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Swanwick In Zeiten der Flut

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-20076-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

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ISBN: 978-3-641-20076-3
Verlag: Heyne
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Vor der Großen Flut

Der Planet Miranda hat einen so exzentrischen Orbit, dass seine Polkappen alle zweihundert Jahre schmelzen und den gesamten Planeten überfluten. Die einheimische Flora und Fauna ist an das Leben zu Land wie zu Wasser hervorragend angepasst, die Siedler von der Erde jedoch nicht. Als erneut eine Große Flut bevorsteht, werden die Kolonisten evakuiert. Doch Gregorian, der auf Miranda als Zauberer gilt, verspricht gegen Zahlung einer gewaltigen Geldsumme die Menschen so umzuwandeln, dass auch sie im Wasser überleben können. Die Abteilung für Techniktransfer vermutet, dass sich der ehemalige Wissenschaftler geheime Technik angeeignet und sie illegal nach Miranda gebracht hat. Sie schickt den Bürokraten aus, um Gregorian zu stellen. Doch dem Bürokraten bleibt nicht viel Zeit, denn die Flut rückt immer näher …

Michael Swanwick wurde am 18. November 1950 in Schenectady im US-Bundesstaat New York geboren. 1973 zog er nach Philadelphia, um Schriftsteller zu werden, doch es sollte sechs Jahre dauern, bis er seine erste Story beendete. 1980 veröffentlichte er seine ersten beiden Kurzgeschichten, die für den Nebula Award nominiert wurden. 1985 folgte sein Debütroman, „Die Todesschneise“, in dem der Unfall im Atomkraftwerk Three Mile Island deutlich nachhallt. „In Zeiten der Flut“ gewann 1991 den Nebula Award. Michael Swanwick wurde zudem mit dem Theodore Sturgeon Memorial Award, dem World Fantasy Award und insgesamt fünf Hugo Gernsback Awards ausgezeichnet. Neben Science-Fiction- und Fantasy-Romanen schreibt Swanwick Reviews für die Zeitschrift New York Review of Science Fiction und veröffentlichte mehrere Biografien, Essays und Monografien. Er lebt mit seiner Frau Marianne Porter und dem gemeinsamen Sohn Sean in Philadelphia.
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2 – Hexenkulte der Weißmarsch


Gregorian küsste die alte Frau und stieß sie von der Felswand. Mit zuckenden Gliedmaßen stürzte sie kopfüber ins kalte graue Wasser. Als sie aufschlug und tief in die Dünung tauchte, spritzte weißer Gischt. Sie kam nicht wieder hoch. In einiger Entfernung hob sich etwas Dunkles, Schlankes aus dem Wasser, das an einen Otter erinnerte, dann tauchte es und verschwand.

»Das ist ein Trick«, sagte der echte Leutnant Chu. Auf dem Bildschirm verblasste Gregorians Gesicht: massig, lebenserfahren, zuversichtlich. Seine Lippen bewegten sich lautlos. Sei das, wozu du bestimmt bist. Nach der fünften Wiederholung hatte der Bürokrat den Ton abgestellt, doch er kannte die Worte inzwischen auswendig. Leg ab deine Schwäche. Wage es, ewig zu leben. Der Werbespot endete und fing wieder von vorne an.

»Ein Trick? Wie das?«

»Ein Vogel kann sich nicht von einem Moment zum anderen in einen Fisch verwandeln. Ein solcher Umwandlungsprozess braucht Zeit.« Leutnant Chu krempelte einen Ärmel hoch und griff ins Goldfischglas. Der Sperlingsfisch wich ihr aus, seine hellen Schwanzflossen huschten durchs Wasser. Dunkler Sand wurde aufgewirbelt und verdeckte ihnen vorübergehend die Sicht. »Der Sperlingsfisch ist ein Höhlenbewohner. Als Gregorian den Vogel ins Wasser tauchte, war er im Sand versteckt. Ein rasche Handbewegung, so«, sie machte es vor, »und der Vogel ist tot. Dann steckt man ihn in den Sand, während der Fisch gleichzeitig hervorkommt.«

