Surmann / Werning | Fruchtfleisch ist auch keine Lösung | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Surmann / Werning Fruchtfleisch ist auch keine Lösung


1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-9814475-3-8
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-9814475-3-8
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein gefundenes Fressen für Satire!

Ernährung ist in aller Munde, Essen wird derzeit mehr diskutiert als konsumiert. Jonathan Safrar Foer will keine 'Tiere', Karen Duve nur noch 'anständig essen'. Unterdessen folgt Lebensmittelskandal auf Lebensmittelskandal, und im Fernsehen wird zeitgleich alles verbraten, was nicht bei drei aus der Küche ist.

Noch nie hat die moralisch korrekte Grundverorgung unsere Wohlstandsgesellschaft derart bewegt: Die Debatten kochen hoch, moralische Argumente werden aufgewärmt, gepfefferte Diskussionen geführt. Die Diskussionen sind hitzig, die Argumente aber nicht selten moralin-versalzen. Was der Suppe noch fehlt, ist etwas satirische Würze.

Deshalb dieses Buch: Etwa dreißig erfahrene Satiriker, Humoristen und Lesebühnen-Autoren - Vegetarier wie Fleischesser - erzählen mitten rein in die vor sich hin brodelnde Debatte Geschichten über Fleischkonsum und Vegetarismus, über Wildschweinjagd und Zartgemüse. Bissig, satirisch, kontrovers, aber trotz aller Gegensätze vereint in einem geschmackvollen Buch.

