen können bleibende Schäden verursachen. Man kann sie nicht zurücknehmen. Nicht wirklich.

  6. Einmal habe ich ihren damaligen Freund mehrfach ins Gesicht geboxt, weil sie mir erzählt hatte, er habe sie geschlagen. Jahre später gestand sie mir, dass sie sich das ausgedacht hatte, weil sie sauer auf ihn war. Er starb bei einem Autounfall, bevor ich mich entschuldigen konnte. Ein anderes Mal hat sich ein Vollidiot in einer Bar ihr gegenüber wie ein Vollidiot benommen, woraufhin ich ihm sagte, er solle aufhören. Das tat er, mehr oder weniger, und als ich zurück zum Tisch ging, kam sie zu mir gerannt und sagte: »XY glaubt, dass du nicht die Eier hast, ihm eine runterzuhauen.« Ich war jünger (dümmer) und betrunken (noch dümmer) und hatte ein hündisches Verständnis von Loyalität, was sie alles wusste, weshalb ich mir sicher bin, dass sie vermutet hatte, dass meine Reaktion im Sinne von ausfallen würde – was sie auch tat. Ich drehte mich um, ging wieder zu dem Typen, tippte ihm auf die Schulter und schlug ihm aufs Ohr usw. Das sind nur zwei von geschätzt vierzig Fällen von Gewalt in meinem Leben, die sie in gewisser Weise angezettelt hat, was, wenn ich richtig rechne, Pi mal Daumen so um die fünf Prozent sein müssten. Meine Frage lautet deshalb: Wie kann jemand, der mehr als einmal etwas in Anspruch genommen hat, das ich als brüderliches Wohlwollen bezeichnen will, sofort Foul rufen, wenn sich diese Art von Aufmerksamkeit gegen ihn wendet? Das ist in vielerlei Hinsicht falsch.

  7. Sie hat es wirklich herausgefordert. Nachdem ich ihr gedroht hatte, hat sie mir ins Gesicht geschrien: »Glaubst du, das macht dich zu nem starken Mann? Hm? Willst du mich schlagen, ? Na, dann mach doch, schlag mich. Schlag mich. Schlag mich, du verdammtes Stück Scheiße.«

»Das will ich ja«, sagte ich. »Dringend.«

»Na, dann los, du verdammtes Arschloch. Du bist dreißig und ein verdammter scheiß Loser und weißt du noch was, du verdammter dreißigjähriger scheiß Loser? Mom hatte recht, du bist ein scheiß gewalttätiges Stück Scheiße.«

Der Hintergrund dieser Bemerkung ist, dass unsere Mutter, als sie im Sterben lag, jeden von uns einzeln in ihr Krankenhauszimmer rief, für ein letztes Gespräch unter vier Augen – die Gelegenheit, alles zu sagen, was wir je würden sagen können. Meine Schwester wurde als Erste hereingerufen, während mein Bruder und ich im Flur warteten und uns leise über Jennifer unterhielten, eine der Krankenschwestern. Ich sagte, sie sei so hübsch, dass ich sie nackt sehen und dann Sex mit ihr haben wolle. Er sagte ziemlich unmissverständlich, dass er dasselbe wolle, woraufhin ich sagte, er solle mal halblang machen, was er nicht tat, und wir fingen an zu streiten. Nach ungefähr zehn Minuten kam meine Schwester heraus und sah ziemlich aufgelöst aus, also gingen wir zu ihr und gaben unser Bestes – was nicht gut war –, um sie zu trösten, dann fragten wir, wie es so war. Sie erklärte, dass das Gesagte privat...


Somann-Jung, Britt
Britt Somann-Jung studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie in Hamburg und London. Nach Stationen beim marebuchverlag und den Ullstein Buchverlagen von 2008 bis 2014 Lektorin für Internationale Literatur im S. Fischer Verlag. Seit 2014 übersetzt sie aus dem Englischen, u. a. Bücher von Ta-Nehisi Coates, Elizabeth Gilbert, Tayari Jones, Kate Davies, Romalyn Tilghman und Heidi Julavits. Für ihre Übertragung des Romans 'In guten wie in schlechten Tagen' von Tayari Jones wurde sie 2019 mit dem Hamburger Literaturpreis für Literarische Übersetzung ausgezeichnet.

Sumell, Matt
Eigentlich wollte Matt Sumell gar nicht Schriftsteller werden, sondern nur seiner Literaturdozentin imponieren. Das Imponieren hat nicht geklappt, dafür aber das Schreiben. Nun erscheint sein erster Roman. ›Wunde Punkte‹ ist der Beweis eines ungeheuren Talents. Matt Sumell hat an der University of California Creative Writing studiert. Seine Erzählungen erschienen in verschiedenen Zeitschriften und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Sumell lebt zurzeit in Los Angeles.

Matt SumellEigentlich wollte Matt Sumell gar nicht Schriftsteller werden, sondern nur seiner Literaturdozentin imponieren. Das Imponieren hat nicht geklappt, dafür aber das Schreiben. Nun erscheint sein erster Roman. ›Wunde Punkte‹ ist der Beweis eines ungeheuren Talents. Matt Sumell hat an der University of California Creative Writing studiert. Seine Erzählungen erschienen in verschiedenen Zeitschriften und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Sumell lebt zurzeit in Los Angeles.
Britt Somann-JungBritt Somann-Jung studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie in Hamburg und London. Nach Stationen beim marebuchverlag und den Ullstein Buchverlagen von 2008 bis 2014 Lektorin für Internationale Literatur im S. Fischer Verlag. Seit 2014 übersetzt sie aus dem Englischen, u. a. Bücher von Ta-Nehisi Coates, Elizabeth Gilbert, Tayari Jones, Kate Davies, Romalyn Tilghman und Heidi Julavits. Für ihre Übertragung des Romans 'In guten wie in schlechten Tagen' von Tayari Jones wurde sie 2019 mit dem Hamburger Literaturpreis für Literarische Übersetzung ausgezeichnet.

Eigentlich wollte Matt Sumell gar nicht Schriftsteller werden, sondern nur seiner Literaturdozentin imponieren. Das Imponieren hat nicht geklappt, dafür aber das Schreiben. Nun erscheint sein erster Roman. ›Wunde Punkte‹ ist der Beweis eines ungeheuren Talents. Matt Sumell hat an der University of California Creative Writing studiert. Seine Erzählungen erschienen in verschiedenen Zeitschriften und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Sumell lebt zurzeit in Los Angeles.
Britt Somann-Jung studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie in Hamburg und London. Zu ihren Übersetzungen aus dem Englischen gehören Werke von Ta-Nehisi Coates, Elizabeth Gilbert, Tayari Jones, Kate Davies, Romalyn Tilghman, Heidi Julavits und Anna Hogeland. Für ihre Übertragung des Romans »In guten wie in schlechten Tagen« von Tayari Jones wurde sie 2019 mit dem Hamburger Literaturpreis für Literarische Übersetzung ausgezeichnet.



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