Sie legte den kleinen toten Körper auf den Tisch. »Ganz einfach, wenn man weiß, wie’s gemacht wird.«

Gregorian küsste die alte Frau und stieß sie von der Felswand. Mit zuckenden Gliedmaßen stürzte sie kopfüber ins kalte graue Wasser. Als sie aufschlug und tief in die Dünung tauchte, spritzte weißer Gischt. Sie kam nicht wieder hoch. In einiger Entfernung hob sich etwas Dunkles, Schlankes aus dem Wasser, das an einen Otter erinnerte, dann tauchte es und verschwand.

Der Bürokrat schaltete den Fernseher aus.

Die Verbindungsoffizierin lehnte mit geradem Rücken am Fenster und rauchte einen dünnen schwarzen Zigarillo, die Bügelfalten ihrer Uniform waren messerscharf. Emilie Chu war dünn, ein Rasseweib mit zynischen Augen und einem spöttischen Lächeln um den Mund. »Keine Nachricht von Bergier. Offenbar ist mein Doppelgänger entwischt.« Sie streichelte mit kühler Belustigung ihren kaum sichtbaren Schnurrbart.

»Wir wissen nicht, ob er bereits von Bord gegangen ist«, erinnerte sie der Bürokrat. Die Fenster waren jetzt klar, und in der frischen, hellen Luft erschien die Begegnung mit Chu jetzt unwirklich, wie der Stoff, aus dem Reiseanekdoten sind. »Sprechen wir mit dem Kommandanten.«

Der rückwärtige Beobachtungsraum war voller uniformierter Schulmädchen von der Laserfield-Akademie, die einen Tagesausflug unternahmen. Während der Bürokrat hinter Chu eine Leiter hochkletterte und durch eine Luke ins Innere des Gasbehälters stieg, stießen sie sich gegenseitig an und kicherten. Als sich die Luke schloss, befand sich der Bürokrat im Innern der dreieckigen Kielverstrebung. Zwischen den hochaufragenden Gaszellen war es dunkel, und die schmale Reihe der Deckenleuchten vermittelte eher einen Eindruck der gewaltigen Ausmaße des Leviathans, als dass sie Licht gespendet hätten. Ein weibliches Besatzungsmitglied sprang neben ihnen auf den Verbindungssteg. »Passagiere haben hier keinen …« Als sie Chus Uniform sah, straffte sie sich.

»Zum befehlshabenden Piloten Bergier, bitte«, sagte der Bürokrat.

»Sie wollen den Kommandanten sprechen?« Die Frau starrte ihn an, als wäre er eine Sphinx, die aus dem Nichts materialisiert war, um ihr ein besonders kniffliges Rätsel zu stellen.

»Wenn es Ihnen nicht zu viele Umstände macht«, sagte Chu mit leiser Drohung.

Die Frau machte auf den Fersen kehrt. Sie führte sie durch den Schlund des Luftschiffs zum Bug, wo eine dermaßen steile Treppe zur Pilotenkanzel hochführte, dass sie auf allen vieren hinaufgehen mussten. Von der dunklen Holztür schimmerte ihnen eine Einlegearbeit aus Elfenbein entgegen, ein phallisches Rosenmuster. Die Frau klopfte dreimal kurz hintereinander, dann packte sie eine Strebe und schwang sich mit affenartiger Gewandtheit ins Dunkel hoch. Eine tiefe Stimme grollte: »Herein.«

Sie öffneten die Tür und traten hindurch.

Die Pilotenkanzel war klein. Die Windschutzscheibe war verdunkelt, so dass der Raum allein von den zahllosen Navigationsschirmen im Vordergrund erhellt wurde. Es roch nach Schweiß und muffiger Kleidung. Bergier, der Kommandant, stand über die Monitore gebeugt und wirkte wie ein betagter Adler. Sein Gesicht war ein bleicher Schnabel, der, als er das Kinn hob, auf einmal edel wirkte; ein Poet mit schütterem Bart, der über den leuchtenden Gefilden seiner Welt brütete. Als er sich umwandte, war sein Blick auf eine ferne Tragödie gerichtet, die ergreifender war, als es jede gegenwärtige Gefahr je hätte sein können. Unter den Augen hatte er dunkle, tief eingegrabene Ringe. »Ja?«, sagte er.