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Weitere Infos & Material


Vom Essen kann man sich ernähren
Isabella Renitente
In Ihrem Elternhaus pflegte man die alten preußischen Tugenden, auch bei Tisch. Man aß schweigsam und zügig. »Hände auf den Tisch!« Selbstverständlich wurde erwartet, dass man seine Mahlzeit beendete, sobald der Appetit des Patriarchen befriedigt war. Der Rohrstock stand in der Spülküche, gleich hinter dem Kartoffeleimer. »Wohl nich’ jedient, wa?« Gegessen wurde, was auf den Tisch kam, auch wenn es Graupensuppe war oder gut durchgebratenes Rindersteak mit polymerisiertem Fettrand, der sich an den Rändern immer ein wenig nach oben bog, oder Kochfisch mit Senfsoße. Kopfsalat mit einer Marinade aus gehackten Zwiebeln, Zitronensaft und Zucker, auch so ein Hit. Schmorbraten mit Funny-Klößen. »Lieba een bisken mehr, aba dafür wat Jutet.« Damals haben Sie gelernt, auch nahezu breiartige Speisen mindestens fünfhundertsiebenunddreißigmal zu kauen. Frisches Obst wurde zu Kompott verarbeitet und zierte, mit maschinenschriftlichen Etiketten versehen, die Regale im Vorratskeller. Nach Größe, Jahrgang und Obstsorte sortiert. Die Etiketten alle auf gleicher Höhe. Das Kompott kam dann im übernächsten Winter auf den Tisch. Helles Kompott oder dunkles Kompott. Zum Teil noch mit Aroma. Die Vorratsregale wurden gern präsentiert, wenn Besucher durch das Haus geführt wurden. In den Jahren der Not hatte man Hamstern gelernt. Irgendwie steckte das noch in den Knochen. »Der Mensch is so jebaut, det’s der Kopp nicht uff die Knie haut.« Süßigkeiten waren dem Patriarchen vorbehalten, der (vergeblich) versuchte, sich das Rauchen abzugewöhnen. »Jelobt sei, wat hart macht.« Über das Essen wurde nicht gemeckert. Jahrelang gehungert in schlechten Zeiten. Wie hatte man sich nach Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl gesehnt. Wie schmerzlich hatte man das vermisst. Und dann das Wirtschaftswunder. Wie hatte man es gut jetzt. Konnte sich satt essen. Jeden Tag eine warme Mahlzeit. Sonntagsmorgens ein Frühstücksei und Schwartauer Brombeermarmelade auf Toast. Dazu gute Butter. »Kind, iss deinen Teller auf!« Wie heißt das Zauberwort? – Zack, zack! »Vom Essen kann man sich ernähren«, pflegte Ihr Großvater zu sagen. Er hatte die Entbehrungen zweier Weltkriege erlebt. Köstlich der Muckefuck und die Stulle mit Butter und Salz. Oder Hähnchen aus dem Röhr mit Kartoffelkließla. Ihre Großmutter ritzte mit dem Messer immer ein Kreuz in die Kruste, bevor sie das Brot anschnitt. Reste wurden wiederverwertet. Unverdorbene Lebensmittel wegzuwerfen, das gab es nicht. Mit fünfzehn wurden Sie zur Verfeinerung Ihrer Fremdsprachenkenntnisse für drei Wochen nach Südengland geschickt. Sie kamen mit einem Stapel Fotos, einigen neuen, nicht salonfähigen Ausdrücken und einer Vorliebe für Tee zurück, die sich bis heute gehalten hat. Ihr Vorschlag, Puddings in Zukunft rosa einzufärben und auf einem Bett von dottergelbem Gelee zu servieren, den Tag mit Ham and Egg zu beginnen und die Abendmahlzeit gemeinsam vor dem Elektrokamin auf dem Fußboden sitzend einzunehmen, wie Sie es bei Ihrer Gastfamilie erlebt hatten, wurde nicht aufgegriffen. Immerhin gab es nun ab und an Cornflakes mit Milch. Mit der ersten eigenen Bude kam die große kulinarische Befreiung. Ihre Geschmacksknospen blühten auf. Nie wieder essen müssen, was Sie nicht mögen! Nie wieder Gulasch mit zerkochten Nudeln! Nie wieder bissfeste Rouladen mit Senf-Speck-Zwiebel-Füllung! Oder Forelle blau mit fünftausendachthundertneununddreißig Gräten! Fortan standen Fischstäbchen, Spaghetti mit Tomatensoße, Erbsensuppe aus der Tüte und Cola auf dem Speiseplan. Später dann Fertigpizza und Lambrusco aus der Literflasche. Zur Grundausstattung Ihrer Küche gehörten eine Teflonpfanne, ein Topf und ein Nudelsieb. »Mirácoli!« Wegen des kostengünstigen Sättigungsfaktors nahmen Sie schließlich Müsli und Vollkornbrot in Ihr Repertoire auf. Mens sana in corpore sano. Um in der Mensa zu essen, braucht man einen gesunden Körper. »Wie heißt der neue Mensakoch? – Izmir Übel!