E-Book, Deutsch, 260 Seiten
Surmann Die Schwerelosigkeit der Flusspferde
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-944035-26-0
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oder: Tod eines Komikers
E-Book, Deutsch, 260 Seiten
ISBN: 978-3-944035-26-0
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Böse Mediensatire, Berlin-Roman und tragikomische Liebesgeschichte in einem. Endlich ist Volker Surmanns von vielen Seiten hochgelobter Debütroman auch als E-Book erhältlich, und zwar ergänzt um den ursprünglichen Titel des Romans: Tod eines Komikes.
Denn um nicht weniger geht es.
Yannick Herbst ist Anfang dreißig und mäßig erfolgreicher Stand-up-Comedian. "Früher hieß es Komiker", sagt seine Mutter, "aber da waren die Leute auch noch witzig." Er lebt in Berlin, der Stadt der kreativen Durchwurstler, und strauchelt zwischen neurotischen Comedy-Veranstaltern, provinziellen Kleinkunstvereinen und humorlosen Fernsehproduzenten hin und her.
Seine Fantasie verlangt eine Trennung auf Zeit, und bei seinen Auftritten stehlen ihm immer öfter Panikattacken die Show. Immerhin bietet sich Yannick mit einem Mal die Chance, auf der Showtreppe des privaten Glücks ein paar Stufen gutzumachen. Er verliebt sich in den jungen Flusspferdpfleger Konrad, der nicht nur seine kreative Fantasie beflügelt. Doch diese Beziehung entwickelt sich nicht weniger seltsam als seine Bühnenkarriere.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1[Kaltenbüttel]
Yannick Herbst trat von der Bühne. Ein wohliges Glücksgefühl ritt noch die Applauswelle, bis sie verebbte, sich totlief auf einem Strand, der hier aus Torfmoor bestand. Der Kleinkunstabend in der Alten Meierei Kaltenbüttel war zu Ende. Vierzig zufriedene Zuschauer verließen den zum Theater umgebauten Geräteschuppen einer ehemaligen Landmolkerei und trollten sich in die dunkle Ödnis der niedersächsischen Provinz. Es war ein guter Abend gewesen. Ein guter Abend eines durchwachsenen Tages, an dem die Lustlosigkeit im Käfig seines Hirns auf und ab getigert war und an fast jedem Nervenknoten das Bein gehoben und ihr Revier markiert hatte. Lustlos war Yannick in Berlin aufgebrochen, lustlos war er in den Zug gestiegen, lustlos war er in Uelzen aus- und in den Bus nach Kaltenbüttel umgestiegen. Mein Gott! Der nächstgrößere Ort war Uelzen! Das sagte doch schon alles! Lustlos hatte er folglich die Bühne eingerichtet und sie später betreten. Erschrocken hatte er registriert, dass nur eine Handvoll Leute in seinem Alter war, der Rest Mitte fünfzig. Von der Bühne blickte er in eine Art Lehrerzimmer. Nur ein attraktiver Junge, Anfang zwanzig mit sympathisch unfrisierten, schwarzen Haaren, hatte seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. Er saß in der letzten Reihe, offensichtlich allein. Yannick hatte ihn angelächelt, als er seine Nummer über eine Lehrerclique auf einer Geburtstagsparty vorbereitete: „Smalltalk hat ja schon sehr viel von einem Guerilla-Krieg an sich, aber Smalltalk unter Lehrern fällt unter das Kriegswaffenkontrollgesetz“, hatte er gewitzelt, und das ganze Lehrerzimmer hatte gelacht. „Ganz schlimm ist, wenn Lehrer Witze erzählen.