Leutnant Chu salutierte schneidig, und der Bürokrat, dem gerade noch rechtzeitig einfiel, dass sämtliche Luftschiffkommandanten gleichzeitig auch für den inneren Abschirmdienst arbeiteten, zeigte seine Papiere vor. Bergier besah sie sich, reichte sie zurück. »Nicht jeder heißt Ihresgleichen auf unserer Welt willkommen, Sir«, sagte der Kommandant. »Sie halten uns in Armut, Sie leben von unserer Arbeit, Sie beuten unsere Bodenschätze aus und haben nichts als Herablassung für uns übrig.«

Der Bürokrat blinzelte überrascht. Ehe er sich eine Antwort zurechtlegen konnte, fuhr der Kommandant fort: »Jedenfalls bin ich Offizier und kenne meine Pflichten.« Er steckte sich eine Tablette in den Mund und saugte geräuschvoll daran. Ein faulig-süßer Geruch breitete sich in der Kabine aus. »Stellen Sie Ihre Forderungen.«

»Ich habe keine Forderungen«, setzte der Bürokrat an. »Ich möchte bloß …«

»Hier spricht die Stimme der Macht. Sie halten die Technik unter Verschluss, die Miranda in ein Paradies verwandeln könnte. Sie kontrollieren die Fertigungsverfahren, die es Ihnen gestatten, unsere Wirtschaft nach Belieben zu unterhöhlen. Wir sind auf Gedeih und Verderb Ihrem Wohlwollen ausgeliefert. Dann kommen Sie mit diesem Schreiben hier hereinspaziert und stellen Forderungen, die Sie zweifellos lieber als Ersuchen bezeichnen, und tun so, als wäre es zu unserem eigenen Wohl. Wir wollen dieses Verhalten doch nicht scheinheilig bemänteln, Sir.«

»Die Technik hat auf der Erde nicht unbedingt ein ›Paradies‹ geschaffen. Oder unterrichtet man hier keine klassische Geschichte?«

»Die typische Zurschaustellung von Arroganz. Sie verweigern uns unser materielles Erbe und erwarten auch noch von mir, dass ich Ihnen dafür danke. Nein, Sir, kommt gar nicht in Frage. Ich habe auch meinen Stolz. Und ich …« Er brach ab. In der plötzlichen Stille sah man, wie sein Kopf hin und wieder herabsank, als kämpfte er gegen den Schlaf. Sein Mund klappte auf und zu, auf und zu. Seine Augen schwenkten langsam zur Seite, als suchte er nach einem verlorenen Gedankenfaden. »Und … äh … Und … äh …«

»Der Illusionist«, beharrte der Bürokrat, »der sich als Leutnant Chu ausgibt. Haben Sie ihn schon gefunden?«

Bergier straffte sich, fand seine unerschütterliche Ruhe wieder. »Nein, Sir, das haben wir nicht. Wir haben ihn nicht gefunden, denn er ist nicht mehr hier. Er hat das Schiff verlassen.«

»Das kann nicht sein. Sie haben einmal angelegt, und niemand ist von Bord gegangen. Ich habe zugesehen.«

»Wir fliegen zum Meer. Wir sind so gut wie unbesetzt. Auf dem Rückflug, da könnte mir ein agiler, entschlossener Mann vielleicht entgehen. Aber ich habe jeden einzelnen Passagier überprüft und habe meine Crew in jeden einzelnen Frachtraum und jede Gerätekammer des Leviathans hineinschauen lassen. Ich habe sogar einen Techniker mit einem Flugtornister zu den Auslassventilen hochgeschickt. Ihr Mann ist nicht mehr an Bord.«