« Mit der Erfindung der Nouvelle Cuisine wendete sich nach ein paar Semestern das Blatt. Man traf sich mit Freunden zum Essen und Debattieren auf hohem Niveau: Mousse chaude de truite de rivière au coulis d’écrevisses, Quenelles de poisson, Sauté d’agneau de lait printanier, Poularde de Bresse au riz sauce suprême, Soufflé glacé aux cerises. Selbstverständlich aß man nicht nur einfach Lamm, sondern L’agneau trop salé. Und man verarbeitete Bressehühner anstelle von Presshühnern aus der Tiefkühltruhe des Supermarktes. Zur Grundausstattung Ihrer Küche gehörten nun eine Bain-Marie und eine Sauteuse. Das Frühstück krönten köstliche frische Brioches, figurfreundlich mit einer mittleren Menge Butter hergestellt: Fünfhundert Gramm feinstes Auszugsmehl, sieben Eier, fünfhundert Gramm erstklassige Süßrahmbutter. Je nach Jahreszeit und Temperatur ließ man dem Teig zehn bis zwölf Stunden Zeit zum Gehen: zwanzig bis dreißig Minuten für den Vorteig, fünf bis sechs Stunden für den ersten Teigballen, weitere fünf bis sechs Stunden für den Teig nach dem zweiten Abschlagen und ein letztes Gehen, sobald der Teig in der Backform lag. Die Brioche wurde noch leicht dampfend mit einem Hauch frischer Butter genossen. Dazu ein duftender Café au lait. Glücklicherweise fanden die relevanten Vorlesungen erst am späten Vormittag statt. Mit dem Ende des Studiums kamen für das schnelle Businessfrühstück im Stehen vakuumverpackte Fertigcroissants und Baguettes zum Aufbacken auf den Markt. Der sportliche, kulturell interessierte, reisende Yuppie entdeckte die leichte mediterrane Küche. Teste di funghi farcite, Insalata di bianchetti crudi, Risotto con punte di asparagi, Zupa del canavese, Coda di vitello in umido. »Subito!« Und natürlich Tiramisu, das wiederbelebende, köstliche. »Bittschön, prego!« Insider trugen zum Anzug von Armani einen Hauch von Knoblauch. Und wo bislang Graslilien und Kakteen vor sich hin vegetierten, wucherten fortan Basilikum, Thymian, Oregano, Zitronenmelisse und Co. Zur Grundausstattung Ihrer Küche gehörten seitdem auch eine Nudelpresse, eine Espressokanne und ein Milchschäumer. »Eine Frau ohne Bauch ist wie ein Himmel ohne Sterne.« Als der orientalische Tanz in deutsche Wohnzimmer und Turnhallen einzog, verabschiedeten auch Sie sich von der Brigitte-Diät. Der stromlinienförmige Körper war nicht mehr gefragt. Die warme, weiche Frau war im Kommen. Man saß in männerloser Runde beisammen, trank Tee oder türkischen Mokka, rauchte Shisha, bemalte die Hände mit Henna, las aus dem Kaffeesatz und erzählte sich Geschichten in tausend und einer Nacht. Jede brachte eine Köstlichkeit für ein gemeinsames Essen mit. Cacik, Imam bayildi, Yaprak dolmasi, Su böregi, Çoban salatasi, Havuç köftesi und Baklava. Zur Grundausstattung Ihrer Küche gehörten nun auch ein Samowar und eine cezve, das türkische Kaffeekännchen. »Zack!, sprach die Kalorie und saß auf der Hüfte.« Wirklich toll sehen Bodywave und Arabesque mit einem BMI von 27 nicht aus. Der Ära orientalischer Genüsse folgte daher die zweite Körnerphase. Müsli, Möhrchen, Vollkornbrot, Gürkchen, Dinkelknäcke, Äpfelchen, Magerkäse, Selleriestangen, ölfreie Salate, dünne Süppchen und verdünnte Fruchtsäfte. Selbstverständlich zuckerfrei. Und jede Menge Haferkleie, damit der Körper sich daran erinnert, wie es sich anfühlt, satt zu sein. Zur Grundausstattung Ihrer Küche gehörten jetzt auch eine Diätwaage und eine Körnermühle. Trennkost heiße das Gebot der Stunde, meinte Ihre Freundin dann. Mit Trennkost könnten Sie gesund genießen und spielerisch abnehmen, ganz ohne lästiges Kalorienzählen. Sie müssten nur Lebensmittel, die überwiegend eiweißreich sind, getrennt von solchen Lebensmitteln essen, die überwiegend kohlenhydratreich sind. Das heißt: Eiweiß mit Neutral kombinieren, Kohlenhydrat mit Neutral kombinieren, aber niemals Eiweiß mit Kohlenhydrat kombinieren. Also keine Lachsschnittchen, keine Pasta mit Meeresfrüchten, keine Pizza, kein Pflaumenkuchen mit Schlagsahne. Einen Monat lang hielten Sie das durch. »Ommmmmmm!« Dann wandten Sie sich der ayurvedischen Küche zu, um mit einer typgerechten Ernährung Ihre natürlichen Instinkte...


Heiko Werning, lebt seit 1991 in Berlin. Studierter Umweltschützer, Kriechtierredakteur und Lektor, Liederschreiber und Sänger. Mitglied der Vorlesebühnen "Brauseboys" und "Reformbühne Heim & Welt", außerdem taz-Blogger, Titanic-Autor und Publizist. Zahlreiche Buch- und CD-Veröffentlichungen, zuletzt 'Mein wunderbarer Wedding' (Edition Tiamat).

Volker Surmann, Exil-Ostwestfale in Ostberlin, Autor für Kabarett, Lesebühnen und Titanic-Magazin, ebenfalls Mitglied der "Brauseboys" und Programmchef im Satyr-Verlag. Diverse Publikationen. Herausgeber der erfolgreichen Anthologie-Reihe "Sex - Von Spaß war nie die Rede".



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