“ Lacher. Hier hatte noch nie jemand gelacht, aber offenbar kannte sich sein Publikum bestens aus. Es musste am Berufsstand des Pädagogen liegen. Niemand ließ sich so gerne von der Bühne aus abwatschen wie Lehrer und Sozialpädagogen, ausgenommen vielleicht noch Politiker. Als ob es ihnen nicht reichte, in ihrem Job ständig fertig gemacht zu werden. Yannick fragte sich, ob Masochismus dereinst als Berufskrankheit für Pädagogen anerkannt werden würde und wann wohl der erste Lehrer Beihilfe für SM-Spielzeug einklagte. Dann folgte wie immer der Witz, den mal sein eigener Philosophielehrer im Unterricht erzählt hatte: „Was sitzt im Lehrerzimmer mit ’nem IQ von hundertzwanzig?“ Hier setzte Yannick immer eine kurze Kunstpause, zögerte, bis es still war im Saal, und gab dann die Antwort: „Drei Sportlehrer!“ Wieder ein Lacher. Damals, in der elften Klasse hatte Yannick nichts Besseres zu tun gehabt, als diesen Spruch umgehend auf der Klatschseite der Schülerzeitung zu veröffentlichen, was kurzfristig zu einer erbitterten Feindschaft der Fachkonferenzen Philosophie und Sport geführt hatte. Yannick legte nach: „Ich hab den Witz mal auf einer Party erzählt, wo auch viele Lehrer waren. Alle haben gelacht – bis auf einen.“ Verhaltene Lacher. An dieser Stelle wussten die meisten Zuschauer stets, was kommen würde, was kommen musste. Natürlich war es ein Sportlehrer, der nicht lachte. Prompt lachten wieder alle: die eine Hälfte des Saals, weil sie den Witz erst jetzt kapierte, die andere, weil sie ihn schon vorher verstanden hatte und sich bestätigt fühlte. Doch dann drehte Yannick den Gag unerwartet herum und legte noch einen drauf: „Ja, der hatte den Witz nicht verstanden.“ Yannick Herbst liebte diesen Gag; derartige Kombinationen fielen ihm nur selten ein. Sie waren pures Gold für Komiker. Der Saal hatte getobt. Nur ein Endfünfziger in der ersten Reihe hatte sich, offensichtlich nur seiner weiblichen Begleitung zuliebe, ein mühsames Lächeln abgerungen. Yannick hatte ihn angesprochen: „Sie gucken so ernst. Sind Sie etwa zufällig Sportlehrer?“ Ein hysterischer Kiekser seiner Begleitung. Prompt hatte auch das restliche Publikum zu kichern begonnen. Volltreffer. „Nicht wahr?! Sie sind wirklich Sportlehrer!“ Das Publikum hatte gejohlt und Yannick einen Geistesblitz gehabt: „Soll ich den Witz noch mal langsam wiederholen?“ Kreischende Lacher, Szenenapplaus. Yannick Herbst war in seinem Element gewesen. Doch nun hatte Yannick Herbst sein Element verlassen und widmete sich anderen Elementen. Inzwischen stand er am Tresen und trank bereits das zweite Glas Rotwein. Langsam spürte er eine wohltuende Wärme in sein Großhirn aufsteigen, wo sie sich eine bequeme Hängematte aus Synapsen und Ganglien knüpfte und ihr Kopfkissen aufschüttelte. Yannick Herbst wurde müde. Mühsam hangelte er sich durch den üblichen Smalltalk mit den Gästen und Veranstaltern. „Der Georg“ (Deutsch und Geschichte) hatte Tresendienst, dabei den angebotenen Produkten selbst wohl ordentlich zugesprochen, und redete auf Yannick ein, wie professionell er auf der Bühne wirken würde. „Ja ja, danke“, sagte der und schaute sich im Saal um. Der Twen mit der hübschen Wuschelfrisur stand etwas abseits umringt von einigen Binnen-I-TrägerInnen. Yannick gab ihn auf. Er freute sich auf sein Bett im Hotelzimmer. „Iris, wie sieht es aus, bringt ihr mich gleich ins Hotel?