»Das lässt sich nur so erklären, dass er seine Flucht im Voraus geplant hat. Vielleicht hatte er einen Faltgleiter an Bord versteckt«, schlug Chu vor. »Für einen athletischen Mann dürfte das nicht schwer gewesen sein. Er hätte bloß ein Fenster zu öffnen und wegzufliegen brauchen.«

Wahrscheinlicher war, dachte der Bürokrat, und der Gedanke traf ihn mit der Wucht des Unvermeidlichen, wahrscheinlicher war, dass der Mann den Piloten einfach bestochen hatte, damit der ihm etwas vorlog. Um seinen Verdacht zu kaschieren, sagte er: »Mich wundert nur, dass Gregorian sich solche Umstände gemacht hat, um herauszufinden, wie viel wir über ihn wissen. Es scheint kaum der Mühe wert.«

Bergier blickte finster auf die Monitore und schwieg. Er betätigte einen Schalter, worauf sich das Motorengeräusch veränderte und tiefer wurde. Ganz allmählich wendete das Schiff.

»Er hat Sie einfach bestochen«, meinte Chu. »So einfach ist das.«

»Glauben Sie wirklich?«, fragte der Bürokrat ungläubig.

»Zauberern ist nichts unmöglich. Ihren Gedankengängen ist nicht leicht zu folgen. Hey! Vielleicht war das sogar Gregorian persönlich? Er hat schließlich Handschuhe getragen.«

»Fotos von Gregorian und von Ihrem Doppelgänger«, sagte der Bürokrat. »In Vorderansicht und im Profil.« Er holte sie aus der Aktentasche, schüttelte die Feuchtigkeit ab und legte sie nebeneinander vor die Monitore. »Nein, schauen Sie sich die doch mal an – der Gedanke ist wirklich abwegig. Was sollen denn nun die Handschuhe damit zu tun haben?«

Chu verglich die hochgewachsene, bullige Gestalt Gregorians sorgfältig mit ihrem schlanken...


Swanwick, Michael
Michael Swanwick wurde am 18. November 1950 in Schenectady im US-Bundesstaat New York geboren. 1973 zog er nach Philadelphia, um Schriftsteller zu werden, doch es sollte sechs Jahre dauern, bis er seine erste Story beendete. 1980 veröffentlichte er seine ersten beiden Kurzgeschichten, die für den Nebula Award nominiert wurden. 1985 folgte sein Debütroman, „Die Todesschneise“, in dem der Unfall im Atomkraftwerk Three Mile Island deutlich nachhallt. „In Zeiten der Flut“ gewann 1991 den Nebula Award. Michael Swanwick wurde zudem mit dem Theodore Sturgeon Memorial Award, dem World Fantasy Award und insgesamt fünf Hugo Gernsback Awards ausgezeichnet. Neben Science-Fiction- und Fantasy-Romanen schreibt Swanwick Reviews für die Zeitschrift New York Review of Science Fiction und veröffentlichte mehrere Biografien, Essays und Monografien. Er lebt mit seiner Frau Marianne Porter und dem gemeinsamen Sohn Sean in Philadelphia.

Stöbe, Norbert
Norbert Stöbe, 1953 in Troisdorf geboren, begann schon als Chemiestudent zu schreiben. Neben seiner Tätigkeit als Chemiker am Institut Textilchemie und Makromolekulare Chemie der RWTH Aachen übersetzte er die ersten Bücher. Sein Roman New York ist himmlisch wurde mit dem C. Bertelsmann Förderpreis und dem Kurd-Lasswitz-Preis ausgezeichnet. Seine Erzählung Der Durst der Stadt erhielt den Kurd-Lasswitz-Preis und die Kurzgeschichte Zehn Punkte den Deutschen Science Fiction Preis. Zu seinen weiteren bekannten Romanen zählen Spielzeit, Namenlos und Der Weg nach unten. Norbert Stöbe ist einer der bekanntesten deutschen Science-Fiction-Schriftsteller. Er lebt als freier Autor und Übersetzer in Stolberg.



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