“ „Die Iris“, Georgs Frau (Französisch und Textiles Gestalten) und Sprecherin des Kulturvereins, ein freundlicher Muttertyp mit gelegentlich angestrengt wirkendem Blick, drehte sich entrüstet zu ihm um: „Ach was, du schläfst doch bei uns.“ Scheiße. Yannick wusste, was das bedeutete: Noch mehr Rotwein, noch mehr sinnloser Smalltalk, mindestens einmal mehr die Fragen, ob er von seinem Job denn leben könne und worin denn nun genau der Unterschied zwischen Kabarett und Comedy bestehe. „Britta kommt auch noch mit und Simon natürlich. Dann können wir bei uns noch einen trinken.“ Das hatte er befürchtet. „Wer ist Simon?“ „Unser Sohn.“ Iris’ Blick schwenkte zu dem schwarzen Wuschelkopf. Wenigstens eine kleine Entschädigung für ein ausgefallenes Hotelzimmer. Britta war Anfang fünfzig mit kurzen, schwarzen Haaren. Yannick wollte kein Unterrichtsfach für sie einfallen. Kosmetikfachschule, dachte er, als er des perfekten Make-ups und der stark gezupften Augenbrauen gewahr wurde. Bald saßen sie zu viert in Iris’ und Georgs Fünfziger-Jahre-Backstein-Häuschen in der Küche. Simon hatte sich aber sofort in sein Zimmer verzogen, weil er am nächsten Morgen mit seiner Freundin zu einem Fußballspiel wolle. Freundin. Fußball. Zwei Worte, dieselbe Enttäuschung. Yannick goss sich daraufhin einen weiteren Rotwein ein. Er schaute auf die Flasche: Von einem billigen Bardolino im Kulturhaus zu einem schweren Merlot. Das ist überhaupt nicht gut; Rotweine soll man nicht mischen, dachte Yannick und nahm einen großen Schluck. „Soll ich ein paar Schnittchen machen?“, fragte Iris, den Kopf schon im überdimensionierten Kühlschrank auf der Suche nach Aufschnitt und Butter. Yannick nickte: „Ich brauch eine Grundlage“, nuschelte er. „Ich kann’s immer noch nicht fassen, dass du wirklich schwul bist“, ereiferte sich Britta. Yannick lächelte etwas gequält. Ja okay, er war schwul, er hatte es auf der Bühne erwähnt, aber was war schon dabei? Heute waren doch alle schwul. „Ja, genau, du, du wirkst so ... männlich auf der Bühne“, schaltete sich Georg ein, während er eine weitere Flasche Rotwein entkorkte. Dabei waren ihre Gläser noch voll. „Ehrlich!“, fuhr Britta fort. „Ich bin seit zwanzig Jahren Stewardess und dachte, ich könnte es sofort erkennen.“ „Schon gut, ich werde in Zukunft mit einem Safttablett auftreten.“ Iris stellte die Schnittchen auf den Tisch: viel Wurst, viel Käse, schweres Brot. Yannick griff zu. Die nächste Flasche war ein Weißwein. Yannick lehnte ab. Britta hatte sich hicksend verabschiedet, nachdem Yannick die wirtschaftliche Situation eines selbständigen Komikers ausführlich dargestellt und während einer halbstündigen Diskussion möglicher Abgrenzungskriterien zwischen Kabarett und Comedy mindestens sechs Salamistullen vertilgt hatte. Er hoffte, diese Grundlage war ausreichend schwer, um noch rechtzeitig unter den Alkoholspiegel zu sinken. „Du, du bist so ... so anders als sonst, wenn du da vorne stehst“, lallte Georg. „Du, du wirkst so männlich.“ Nicht schon wieder. Yannick spürte Unbehagen in sich aufsteigen. Schwungvoll goss er sein Glas mit Weißwein voll und trank einen großen Schluck. Sein Unwohlsein blieb. Er kannte viele Vorurteile über Schwule. Dass sie besonders männlich wirkten, gehörte nicht dazu. „Da vorne auf der Bühne, da oben, also da wirkst du so ... so potent.“ Yannick...